von Dirk Ruder
Auf der Berliner AIDS-Konferenz HIV im Dialog Anfang September entbrannte eine hitzige Diskussion über ein Thema, das im Programmheft unter dem etwas unhandlichen Titel «Pro & Contra verbraucherorientierter Werbung für HIV-Medikamente» angekündigt war. Bei der für Sonntag Vormittag angesetzten Debatte im Rahmen der vom 3. bis 5. September im Russischen Haus der Wissenschaft und Kultur veranstalteten AIDS-Tagung ging es um die nicht unspannende Frage, welchen Einfluss Pharma-Konzerne auf die schwule Presse ausüben und damit letztlich auf die Wahrnehmung von AIDS in der Community. Nicht nur bei AIDS-Aktivisten und Ärzten stehen die von Pharmakonzernen wie GlaxoSmithKline geschalteten Anzeigen in der Kritik. Mit fragwürdigen Slogans wie «Ich hatte früher kein so tolles Leben» versprechen diese ein sorgenfreies Dasein, das die neuen AIDS-Medikamente angeblich ermöglichen. Der Münchner Wissenschaftshistoriker Florian Mildenberger warf Unternehmen wie GlaxoSmithKline im Sommer 2003 in einem von verschiedenen lokalen AIDS-Hilfen nachgedruckten Beitrag der Zeitschrift «Gigi» vor, mit derartigen Werbekampagnen würde «AIDS bagatellisiert und zu einer Mischung aus Grippe und temporärer Impotenz degradiert». Die Deutsche AIDS Hilfe sprach von «Verantwortungslosigkeit» und reagierte mit einer Gegenkampagne: «HIV-Pillen schlucken ist keine Party» (siehe Bild).
Eine Studie hat nun den Verdacht erhärtet, dass die verharmlosenden Annoncen der Pillen-Industrie für die erneut steigende Zahl von Neuinfektionen zumindest mitverantwortlich gemacht werden müssen. Der Berliner AIDS-Kongress nahm dies zum Anlass zu fragen, welchen Anteil die Szenepresse an dieser Besorgnis erregenden Entwicklung haben könnte und lud Szenevertreter, Ärzte und Journalisten aufs Podium. Der Streit zwischen dem ARD-Journalisten Daniel Hechler und Olaf Alp, dem Herausgeber des Berliner Schwulenmagazins Sergej blieb nicht aus. In einem Fernsehbeitrag für das Politmagazin Report Mainz hatte Hechler im Oktober vergangenen Jahres Alps «geschmeidige Nähe zur Pharma-Industrie» thematisiert und Sergej vorgeworfen, auch im redaktionellen Teil das von der Pharmaindustrie propagierte Bild einer heilen HIV-Welt zu verbreiten: «AIDS als Wohlfühlthema. Von journalistischer Unabhängigkeit keine Spur», so Hechler. Alles Unsinn, verteidigte sich Alp auf dem Kongress. Die Anzeigen seien für sein kommerzielles Blatt «reines Sponsoring», Gefälligkeitsartikel über die Wirkung neuer Medikamente wollte er als «Weiterreichen von Informationen» verstanden wissen.
Den Einwand von Dirk Ludigs, Chefredakteur des traditionsreichen Schwulenmagazins Du & Ich, Alps Magazin arbeite «journalistisch unsauber» wollte der ARD-Mann Hechler so nicht stehen lassen: Bei Sergej fände kein schlechter, sondern vielmehr «überhaupt kein» Journalismus statt. Für Alp war dies kein Grund zur Resignation: Dass die Pharma-Industrie mit ihrer Werbung an steigenden Infektionszahlen schuld sei, nannte er «Schwachsinn» und eine «lächerliche Argumentation». Vielmehr hätten doch gerade die Medikamentenhersteller dafür gesorgt, dass die Menschen mit AIDS überleben könnten. Zudem, so Alp, wollten kommerzielle Schwulenblätter nichts anderes als Geld verdienen, unabhängiger Journalismus sei daher für ihn allenfalls «ein hehres Ideal» aus vergangen Zeiten.
Während Du & Ich-Chef Ludigs daraufhin bei Sergej eine «skandalöse Verzahnung von Interessen» ortete, gerieten auch andere Blätter auf den Prüfstand. Der ebenfalls aufs Podium geladene Arnd Bächler von der Berliner Schwulenberatung nannte die AIDS-Berichterstattung der Siegessäule immerhin das gröίte Berliner Homomagazin eine «Katastrophe». So habe «Siegessäule»-Chef Peter Polzer die Zusammenarbeit mit der Berliner AIDS-Hilfe «sang- und klanglos» eingestellt. Als «alter Schwulenbewegter» konstatierte Bernhard Bieniek vom Arbeitskreis AIDS niedergelassener Ärzte in Berlin e.V. ein generelles Versagen der schwulen Medien. Auf Lernfähigkeit bei den Verantwortlichen kann man bislang nicht hoffen. Als ein Redner aus dem Publikum daran erinnerte, dass die Pharmaindustrie bei entsprechenden Gewinnaussichten in Sachen HIV mehr als einmal über Leichen gegangen sei, polterte Sergej-Macher Alp: «So reden Globalisierungsgegner, bei so was höre ich schon gar nicht mehr zu!» Leider.
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