Auf der schwulen Baustelle
Zweiter Teil:   Gesellenjahre

Die Freiheit nehm ich mir

Randale und Kotzen

Zwangsheterosexualität angreifen

Am Rand des Bewusstseins

Rosa-Party-Fraktion

LSD

Das Plenum hatte ein paar mal Flugblätter herausgegeben, mit denen es den Gästen sein Selbstverständnis klar machen wollte. Ich hatte von diesen Texten immer nur ein Drittel verstanden. Jetzt setzte ich mich hin und schrieb selbst eins, voller Versatzstücke, die ich irgendwo aufgeschnappt hatte. Bei den meisten davon hatten mir die Ohrläppchen eingerollt, also dachte ich, die müssen richtig sein. Nun gehört es zwingend zum schwulen Gruppenleben, ein- oder zweimal im Jahr gemeinsam weg zu fahren. Bei einem Wochenende meist auf dem Land probiert man aus, wieviel Familie einem möglich ist als Schwuler. Auf einer solchen Fahrt, in einer Bauernkate im Wendland, trug ich mein Werk dem Plenum vor.

Ein riesiges Desaster! Mein Pamphlet wurde nach Strich und Faden auseinander genommen von einem Altlinken, der darin unter anderem seine persönliche revolutionäre Geschichte mißachtet sah. Im wesentlichen benutzte er bei seiner Strafpredigt die gleichen Phrasen wie ich - nur wußte er, wie man sie richtig zusammensteckt! Wie ein begossener Pudel kam ich von diesem Treffen, um diverse Einsichten reicher: ich wußte nun, daß Parolen auch Erkennungszeichen sind. Wer sie richtig verwendet, zeigt, daß er dazugehört. Zum Glück war ich aber nicht der einzige Neue im Plenum.

Zuhause wurde uns sehr bald klar, wo die Schwächen der autonomen Ansprüche lagen. Gegen den ausdrücklichen Willen unseres altlinken Freundes, der sich zum Wortführer der Politfraktion gemacht hatte, setzten wir nun eine Party nur im Fummel durch. Mit dem daraufhin aufbrechenden Streit hatten wir dann aber doch nicht gerechnet. Die Altautonomen brachten sogar eine Tunte aufs Krisenplenum, die uns in aller Form deutlich machte, wo der Haken lag: linke Antifa-Macker würden niemals eine Party in Frauenkleidern besuchen! Und so war es auch. Zu Dutzenden wiesen wir Leute ab, die sich nicht auffummeln mochten. Mit dieser Aktion distanzierte die Baustelle sich massiv von der linksradikalen Szene - und unsere Partyfraktion setzte sich endgültig gegen die Politfraktion durch. Ich selbst verkleidete mich als Kampflesbe, und begriff dabei endlich, worin der Spaß beim Fummeltragen liegt.

Seltsamer weise respektierte die Heteroszene, in deren Hausprojekt wir immerhin unsere Kneipe abhielten, uns danach eher mehr. Beflügelt vom Erfolg wagten wir immer neue und absurdere Veranstaltungen. Es gab Abende des fussbetonten Bedienens, ein Sockentheater, wir gingen mit der ganzen Kneipe in den Park, und wir marschierten in den Fanladen des FC St.Pauli, der damals in der Szene absolut sakrosankt und für Homosexuelle sowieso unberührbar war. Dort beschwerten wir uns über schwulen-feindliche Sprüche im Fanmagazin. Wir hatten schamrote Köpfe dabei und schweissnasse Hände, aber das war nichts gegen die Pein der tätowierten Stiernacken uns gegenüber. Tucken in ihrem Laden... sie wünschten sich, ihre Mutter hätte sie nie geboren.

Schliesslich, am Jahrestag der Kapitulation des 3. Reiches, hängten wir im Viertel Plakate auf mit dem Titel "9. Mai - mach mich frei"; auf für die Baustelle inzwischen typischen Art luden wir dazu ein, eine Europakarte von braunem Pudding freizuspachteln. Noch in der gleichen Nacht wurden diese Plakate abgerissen, oder mit "Deutsche Täter sind keine Opfer!" überklebt. In einer seltsamen Allianz sind sowohl rechte Altnationale wie linke Antideutsche der Meinung, das es Deutschen nicht erlaubt ist, diesen Tag zu feiern. Was den rechten ihre Leitkultur, ist den linken ihre Leidkultur. Beide mögen es nicht, wenn ihr gemeinsamer Fetisch Deutschland durch den Kakao gezogen wird. Auch unser altlinker Freund intervenierte ein letztes mal - erfolglos. Wir gewannen den Plakatkrieg. Und feierten den Tag der Befreiung!

Der besondere Stil der Baustelle war Anfang der Neunziger ziemlich ungewöhnlich. Unser gemeinsame Plattform war nicht mehr das radikale oder gar revolutionäre Selbstverständnis der Autonomen, sondern aggressive Unkommerzialität. Und ein weniger offensichtlicher, aber nicht minder strenger Zwang zum Individualismus. Wir waren damit sehr erfolgreich - jeden Donnerstag platzte der Laden aus allen Nähten - und vielleicht zu erfolgreich, denn im Laufe der Jahre verstieg sich diese Haltung zu einer Art Privatmythologie.

Deren finaler Ausdruck ist eine Prozession, in der die Baustelle die Gebeine der Hannelore zum Hafen trägt. Die Hintergründe dieser (großartigen) Geschichte sind für Außenstehende einfach nicht mehr nachvollziehbar. Sie funktioniert als Ausschlussmittel, genau wie früher das Politkauderwelsch der Altautonomen. Doch jede Bewegung hat eine Gegenbewegung, und heute gibt es zwischen roter Flora und Hafenstrasse wieder eine queere Szene, die eher an die Positionen der schwulen Autonomen aus den Achtzigern anknüpft - in deutlichem Kontrast zur schwulen Baustelle.

Aber bevor wir dahin kommen, müssen wir noch einmal LSD nehmen -
im dritten und letzten Teil: Herrenjahre
marcie

Lore: Verstehe ich dich recht, Marcie, dass ihr euch vor allem an der autonomen Szene abgearbeitet habt? Gab es auch Auseinandersetzungen mit der schwulen Szene? Habt ihr euch auch an andere linke, aber nicht autonome Gruppen gewendet? Woher kam die starke Fixierung auf die autonme Linke?  
Abarbeiten: Nee. Wir haben uns von der schwulen autonomen Vorgängergeneration distanziert (siehe Teil eins: "... manche waren davon sehr frustriert"). Diese wiederum war auf die Szene rund um Schanze und vorallem Hafen fixiert. Da sprangen ihre bevorzugten Männer rum: junge Hausbesetzer/Antifas.  
Fixieren: Wir waren viel mehr und viel selbstbewusster Teil der "Szene" als noch unsere Vorgänger. Wir hatten nicht mehr das Bedürfnis, ständig unser "kritisch & politisch" sein nachweisen zu müssen. Die Hafenstrasse zum Beispiel ging uns völlig am Arsch vorbei. Und mit dem Tag der Befreiung hatten wir plötzlich eine vollkommen eigene politische Position.  
schwule linke Vor 1992: Genau das haben politische Schwule vorher immer sehr sorgsam vermieden. Sie wollten ja akzeptiert und anerkannt werden von den linken Heteros. Sehr deutlich wird das an der erwähnten "Tunten für die Hafenstrasse" - Demo. Das ist die erste Welle: Schwule solidarisieren sich öffentlich mit der linksradikalen Szene (der sie, daß ist das entscheidende, NICHT als erkennbare gruppe angehören)  
schwule linke nach 1992: wir hatten diese Einstellung nicht mehr. wir trafen uns als lockerer schwuler block inzwischen mehr- oder weniger selbstverständlich auf allen möglichen Demos, auch gern mal im Fummel. Und hatten eben in vielen Dingen auch eigene positionen, die von denen der heterolinken abwichen.Aber das war weder für die noch für uns ein Problem. Es gab nicht die befürchteten Rückschritte bei der Akzeptanz von Schwulen innerhalb der linken Szene - eher im Gegenteil.  
So RICHTIG abgearbeitet: aber wirklich wortwörtlich, haben wir uns an der Schwulenszene! Am Anfang war es einfach hip, gegen die bürgerlichen Schwulen zu sein. Aber wir haben jahrelang unentgeldlich gearbeitet und uns abgemüht, um eine von uns imaginierte "stumpfe schwule Masse" aufzuwecken und einzelne Individuen aus ihr heraus zu lösen. Nur gab es diese Erlöserszene nie. Genausowenig wie unsere Vorgänger jemals einen hübschen Autonomen von der Heterosexualität erlöst haben, haben wir je eine hübsche Schwuchtel von ihrer Kommerzialität bekehrt.  
Und darüber: sind wir zu den seltsamen alten Männern geworden, die wir heimlich schon immer bewundert haben ;-) -- (aber das sollte eigentlich alles in teil 3 stehen)  
Lore: Interessant, interessant, liebe Marcie. VErstehe ich dich aber richtig, dass sich da immer noch eine klare Grenzziehung durchzieht: hetero hier - schwul da? Die Schwulen sind jetzt zwar ein selbstbewusster und selbstverständlicher Teil der linken Szene, aber eben immer noch sehr abgetrennt und auf sich gestellt? Gabs auch Vermischungen und Verwischungen?  
jens: toll. genauso hab ich die baustelle auch erlebt.  
Marcie: Da verstehst du mich richtig, liebe Lore. Heute organisieren sich politisch interessierte Schwule eher mit anderen Schwulen, und reklamieren dann ganz selbstverständlich eigene Positionen in der linken Szene. Die Möglichkeit dazu verdanken sie (bzw. wir) natürlich den Leuten, die sich in den 80ern so ausdrücklich auf die Linke bezogen haben.  
rrrrrrrrriotgrrrrrrrrl: hallo, gibt es denn in der ganzen geschichte nicht eine frau? eine klitzekleine lesbe vielleicht oder aber auch eine polit-autonome hetera? da wird sich seit jahren von der schwulen baustelle gewundert, dass nicht so viele frauen kommen, und ich denke mir seit jahren, könnte auch am namen liegen und dann kommen solche texte und ich fange an zu begreifen, dass das frauen einfach gar nicht präsent sind im denken. herzlichen dank!!  
Die Baustelle und das Patriarchat: Als die schwule Baustelle entstand, war Geschlechtertrennung politisch sehr in Mode! Aus der Frauenbewegung kam die Einsicht, dass in gemischten Gruppen die Männer sich doch wieder auf Kosten der Frauen profilieren. (Gefordert wurden damals z.B. auch getrennte Schulklassen für Mädchen und Jungen!) Wenn, dann machen Frauen deshalb eine eigene Gruppe. Ein Männerzusammenhang, in dem "auch Frauen mitmachen dürfen", galt als ...  
patriarchale Entgleisung ersten Ranges!: Statt dessen sollten Frauen in Frauengruppen ihre Kraft entdecken. Und Männer in Männergruppen ihre Gefühle. -- Heute sind wir alle Queer, und alle ein bißchen schlauer. Nur für die Baustelle kommt der Wandel vielleicht zu spät. Ein über 10 Jahre stabiler Zusammenhang hat eben eine gewachsene Struktur.Und die lässt sich nicht per Beschluss ändern. In dieser Frage ist die Baustelle einfach überholt.  
Und du, rrrrrrrrriotgrrrrrrrrl:: könntest jetzt einfach sagen: die Zeiten der Geschlechtertrennung sind vorbei! Da hast du den Schwachpunkt gefunden, mit dem du den Laden aufmischen kannst. (irgendwie erinnert mich dein beitrag oben an mein erstes flugblatt ... ;-) // marcie  
HH aus provinziellem Blickwinkel: Die oben erwähnte Prozession mit Hannelore zum Hafen passte für mich (vom Stil her?) gar nicht zu den tollen queerrr street days. Ist das ein Ausdruck für den erwähnten Unterschied von Bewegung und Gegenbewegung? Und worin unterscheiden sich Positionen von Baustelle und "queerer Szene" inhaltlich?  
rrrrrriotgrrrrrrrllllllllll: marcie danke, dein erstes flugblatt würde ich gerne mal lesen. die geschichtliche aufklärung fand ich auch interssant und ich gebe zu solche punkte nicht bedacht zu haben. anderseits was war mit den heteras?  
kraichkowka: "heute sind wir alle Queer, und alle ein bißchen schlauer" ach marcie, ich habs dir nie gesagt, aber ich liebe deinen trockenen Humor...manchmal zumindest.  
hmm?!;-)): kommt da dann auch ma vor,im nächsten teil, dass männer in uniform ( als fetisch nicht als berufsbekleidung) einfach nicht mehr bedient wurden- wahrscheinlich weil politisch nicht korrekt und dass ich immer mehr leute kenn, die sich in der baustelle nicht wohlfühlen, weil es immerzudeutschschwermütig abgeht und lachen nicht politisch is und sex schon gah nich´???!!!! und wo sind in dieser stadt die schwulen redskins ?! in der baustelle jedenfalls nicht. und , wenn ich recht informiert bin gabs die da mal....  
Marcie @ hmmm: Verstehe ich das richtig? Deinen Fetisch (also Uniformen), den muss man einfach gern haben - aber der Fetisch anderer Leute (schwermütiges Theater zum Beispiel ;-), der darf einem schonmal lästig sein?  
naumi @ hmm?!;-)): Vielleicht gibt es zzt. in der baustelle ja auch manchmal grad keineN hinterm Tresen, der/die überhaupt gerne in der Situation "(be-)dient"... ;)Mal ernsthaft: Da es sich um keine bezahlte Dienstleistung handelt, kann es wohl schon mal passieren, dass beim Ausschank persönliche Anti- oder Sympathien ´rüberkommen. Ich glaube, dass dürfen sie aber auch.