Ich kenne das Leben, ich bin im Kino gewesen. Fehlfarben um 1980.
Ok, ganz soweit ist es bei mir noch nicht, aber bei meinem zweiwöchigen Zwangsaufenthalt in den Katakomben der 51. Berlinale ergaben sich durchaus
Gelegenheiten zum Filme ansehen. Ich dachte eigentlich, daß im Homogenre außer abwegigen Stoffen mit Kunstanspruch bzw.
einschläfernden Coming-Out-Schulstunden nichts bemerkenswertes mehr kommt. Aber ich habe mich angenehm überraschen lassen. Vielleicht hatte ich auch nur die richtigen Tipps, ohne die man auf den Filmfestspielen sowieso aufgeschmissen ist.
Zuerst ein gemeiner Verriß: Der Traum ist aus von Christoph Schuch, ein Dokumentarfilm zu Rio Reiser und Ton Steine Scherben. Das sind 92 quälende Minuten depressive Kamerafahrten durch nebeliges Nordfriesland und verregnetes Kreuzberg, die mit lauen Konzertaufnahmen
verschnitten sind. Dazu nicht enden wollende statische Kameraeinstellungen
auf meist angegraute Musikerlabersäcke beim Labern. Und wie: Wer schon
bei endlosen Mehringhofplenen ("Mehringhof": Berliner Hausprojekt in
Selbstverwaltung; d.Red) Pickel bekommen hat, hier bekommt man bei soviel
gedroschenem Stroh endgültig Akne. Kleine Lichtblicke sind nur die
Interviews mit den zwei Frauen aus dem Umfeld der 1986 aufgelösten
Scherbenkommune. Hier kriegt die Britney Spears & Zlatko Jugend (Siegessäule)
vielleicht einen Hauch von Ahnung, warum Revolte und Rock'n'Roll seinerzeit
so unwiderstehlich waren.
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Überhaupt kann
einem Rio Reiser leid tun, wenn man sieht, wer sich heute alles auf ihn
bezieht: Popintellektuelle wie Tocotronic oder Politrapper wie Das
Department gehen ja noch an; andere Bands aber wie Element Of Crime
destillieren aus Reisers Vermächtnis neuen deutschen Beziehungsquark
und verkaufen das dann als irre engagiert. Schlimmer noch ein Herr Rossmy
mit seinem Tillmann Rossmy Quartett , der die kryptochristliche Heilserwartung,
die den alten Scherbenhymnen innewohnt und die ihrem emanzipatorischen Kontext
verlustig gegangen sind, für besonders fortschreibungswürdig hält.
Vielleicht hat der Filmemacher den Leuten ja nur blöde Fragen gestellt
und darauf blöde Antworten bekommen. Ich hege aber eher den Verdacht,
daß Christoph Schuch einfach einen Film von alten Gitarrenrockern
mit Anspruch für junge Gitarrenrocker mit Anspruch, also eine Art,
auf 35 mm aufgeblasene Version der kürzlich erschienenen Erben der
Scherben CD machen wollte.
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Daß sich Ton Steine Scherben als ein sich
den Verwertungsbedingungen der Musikindustrie verweigerndes Musikerkollektiv
bis über die Schmerzgrenze hinaus von der Szene haben ausnehmen lassen,
thematisiert der Film in aller Ausführlichkeit. Daß sie allerdings
mit dieser Haltung zum Vorbild der Independent-Labels der 80iger ff.wurden,
halte ich für reines Wunschdenken. Dazwischen lag Punk, und 68iger
Rübenhippies wie die Scherben waren in dieser Zeit - mal vorsichtig
ausgedrückt - nicht ganz so angesagt. Nur einmal wird im Film erwähnt,
daß Reiser und Lanrue in ihrer Scherbenzeit neben verschiedenen Arbeiten
für ein Kinder- und Jugendtheater auch für die Schwulen-Agitprop-Gruppe
Brühwarm texteten und komponierten; aus Geldmangel (!?) wie
einer der Interviewten sagt. Das bleibt dann auch der einzige Verweis dazu.
Mag sein, daß das eigene Schwulsein für Reiser selbst nicht das
große Thema war. Mich hätte aber doch interessiert, wie eine
Tunte zur Politrock-Ikone der Joschka Fischers der Siebziger Jahre werden
konnte. Irgendwie hege ich sowieso den Verdacht, Rio Reiser hatte sich zwischen
seiner linksradikalen Befreiungstheologie von 1972 (...Schritt für
Schritt ins Paradies) und den Kitschballaden von 1982 (...Du bist in mir,
tief tief in mir, oh oh) erstmal versteckt, um dann später als König
von Deutschland aufzuerstehen . Wie auch immer; das alles spielt in Schuchs
katastrophalem Heten-stricken-sich-Mythen-Film so oder so keine Rolle. Wer
sich den Film trotzdem antun will, kann das bestimmt demnächst in den
einschlägigen Kiezkinos tun. Ich jedenfalls sehe es so: "This
film craps, let's slash the seats" David Holmes.
Wo ich schon bei Musikfilmen bin, kommt jetzt eine gnadenlose Lobhudelei
auf James Cameron Mitchells Spielfilm Hedwig And The Angry Inch.
Wer sich von verwirrenden Inhaltsangaben der Programmankündigungen
mit ihren Vorabreferenzen zur Rocky Horror Picture Show und Velvet Goldmine
abschrecken ließ, hat etwas versäumt. Der Film ist so "queer"
wie er witzig ist und der Glampunkrock von Hedwig And The Angry Inch
läßt einen gerne mal 10 Jahre elektronische Musikerziehung
vergessen.
Die Story geht ungefähr so: Der Ostberliner Hansel verfällt einem
charmanten Sugardaddy-GI, der Hansel zwecks Heirat überredet, sich
den Schwanz abschneiden zu lassen. Das wird dann ziemlich verpfuscht; daher
also der Angry Inch des Titels. Hansel, jetzt Hedwig genannt, findet sich
nach der Übersiedelung in die USA plötzlich als sitzengelassene
Ehefrau in einer abgeranzten Wohnwagensiedlung im finstersten Kansas wieder.
Hedwig jobt als Babysitter für die Familie des Chefs der örtlichen
Army Base und verguckt sich dabei in dessen Sohn, ein computerspielbesessenes
Born-Again-Milchgesicht, das erbärmlich schlecht Gitarre spielt. Hedwig,
der mittlerweile mit einer Band koreanischer Soldatenfrauen in Konditoreien
auftritt, erklärt dem Milchgesicht die Welt, das Leben, den Sex und
alles über Lou Reed und Iggy Pop.
Später macht das Milchgesicht als Tommi Gnosis, eine Art Teenie-Verschnitt
aus Kurt Cobain und Marilyn Manson, mit Hedwigs Songs Karriere und die doppelt
betrogene Hedwig tingelt mit eigener Kombo, bestehend aus exjugoslawischen
Punkrockern, in einer drittklassigen Restaurant-Kette durch jene US-Städte,
in denen sein Ex-Lover Rock-Arenen füllt; immer in der Hoffnung, was
von den ihm vorenthaltenen Tantiemen abzubekommen. Alles klar? Jedenfalls
wird diese Story in Rückblenden erzählt, während die Rahmenhandlung
in jenen Billigrestaurants stattfindet, in denen Hedwig And The Angry
Inch vor einem hoffnungslos überforderten Publikum ihr Letztes
geben.
Der Film basiert auf dem Off-Broadway Musical gleichen Namens (läuft
mittlerweile in Köln - wo sonst - und soll doof sein) von James Cameron
Mitchell , der dann bei dem Film nicht nur Buch und Regie gemacht hat, sondern
auch die Hauptrolle spielt. Daß dabei trotzdem was herauskommen kann,
zeigt er als Hedwig: Den Schmerz, die Selbstaufgabe und die Verweiflung
die er/sie durchmacht, kenne ich sonst nur von Elvira Weishaupt alias Volker
Spengler in "Ein Jahr mit Dreizehn Monden". Mit dem Unterschied allerdings,
daß Fassbinders Figuren an der nachnazistischen BRD-Kälte zerbrechen
mußten, während Camerons Hedwig seiner Wut im amerikanischen
Pop- und Subkulturkontext eine Richtung geben kann.
Aber in erster Linie besticht der Film durch seine subversiven, an John
Waters Filme erinnernde Seitenhiebe auf Alles und Jeden zwischen Mauerfall
und Rock'n'Roll Industrie. Und das ist trotz der hanebüchenen Geschichte
im Gegensatz zu Todd Haynes "Velvet Goldmine" selten aufgesetzt und nie
peinlich. Das kommt nicht zuletzt daher, daß Cameron, Sohn des letzten
Berliner Stadtkommandanten der US Army, eine korrekte Achtziger- O-Bar Sozialisation
hinter sich hat und für Hedwigs atemberaubendes Bühnenoutfit Madonnas
Kostümfundus plündern durfte. Also ins Kino gehen, wenn Hedwig
And The Angry Inch kommt (davon kann man ausgehen, da hinter dem Film
die Produktionsfirma von "Boys Don´t Cry" steht), aber bitte unbedingt
bei den letzten 15 Filmminuten weghören. Unerträglicher Klavierschmonz
verstopft da die Ohren. Mehr
zum Film.
Mein
Lieblingsfilm ist Trembling before G-d, ein Dokudrama von Sandi
Simcha Dubowski (Musik von John Zorn) über Glaube, Sex
und religiösem Fundamentalismus. Über vier Jahre lang reiste
Dubowski zwischen Miami und Jerusalem, London und New York hin und her,
recherchierte, führte offene und anonyme Interviews. In dieser amerikanisch-israelisch-französischen
Koproduktion werden die (Leidens-)Geschichten von Lesben und Schwulen
zusammengetragen, die wegen ihrer Zugehörigkeit zu chassidischen
oder orthodoxen Gemeinden in den unauflösbaren Konflikt geraten,
wie sie ihre ungebrochene Frömmigkeit einerseits und die brutalen,
mit einer aus Bibelzitaten abgeleiteten, homophoben Traditionen ihrer
Gemeinschaften andererseits, zusammenbringen können.
Man fragt sich natürlich unwillkürlich, warum die Betroffenen,
deren sozialer Status und der Tatsache,daß sie alle ausnahmslos
aus Großstädten kommen, trotzdem so hartnäckig an ihrem
Glauben festhalten statt mit ihren Gemeinden zu brechen und in die große,
bunte Welt der Gay Community einzutauchen (oder sich zumindest einer der
liberalen Reformsynagogen anschließen). Zuschauer also, die mit
Gott und Religion im Allgemeinen nichts anfangen können, werden wahrscheinlich
nach 94 Minuten noch ratloser dastehen als zuvor. Warum allerdings von
dieser, der Allgemeinheit verborgenen Welt von schwulen, orthodoxen Rabbis
und von ihren Familien und Gemeinden verstoßenen, lesbischen Paaren
so eine seltsame Faszination ausgeht, kann ich auch nicht wirklich erklären.
Dubowski selber, der sich als typisches Brooklyn Kid bezeichnet und seine
erste, eher zufällige Berührung mit der jüdischen Orthodoxie
vor Jahren bei einer Aufführung einer Hasidic Drag Performance in
einem New Yorker Club hatte, meint jedenfalls in einem Gespräch,
daß er über seine Arbeit an diesem Film zu seinen spirituellen
Wurzeln zurückgefunden hätte. Wie immer man das auch wertet,
die Chancen, daß Trembling before G-d im Kino zu sehen sein
wird, sind eher gering. Weitere Aufführungen im Rahmen von Filmfestivals
siehe www.tremblingbeforeg-d.com
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Einen weiteren Dokumentarfilm,
der ausnahmsweise nichts mit der Homosparte zu tun hat und als x-ter Potsdamer-Platz-Architektur-Film
ersteinmal uninteressant erscheint, entpuppt sich als absolute Überraschung:
Berlin Babylon von Hubertus Siegert. Die Perspektive, mit
der sich der Regisseur den Bautätigkeiten rund um das Regierungsviertel
und den Potsdamer Platz nähert, besticht nicht nur durch seine einmaligen
Aufnahmen und das verwendete Archivmaterial. Unkommentiert stellt er das
arrogante Gerede diverser Stararchitekten den Aussagen von beteiligten
Bauarbeitern gegenüber, wobei einem nicht entgeht, wem seine Sympathie
gilt.
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Überhaupt funktioniert die in Berlin Babylon vorgenommene
Abrechnung mit der neuen deutschen Staatsarchitektur eher subtil als plakativ.
Die langen Kamerafahrten zwischen Kränen und halbfertigen Protzbauten
enden fast alle über der Brache des geplanten Holocaust-Denkmals;
die ungewohnt zurückhaltende Filmmusik der Einstürzenden Neubauten
tut ihr übriges dazu. Filmstart und mehr, siehe www.pifflmedien.de
Hedwig And The Angry Inch wie auch Trembling Before G-d
haben jeweils in ihrer Sparte den Gay Teddy Award gewonnen. Gewinner der
Siegessäulen Jury ist der thailändische Spielfilm Sa Tree
Lex (The Iron Ladies) von Yongyoot Thongkongtoon über
ein, von einer Lesbe trainierten Volleyballteam aus Tunten und Transen,
die gegen alle Widerstände die Landesmeisterschaft gewinnen. Der
Film ist zwar stellenweise wohlmeinend pädagogisch, aber trotzdem
superlustig und allemal gut für einen unterhaltsamen Kinoabend. www.teddyaward.org
-- von Mutti
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