Gay Lifestyle und Neoliberalismus
– eine Schicksalsgemeinschaft?




Zeitgenössische Medienberichte und Politikstrategien versuchen, Schwule (in geringerem Maße auch Lesben) und den ihnen zugeschriebenen gay lifestyle als Musterschüler des Neoliberalismus zu verkaufen.

Schwule sind mobil und flexibel, hedonistisch und konsumbetont, individualistisch und stilsicher, die idealen Subjekte für eine Konsum und Diensleistungsgesellschaft. Ihre Fähigkeit, eigene Lebensentwürfe gegen den Widerstand des Mainstreams zu entwickeln, ohne sich dabei auf soziale Sicherungsnetze verlassen zu können, scheint sie überdies in der Risikogesellschaft als hoch motivierte IchAG’s für KreativBerufe zu prädestinieren.

Gerne wird in diesem Zusammenhang auf ein angeblich höheres Durchschnittseinkommen von Schwulen verwiesen und die Häufigkeit von Schwulen in ökonomischen TrendSegmenten angeführt. Lesben werden ebenfalls akzeptiert, sofern sie ihren „schwulen Mann“ stehen.

War die schwule Subkultur, wie John D’Emilio argumentiert hat, durch die Freisetzung städtischer Lohnarbeiter im Kapitalismus entstanden, wird sie aufgrund dieser Überlebensstrategien im Neoliberalismus auch öffentlich salonfähig. Im Zuge des Umbaus der Familie zu einer neoliberalen Absicherungsgemeinschaft geraten auch homosexuelle Partnerschaften und alternative Lebensgemeinschaften in die Aufmerksamkeit staatlicher Politik, da sich vormals sozialstaatliche Aufgaben an sie abschieben lassen.

Die gesellschaftliche Entsolidarisierung ist damit die historische Bedingung für die Anerkennung gewisser nichtheterosexueller Lebensweisen und bewegt sich deshalb innerhalb der dialektischen Spannung des neoliberalen Individualisierungszugewinns. Nach der Devise: du darfst so leben, wie du willst, wenn du damit erfolgreich bist und selbst dafür die Verantwortung übernimmst.

Beim Phantasma des gay lifestyle, das alljährlichen zu den CSDParaden durch den Blätterwald geistert, handelt es sich um Repräsentationspolitik, die normiert, wie Homosexualität aussehen muss, um gesellschaftlich geduldet zu sein. Dabei stellt sich die Frage, wer sich das, was als gay lifestyle gesellschaftsfähig geworden zu sein scheint, überhaupt leisten kann und welche übrigen Voraussetzungen erfüllt sein müssen, um daran partizipieren zu können.

neolib


War die Schwulenszene in den Siebzigerjahren noch ein Ort schichtenübergreifender Begegnungen, so schreitet jetzt die klassenspezifische Ausdifferenzierung wieder voran. Dieser ökonomische Ausschluss ist zudem kulturalisiert und rassisiert. Der Lifestyle setzt ein Identitätsverständnis voraus, das MigrantInnen mehr noch als Mehrheitsdeutsche in einen teils nicht lösbaren Widerspruch zu ihren Herkunftsmilieus versetzt, von dem sie sich aber aus sozialen und ökonomischen Gründen nicht ganz trennen können oder wollen.

Auf diese Weise entsteht der Eindruck, dass die Schwulen und Lesbenemanzipation an den neoliberalen Kapitalismus gekoppelt ist. Nicht nur Schwulen und Lesben wird signalisiert, dass es jenseits des Neoliberalismus keine Rettung gibt. Vielmehr werden Schwule und Lesben (zusammen mit Fragen des Geschlechts) in einer Konstellation des so genannten clash of cultures geradezu zu einem Emblem neoliberaler Verhältnisse und damit entweder für die Überlegenheit „unserer“ Kultur sexueller Wahlfreiheit über den Fundamentalismus bzw. für die Dekadenz des Westens.

An der HomoEhe wird stellvertretend das gesellschaftliche Verständnis von Familie, Nation und Moral verhandelt, sodass sie als gesamtgesellschaftliches Modernisierungsprojekt emblematisiert werden kann (wie das die Grüne Partei gerne darstellt und wie es mit stärkerer Berechtigung in Frankreich vertreten werden kann, wo die Anerkennung homosexueller Partnerschaften zugleich eine Anerkennung nichtehelicher heterosexueller Lebensgemeinschaften war).

Damit aus der historischen Bindung homosexueller Identitäten und Subkulturen an den (neoliberalen) Kapitalismus keine vermeintlich zwangsläufige und zukünftige „Schicksalsgemeinschaft“ wird, ist es um so nötiger, queer in eine solche Alternativanordnung zu intervenieren, nicht zuletzt deshalb, weil der Neoliberalismus nicht notwendig antihomophob ist.

Lore Logorrhöe

Sascha B.: Der Schlussfolgerung würde ich ja zustimmen - aber dass die Schwulenszene in den Siebzigern ein Ort schichtenübergreifender Begegnungen gewesen sei, erscheint mir als eine etwas romantisierende Sichtweise. Der Rekurs auf eine vermeintlich bessere Vergangenheit ist aber doch auch gar nicht notwendig, um die Verquickungen von Homosexualität und Neoliberalismus infrage zu stellen.  
paul proll: notwendig isses nicht. aber es war trotzdem so. und die frage nach dem politischen potenzial kollektiver schwuler identität ist so abwegig auf etuxx ja nicht.  
Sascha B.: Es war trotzdem so? Hm. Ich kenne die Siebziger-Jahre-Schwulenbewegung zugegebenermassen nur aus der Geschichtsschreibung und nicht aus eigener Anschauung (ein Coming Out mit 7 oder 8 Jahren wäre auch zu schön gewesen, um wahr sein zu können) - aber an Belegen dafür, dass sie im wesentlichen etwas anderes war als ein Mittelschichtsding, fehlt es mir. Ich bitte um historische Aufklärung.  
Lore Logorrhöe: ich war auch nicht dabei, beziehe aber meine argumente nicht aus der hohlen hand, sondern aus politologischen und soziologischen untersuchungen, z.b. michael pollak. sasch, du mussst zwischen der 70er-jahre-schwulen-SZENE und der 70-er-jahre-schwulen-BEWEGUNG unterscheiden. letztere war eine klare studentische, mittelschichtsangelegenheit, auch dazu gibt's untersuchungen.  
fb: Erstmal Lore ein ganz schöner Text, kurz und prägnant fasst er einige Entwicklungstendenzen zusammen und bleibt dabei griffig - und kommt damit meinen Bedürfnissen entgegen. Der Rekurs auf die Zeit vor dem Neoliberalismus halte ich für notwendig und wichtig für ein Verständins des Ist-Zustands, so verdeutlicht es die Zentrifugal-Kräfte die die Solidaritätsformen sprengten. @sascha: diese Zeiten waren keineswegs besser, aber sie waren anders.  
Mücke: Und ich glaube doch, dass es eine Schicksalsgemeinschaft wird. Queer ist Produkt eben jenes Neoliberalismus. Hand in Hand mit den 68ern wehrt sich queer gegen jede verbindliche Versprechungen (Beispiel [Homo]-Ehe) oder Vereinsmeierei. Alle Nachteile, die traditionelle Blutsbande und Kirchenhokuspokus ("...seid Ihr ein Paar")haben, werden über Bord geworfen, meist ohne zu schauen, was noch bei drauf geht: Die Verbindlichkeit, die Wurzeln, Vertrauen und Authentizität. Ich gebe zu, dass ein netter Preis dafür erzielt wird: größere individuellere Freiheit.  
Mücke: Einhergehend mit der deutschen Kollektivangst vor (Volks-)gemeinschaft, deliriert sich queer temporäre amöboide Kollektive in bester mobiler oder flexibler Bauart, die aber gerne so schnell zerfallen wie sie entstanden sind, weil queer vergisst sich weiterzuvernetzen im wir-sind-doch-alle-so-unterschiedlich-nicht-festgelegt-Taumel.  
Mücke: Queer ist bald mega-out, wenn es nicht lernt, sich auf Traditionen zu beziehen und nicht bald Kinder aus stabilen queeren Konstellationen (welcher Art auch immer) in die Sozialgemeinschaft eingeschleust werden. Die Homos sind nun mal mit den anderen Kinderlosen die neoliberalsten Sozialkriegstreiber. Die Homoehe bietet aktuell dafür mehr Kinderdockingpunkte als schnelllebige queer lieration front Gemeinschaften.  
lore logorrhöe: also mücke: tacheles! no way out? oder musstest du dich einfach mal nur entschieden von queer abgrenzen?  
Mücke: Ich finde Deinen Text schon sehr schön und richtig, nur das Brandmarken des gay life styles mündete in eine queere Intervention, die als Lösung daherkommt. Das mochte ich nicht so stehen lassen, es hörte sich zu sehr nach pfui, pfui bäh bäh gay an und mit queer ließe sich da noch was richten. Die Amöben (zu denen ich uns Queers zähle) passen sich nun mal dem neoliberalen Zeitgeist sehr schnell an, um zu überleben, treiben diesen Kurs somit auch voran - und entwickeln sich selbst dabei weiter. ... Yes, no way out! Oder hast Du eine Idee?  
lore logorrhöe: ich wollte den gay lifestyle gar nicht brandmarken. das wäre mir eh zu moralisch, ich wollte nur auch sein für und wider hinweisen. eine wichtige kritik am gay lifestyle ist ja gerade von queer politik aus formuliert worden. ja, ich habe eine lösung: die abschaffung das kapitalismus. mit queerer intervention meine ich eine strategie, die bestimmte scheinbar notwendige verbindungen aufbricht und sich nicht auf eine falsche verknüpfung von homo-emanzipation und neoliberalismus einlässt. umgekehrt heißt das, in der kritk am neoliberalismus auch immer sexualität und geschlecht mitzudenken, was zu selten gemacht wird.  
lore logorrhöe: ich versteh queer hier nicht als eine "identität" oder ein "programm", sondern eher als eine strategie sexueller politik. der text ist für einen workshop in hamburg enstanden, der sich gedanken zum potential von queer für intervention statt integration gemacht hat. daher diese pointierung am schluss. mir gings eher darum, zu zeigen, was queer sein KÖNNTE und nicht was es IST.  
Sascha B.: Oh, Lore, das nennst Du eine Lösung: Die Abschaffung des Kapitalismus? Ich habe in einem anderen Diskussionsstrang hier ja nicht mal gewagt, analog dazu die Abschaffung der Religionen zu fordern, sondern lediglich die individuelle Abkehr davon, und dennoch hieltest Du das für eine Luxusdebatte. Intervention statt Integration ist in beiden Fällen ein gutes Stichwort.  
dolomiti: Wenn es (wieder) stärkere politische Gegenbewegungen gäbe, dann sicher auch unter stärkerer Beteiligung von Schwulen und Lesben. Darin liegt m.E. auch der entscheidende Unterschied zu den 1970er und früher 80er Jahren: Die waren insgesamt politisierter. Es gab breite sog. alternative Bewegungen, so daß in diesen Zusammenhängen auch eine alternative Schwulenbewegung entstehen konnte. Heute stehen auch die linken Heten mehr oder weniger auf verlorenem Posten und Läden wie das SO kosten mind. 5 EURO Eintritt, von den Bierpreisen ganz zu schweigen.  
dolomiti: Schwul sein ist also auch für diejenigen teuer, die sich eher nicht als Konsumhusche sehen. Wenn ein paar linke Schwule und Lesben ihr eigenes Süppchen kochen, wird das m.E. wenig bringen. Dann haben wir alle ein bißchen Spaß in der Rattenbar und das war's. Da macht's schon eher Sinn, politisch in nichtschwulen Zusammenhängen mitzumischen. Vielleicht wird ja doch was größeres draus. Zeit wär's ja.  
Lore Logorrhöe: ja, lieber Sascha, ich halte die Abschaffung des Kapitalismus für unverzichtbar im Gegensatz zur Abschaffung der Relgion. Da haben wir einen Dissens. Für wen ist denn die Abschaffung des Kapitalismus eine Luxusdebatte?  
bernd: vor der abschaffung des kapitalismus habe ich aber ziemlich angst, das endete mir immer mit volkes wille oder mit volkes führer und hatte so üble beigeschmäcker wie stasi, ss, kzs, gulags. dem pöbel einmal die chance geschenkt, wollte sie immer die warenwelt des kapitalismus. lokal werden solche modelle dann ja auch geprobt und gelebt, doch habe ich auch angst vor der selbstjustiz linker dunstkreise. ("vergewaltiger raus!" "kein platz in unseren strukturen" sind keine gesellschaftlichen lösungen, sondern lokale persilscheine)  
bernd: kapitalistische strukturen mit all ihren neoliberalen auswächsen waren in den letzten 25 jahren bester nährboden für gay liberation und queer movement.  
Lore Logorrhöe: ich stimme dir zu, dass man den kapitalismus dialektisch sehen muss, kann deine pro-kapitalistische agenda aber nicht unterschreiben. deine gegenargumente sind zwar eine notwendige kritik an jeder antikapitalistischen bewegung, aber machen den kapitalismus nicht besser. die schicksalsgemeinschaft von kapitalismus und homo-emanzipation besteht so nicht. das queer movement war mehrheitlich antikapitalistisch. ansätze zur homo-emanzipation gab es übrigens auch in der ddr.  
franz josef strauß: "freiheit oder sozialismus!" - das war's doch, was du sagen wolltest.  
dolomiti: was honecker u.a. für sozialismus gehalten haben, war ja auch nichts anderes als Staatsmonopolkapitalismus und hat deshalb (trotz weitgehender ökonomischer gleichheit) auch nicht zu einer sozialen befreiung führen können. klar, daß es eine homobewegung unter solchen bedingungen schwer hatte, zumal sie als westlich-dekadent beargwöhnt wurde. es will ja auch niemand den cordhütchen-sozialismus der ddr wiederbeleben, lieber bernd.  
dolomiti: zum thema nährboden: die brd hat bis ende der 1960er jahre am nationalsozialistischen sexualstrafrecht festgehalten. die friedliche koexistenz von homobewegung und kapitalismus halte ich zum einen für eine erscheinung neuerer zeit und zum anderen für ein reines zufallsprodukt: solange schwule/lesben keine kapitalinteressen stören, werden sie geduldet. ein libertärer grundgedanke liegt dem aber nicht zugrunde.  
bernd@dolomiti und lore logorrhöe: pro-kapitalistische agenda ist ganz gewiss nicht meine absicht, über eintritts/sekt-preise vom berlins schwuz, mutschmanns, so36 oder rattenbar, kieler, nürberger oder kölner bierpinten oder hamburger baustellen möchte ich eben so wenig debattieren. diese blöde -das-ist-böser-kommerz-diskussion würde ich gern hier raushalten, denn egal wie teuer es ist, es ist kommerz.  
bernd: auch wenn ihr sie mir in den nächsten beiträgen zersägt: neoliberale marktstrukturen bleiben vorläufig notwendig, um queeren interventionen und minderheitenentwicklungen raum zu bieten. radikale schnitte brächten eher andere radikale an die meinungsfront, noch konservativere bzw. rechte. das mag sich sehr defensiv anhören, ist es auch, aber ich sehe aktuell keine andere wahl.  
bernd: übrigens finde ich lores kapitalismus abschaffen niedlich, aber immer noch interessanter als herrn saschas religion abschaffen in der anderen diskussion hier.  
bernd: PS: ich habe etuxx gerade erst entdeckt - und finde es ist ein wirkliches highlight, auch wenn meine meinung hier eventuell nicht gilt, es gibt noch menschen, die sich darüber gedanken machen.  
beate bronski: Samuel Delany, der sich selbst strategisch als black und gay bezeichnet, schreibt in dem Essay "Times Square Blue" über seine schichtübergreifenden Begegnungen in Räumen der schwulen Subkultur im New York der 70er Jahre:  
beate bronski: "In the Forty-second street area`s sex theaters (...), I´ve met playwrights, carpenters, opera singers, telephone repair men, stockbrokers, guys on welfare, guys with trust funds, guys on crutches, on walkers, in wheelchairs, teachers, warehouse workers, male nurses, fancy chefs, guys who worked at Dunkin Donuts, guys who gave out flyers at street corners, guys who drove garbage trucks, and guys who washed windows on the Empire State Building."  
beate bronski: Für die Veränderung des gay lifestyles ist neben Neoliberalismus außerdem Aids ein wichtiger Faktor. Delany beschreibt, dass seit den 80er Jahren viele subkulturelle Räume, in denen er schichtübergreifende Begegnungen hatte, u.a. mit dem Argument der Gesundheitsfürsorge geschlossen wurden.  
Sascha B.: @ Beate B.: Guter Hinweis; ich habe den Essay von Delany eben selbst nochmal gelesen. Das Zusammenfallen von umfassender kapitalistischer Verwertung und Repression (im Zuge der AIDS-Hysterie der frühen 80er) ist nicht ganz zufällig. +++ @ Bernd: "Neoliberale Marktstrukturen" bieten überhaupt keine Freiräume. Allenfalls wird zu Geld gemacht, was vordem subversiv war (das ist die grosse Stärke des Kap´talismus). Für diejenigen, die sich der (Selbst-)Ausbeutung verweigern, ist Neoliberalismus schlicht ein Zwangsregime.  
Lore Logorrhöe@ beate bronski: wo kann man denn das essay nachlesen? klingt interessant. aber das mit aids müsstest du noch genauer erklären. ich sehe in aids eher einen katalysator bereits angeleter entwicklungen, aber nichts qualitativ neues. was meinst du?  
Lore Logorrhöe @ Sascha B.: marx war in seiner betrachtung des kapitalismus entschieden dialektischer als du und scheute sich nicht, auch die positiven potenziale des kapitalismus klar zu benennen. alles andere endet in verschwörungstheorie (auch ne art ersatz-religion).  
beate bronski@Lore Logorrhöe: Du findest den zitierten Essay zusammen mit dem Essay "Times Square Red" in einem Buch: Samuel R. Delany, Times Square Red, Times Square Blue. (New York and London: New York UP 1999). Das Buch ist in der Reihe "SEXUAL CULTURES: New Directions from the Center for Lesbian and Gay Studies" erschienen. Das Zitat steht auf Seite 15.  
beate bronski@Lore Logorrhöe: Aids ist die Ursache für gegenläufige Entwicklungen: Radikale queere Bündnisse von identitär unterschiedlichen People With Aids einerseits. Andererseits gab es u.a. durch Aids z.B. einen Anschub für die Durchsetzung der Homoehe, denn durch dieses Modell wird doch monogame schwule Sexualität öffentlich anerkannt und "unerwünschte" Promiskuität an den Rand gedrängt. Ich vertrete allerdings nicht den Standpunkt, dass das qualitativ neue Entwicklungen sind.  
Lore Logorrhöe @ beate bronski: danke für den hinweis. ich denke nicht, dass monogame sexualität neoliberaler ist als polygame. und die homo-ehe schließt ja polygamie nicht aus, oder? das aufbrechen von identitätsschranken durch aids hat neoliberale entwicklungen sowohl begünstigt als auch behindert. kommerz braucht ja gerade identität als verwertbare marktressource.  
beate bronski@Lore Logorrhöe: Mich interessiert noch, wie die queeren Interventionen, die du am Ende des Textes vorschlägst, denn aussehen könnten.  
Lore Logorrhöe: der queer-wagen auf der sozialabbau-demo war immerhin ein anfang, weil er gezeigt hat, dass sich sexuelle politik und sozialpolitik nicht ausschließen. trotzdem zeigte er auch ein strukturelles problem: in den meisten bündnissen gegen neoliberalismus gibt es keine queere sichtbarkeit.  
Lore Logorrhöe: Die Klassenfrage muss wieder in die Gay Community getragen werden und umgekehrt müssen sexuelle und Geschlechterfragen in den sozialen Kämpfen deutlich werden, zum Beispiel am Thema Arbeitskampf und geschlechtsspezifische Arbeitsteilung oder in einer Verbindung von Migration, Geschlecht und Sexualität.  
Sascha B.: Liebe Lore, Verschwörungstheorien liegen mir fern. Wenn ich meine, dass die Verwertung und damit Vereinnahmung auch dissidenter / subkultureller Phänomene eine Stärke des Kapitalismus ist, dann ist dies lediglich ein Verweis auf einen Mechanismus. - Dein letztes Statement erinnert mich (nicht nur von der rhetorischen Form her) sehr an unsere sog. Doppelstrategie in der Schwulen Antifa (10 years ago). Wenn Du jetzt noch das Wort "Klassenfrage" durch ein relevanteres ersetzen könntest, wären wir uns fast einig.  
bernd: Und Gay-Lifestyle und Neoliberalismus bilden doch eine Schicksalsgemeinschaft! Oder wie dürfen solche Anzeigen noch lesen? Ist "die Klassenfrage so wieder in die Gay Community getragen"?  Geschäftsmann sucht ...
lore@bernd: komischerweise macht mich diese anzeige an. kann man denn nie über homo-politik diskutieren, ohne gleich beim sexuellen vollzug zu landen? die klassenfrage in diese anzeige zu tragen, hieße zu schauen, ob die bezahlung angemessen ist und die arbeitsrechtlichen bestimmungen eingehalten werden.  
skintonic: die klassenfrage in die gay community TRAGEN? entweder stellt sie sich da, oder nicht. anders als in dem auszugsweise wiedergegebenen essay ist es doch wohl in berlin (noch) so, dass in der szene nicht nach bildung und/oder sozioökonomischem hintergrund (aus-)sortiert wird. wenn eine benachteiligung bestimmter gruppen stattfindet, dann eher nicht innerhalb der szene, sondern vielmehr aufgrund von umständen, die außerhalb der szene liegen.  
skintonic: ein großteil des szenelebens spielt sich (ob man will oder nicht) in bars und clubs ab. leute mit wenig geld haben also unstreitig geringere möglichkeiten zur teilhabe. das hat letztlich aber eher mit der oft beklagten kommerzialisierung der szene zu tun.  
Lore@skintonic: oh. lieber, sehr verehrter skintonic! hast du schon mal davon gehört, dass die klassenfrage etwas mit arm und reich zu tun hat? (außerdem auch mit bildung, etc.) der ausschluss von schwulen, die nicht zum mittelstand gehören, IST die schwule klassenfrag.  
skintonic: na, meine liebe, nun werden sie mal nicht gleich zynisch ;-). ich wollte auf eine unterscheidung hinaus, die ich nicht ganz unwichtig finde: so was wie klassenbewußtsein findet man in der szene eigentlich kaum (gar nicht?). IN der szene erlebt man deshalb auch keine meßbare diskriminierung von unterprivilegierten (mag das wort eigentlich nicht). was dieser delany über das n.y. der 1970er schreibt, kann man m.E. ohne weiteres über das berlin (hamburg, köln) von heute sagen. die diskriminierung findet also de facto von AUSSEN über eine rein ökonomische benachteiligung statt.  
skintonic: das macht es im ergebnis natürlich nicht besser. ich frage mich allerdings, wie du unter diesen umständen eine klassenfrage in der community diskutieren willst. auf sonderlich viel problembewußtsein wirst du wahrscheinlich nicht stoßen.  
Lore @skintonic: aha, und wenn es kein klassenbewusstsein gibt, braucht man auch nicht diskutieren? ich frage mich, was du mir damit überhaupt sagen möchteset. ich glaube es gibt schon ein bewusstsein davon, ob ich 1000 oder 10000 euro im monat verdiene und ob ich mir den oder den schuppen leisten kann oder nicht.  
skintonic: ich sehe eben keine spezifisch schwule klassenfrage. im gegenteil, schwulsein reicht offenbar als gemeinsamkeit, um die unterschiedlichsten leute zusammenzubringen. das gilt hinsichtlich ihres sozialen status genauso, wie hinsichtlich des politischen standpunktes. wenn ich damit recht habe, dann würdest du mit deiner klassenfrage polarisieren.  
skintonic: ich sehe keinen sinn darin, zwischen schwulen zahnärzten und schwulen bauarbeitern eine art rosa klassenkampf zu inszenieren. aber vielleicht verstehen wir die (ohnehin etwas veralteten) begrifflichkeiten unterschiedlich. zuletzt reduzierst ja auch auf die einkommensverhältnisse als zugangshindernis. dann würde ich aber bei denen ansetzen, die über fette eintrittspreise etc. profitable geschäfte mit schwulen machen (zumal eine bestimmte schichtenzugehörigkeit ja längst nicht mehr allein über die höhe des einkommens entscheidet).  
Anfrage:: Die bloße Aufforderung zu intervenieren, reicht nicht aus. Außerdem ist hier undeutlich wie das aussehen soll, "queer" zu intervenieren. Wie mächtig müßte eine solche Intervention sein, damit sie überhaupt wahrgenommen wird im Angesicht dieses gewaltigen Umbauprozesses, der gerade stattfindet?  
paola: finde ich nicht  
La "Fan of Etuxx" Grit: Ich finde ja auch, wenn der Kapitalismus die Antwort ist, muss man mal gucken, was die Frage war, aber trotzdem irritiert mich der Gesprächsverlauf. Bisher ist Lore die Frage schuldig geblieben, wie Interventionen "queer" zum Marktgeschehen aussehen sollen. Ein durch staatlich regulierte Niedrigpreise geschütztes Homo-/Soziotop kann damit vielleicht nicht gemeint sein - was aber dann? Muss ich wirklich daran erinnern, dass es auch schwule Zusammenhänge/Öffentlichkeit jenseits einer Gastronomie gibt, deren einzige Kreativleistung im Erfinden von Mondpreisen besteht? Wieviel vom allmächtigen Markt ich in mein Leben lasse, kann ich doch zumindest in diesem Punkt sehr gut steuern.