Erinnerung an schwule Cliquenbildung
Warm Up in Frankfurt 1987
Ernst Meibeck-Makarowsky



Für Ernst Meibeck, der nun
doch schon ein paar Jahre
unter der Erde liegt.

















von Onan Onair
Noch vor ein paar Jahren gab es auch bei den Homos sportlich-politische Veranstaltungen. Mit Trainern wie Rio Reiser, Ernst Meibeck oder Manfred Mauernbrecher, den Kumpels von "Brühwarm". Seelengymnastik vom Feinsten gegen die schleichende Ideenverfettung, die später als Kompromiß Karriere machte. Onan Onair ist auch schon ein paar Jahre dabei und konnte deshalb gerade noch in den Genuß einer der letzten dieser Veranstaltungen kommen. Die waren hochprofessionell und hatten dennoch weniger den Charakter einer religiösen Ikonenverehrung als den einer Anleitung zum Selbermachen.
"
entartet"
 von brühwarm Es war die Zeit nach "Brühwarm" und den "Scherben".Hier ist sein Bericht, etwas holprig durch die Erinnerung und brüchig, doch frisch zur Mattscheibe und zum Vortrag gebracht, anläßlich der Eröffnung des "Kulturhaus Ernst Meibeck" auf etuxx.com.

Onan kannte Ernst und sagt zu ihm: "Dieses Kulturhaus, das deinen Namen trägt, ist zwar nur virtuell. Aber virtuell bedeutet heutzutage schon viel. Mehr jedenfalls als zu Deiner Zeit, als sich die Wünsche noch in greifbar nah oder hoffnungslos entfernt einteilen lassen mußten. Vielleicht gehen wir jetzt diesen Weg, weil er das hoffnungslos Entfernte in greifbare Nähe rückt. Verzeih, wenn das ein Irrtum ist."
Doch da ist das Konzert schon rum, die letzte Zugabe verklungen. Rio sitzt in der provisorisch eingerichteten Garderobe. Vor einem Spiegel ohne Funktion, weil es hier nichts abzuschminken gibt. Ein paar Stühle, ein Tisch mit vollen Aschenbechern, mehr nicht. Das ganze in Frankfurt-Eschersheim, oder war es -Eckenheim? Praunheim war es jedenfalls nicht. Volksbildungsheim. Heime gibt es ja auch in Frankfurt viele. Ein paar Kumpels von Rio kommen dazu. Ernst Meibeck kennt Rio Reiser und ich kenne Ernst. Also bin auch ich ein Kumpel.
Ernst kommt aus dem Ruhrpott und lebt in Hamburg. Habe ihn 1985 bei der "Besetzungsprobe 2.Bild" kennengelernt. Als die Kampnagel-Fabrik auch von Leuten aus der Off-Theater-Szene besetzt wurde und ich freies Radio machen wollte. Freies Radio und freie Bühnen gab es nicht, und so mußten leerstehende Maschinen-hallen gegen Polizeiprügel und Kulturpolemik erobert werden. Das Spiel unter Lastkränen wurde erst später populär, als Familie Schmidt zum Hamburger Theaterimperium mutierte und aus Ernie Reinhardt Lilo Wanders wurde. Ja, auch die waren dabei. Ich lernte auf einer der winterkalten Probebühnen gerade steppen und putzte dafür die Klos im leeren Verwaltungstrakt. Dort war es schön warm. Warm war es auch in der neu eröffneten Werkskantine, wo ich Ernst Meibeck traf. Der Traum, zu einer schwulen Clique zu gehören, war uns allen gemeinsam; weniger zu einer Schauspieltruppe als zu einer Streetgang. Die gabs natürlich nicht. Auch nicht in ausgedienten Fabrikanlagen und schon gar nicht in Hamburg. Ernst, der Kumpel, hatte im Ruhrpott schon Erfahrungen gemacht. Beim Aufbau der "Zeche Karl".
Rio läßt die Sektflasche kreisen. Ich denke: endlich mal ein Schwuler, der älter ist und trotzdem geil aussieht. Super Ausstrahlung, könnte ihm glatt an den Schwanz. Hat auch diese schwarzen Klamotten an, die so praktisch sind. Autonomes Outfit, bügelfrei und selbstreinigend. Verwildert, nicht verkleidet. Seine verschwitzen Haare hängen in Zotteln runter. Und diese Stimme! Könnte ein Hörspiel nur mit dieser Stimme machen. Eines über Sex und Häuserkampf. Eines, in dem die Steine direkt aus dem Lautsprecher fliegen. Ein Hörspiel, das keine Redaktion der Welt will, weil Rios Stimme den Ton erzeugt, der unverantwortlich ist. Den Sound ohne Gewähr, der die Membranen deiner Mitteltöner zerreißt. Auch Ernst hatte die Stimme dazu gehabt.
Und die Radiospreche mit Sollbruch- stelle: "Hier ist Radio Herbert, die Arschficker senden zurück." Das Radio-Konzept, an dem Ernst, ein paar Leute und ich strickten, scheiterte dann doch. Zwar hatte das sozialdemokratische Radio 107 auf 106 Komma Acht Interesse bekundet. Die Chefredakteurin wollte was wagen, natürlich nur ohne den einen oder anderen Zynismus. Und Sponsoren hätten wir auftreiben können, aus der Gay Community, die es damals schon gab. Daß aber der Rundfunkrat von Radio Herbert selbst keine schwule Clique war, sondern zumeist aus Funktionären mit Scheren im Kopf bestand, hat letztlich vereitelt, daß die Arschficker jemals auf Zurücksendung gingen. Radio Herbert auf Sendung
In der Garderobe rutschen wir auf unseren Stühlen hin und her. Die Diskussion bewegt. Neben mir rutscht Ernst und daneben einer, der Rio gut kennen muß. Bekanntes Gesicht auf allen Demos. Sein linkes Auge steht irgendwie völlig quer, weshalb der Typ unschwer zu identifizieren ist, auch für die Polizei-Observation. Der hatte es bestimmt besonders schwer, ist auch schon mal eingefahren und redet jetzt auf Rio ein. Vielleicht haben die ja auch mal was miteinander gehabt. Der quasselt jedenfalls ununterbrochen. Wieso Rio jetzt in der Oper in Talkshows auftritt. Das sei doch Verrat an - ja an was? Na jedenfalls an den Kumpels, die sich nicht mal den Sekt hier leisten können. Und an den Kerls, die Steine auf Opernhäuser werfen, in denen sich Rio, der König von Deutschland, neuerdings feiern läßt.
ohne eintritt nix kultur
Der König schenkt ihm Sekt nach. Nicht als Antwort oder aus Kalkül, sondern weil sein Becher leer ist. Rio nimmt den Vorwurf bitter ernst, weshalb eine Diskussion entsteht. Über die "Scherben" und über "Brühwarm". Über den Sinn und Unsinn des Musik-Business und wie schwer es ist, eine Band zu gründen oder auch nur einen guten Musiker zu finden. Ich verstehe nur wenig von diesen Gesetzen, nur soviel, daß es keiner Kunst und keiner Welt was nutzt, wenn sie nur im eigenen Stübchen stattfindet. Und daß man versuchen muß, sich noch zu Lebzeiten Gehör zu verschaffen, weil Posthumes immer zahnlos ist. Die Tüte kreist, und Ernst nimmt Rio in Schutz. Ihre Koalition ist mir suspekt. Der abgeklärte Ton frustriert mich. Ist es die Erschöpfung nach dem Konzert? Oder der Zynismus des Einzelkämpfers, der seine Gruppe verloren hat? Rio ist jetzt solo und Ernst versucht auch gerade eine eigene Karriere. Mit Texten von Detlef Meyer, der allerdings viel zu viel Geld dafür will. Auch Meyer ist solo, ein Schriftsteller kämpft ja immer allein, doch Meyer hat schon einen Namen, den er sich bezahlen lassen will. Hat lange genug gedarbt. Ernst lebt auch allein, schreibt selbst, arrangiert und komponiert auf einem Atari. Abstürze sind da vorprogrammiert.
the music-composer
Die Diskussion geht bald zu Ende, mit einem ersten vorläufigen Ergebnis. Der Verrat findet ganz woanders statt. In den linken Gruppen, die sich selbst zerfleischen. Mal geht das ganz schnell und offen, meist aber langsam und versteckt. Der mit dem schiefen Blick ist stiller geworden, und Rio packt seinen Kram zusammen. Auch Ernst war in vielen Gruppen, in denen es psychomäßig hart herging. Cliquen waren das nicht, wohl eher Seelen-Dreschmaschinen. Und es waren ja die 70er. Zuletzt war er in Act Up. Dr. Meibeck-Makarowsky mit einem großen Brett vor dem Kopf. Der falsche Gott in Weiß auf der Hamburger Mönckebergstraße verteilte täuschend echte Pillen in Tablettenröhrchen nebst Beipackzettel und zog sich so nicht nur den Haß der Pharmazeuten zu. Auch den der Götter. Und sah noch besser aus als sonst. "Ich trage ein berühmtes Virus in mir", mit ärztlicher Empfehlung. Dann hatte er wohl die Schnauze voll.
act up act up act up
"Homo Bar" in der Hafenstraße? Kam danach. "Schwule Baustelle" auf Wanderschaft? Ist ja interessant, daß es so was wieder gibt. Ernst Meibeck blieb jetzt lieber ganz allein. Und "Warm-Up" Frankfurt? Wofür hatte man sich eigentlich aufgewärmt? Ernst starb am 10.Oktober 95 und liegt jetzt in Hamburg-Ohlsdorf. Ein halbes Jahr zuvor war ich nach Berlin gegangen, und Meibeck hatte sich die ersten zwei Sessel seines Lebens gekauft. Ich war entsetzt, als ich einmal zurückkam und sie sah. Zwei klobige Ledersessel mit echten Leder-Noppen. Die Möbel waren nicht einmal bequem. Standen in seiner Wohnung wie das Denkmal des Mutierten Kumpels. Toni schlich um das Arrangement herum, ohne sich allerdings die Krallen zu wetzen, was er bei Besuchern schon mal tat. "Eine Katze ist ein Raubtier", bekam ich zu hören, wenn ich darüber klagte, daß sich der Kater wieder einmal in mich verhakt hatte. Der legte sich dann in das Denkmal, mal auf die eine, mal die andere Seite. Der war es ganz sicher: Ernst Meibeck-Makarowskys Kumpel aus der schwulen Clique.

sprachlos schön: ist das. Es lebe die Kultur auf etuxx!  
j: das war vor meiner zeit  
Marcel Reich-Ranicki: Es ist eine Unart junger, wilder Autoren, ihre Leser durch unvermittelte Satzfragmente zu verwirren. Beispiel: letzter Abschnitt, erste Zeile. In dieser Interpunktion gibt es mindestens fünf Interpretationen für das "Kam danach.". Deshalb konnte ich mich auch schon mit Stuckradt-B. nicht anfreunden. Abgesehen davon: schön. Besonders der Schluss mit Ledersesseln und Kater.  
Anna Resoluta: schöner text, wahnsinnig gut geschrieben, leider fehlen mir die informationen zu hernn Meibeck.  
der AutOr: Sehr geehrter Herr Reich-Ranicki. Vielleicht habe ich ja das Glück, Ihnen noch einmal auf dieser Seite zu begegnen, sodaß Sie mir und unseren werten Leserinnen und Lesern die fünf Interpretationen der Interpunktion in einem kleinen aber feinen Exkurs entfalten. Ich habe die stille Hoffnung, aus Ihren Interpretationen die ein oder andere Erfahrung mit der Homo-Bar in der Hafenstraße lesen zu dürfen. Man kommt sich diesbezüglich ja schon wie ein Dinosaurier vor.  
MRR: Sie müssen mich für jemanden halten, der ich nicht bin, verehrter AutOr. Zu meiner Hamburger Zeit (92 bis 99) spielte die Hafenstraße schon keine Rolle mehr. Zumindest gongte mir die Homo-Bar in siebén Jahren Hamburg nie ins Bewusstsein, die schwule Baustelle aber sehr wohl. Auch Rote Flora u.ä.  
Gesucht: HH-Homo-Bar Experte: Ist Heinz, der Initiator, eigentlich wirklich an AIDS gestorben, oder sind das nur Gerüchte?