Tripper/Gonorrhoe: Wenn es tropft...
"Wenn ein Mann an seinem Glied Ausfluss hat, so ist er unrein. Mag sein Glied den Fluss ausfließen lassen oder nicht, so ist er unrein. (...) Und wenn er rein wird von seinem Fluss, so soll er sieben Tage zählen, nachdem er rein geworden ist, und dann seine Kleider waschen und sich mit frischen Wasser abwaschen, so ist er rein" (Levitikus 15).
Bereits die Bibel kannte vor 3000 Jahren den "Geschlechts-" oder "Samenfluss", so die Übersetzung der "Gonorrhoe". Allerdings kann das alleinige Abwarten und Waschen mit Wasser als Therapie nicht mehr empfohlen werden. Der eitrige Ausfluss (weiß- über gelb- bis grünlich) ist Ausdruck einer heftigen Reaktion des Immunsystems, hinzu kommen meistens Harndrang, Jucken und Brennen beim Wasserlassen. Nach wenigen Tagen klingen die Symptome (immer!) von alleine ab. Bei ca. einem Drittel der Männer und zwei Dritteln der Frauen verläuft die Infektion unbemerkt - und ist dennoch ansteckend. Die Erkrankung gilt in Zeiten der Antibiotikatherapie als banal: "Ich hab mir mal wieder was eingefangen", heisst es dann in der Sprechstunde. Früher war die Erkrankung als häufigste Ursache der sowohl männlichen als auch weiblichen Unfruchtbarkeit durchaus gefürchtet. In den Ländern der sogenannten Dritten Welt ist das auch heute noch der Fall. In den Industrieländern hingegen sind chronische Verlaufsformen eher selten geworden, es gilt jedoch als gesichert, dass die entzündeten Schleimhäute das Eindringen anderer Erreger wie HIV erleichtern, insbesondere bei Befall des Enddarms (rektale Gonorrhoe).
Seit 2001 ist der Tripper in der BRD nicht mehr meldepflichtig. Daher ist es schwierig, genaue Aussagen über seine Häufigkeit zu machen. Abgesehen davon, dass die Meldepflicht des Trippers ohnehin zweifelhaft war, wurde sie von den Ärztinnen und Ärzten auch nicht besonders ernst genommen. Nimmt man die Trends bei den selbstberichteten Gonorrhoe-Diagnosen aus den Befragungen von Michael Bochow als Grundlage, hat sich die Zahl der Diagnosen zwischen 1993 und 2003 etwa verdreifacht (mit Michael T Wright und Michael Lange: Schwule Männer und AIDS. AIDS-Forum DAH, Bd. 48). Unter der Annahme, dass das Verhältnis zwischen berichteten Syphilis-Diagnosen und berichteten Gonorrhoe-Diagnosen stimmt, würde man die Zahl der Gonorrhoe-Diagnosen bei schwulen Männern in Deutschland im Moment auf ca. 5.000 pro Jahr schätzen.
Erreger: Neisseria Gonorrhoeae
Seit dem 17. Jahrhundert wird die Erkrankung im deutschsprachigen Raum "Tripper" genannt (niederdeutsch für "Tropfer"). Erst 1879 wurde der Erreger von Albert Neisser identifiziert, der dem Bakterium seinen Namen gab. Unter dem Mikroskop können nach entsprechender Anfärbung leicht die brötchenförmigen Erreger, die auch Gonokokken genannt werden, dargestellt werden. Sie sind gegenüber Temperaturveränderungen und Austrocknung äußerst empfindlich, so dass sie sich nur über direkte Schleimhautkontakte übertragen lassen (und nicht wirklich über eine gemeinsam benutzte Toilettenbrille, durchaus aber über gmeinsam benutzte Sextoys!). 2-10 Tage nach Ansteckung kommt es zu den oben genannten Symptomen, oder eben auch nicht: besonders die Infektion des Rachens (beim Blasen), aber auch des Enddarms (beim Ficken) bleiben gerne unbemerkt und sind so Quellen weiterer und erneuter Übertragung.
Verwechslung, Doppelinfektion & HIV
Nicht jeder Ausfluss wird von Neisseria Gonorrhoeae (dem Tripperbakterium) verursacht. Häufig, besonders bei schwulen Männern, geht das triefende Elend auf andere Bakterien zurück: Sogenannte Chlamydien (Chlamydia trachomatis, Serotypen D-K) mit sehr viel längerer Inkubationszeit (2-6 Wochen) oder Ureaplasmen (Ureaplasma urealyticum) können alternativ oder gleichzeitig übertragen werden und Auslöser einer eitrigen Entzündung sein. Gonokokken- und Chlamydieninfektionen sind weitaus häufiger. Der Ausfluss ist beim Tripper in der Regel am heftigsten.
Allgemein betrachtet haben Menschen mit HIV ein höheres Risiko, sich mit Gonokokken oder Chlamydien zu infizieren. In der oben genannten Befragung von Bochow/Wright/Lange hatten 26% der HIV-Positiven in ihrem Leben noch keine sexuell übertragbare Infektion (außer HIV) gehabt gegenüber 66% der negativ Getesteten und 88% der Ungetesteten bzw. der Männer mit unbekanntem Testergebnis. Ausgehend vom einzelnen Menschen ist jedoch nicht der jeweilige Immunstatus, sondern das sexuelle Verhalten die entscheidende Einflussgröße.
Die Gonokokken sitzen außen auf der Schleimhaut, und der Teil des Immunsystems, der durch HIV beeinträchtigt wird, ist salopp gesagt für ihre Abwehr nicht "zuständig". Etwas anders sieht es bei der Chlamydieninfektion aus: Da sich die Erreger innerhalb von Körperzellen aufhalten, ist die Mithilfe des Immunsystems bei niedriger Helferzellzahl eingeschränkt, die antibiotische Behandlung sollte daher länger erfolgen.
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Diagnostik: Abstrich und Kontrolle!
Aufgrund der sehr häufig gleichzeitigen Infektion mit Gonokokken und Chlamydien (seltener Ureaplasmen) und ihrer grundsätzlich unterschiedlichen Empfindlichkeit gegenüber Antibiotika muss jeder Ausfluss aus Schwanz oder Scheide (oder aus dem Po) ärztlich abgeklärt werden. Bei häufig wechselnden Sexkontakten macht es Sinn, sich einmal im Jahr einer Screening- Untersuchung zu unterziehen, insbesondere dann, wenn man selbst schon häufiger einen Tripper gehabt hat. Gonokokken können direkt aus dem Ausfluss mit dem Mikroskop nachgewiesen werden, besser ist jedoch ein Abstrich (aus der Harnröhre, aus dem Gebärmutterhals, aus dem Rachen bzw. aus dem Enddarm). Während - wie bereits erwähnt - Gonokokken außen auf der Schleimhaut sitzen, befinden sich die Chlamydien im Inneren der Schleimhautzellen. Um Chlamydien sicher nachzuweisen, wird der Abstrich deshalb mit einer kleinen Bürste vorgenommen, oder ein Q-tip-artiges Abstrich-Instrument wird in die Harnröhre eingeführt und ein paar Mal um die eigene Achse gedreht, um etwas Schleimhautgewebe abzuschilfern (ja, das ist unangenehm!).
Es gibt zwei Möglichkeiten, den Erreger nachzuweisen, beide haben Vor- und Nachteile. Entweder wird aus dem Abstrichmaterial eine Kultur angelegt, das heisst man lässt den Erreger auf geeigneten Nährmedien wachsen. Dabei kann gleich überprüft werden, auf welche Antibiotika die Bakterien noch empfindlich reagieren, bzw. gegen welche sie bereits resistent sind. Oder es wird für den Abstrich eine sogenannte Gensonde benutzt (auch so ein "Q-tip"), wobei die Möglichkeit der Resistenzbestimmung nicht besteht, weil keine lebenden Erreger gezüchtet werden, sondern ein Stück tote Erbsubstanz nachgewiesen wird. Dieses Verfahren gilt für Abstriche aus der Harnröhre als die empfindlichere und damit bessere Nachweismethode; allerdings auch nur dort: In Rachen- oder Enddarmabstrichen sind falsch-positive Befunde häufig, weil sich dort gerne andere (nicht-krankmachende) Bakterien aufhalten, die in ihrer Erbsubstanz die gleiche Gensequenz besitzten wie Gonokokken und deshalb von der Gensonde nicht unterschieden werden können. Das ist für das oben empfohlene Screening wichtig, damit der Körper nicht aufgrund eines falsch-positiven Ergebnisses unnötig mit Medikamenten belastet wird.
Behandlung: Antibiotika!
Der Tripper kann zwar von alleine abheilen, häufig wird die Infektion jedoch verschleppt. Für die beiden anderen genannten Bakterien gilt entsprechendes. Nach Abklingen der zu Beginn genannten Symptome bleibt vom Ausfluss aus dem Schwanz ein morgendliches Tröpfchen zurück, das sogenannte Bonjour-Tröpfchen. Infektionen mit Gonokokken, Chlamydien oder Ureaplasmen können entlang der Samen- bzw. Eileiter (dort bleiben sie wegen fehlender Symptome oft unentdeckt!) weiterwandern und dort zunächst Entzündungen und später - als Ursache von Steriliät - zu Vernarbungen führen. Entzündungen der Prostata (Prostatitis) oder des Nebenhodens (Epididymitis) sind nicht selten. Letztere geht mit einer ausgeprägten schmerzhaften Schwellung des Hodensacks einher. Eine Prostatitis kann auch von einem Befall des Enddarms (Proktitis) ihren Ausgang nehmen. Zusätzlich treten häufig Gelenkschmerzen auf.
Jede Infektion mit einem der drei genannte Keime muss antibiotisch behandelt werden. Leider gibt es bei Gonokokken und Chlamydien regional sehr unterschiedliche Antibiotikaresistenzen. Deshalb sollte nach abgeschlossener Behandlung, insbesondere beim Nichtabklingen der Symptome, ein Kontroll-Abstrich erfolgen. Im Moment reicht in der BRD noch meistens die einmalige Gabe von 1000mg Azithromycin.
Partner/in: Mitbehandeln!
Es kann nicht deutlich genug betont werden: Wichtig ist die Mitbehandlung der Sexpartner/-innen, auch wenn er oder sie symptomfrei ist (zum Beispiel wenn der eine den klassischen Ausfluss aus dem Schwanz hat und der Erreger beim Partner im Rachen sitzt). Sonst kommt es zum sogenannten Ping-Pong-Effekt, und der Infektionskreislauf wird nicht durchbrochen. Ich habe einmal ein schwules Paar kennengelernt, das sich weiterhin am gemeinsamen Sex erfreute, obwohl die Unterhose bei der Untersuchung randvoll mit Eiter war (wirklich!). Tatsächlich empfiehlt sich die sexuelle Abstinenz bis zum Abschluss der Behandlung bzw. bis zum negativen Kontroll-Abstrich!
Ähnlich wie bei der Syphilis können Kondome - zumindest beim Anal- und Vaginalverkehr - eine Ansteckung vermindern aber nicht verhindern. A propos: Bei jeder Infektion mit Gonokokken, Chlamydien oder Ureaplasmen empfiehlt sich aufgrund der gleichen Übertragungswege und des ähnlich hohen Ansteckungspotentials ein Test auf Syphilis.
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