Die Tasca Pullman ist eine Salsa-Bar – und eine der wenigen schwulen
Lokalitäten der venezolanischen Hauptstadt, die kein Ghetto sind für die
weiße Oberschicht. Die Preise sind moderat genug, dass sich auch weniger begüterte
Caraceños einen Abend im Ambiente gönnen können - und von denen gibt es sehr
viele. Achtzig Prozent sind im viertgrößten Ölexportland der Welt arm – und
sie sind zumeist dunkelhäutig. Wie fast überall in Lateinamerika scheint auch in
Venezuela die Trennung zwischen Weißen und allen anderen fest zementiert.
Besser gesagt die Ausgrenzung und Ausbeutung der großen Mehrheit.
Als Weißer
lebt man im modernen und grünen Altamira in teuren Appartments oder schicken
Villen. Als Schwarzer in zusammen gezimmerten Buden über staubigen Gassen.
Schwarzes Gold für die Weißen, das war bis vor fünf Jahren die Grundfeste
des venezolanischen Staates. Die Zehntausend Bolívares, die in den angesagten
schwulen Clubs der Hauptstadt für den Eintritt und drei Getränke bezahlt werden, sind
für die besser gestellten Schichten nicht mehr als das, was sie für mich
sind: fünf Euro. Für das farbige Venezuela ist es der Verdienst eines ganzen
Tages, wenn jemand einen Job bei Mc Donalds, in einer Bar oder einem
Schuhladen ergattern konnte. Die meisten haben nicht mal das. Im Pullman jedoch
verlangt man keinen Eintritt, das Bier kostet 800 Bolívares und das Leitungswasser
ist in Caracas trinkbar.
Keine Kohle haben, um den Eintritt herumkommen und am Waschbecken trinken,
das kommt mir bekannt vor und ist mir sympathisch. Dass gelächelt wird und
dass Männer den Mut aufbringen, zum Tanzen aufzufordern, ist ein wohltuender
Unterschied zu Berliner Etablissements. Zum Tanzen auffordern? Schluck!
Salsa oder Merengue??? Ich brauche zwei große Gin Tonic im umgekehrten
Mischungsverhältnis, dann macht es BING und es geht. Caraceños können
wunderbar führen. Und wenn man es vermeidet, sich unheimlich bescheuert vorzukommen, ist es ein
fantastisches Erlebnis. Wow, was mag da heute noch passieren, denke ich
Gemächt an Gemächt gepresst tanzend, eine Hand fest an meinem Hintern. Oft genug
nicht mehr als noch ein Bier und ein Pläuschchen. Und auch das ist o.k.
"Tanzen ist nicht gleich Ficken", weiß ich aus einem Verhoeven-Film und es muss erst
recht nicht schlechter sein. Keine neue Erfahrung, aber es überrascht mich
dennoch. Auch das Pullman hat seine nach-mitternächtliche Show. Die Königin der
Nacht ist diesmal tiefschwarz, scheint fast zwei Meter groß zu sein und
erfreut sich eines stattlichen Übergewichtes. Ihr Kleid liegt eng und lang und
scheint aus purem Gold. Die angedeutete Perücke versteckt sich unter einem
gold-grün-dunkelblauem Tuch. Die Darbietung ist beeindruckend: Sie bebt und
zittert, trauert um einen imaginären Verflossenen und ist dabei atemberaubend lasziv.
Ihre Stimmbänder vibrieren, obwohl sie nicht singt. Ich stehe sechzig
Zentimeter vor ihr mit meinem letzten Tanzpartner im Arm und hinter mir ist
Bar zum Bersten voll. Ich liebe das Pullman.
Kein Eintritt und günstige Getränke schließen ein Gros der Unangenehmen aus.
Klingt paradox, aber dem schwulen Snob graut davor, männlichen Exemplaren
aus den Hügeln zu begegnen. Die Hügel, dass sind die Armenviertel von
Caracas, Barrios genannt. Als wohlhabender, westlich orientierter Homosexueller
arbeitet man als Web- oder Grafikdesigner im schicken Stadtteil Altamira,
trinkt schottischen Whiskey statt venezolanischen Rum, trägt Anzüge aus Mailand und
fährt einen europäischen Kleinsportwagen. Der einzig adäquate Kontakt mit
den Barrios ist die Negrita, die schwarze Putzfrau, die einmal in der Woche die
Junggesellenbude wienert – für den erwähnten Tagessatz, den der schwule
Yuppie schon am Eingang der standesgemäßen Clubs verprasst. Weniger adäquat, aber
vielleicht begehrter, mag das blutjunge Kerlchen aus dem Armenviertel sein,
dass für ein Wochenende die bpm-Glitzerwelt des schwulen Teils von Chacao
kennenlernen darf – für eine kleine Gegenleistung. Wenn er jung und gesund
ausschaut.
"Que se bajen los cerros", dass die Hügel herunterkommen könnten, dieser
Gedanke lässt die oberen Zehntausend erschaudern. Vor 15 Jahren war das mal
passiert, beim Caracaso, dem Volksaufstand gegen die alte, korrupte
Zweiparteiendemokratie, als die Studenten und die Armen für Tage die Stadt
lahmlegten und die teuren Geschäfte plünderten. Man hatte sie zurückschlagen, wieder hinauf in
die Hügel jagen können, damals. Nun, es gab auch Opfer. Mindestens
Zweitausend soll die Armee erschossen haben. Plünderer halt. 1999 kam aber
wieder so ein "dreckiger Indio" herunter – und marschierte direkt ins Präsidentenamt.
Hugo Chávez ist genauso stolz auf seine "schwarze Großmutter", wie er vom
weißen Altamira dafür verachtet wird. Dass Chávez als Farbiger kein Recht hat, das
eigentliche, weiße Venezuela zu repräsentieren, darüber sind sich Banker,
Medienzaren und Immobilienhändler einig. Das reiche Caracas hat die Anarchie
entdeckt. Man kichert, dass man keine Steuern mehr bezahlt, prügelt sich auf
Demonstrationen mit der Armee und vertreibt die Minister der Regierung durch
lautes Tellerschlagen aus den Restaurants. Und was haben die oberen zehn
Prozent nicht alles schon versucht: Den Putschversuch vor zwei Jahren, eine
Wirtschaftssabotage ein halbes Jahr später. Der schwule Yuppie hasst Chávez,
wie er den ärmlichen, farbigen Menschen aus den Hügeln hasst. Es sei denn, er trägt
einen jungen, festen Arsch in der alten, verbeulten Hose.
Die schickeren Clubs, wen es denn interessiert, heißen Saints oder Zenon.
Die Burger Kings unter den schwulen Diskotheken der Welt, oder die
Starbucks, wenn es hoch kommt. Billige Popmusik unter Pseudo-Techno-Beats, die weh tut.
Dazu ein Haufen Schnösel, die vehement hüpfen – und zwar meist allein.
Körperkontakt kommt auf dem Klo zustande oder im Labyrinth. Als
Unkomplizierte Typen beschreiben sie sich auch hier, aber um solche zu treffen, muss ich keine
Fernreise antreten. Nach dem Pullman ist das Saints stinklangweilig. Am
nächsten Tag ist Sonntag. Ich war die Monate vorher im kalten Bogotá und
habe dort ein wöchentliches Sauna-vergnügen zu schätzen gelernt. In Caracas macht das
eigentlich wenig Sinn, denn tagsüber wird es selten kälter als dreißig Grad.
Tausend Höhenmeter reichen nicht, um aus der Waschküche der äquatornahen
Küste einen ewigen Frühling zu zaubern. Aber auch ein Saunabesuch in Caracas birgt
Überraschungen. Zum einen gibt es in Puncto Sauberkeit, Ausstattung und
Preis gewaltige Unterschiede. Meine erste erinnerte mich an die Waschkaue der
zentralen Ruhrkohlewerkstatt in Bottrop. Es roch nach altem Schweiß und der
Boden war schleimig. Ich blieb nicht lange da. Die zweite war sauber, dafür
doppelt so teuer und unangenehm kühl. Ich bin selten in eine Sauna gegangen, um zu
frösteln. Aber die drei kleinen Dampföfen waren mit den weitläufigen Gängen
hoffnungslos überfordert. Zum Schwitzen bleibt die Flucht nach draußen. Vor
der dritten Sauna standen Jaguars und BMW's und der Eintritt war entsprechend.
Es gab keinen Grund, reinzugehen.
Wärmer, günstiger und vielleicht sogar interessanter ist der Parque Los
Caobos, so etwas wie der Cruising-Treffpunkt von Caracas. Nur so etwas wie,
denn es gibt kein Unterholz, der Park wird um Zehn geschlossen und ab Einbruch
der Dunkelheit vergnügt sich oft genug nur die Polizei. Unter diesen
einschränkenden Bedingungen hat sich eine etwas schüchterne, aber sehr nette
Atmosphäre entwickelt – zum Treffen und Kennenlernen, zum Plaudern und weiterziehen.
Für den Fall der Fälle gibt es abgeschiedenere Orte in der Nähe des Parks,
zum Beispiel auf den vielen kleinen Terrassen des benachbarten
Kulturzentrums.
Wer "unkompliziertere" Begegnungen bevorzugt, kann an die Hänge des Ávilas
ziehen, dem Hausberg Caracas', der sich unmittelbar am Rande des
langgestreckten Zentrums emporhebt. Im "Kondomwäldchen" ist es dunkel genug,
dass man nur schemenhaft erkennt, wer einen gerade befummelt. Vielleicht der reaktionäre
Snob aus Altamira, vielleicht ein junger Kerl aus den Hügeln. Ich gehe
lieber ins Pullman.
Text und Fotos: Markus Plate
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