G E N E R A T I O N    T A B U B R U C H
Die Neue Linke im Libanon
eine Reportage aus Beirut von Hannah Wettig

Rabieh ist betrübt. Die Zeitungen haben eine Stellungnahme der Antikriegskampagne nicht gedruckt. Dabei wäre das so wichtig gewesen, jetzt einen Tag vor der nächsten großen Demo.

«Kein Krieg! Keine Diktaturen!» war bisher der Slogan der neuen Linken im Libanon. Doch mit den Amerikanern und Briten kurz vor Bagdad wirkt das Motto falsch. «Die anderen sagen, wir seien für den Krieg,» sagt Rabieh von den kommunistischen Studenten. Die anderen, das sind die alten linken Parteien: Die Kommunisten, die Progressiven Sozialisten um den Drusen Walid Jumblat, die Arabischen und Syrischen Nationalisten, Syrische und Irakische Baathisten, diverse Nasseristen und palästinensische Gruppen.

Mit ihnen will die junge linke Bewegung, aus der Rabieh kommt, eigentlich nichts mehr zu tun haben. Vor kaum ein, zwei Jahren fingen StudentInnen an, sich jenseits der politischen Parteien zu organisieren. Andere agierten in der Jugendorganisation der kommunistischen Partei, aber lehnten es ab, die Parteilinie mit zu tragen. Für die meisten war die Intifada in Palästina Ausgangspunkt einer Politisierung. Aber auch die globalisierungskritische Bewegung in Europa und den USA gilt vielen als Vorbild.

Sie sammelten Geld, damit zumindest eine Person nach Porto Alegre fahren konnte. 2001 organisierten sie ein Forum gegen die Welthandelsorganisation unter anderem mit Jose Bove and Attac Frankreich. Auf einem Plakat, das zu einer Anti-Kriegs-Demo aufruft, steht: «Millionen demonstrieren auf der Welt, wann wir?»

«Sie haben gesehen, dass dort Tausende auf die Straße gehen gegen den Imperialismus. Da war die Frage: Warum können wir das nicht, die direkt davon betroffen sind?» sagt Simon Assaf von der Monatszeitung Al Yasari (Der Linke), die aus dieser Bewegung entstanden ist.

Am 15. Februar organisierten sie zum ersten Mal eine eigene Demo. Bisher waren es immer die Fahnen der syrischen Nationalisten, der islamistischen Hizbollah und die Saddam Hussein Bilder der irakischen Baathisten, die das Bild auf den Demonstrationen prägten. Doch seit dem 15. Februar gibt es wöchentlich eine Demo mit bunten Plakaten und lustigen Sprüchen, mit Trillerpfeifen und Trommeln.

Greenpeace und die libanesische Umweltorganisation Greenline sind regelmäßig dabei, eine kleine Gruppe Schwuler, die sich inzwischen sogar trauen eine Regenbogenfahne zu schwenken und die AmerikanerInnen gegen den Krieg, die froh sind, nicht mehr hinter Saddam Hussein und Arafat Bildern her laufen zu müssen.

«Auch wenn wir nur einige hundert sind im Gegensatz zu mehreren Tausend, die von den Parteien mobilisiert werden, es ist wichtig, dass wir zeigen, dass demonstrieren anders gehen kann, dass es Spass machen kann,» erläutert Simon Assaf.

Die alten linken Parteien finden das allerdings nicht so spaßig. Seit dem die Antikriegskampagne, wie sich der Zusammenschluss mehrerer undogmatischer Gruppen nennt, auf einer Konferenz zum Sturz aller Diktaturen aufgerufen hat, wird sich in den Kommentarrubriken der linken Zeitung Al Safir gestritten. Die Jugendlichen seien gefährliche Utopisten, heisst es da etwa.

Die Kommunistische Partei hat versucht ihre Jugend zu maßregeln. Als das nichts half wurden schlichtweg diejenigen, die sich in der Antikriegskampagne engagieren, aus der Partei ausgeschlossen.

Für die junge Bewegung kann solcher Streit gefährlich werden. Libanon hat zwar das liberalste politische System in der arabischen Welt. Es gibt bürgerliche Freiheiten, es gibt Parteien, es gibt Wahlen, und wer gewählt wird, steht nicht von vornherein fest. Doch wer politisch agieren will, braucht Protektion.

Gesetze werden willkürlich angewendet. So ist es zum Beispiel verboten eine Zeitung herauszugeben, ohne die nötige Lizenz. Die kostet allerdings mehrere Tausend Dollar. Linke Zeitungen werden bisher auch ohne Lizenz geduldet, nicht aber die Publikationen der christlichen Jugendlichen. «Denn die Christen haben den Bürgerkrieg letztlich verloren,» erläutert Simon.

Kneipen brauchen mehrere Lizenzen. In der komplett sanierten Monot Straße nahe dem Stadtzentrum hat keine der rund 50 Kneipen, Restaurants und Diskotheken alle erforderlichen Lizenzen. Das ist nicht weiter schlimm, soll die Ausgehmeile doch die Touristen aus den Golfstaaten anlocken, die bereit sind fünf Dollar fürs Bier zu bezahlen (0,3!).

Doch ein paar der Kneipen veranstalten Schwulenparties, andere bieten einer Underground Musikszene eine Bühne. Ihnen droht regelmäßig die Schließung wegen der fehlenden Lizenzen.

Schutz vor Willkür bietet nur «Wasta» – Beziehungen nach oben zum politischen Etablisment, aber auch zu bestimmten Oppositionsparteien, wie der islamistischen Hizbollah oder den Kommunisten.

Weil die Leute in der Antikriegskampagne das Wohlwollen der alten Parteien nicht gänzlich verlieren wollen, haben sie nun ihr Motto geändert. «Kein Krieg! Keine Diktaturen! Für populären Widerstand!» Ihre Erklärung dazu wollten die Zeitungen eigentlich drucken. Niemand weiß, warum sie es nicht getan haben.

Unbehagen macht sich nach der Demo breit, als klar wird, dass just während einer Agitpropaktion vor einer Mc Donalds Filiale, eine Bombe in einer anderen Mc Donalds Filiale detoniert ist. Rabieh glaubt, dass es der Geheimdienst war. Er glaubt auch, dass der angebliche Selbstmordattentäter in der britischen Bank vergangene Woche vom Geheimdienst geschickt wurde. Der Mann hatte verlangt mit dem Innenminister reden zu dürfen und hatte nach dem Gespräch sein Vorhaben aufgegeben.

«Sie haben genug von uns. Als nächstes werden sie erklären, dass die nationale Sicherheit gefährdet ist und den Ausnahmezustand ausrufen,» sagt Rabieh.

Ob das tatsächlich eintritt sei dahin gestellt. Ob es wirklich der Geheimdienst war? Im Libanon wie in anderen arabischen Ländern haben Verschwörungstheorien Hochkonjunktur. Erstaunlich ist das nicht in einer Region wo sich jeder Diktator mit jedem irgendwann gegen jeden verschworen hat und die USA zumindest seit Kissinger dabei exzessiv mitgemischt haben.

Eins jedoch ist sicher. Die neue Linke spricht Themen an, die den alten Kräften zunehmend unangenehm werden. Sie brechen ein Tabu nach dem anderen. Dazu gehört das Verhältnis zu Israel und Syrien.

So sagt zum Beispiel Simon Assaf was bisher unaussprechbar war: «Das Problem mit Israel ist nicht so sehr ein Problem mit Israel, sondern das mit den arabischen Regimen. Die Palästinenser haben genauso in Jordanien, Syrien oder Libanon gelitten wie in Israel.»

Im Libanon leben die meisten der rund 350 000 Palästinenser immer noch in Lagern. Sie haben keine Staatsangehörigkeit, nur einen Flüchtlingsstatus. Sie dürfen nicht als Ärzte, Rechtsanwälte, Ingenieure arbeiten. Insgesamt sind ihnen 72 Berufe verboten. Seit neustem dürfen sie auch kein Eigentum an Immobilien erwerben.

Keine der im Parlament vertretenen Parteien zweifelt ernsthaft diese Regelungen an. Denn eine Integration der Flüchtlinge, die rund 10 Prozent der Bevölkerung stellen, würde den Religionsproporz stören, auf dem die libanesische Demokratie aufbaut.

Nach 15 Jahren Bürgerkrieg legten die Kriegsparteien 1989 im Taif Abkommen fest nach welchem Proporz Angehörige der 17 verschiedenen Konfessionen im Parlament vertreten sein sollen. Ist der Präsident sunnitischer Muslim, muss der Ministerpräsident Maronit sein und umgekehrt. Das Amt des Parlamentssprechers geht an einen Schiiten. Druzen und griechisch-orthodoxe Christen erhalten wichtige Ministerposten.

Die Vertreter der jeweiligen Konfession sind meist Angehörige ehemals feudaler Klans, genannt Za‘im. Das wird sich auch so schnell nicht ändern, denn gewählt wird im Dorf aus dem die Familie stammt. «Mein Vater ist in Byblos geboren, meine Schwester in Beirut, ich in Qatar, aber wir müssen in dem Dorf wählen, aus dem mein Großvater stammt», erläutert Simon. Das führt dazu, dass viele gar nicht wählen, andere wählen das, was die Großeltern ihnen nahelegen, weil sie sich in den Dorfstrukturen nicht auskennen.

Noch weitere Regelungen zementieren die Trennlinien zwischen den Religionen. Beispielsweise ist eine zivile Eheschließung nicht möglich. Das heißt, theoretisch können Angehörige unterschiedlicher Konfessionen nicht heiraten. Wer das trotzdem will, heiratet in Zypern. Linke und Demokraten organisieren seit Jahren Protestaktionen gegen diese Gesetzgebung. Doch der Widerstand von Klerus und Islamisten ist groß.

«Die Konfessionen sind heute weiter entfernt voneinander als vor dem Bürgerkrieg. Jede hat ihr eigenes Stadtviertel, eigene Schulen und Universitäten», sagt Hassan Krayem, Professor an der Amerikanischen Universität Beirut. Selbst die einzige staatliche Universität hat mittlerweile separate Abteilungen in Ost- und Westbeirut, im Osten für die Christen, im Westen für die Muslime.

Gegen diese Trennung wollte vor zwei Jahren die Studentengruppe der Kommunisten vorgehen. Im Bruch mit der Parteilinie suchten sie das Gespräch mit den Jugendorganisation anderer Parteien. Bewusst luden sie zu diesem «nationalen Dialog» auch die Phalange ein, die Hauptströmung der maronitischen Katholiken, die allerdings als faschistische Bewegung in Anlehnung an Hitler und Franco entstanden ist.

«Die junge Generation war nicht am Bürgerkrieg beteiligt, aber sie lebt unter den gleichen Bedingungen, die dazu geführt haben. Sie wächst in dem gleichen Sekten Staat auf.», erläutert Rabieh von den kommunistischen Studenten. «Wenn wir gegen das Sekten System vorgehen wollen müssen wir das mit allen diskutieren.»

Aus dem Dialog erwuchs eine gemeinsame Kampagne für die zivile Eheschließung mit den Auonisten, den Anhängern General Aouns, dessen christliche Milizen zum Ende des Bürgerkrieges die Phalange schlugen, und dann einen hoffnungslosen und selbstzerstörerischen Krieg gegen die syrische Armee führten. «Die Auonisten sind Laizisten, und sie sind für Demokratie. Darum können wir an diesem Punkt mit ihnen zusammen arbeiten,» erläutert Rabieh.

Aber die Kampagne geriet schnell unter Beschuss. Am 3. April 2001, dem 26. Jahrestag des offiziellen Beginns des Bürgerkrieges, sollte eine gemeinsame Demonstration stattfinden – «gegen das Vergessen». Doch die Regierung mobilisierte ihre Anhänger zu massiven Gegendemonstrationen, während christlicher Klerus und Islamisten gegen die Kampagne für zivile Eheschließung auf die Straße gingen. Angesichts der Gefahr von Prügeleien mit Regierungsanhängern bliesen die Organisatoren die Demo ab.

Dazu gab es Stress mit den Auonisten. Sie gegrüßten den vom amerikanischen Kongress diskutierten (und inzwischen verabschiedeten) Syria Accountability and Lebanese Souvereignity Restoration Act, der Syrien Terrorismus vorwirft und es auffordert seine Truppen aus dem Libanon abzuziehen. Die Kommunisten waren sauer. «Wir hatten während des Dialogs über die Einmischung anderer Mächte in die Politik des Libanon diskutiert und gesagt, dass diese Art Hilfe von außen uns absolut nicht weiterhilft», sagt Rabieh. Die Jugend der Progressiven Sozialistischen Partei kündigte den Dialog wegen des Vorfalls auf.

Tatsächlich haben die kommunistischen Studenten selbst massive Kritik an der sogenannten syrischen Präsenz im Libanon. Das syrische Militär hat sich nach dem Bürgerkrieg immer noch nicht aus dem Land zurück gezogen. Und mit ihm bleibt auch der syrische Geheimdienst präsent. Hassan Krayem, der eine Organisation zur Überwachung von Wahlen gegründet hat, erzählt, dass die Wahllisten nur unter Aufsicht der Syrer zusammen gestellt werden können: «Wenn ein Kandidat zu kritisch ist, wird er vom Militär solange unter Druck gesetzt, bis er zurücktritt». Andere verschwinden auch einfach.

Das Taif Abkommen bestimmte, dass syrisches Militär nach dem Ende des Bürgerkriegs zunächst zur Stabilisierung der Lage im Land bleiben sollte. «Nach zwei Jahren sollten sie abziehen. Doch dann kam der Golfkrieg dazwischen. USA und Syrien verständigten sich, dass eine weitere militärische Präsenz notwendig sei», erläutert Hassan Krayem. Das ganze ist Teil des diplomatischen Pokerspiels im Nahen Osten. So kann man zum Beispiel davon ausgehen, dass sich Syrien mit der Zustimmung zur UN Resolution 1441 das Stillhalten der USA erneut sichern wollte, was die Besatzung des Libanon betrifft.

Die alteingesessenen linken Parteien haben die syrische Präsenz stets unterstützt, und das obwohl der damalige syrische Präsident Hafez Al Assad im Bürgerkrieg gegen die Vereinigten Linken Milizen aufmarschieren ließ und später die islamistische Hizbollah mitaufbaute. Doch sie sehen Syrien als Bollwerk gegen den westlichen Imperialismus und gegen Israel.

Darum ist das Thema für die junge Linke ein heißes Eisen. Auch rücken sie sich damit in die Nähe der christlichen Jugendorganisationen, die in der Okkupation durch Syrien eine islamische Bedrohung ihrer christlichen Kultur sehen.

Konfessionelle Spaltung ist nicht nur für die Gesellschaft als ganze, sondern auch innerhalb der Linken von Bedeutung. Die Arabischen Nationalisten sind stark von Sunniten dominiert. Die kommunistische Partei wird von Schiiten getragen. Christen und Drusen sind auch in der neuen Linken eher eine Seltenheit.

Simon Assaf sieht den Beginn dieser Entwicklung in der Gründung des Staates Israel. «Erst nach 1948 konnte sich der arabische Nationalismus als Hauptströmung in der Linken durchsetzen. Vorher haben Juden, Christen und Drusen eine wichtige Rolle gespielt in der Kommunistischen Partei.»

Etablieren konnten sich die Arabischen Nationalisten und Baathisten aber auch, weil sie von der Sowjetunion unterstützt wurden, zumal wenn sie wie in Ägypten, Syrien und Irak an der Macht waren und auch dann noch, als die Kommunisten in diesen Regimen zu Tausenden verhaftet und ermordet wurden.

Der Arabische Nationalismus, aber auch der Baathismus hat immer den Kampf um Befreiung als nationale Befreiung begriffen. Individuelle Rechte waren nachrangig. Darum ist die Antwort der Arabischen Nationalisten in der Palästinafrage auch eindeutig. Nachdem sie sich von der «Schmeißt die Juden ins Meer»- Lösung verabschiedet haben, unterstützen sie jetzt die Gründung zweier Staaten.

Für Bassem Schiet kommt das gar nicht in Frage. «Wir wollen einen säkularen Staat, in dem Palästinenser und Israelis gemeinsam leben. Der jüdische Staat spaltet die Religionen. Als Linke sind wir dagegen,» erläutert er auf einer Veranstaltung.

Doch das kann nicht funktionieren, ohne die Diktaturen in der arabischen Welt abzuschaffen. «Die Israelis leben genauso wie wir in einem Gefängnis. Zugegebenermaßen haben sie das schönere Gefängnis», sagt Simon Assaf. «Wir müssen ihnen eine Alternative bieten. Für die Juden – insbesondere die arabischen Juden – macht es Sinn in Israel zu leben. Schließlich will kein Mensch unter dem syrischen, irakischen oder ägyptischen Regime leben. Auch wir wollen das nicht.»

Wären aber all diese Regime demokratisch, würde sich der Konflikt in Israel selbst erledigen, so seine Hypothese. «Sehen wir doch der Realität ins Auge: Der israelische Staat ist korrupt bis ins Mark. Ich denke, viele Juden würden hierher zurück kommen.»

Umgekehrt profitieren die arabischen Regime vom Konflikt in Israel und Palästina. «Protest läßt sich kanalisieren und auf die Palästina Frage reduzieren,» sagt Simon.

Doch in Bezug auf Israel sind sich die verschiedenen Gruppen in der Antikriegskampagne nicht einig. Rabieh sieht das ganze realistisch. «Wenn es nur einen Staat für Israel und Palästina gibt, wäre das ein palästinensischer Staat, sofern er demokratisch wäre. Das können die Israelis nicht wollen.» Darum ist er für eine Zwei-Staaten-Lösung. «Als Übergang.»


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