Traumziele und Zielträume zum Wohlfühlen
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Von meinem Meister kurzerhand ins mit Spielzeug vollgeladene Auto gepackt, erreichte ich nach einer Fahrt mit einigen feuchten Zwischenpausen das Gelände, auf dem der dänische Verein für Sadomasochismus wöchentliche Camps zu unterschiedlichen Themen für Homos und Heteros veranstaltet. Der alte ehemalige Bauernhof mitten auf dem Lande ist ideal zum Erforschen und Ausleben verschiedenster erotischer Fantasien. Es gibt mehrere Spielzimmer, einen Dungeon in einem ehemaligen Kuhstall, eine Knastzelle mit der aussagekräftigen Nummer 13, dann Räume, die entweder mehr an Krankenhaus- oder Schulzimmer erinnern - je nach sexueller Gemütslage - und schließlich eine Nasszelle mit Sauna. Neben meinem Meister und mir sind noch gut über vierzig andere Typen zwischen 30 und 60, die aus Skandinavien, Großbritannien, den Niederlanden und den deutschsprachigen Staaten kommen, mit von der Partie. Umgangssprache ist Englisch, aber die zahlenmäßig starke deutschsprachige oder deutsch sprechende Klientel ist deutlich zu hören.
In der ganzen Gruppe trifft man sich anlässlich des Abendessens, das ein Scherzkeks von barocker Körperfülle, der dort quasi zum Inventar gehört, stets lecker zubereitet. Bei dieser Gelegenheit werden auch wichtige Ansagen gemacht: Die goldenen Regeln des gegenseitigen Umgangs werden aufgezählt, Arbeitsaufgaben für Organisation und Sauberkeit verteilt und es gibt eine Vorstellungsrunde, bei der sich die alten Hasen des Camps schnell zu erkennen geben und jeder nach Möglichkeit seine Spielwünsche offenlegt. Außerdem ist diese Zusammenkunft auch die Gelegenheit, bei der die übeltäter, die ihre Getränkerechnung nicht wie festgelegt zwischen elf und zwölf des Folgetages beglichen haben, öffentlich angeprangert werden, was dann wiederum die Möglichkeit gibt, dieses Vergehen angemessen zu bestrafen. Schließlich wird auch Frühsport angeboten, ein Umstand, dem ich mich aus familiären Gründen, auf die ich hier nicht näher eingehen möchte, nicht entziehen konnte.
Während man sich am Anfang der Woche erst noch vorsichtig beschnuppert und die etwas avancierteren sexuellen Spielarten noch hinterm Busch lässt, geschehen im späteren Verlauf die üblichen gruppendynamischen Entwicklungen, die man auch von anderen ähnlichen Anlässen kennt, wenn eine Gruppe von Menschen unter einen bestimmten gemeinsamen Nenner auf engem Raum in einer nicht alltäglichen Situation intensiv miteinander zusammenlebt. Es entsteht ein „team spirit“, Untergruppen schälen sich heraus, es kristallisieren sich Sympathien und Antipathien und man wird unternehmungslustiger. Es treten auch die gewohnten Probleme auf: einige werden nicht in die Gruppe integriert oder finden nicht das, was sie sich erhofft haben. Im Verlauf der Woche reisen deshalb auch einige ab.
Vor allem aber ist dieses Camp eine Gelegenheit, sich mit seinen ganz individuellen Lüsten und Begierden zu zeigen und damit andere zu verführen. Die einen Tragen ihren Fetisch oder ihre Spielzeuge, die anderen ihre Striemen oder erotischen Identitäten zur Schau. Verblüffend ist die Vielfalt von S/M, die hier vorgelebt wird: Meister mit ihren Sklaven, nicht festgelegte so genannte „switch bitches“, schmerzgeile Endorphinschweine, wild tobende Spielkinder und Gummisäue oder eher detailverliebte Virtuosen auf der Klaviatur der Körpers. Natürlich geht es auch um Männlichkeit, um Härte und um Macht, aber immer stehen die Gefühle, die dadurch ausgelöst werden, im Vordergrund. Und es wird viel, viel kommuniziert, um die verschiedenen Wahrnehmungen und Wünsche miteinander ins Lot zu bringen, damit es möglich wird, sich gegenseitig in den oft sehr eigentümlichen Vorstellungen zu respektieren und zu helfen, anstelle sich gegeneinander auszuspielen. Das bekommt dann oft eine nicht nur genüssliche, sondern auch therapeutische Dimension, weil die teils intensiven körperlichen Grenzerfahrungen existenzielle Vertrauensfragen und mancherlei Seelenmüll zu Tage fördern. Da wird genauso viel gestöhnt, wie geweint und gelacht. Jeder geht auf eine Reise in seiner ganz eigenen Realität, taucht darin immer mehr ab.
Um eine Atmosphäre zu schaffen, bei der das alles rausgelassen werden kann, ist es nötig, sich das erst einmal vorbehaltlos und kommentarlos anzusehen. Auf Außenstehende mag diese neutrale Beobachtungshaltung schnell gleichgültig oder abgebrüht wirken. Sie ist aber notwendig, um nicht gewaltsam in die Fantasien der anderen zu intervenieren, weil man nie wissen kann, welche Bedeutung etwas für den anderen haben kann und was man damit auslöst.
Um auch einige Ereignisse zu schaffen, an denen sich alle beteiligen können und die den Zusammenhalt der Gruppe fördern, gibt es am Dienstag Nachmittag eine öffentliche Versteigerung von je fünf Meistern und Sklaven, die in einer vorherigen Abstimmung ausgewählt wurden. Der Käufer erwirbt das Anrecht auf eine Stunde gemeinsames Spiel in einem vorher verabredeten Rahmen. Ein bisschen narzisstischer Exhibitionismus und Neugier auf Begegnungen gehört schon dazu, um so etwas mitzumachen. Mein Meister lässt diese markwirtschaftliche Sprengung angestammter Eigentumsverhältnisse argwöhnisch, aber gutwillig geschehen. Der Erlös fließt in die Baukasse für die Verbesserung der örtlichkeiten. Ich bin bei 135 Kronen, also knapp 35 Mark, unter dem Hammer gelandet. Ich bin eben billig zu haben... An zwei Tagen findet eine Lederwerkstatt unter kundiger Anleitung statt, bei der ich zusammen mit meinem Meister einen Keuschheitsgürtel nach einem Modell bastele, das uns ein anderer Teilnehmer freundlicherweise zur Verfügung stellt.
Je mehr ich mich auf das dauerhafte Spiel mit bestimmten Hierarchien einlasse, desto mehr steigt in mir auch die Lust, dagegen zu rebellieren. Die Rebellion ist ja mehr ein sich Abarbeiten an Hierarchien als bereits ihre überwindung. Offensichtlich geht es mir damit nicht allein, denn im Untergrund mehren sich subversive Tätigkeiten und Zusammenrottungen einer sich auf Spartacus berufenden Sklavenbefreiungsbewegung „Slavepower“. Doch die Herrschenden schlafen nicht und versuchen ihre Macht zu sichern. Der Sklavenaufstand bricht vor dem letzten Gang des donnerstäglichen Dinners aus: Plakate werden hochgehalten, Transparente entrollt, Parolen skandiert, ein Meister in Ketten gelegt. Die Kräfte der Reaktion kennen aber alle Schlüsseltricks, und der Meister ist so schnell befreit wie die Aufrührer bestraft und eingeknastet sind. Rufe nach einem Anwalt und neutralen internationalen Beobachtern verhallen ungehört. Nur unter Zuhilfenahme eines Untergrundnetzwerkes von Helfeshelfern gelingt die Flucht aus Zelle 13. Beim Versuch, die öffentliche Auspeitschung eines der Aufständigen zu vereiteln, werden allerdings schließlich die Rebellen eingekesselt und gezwungen, öffentlich abzuschwören. Im nächsten Jahr geht der Kampf in die nächste Runde. Ich habe mich dabei an manche politische Kampfeserfahrung erinnert gefühlt mit dem Unterschied, dass mein Wunsch zu gewinnen und mein Wunsch zu verlieren sich in etwa die Waage hielten. Ein zufriedener Sklave ist eben ein schlechter Revolutionär...
Im Zusammenhang mit der linksradikalen „Homolandwoche“ war oft vom Versuch die Rede, eine Utopie leben zu wollen. Vielleicht gilt das auch für das SM-Camp, wenn es sich natürlich bestenfalls auch nur um eine sehr voraussetzungsvolle partikulare, aber dafür konkrete Utopie handeln kann, und die hat sicher etwas mit radikaler lustvoller Selbstverwirklichung in der Gemeinschaft zu tun. Abgesehen davon, dass eine solche gelebte Utopie selbstverständlich ihre problematischen Ausschlüsse und Grenzziehungen hat, finde ich daran interessant, dass bestimmte konfliktreiche Widersprüche ganz notwendig zu dieser Utopie dazugehören, dass die heile SM-Welt also auch immer eine spannungsvolle, mehrdeutige und veränderliche ist. Reale Machtkämpfe sind sicherlich abgemildert, aber werden nicht ausblendet, sondern lassen sich vielleicht anders erleben als sonst. Was man mit diesen Erfahrungen dann macht, ist natürlich eines jeden eigenes Bier. Einige Linke und SM-Bewegungsschwestern waren jedenfalls auch da.
Ich habe Leute getroffen und mich intensiv auf sie eingelassen, die ich unter den Bedingungen der schwulen und der SM-Szene nie in dieser Art kennen gelernt hätte. Und selbst zwischen meinem Meister und mir wäre es zu bestimmten intensiven Momenten anders wohl nicht gekommen.
Ich habe jetzt übrigens auch ein neues Piercing und „frei“ bin ich jetzt auch nicht mehr ganz.
Ratz
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