Kalenderblatt für Februar 05

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Berlinale



Leben in der Petrischale
Das Schöne am Februar, es ist Berlinale, das Schlechte, sie haben wieder so hässliche Plakate. Die verschieden Sektionen wurden durch Variationen eines Plattentellers dargestellt. Als ich an einer Plakatwand mit allen Motiven vorbeiging, drängte sich unweigerlich der Gedanke an meinen Biologieunterricht auf - oder war es doch der vom letzten Abstrich beim Arztbesuch? Leben in der Petrischale. Doch Plakate hin oder her, es geht um Filme. Die Kalenderblattredaktion schickte Robert M. schon mal zum Potsdamer Platz, um auszuloten, ob sich 2005 das Berlinale-Fischen lohnen könnte. Es kann.

Un año sin amor
Der HIV-Positive Pablo versinkt, den baldigen Tod stets vor Augen, immer weiter in einer Art Depression. Der Film zeigt einerseits, wie er die SM-Sklavenrolle für sich entdeckt (viel Fleisch!), und ihm nebenbei dieses zweite Comingout Kraft gibt, sein psychisches Tief, bedingt durch die Krankheit, zu überwinden. Sein Verkopfheit ließ ihn Esoterik, Homoempathie, Chemokeule und und und probieren, doch das bewusste Leben für Schmerz und Lust gab dem jungen Mann mehr, viel mehr.


Dumplings
In Asien, wo die männliche Potenz manchmal an den verspeisten Tigerhoden gekoppelt erscheint und ähnliche Fruchtbarkeits-Mythen mehr als hier gepflegt und gehegt werden, könnte der Weg zur essbaren Hormocenta-Creme nicht weit sein. Die Ahnung, die einem von Anfang an beschleicht, wenn die Besserbetuchten irgendwo in den eher abgewirtschafteten Vorort fahren, um Tante Mais Jugendelixier-Klößchen zu essen, wird wahr. Der Film spielt mit modernem Ekel gepaart mit humorvollen Frauenpower-Einlagen und bester Christopher-Doyle-Kamera-Ästhetik (rotes Kornfeld, Hero).


Gender X
Das Berliner Lokalfernsehen unterwegs in SchwuZ & Co zeigt die Vielfalt aller Zwischengeschlechter. Von Teils verkrampfter Geschlechtereinteilungsablehnung bis zum lustvollen Probieren und Provozieren erzählen Stars und Starlets. Die Dokumentation besticht durch ihre Abbilder der verschieden Selbstverständnisse und Portraits von Szene-Geburthelferinnen wie Lena Braun (Bader Deinhoff).

Männerhelden und Schwule Nazis
Rosa von Praunheim unterwegs in Braundeutschland. Der Dünnpfiff im Kopf von Schwulen, auch auf etuxx schon angesprochen, kennt keine Grenze, quer durch alle gesellschaftlichen Schichten bekennen sich Interviewte zu den abstrusesten Theorien. Röhmsche Ästhetik und den homoerotischen Reiz des Männerbundes SA dagegengesetzt, lassen Parallelen ahnen. Danke Rosa, dass der einfachen ostdeutschen Plattenbautheorie etwas entgegengesetzt wurde, die Knef würde es Dir danken: "Die Mörder sind unter uns!" (BRD 1946)

Voces inocentes
"Der mexikanische 'Der Untergang'" (ebenfalls für den Oskar nominiert) wirft einen Blick auf das El Salvador der früheren 80er Jahre. Die jeweiligen Lager des durch den Bürgerkrieg geteilten Dorfes bilden die früheren Sandkastenkumpels zu Tötungsmaschinen aus, die sich irgendwann gegenüberstehen werden. Harter Tobak in der Berlinale-Jugendreihe 14plus

Verschwende Deine Jugend.doc
Punk lebt! Das Patchwork aus Foto, Interview und Musik, was Forumschef Terhechte sich ins Programm gezogen hat, versucht Spots auf das Politische am Punk zu werfen, ohne vollkommen und besserwisserisch zu sein.

Paradise Now
Berlinale-Oberguru Kosslik scheint mit einigem Kalkül ein bisschen Eklat geplant zu haben, zumindest gab er im Spiegel-Interview schon mal zu, dass er nicht wisse, "wie die Zuschauer auf den Spielfilm 'Paradise Now' über Selbstmord-Attentäter in Palästina reagieren werden, den wir ins Programm genommen haben." Kosslik weiter: "Das Berlinale-Kino soll uns nicht nur eine schönere Welt und Glamour zeigen, sondern uns auch die falschen Illusionen über unsere eigene Wirklichkeit rauben."



Die Berlinale im Netz, mit Kartenshop: www.berlinale.de, ein queeres Programm liegt jeder aktuellen Siegessäule bei. (Robert M.)
Onair: Die Berlinale-Plakate werden immer dümmer. Dachte zuerst es handelt sich um die Geburt eines neuen Plattenlabels.  
Oma Wetterwachs: "Gender X"?! Ein so vielversprechender Name, jedoch superschlecht recherchiert und umgesetzt. Es kam nichts Neues rum, Geschlechterrollen wurden nicht wirklich in Frage gestellt, eher adaptiert. Die Aussagen bewegen sich eher auf dem Niveau "Transgender ist sich schminken und unbequeme Schuhe tragen". Hatte mir mehr erhofft...