Es ist unbestreitbar: Die erotische Qualität von Baumärkten hat nachgelassen. Den echten Baumarkt gibt es nicht mehr oder nur noch sehr, sehr selten. Baumärkte sind heutzutage zu Heimwerkermärkten degeneriert. Zu diesem Ergebnis kamen Onan Onair und Sascha Berlinskij bei einem Fachgespräch über Knarrenkästen.
Onair: Also für mich ist der Geruch wichtig, wenn ich einen Baumarkt betrete. Ganz furchtbar, dass es neuerdings überall Bäckereien im Eingangsbereich gibt. Der Geruch von gebackenem Brot dringt bis in den Baumarkt vor und zerstört die Mischung aus Farben, Holz, Gummi und Öl.
Sascha: Ich finde ja auch Zement- und Lösungsmittelgeruch absolut geil. Aber in den heutigen Märkten ist alles immer verschweisst und versiegelt; da riecht es allenfalls nach Plastikverpackungen - und eben nach Bäckerei. - Für mich steht jedoch das haptische Moment immer im Vordergrund: Maschinen und Werkzeuge anfassen und streicheln.
Onair: Da gibt es ja neuerdings schon auch wieder Verbesserungen: Schrauben und Muttern, die es früher nur abgepackt gab, kannst du jetzt schon wieder einzeln anfassen.
Sascha: Das Anfassen ist unersetzlich für die Baumarkterotik. Das haben mir auch immer wieder Frauen bestätigt, die nur in Baumärkte rennen, um z.B. Bohrmaschinen in die Hand zu nehmen.
Onair: Insgesamt ist leider der Trend zum Fertigprodukt festzustellen. Immer öfter findet man schon vorgefertigte Elemente - in dem Zusammenhang fällt mir ein, ganz schlimm sind diese Badezimmer-Abteilungen oder die unambitionierten Möbelzusammenstellungen...
Sascha: Ja, das regt die Phantasie nicht mehr an, sondern törnt nur ab. Früher als Kinder haben wir aus einzelnen unspezifizierten Lego-Steinen komplexe Welten aufgebaut, heute gibt es Bausätze mit Halbfertigteilen, aus denen du nur ein bestimmtes Raumschiff oder so bauen kannst. Vielleicht ist das auch ein Unterschied zwischen "bauen" und "heimwerken".
Onair: Ehrlicherweise heissen die Baumärkte ja auch "Bau- und Heimwerkermärkte". Entsprechend hat sich das Publikum verändert. Du kannst heute eigentlich nur noch vormittags hingehen. Da findest du noch den authentischen Baumarkt-Kunden, den Handwerker eben, na ja, manchmal sogar auch einen Bauarbeiter. Deshalb ist der Geruch auch tage- und stundenweise unterschiedlich. Geh niemals am Wochenende in einen Baumarkt. Nur wenn du unbedingt musst.
Sascha: Ob wohl das Werkzeug-Anfassen nur eine Ersatzbefriedigung ist für das Bauarbeiter-Anfassen? Nein, Werkzeug hat schon eine eigene Erotik. Allerdings erst, wenn es Gebrauchsspuren trägt, wenn es wirklich dein eigenes Werkzeug geworden ist; Werkzeug für´s Leben. Hab ich Dir schon mal meine Bohrmaschine gezeigt?
Onair: Nein, zeig mal. - Ich finde ja, schon allein deshalb muss die Maschine gut sein, damit sie lange hält und durch Dick und Dünn mit dir geht. Meine Maschine ist schon über zwanzig Jahre alt. Leider geht der Rückwärtsgang jetzt nicht mehr.
Sascha: Ich musste mir übrigens schon wieder einen neuen Knarrenkasten kaufen. Schau mal hier: der ist jetzt ein Qualitätsprodukt. Also, ich hab´ immer Probleme mit Knarrenkästen gehabt...
Onair: Ich kenn´ das nur als Rätsche...
Sascha: Rätschenkasten?
Onair: Kann sein. Das richtige Werkzeug ist unbedingte Voraussetzung für lustvolles Bauen. Wenn ich schon beim Werkzeug improvisieren muss... Also z.B. eine Mutter mit einer Rohrzange lösen, bloss weil der richtige Schlüssel fehlt. Und dann rutschtst du ab und verletzt die Mutter!
Sascha: Die Mutter zu verletzen, ist ja meist noch schlimmer, als sich selbst zu verletzen. Meine Mutter hat mir auch begebracht, wie wichtig Ordnung ist im Leben. Deswegen finde ich Ordnung auch in Bau- und Heimwerkermärkten sehr wichtig, ja geradezu essentiell. Das ist so geil: ein ganzes Regal nur voller Schrauben: der Grösse nach geordnet, der Farbe nach geordnet und alphabetisch nach Herstellerfirmen geordnet...
Onair: Ich schätze aber auch die gepflegte Unübersichtlichkeit. Also wenn alles so klar gegliedert ist, kann ich nichts mehr entdecken. Und was noch viel wichtiger als Ordnung ist, das ist eine gute Betreuung. Ich brauche keine Fachverkäufer, sondern Bau-Problem-Betreuer. Jemanden, der an einer Problemstellung und ihrer Lösung wirklich interessiert ist, weil er das selbst schon mal durchlitten hat oder eines Tages durchleiden könnte. Wenn der dann noch gut aussieht, mein Gott...
Sascha: Nein, ich erwarte keine Hilfe. Zumindest nicht in einem Bau- und Heimwerkermarkt. Und der optische Reiz von solchen Märkten ist insgesamt doch eher gering: denk´ nur mal an die Lampen- und Kleinmöbelabteilungen - das pure ästhetische Grauen. Da muss ich immer an mein Jugendzimmer denken. Hat die heutige Jugend eigentlich noch Jugendzimmer?
Onair: Ja, die Optik kann einen in einen echten Baumarkt-Doublebind bringen. "Herkules" in Biedenkopf beispielsweise. Man kriegt dort weiss Gott wirklich nicht alles, aber eine echte Problembetreuung. Nur schade, daß die Leute da im Oberhessischen alle so scheisse aussehen. Alle übergewichtig, wahrscheinlich Schweinefleischfresser. Aber herzensgute Menschen, bei denen ich wirklich für jedes Bauproblem eine Lösung bekommen habe. Oder zumindest einen weiterführenden Gedanken. Ja, ich präferiere "Herkules" in Biedenkopf. - Da gibt es übrigens auch keine Jugendzimmer.
Welchen Baumarkt präferiert wohl Sascha Berlinskij? Lesen Sie dazu mehr in unserer nächsten Ausgabe, wenn es wieder heisst: Es gibt keine Baumärkte mehr...!
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