Der Clan des Lot
Homosexuelles aus Beirut
von Brenda von Strick am Barren
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Dunkin' Donuts schied als Treffpunkt aus. Schließlich hatte dessen Geschäftsführung vor zwei Jahren beschlossen, "schwul aussehende" Männer nicht mehr zu bedienen. Die Imbissketten-Niederlassung in der Flaniermeile "Hamra" hatte sich in den Jahren zuvor zu einem beliebten inoffiziellen Treffpunkt der Beiruter Schwulenszene gemausert. Ich traf mich also mit Ghassan Makarem, einem Mitbegründer von HELEM, einer schwul-lesbischen Bürgerrechtsgruppe, ein paar Cafés weiter. Wir warteten noch auf seinen Mitstreiter Imad.
Beide arbeiten für das linke "Untergrundmagazin" Al Yasari (Die Linke) sowie für das vor zwei Jahren gegründete unabhängige Medienzentrum Beirut, "der ersten politischen Gruppierung im Libanon, die Schwule und Lesben akzeptiert", wie Ghassan sagt. Denn mit der Akzeptanz sei das so eine Sache in der libanesischen Linken - insbesondere die kommunistischen und studentischen Politzusammenhänge seien extrem homophob. Indymedia Beirut ist die einzige Seite, auf der sich überhaupt öffentlich zu schwulen/lesbischen/transgender-Themen geäussert wird - ausser natürlich auf der ebenfalls von Ghassan aufgebauten Internetpräsenz von HELEM.
Imad schien sich zu verspäten. Das war schade, denn eigentlich wollten wir am Abend ins "Acid" gehen. Das ist eine von zwei Diskotheken in Beirut, die an bestimmten Tagen der Woche einen schwulen Abend anbieten. Damit hatte ich nicht gerechnet, mitten in der arabischen Welt. Auch nicht damit, dass mir Ghassan grinsend nahelegen würde, etwas im Hamam zu cruisen. Ich müsse nur aufpassen, dass ich nicht an einen Stricher gerate, meinte er, und mir vor allem keine Feigwarzen einfange, damit nämlich sei annähernd das gesamte Publikum geschlagen, wie eine Vor-Ort-Präventionsaktion ans Licht gebracht hätte. Vor-Ort-Prävention. Vierzehn Jahre nach Ende des Bürgerkriegs. Im Libanon. Ich war bass erstaunt. Vor meinem geistigen Auge sah ich Trümmertunten durch das weggebombte Stadtzentrum zwischen West- und Ostbeirut stöckeln. Als Drag Queen sei es übrigens einfacher, wenn man schwul sei, fuhr Ghassan fort, sie hätten eine gewisse Narrenfreiheit. Das beruhigte mich ungemein. Meine Freundin Hannah hatte mir bereits Fotos vom schwulen Block bei der letzten Antikriegsdemo gezeigt. So hatte ich mir den Libanon nicht vorgestellt. Nur von den schwulen Bauchtänzern wusste ich, die von vielen Restaurants und Clubs engagiert werden, um Publikum zu locken.
Wer im Libanon offen schwul oder lesbisch sein will, braucht eine ordentliche Portion Mut. So passierte es Imad im vergangenen März, dass er sich auf dem Titelbild des Hochglanzmagazins Al Muhayed (Die Objektive) wiederfand. Und zwar mit einem Foto, dass ihn auf der oben erwähnten Antikriegsdemo eine Regenbogen Flagge schwenkend zeigt. Titel: "Der Clan des Lot lebt. - Al Muhayed betritt die dunkle Welt der sexuell Perversen im Libanon."

Wir erinnern uns: Lot ist der biblische Neffe Abrahams, der (mit seinem Clan) in der sündigen Stadt Sodom lebte. Als der Gott des Alten Testaments die Stadt Sodom wegen der Sündhaftigkeit seiner BewohnerInnen zerstören möchte, beginnt Abraham mit ihm zu feilschen, die Stadt zu verschonen, wenn es nur zehn "Gerechte" darin gäbe. Aber selbst Lots Frau hat zu viel Sehnsucht nach der ach so sündigen Heimat, dreht sich um - und erstarrt zu Salzsäule. Ein immer noch poetischeres Schicksal, als es uns der schiitische Religionsführer Sayyed Mohammed Hussein Fadlallah im August 2003 vor Augen führte. Er forderde die Todesstrafe für Homosexuelle aufgrund ihres Einflusses auf "normale" Beziehungen zwischen Mann und Frau und damit auf die Gesellschaft als Ganzes.

Im Mai 2003 entführte Hisbollah fünf mutmaßliche Schwule und übergab sie der Polizei, die dann nicht die Entführer, sondern die schwulen Männer verhaftete. "Widernatürliche sexuelle Handlungen" sind im Libanon durch §534 (ähnlich des 1969 in der BRD
abgeschafften §175) verboten. Wer sich also nicht staatlicher oder nichtstaatlicher Verfolgung aussetzen möchte, lebt seine gleichgeschlechtlichen Kontakte im Klandestinen aus.
Hisbollah ist im Libanon nicht nur eine reguläre politische Partei, sondern auch Träger von Krankenhäusern, Schulen und Kindergärten. In einer Gesellschaft, in der es nur eine minimale gesetzliche Krankenversicherung gibt (und diese nur für ArbeitnehmerInnen), ist der kostenlose Zugang zu solchen Institutionen für viele Menschen überlebenswichtig. Obwohl nicht nur Homosexualität, sondern auch außer- oder vorehelicher Geschlechtsverkehr von den moslemischen und christlichen Organisationen inkriminiert ist, sei Hisbollah paradoxerweise dazu übergegangen, Aufklärungskampagnen für Jugendliche bezüglich sexuell übertragbarer Erkrankungen zu organisieren, erzählt Ghassan.

Die Hauptbedrohung für Homosexuelle geht jedoch nicht von den religiösen Charismatikern aus, sondern findet mitten in den Familien statt, seien sie nun schiitisch, sunnitisch, drusisch, katholisch, maronitisch oder griechisch-orthodox. Wie in anderen Ländern der Region werden auch im Libanon noch Mädchen wegen vorehelichem Sex von Brüdern oder Vätern umgebracht. Auch Schwulen kann ein solcher sogenannter Ehrenmord
von Familienmitgliedern drohen. Im Dezember 2002 berichtete HELEM von einem jungen schwulen Libanesen, der von seiner gesamten Familie angegriffen wurde. Sein Vater und seine Brüder hatten ihn mehrfach zusammengeschlagen und gedroht ihn umzubringen, "weil er die Familienehre beschmutzt" habe.


Laut Schätzung der WHO leben im Libanon ca. 1500 HIV-positive Menschen (WHO 2001). Große gesundheitspolitische Initiativen seien von dieser Stelle allerdings nicht zu erwarten, denn der Chef des regionalen WHO-Programms zu HIV/AIDS sei ein ausgesprochener Schwulenhasser. Reale epidemiologische Daten zu HIV würden zwar existieren, aber von der Regierung unter Verschluss gehalten. Es lässt sich nur spekulieren, wieso. Stellt die Existenz von Schwulen im Libanon die gesellschaftliche Ordnung zu sehr infrage? Oder müsste sich die Regierung mit dem florierenden Prostitutionsgeschäft beschäftigen, das vorzugsweise von reichen Golf-Arabern in Schwung gehalten wird?

Staatliche Programme zu Aufklärung und Prävention bezüglich HIV sind jedenfalls rar. Nur ein Pro-Kondom-Poster, das auch von der Deutschen AIDS Hilfe stammen könnte - ein nackter gutaussehender Mann in schwarzweiss, der ein rosafarbenes Kondom in der Hand hält, darunter die Regenbogenfahne - wird vom Gesundheitsministerium mitfinanziert. Offensichtlich hätten die Verantwortlichen dort den schwulen Bezug des Posters nicht verstanden, so Ghassan. Immerhin: In bestimmten Kliniken werden kostenlose anonyme HIV-Tests angeboten. Mit dem Ergebnis ist der oder die Infizierte jedoch allein gelassen. HIV-Medikamente werden hauptsächlich von bestimmten NGO für AIDS-PatientInnen kostenlos gestellt, HELEM stehe aber in Verhandlungen mit dem Gesundheitsministerium.

Das Mobiltelefon klingelt. "Das wird Imad sein, und er wird sagen, dass er nicht mehr kommt." Genau so war es. Ghassan grinst. "Der hat gerade eine Techtelei am Laufen." Wir gingen also nicht ins "Acid" zum Tanzen. Sondern in ein spanisches Restaurant. Ohne Bauchtänzer.

was geht ab in Beirut? check out indymedia
mehr zu schwul/lesbisch sein im Libanon bei www.helem.net
Hintergrundartikel (gerade erschienen in der Jungle World) "Nicht mehr nur gegen Israel"
vorher auf etuxx erschienen: "Generation Tabubruch"
Lektor: Der Paragraph 175 wurde in der BRD nicht 1969, sondern erst 1994 abgeschafft!!  
Lektor2: Genau genommen wurde er auch nicht abgeschafft, sondern fiel aus einigungsbedingten Gründen weg. Aber wollen wir nicht allzu penibel sein...  
tim.randale: doofer Lektor! Auch wenn du Recht hast, finde ich den Artikel super, aber das interessiert dich nicht, nörgel ruhig einfach weiter ...  
monitor: lektor, dein kommentar war völlig überflüssig!