Weiterführendes:
Dieter Baumann, Jin Xing
2005: Haus der Kulturen der Welt, Berlin: Ein Produktionstagebuch:
Über Schönheit
Christian Schüle (ZEIT)
Die Vortänzerin von Shanghai
aktuell: noch bis zum 16.5. unterwegs in der Schweiz beim
Internationalen Tanzfestival
soeben erschienen: Jin Xing, Catherine Texier:
Shanghai Tango - Mein Leben als Soldat und Tänzerin (Originaltitel: Rien n'arrive par hasard), aus dem Französischen von Anne Spielmann
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Die berühmteste Choreographin Chinas war vorgestern Volksbefreiungssoldat, gestern New Yorks Modern Dance Darling, ist heute Vorzeigekünstlerin und steht mit ihrem Pas de deux der Geschlechter und Gesellschaften beispielhaft für die Veränderungen im Reich der Mitte. Ihre bisherigen 4 Jahrzehnte Lebensgeschichte scheinen eine Allegorie auf die Metamorphosen, die China derzeit erlebt, zu sein.
Die größten sollen es sein! Beim Aussuchen ihrer zukünftigen Brustimplantate ist Jin Xing (Goldener Stern) wie so oft maß- und grenzenlos - für eine weibliche Hülle würde er alles tun, alles. Doch zum Glück gibt es Professorin Yang, die, bevor sie den Goldenen Stern zum Leuchten bringen wird, auch die Risiken riesiger Brüste benennt und Jin Xing in Sachen Größe bekehrt. "Frau Yang war 56, respektiertes Mitglied der Kommunistischen Partei Chinas, Pionierin plastischer Chirurgie und die erste Medizinprofessorin des Landes. Sie hatte mit Hermaphroditen zu tun und mit beinahe todbringenden Geschlechtsverstümmelungen. Sie hatte manches Leben gerettet, nicht aber die dazugehörige Seele. Frau Yang hatte sich in den Achtzigern längere Zeit in den USA aufgehalten, um die Technik der Brustimplantation und der Schönheitschirurgie zu studieren. In China war sie eine Spezialistin, eine Koryphäe, Ende 1994 traf sie sich mit Jin Xing" (Christian Schüle, in DIE ZEIT No.4 2002). Eine Geschlechtsumwandlung ist ein Novum im Reich der Mitte, in der KP nicht denkbar.
In Shanghai, einem semi-entfesselten Waren- und Wertschöpfungslabor der Volksrepublik, tanzte Jin Xings Dance Company erst neulich vier mal täglich am AUDI-Stand des Autosalons. Xings bisheriges Leben ist mehr als ein turbokapitalistisches Transsexuellen - Pas de deux eines Jungen, der von Kindesbeinen an, ein Mädchen sein will; dessen Geschlechtsumwandlung in den fernöstlichen Weiten Grenzen sprengt, sowohl geschlechtliche als auch gesellschaftliche.
Die heutige Choreografin, Kulturmanagerin und Tänzerin kommt vor 39 Jahren in der Mandschurei (Nordostchina) als einziger männlicher Nachkomme einer von konfuzianischen Idealen geprägten koreanischen Migrantenfamilie zur Welt. Während die Kulturrevolution auf frisch entzündeter Flamme brodelt und der Vater linientreu dient, moniert der sozialistische Staat, dass Mutters früherer Kriegsfluchthelfer heute ein Volksfeind sei. Auch scheint es nicht ganz koscher, dass sie als Exkoreanerin in China als Japanischübersetzerin arbeitet ... .
Der begabte Knabe wird von Balletts-Scouts der Armee entdeckte, aber Jin muss seinen strengen Eltern die Tanz-Ausbildung beim Militär erst per Hungerstreik abtrotzen. Mit neun Jahren beginnt ein Weg ohne elterliches Zuhause mit militärischem Drill an Ballettstange einerseits und Maschinengewehr andererseits - und der zarte Soldat, von der Körperstatur gar nicht geeignet für die Heldenepos-Propagandaopern, schleppt von nun an auch ein Gewehr eher denn er es trägt. Mit der leichteren Pistole kommt zum klassischen Ballett und chinesischem Volkstanz noch klassisches russisches Ballett. Mit seinen siebzehn Lenzen ist Jin Xing nach der harten Ausbildung dieser militärischen Begabtenförderung bester Tänzer Chinas und Oberst der Volksbefreiungsarmee in einem.
In Paris bei einem internationalen Wettbewerb, seiner ersten leibhaftigen Begegnung mit dem Kapitalismus, schmeicheln dem entwachsenen Balletteleven die Abendkleider von Coco Chanel und Guccis kleine Schwarze in den glitzernden Konsum-Kathedralen der Überflussgesellschaft. Der Klassenfeind so wunderschön angezogen, was kann China gegen so schöne Kleider haben? Die Kleider der Avenue des Champs-Élysées kann er sich nicht leisten, doch stecken alle Coca-Cola-Dosen der Hotel-Minibars im Gepäck zurück nach China über Berlin, Warschau und Moskau.
Mehr als eine gewisse Vollendung seines Tanzes stellt sich nach all den Kinder- und Jugendjahren beim chinesischen Volkstanz und den klassischen chinesischen Jubelopern ein und der 18-Jährige nutzt die Gunst der Stunde, um nicht auf diesem Höhepunkt stehen zu bleiben. Ein wenig muss er dem Glück nachhelfen, als er sich als Armeeoberst die tauenden Beziehungen zwischen den USA und China zu nutze machen kann, um für ein Jahr nach New York als Austauschstudent zu gehen. Modern Dance ist genau das Gegenteil des penibel einstudierten klassischen chinesischen bzw. russischen Balletts, doch Chinas Tanzwunder erlernt auch das, bevor die New Yorker das fernöstliche Tanzwunder mit standing ovations bejubeln und bestaunen. Während er sich mit Jobs als Kellner, Lagerist, Lederwarenverkäufer durchschlägt, werden "zu Hause" auf dem Platz des Himmlischen Friedens gerade Hunderte Studenten niedergemetzelt und die postkulturrevolutionäre Lockerung der rigiden Parteiherrschaft der 80er Jahre begraben. Bush senior stellt daraufhin chinesischen Elitestudenten eine unbefristete Aufenthaltsgenehmigung plus Green Card aus, die der Star willig annimmt, denn das Leben, die ersten Ausflüge in die Schwulenbars und der Erfolg in Manhatten sind zu verführerisch.
Auch einen sehr lange Affäre mit einem texanischen Landmaschinenbaron geht zu Ende, denn der großgewachsene Cowboy kann seinem Partner vieles auf seiner Ranch bieten: Geld, Zärtlichkeit, Freiraum - aber keine Bühne, weshalb der großhändige Texaner den Star wieder nach New York schickt, denn im goldenen Käfig werde auch dieser Vogel verrecken. Die Bewunderung großer Hände jedoch bleibt.
Die Kariere als Tänzer und Choreograph und die unabdingbare Gier nach Erfolg, Anerkennung und Inspiration treiben ihn von New York nach Rom, von Rom nach Brüssel und der Wunsch wächst, das kleine Versehen Gottes, sie in eine männliche Hülle gesteckt zu haben, zu korrigieren. Noch klarer wird nach Jahren verschiedener schwulen Liaisons: Jin liebt Männer, ist aber nicht schwul, sondern eine Frau im falschen Körper - eine Erkenntnis, die ihre Liebhaber ungern wahrnehmen, doch Jins Wunsch nur noch bestärken, sich endlich operieren zu lassen. Mit der zunehmenden Dominanz dieses Gefühls kehrt auch eine patriotische Besinnung auf China zurück. "Ich habe darauf verzichtet, mich im Ausland operieren zu lassen. Nirgendwo anders auf der Welt als in China kann meine Wiedergeburt stattfinden."
Die dritte und letzte Operation des ersten offiziellen Sexwechsels in China misslingt. Fast. Professorin Yang hat ein Blutgefäß während der 16-stündigen Operation übersehen und eingeklemmt, die Nerven in einem Fuß scheinen nun abgestorben, der tanzende Star ist nun eine Frau, aber im Rollstuhl. Es beginnt ein langer Prozess gegen die abgestorbenen Nerven, doch nach 3 Monaten zuckt ein Zeh wieder. Viel härter als die quälenden Dehnübungen damals an der Ballettschule der Militärakademie scheint der Kampf von "Miss Hinkebein" (eine Pekinger Zeitung) gegen den Rollstuhl - und sie gewinnt. Solche Bösartigkeit tönt aber nicht auf allen Kanälen, es gibt auch journalistische Verteidigungen und selbst hochrangige KP-Politiker stellen sich schützend vor sie.
Ihre Mutter, die erst entschieden gegen die Geschlechtsumwandlung war, stand ihr später um so mehr zu Seite: "Kurz vor ihrem 33. Geburtstag besuchte Jin Xings Mutter eine Freundin im Krankenhaus in Peking und wurde zufällige Zeugin einer mittleren Tragödie im Nebenzimmer: Eine junge Soldatin hatte einen Sohn geboren, aber statt zu lachen, weinte sie. Frau Xing ging hinüber. Sie sei, klagte die Soldatin, von einem General geschwängert worden, sie könne das Kind unmöglich behalten. Meine Tochter, erwiderte Frau Xing, kann keine Kinder kriegen, aber sie würde gern eines haben. Zwei Tage nach ihrem 34. Geburtstag wurde Jin Xing Mutter. Sie nannte das Kind Leo und ruft ihn Dudu. Sie sieht in ihm ihren Engel." (Christian Schüle, in DIE ZEIT No.4 2002)
Jin Xing leitet heute Chinas einzige unabhängige Dance Company, ist inzwischen mit einem Deutschen verheiratet, hat 3 Kinder, will sich nicht als sozialistische Kampftänzerin vor den KP-Karren spannen lassen. Doch Pekings Offizielle kramen ihre Geschichte nicht nur aus, wenn sie nach Repression, Freiheit und Menschenrechten im eigenen Land gefragt werden, nein auch die Frauwerdung in einem Land, indem es vielerorts als Unglück gilt, eine Tochter zu gebähren, passt in Chinas gewaltige Methamorphosen, in der sich vor allem auch das Bild der Frau ändert.
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