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Beichtstuhl, durchaus käuflich zu erwerben

Sex ist Wahrheit

Von Beichtstühlen, Psychiatersofas - und einem guten Essen
berichtet Penelope


"Der Sex: Grund für alles" schreibt der gute Foucault im ersten Band von Sexualität und Wahrheit: Der Wille zum Wissen. Dieser Wille richtet sich auf den Sex, und das Wissen (letztlich des Weltgeheimnisses) wartet im Sex darauf, wachgeküßt und sichtbar zu werden. Mit dieser verkürzten Formel läßt sich charakterisieren, wie Foucault den Gang der Geschichte seit dem ausgehenden 16. Jahrhundert beschreibt.

Historischer BeichtstuhlVorher war Sex im Abendland Thema der Beichte, mit der zunehmenden Tabuisierung direkter Benennungen geht eine Erweiterung des Sprechens über Sex in alle möglichen Fachgebiete und Lebensbereiche - natürlich Diskurse - einher: Demographie, Biologie, Medizin, Psychiatrie, Moral, Pädagogik, politische Kritik. Mit dieser Erweiterung in die Vielzahl der Diskurse vertieft sich das Geheimnis, das um den Sex und die Sexualität aufgebaut - oder in sie hineingebohrt - wird. Der Frosch klettert den Brunnen immer tiefer hinunter.

 


Das Sofa von Freud

Die Methode der Erkenntnis dieser Wahrheit ist die Subjektwerdung des Menschen, im weiteren Gang der Geschichte die Subjektivierung der Philosophie - Transzendentalphilosophie, Solipsistische Systeme. Hier wird die Wahrheit durch Selbstbetrachtung ans Licht gestarrt. Selbstbetrachtung ist aber die Beichte vor sich selbst, so daß die Beichte, das Geständnis, das Verhör als eigentliche Methode der Wahrheitsfindung auftaucht. Sie macht den Anschein, den Beichtenden zu befreien, während sie ihn einem asymmetrischen Machtverhältnis preisgibt. Beichttiere sind wir geworden, sagt Michel F.

Nicht sehr charmant, ich zumindest fühle mich jünger, aber schließlich geht es hier um die Metawahrheit, die endlich wahr ist, weil sie sich nicht mehr selbst behauptet, sondern es einem selbst überlassen bleibt, die Zeichen, die man liest, als Wahrheit zu grüßen, will man nicht mit der Lektüre seine Zeit unendlich verschwendet haben. Das ist ein cleverer Trick in der Wissenschaft, der sich so in den letzten paar Jahrzehnten eingebürgert hat ...

Der Sex wird verdächtigt. Er steht unter dem Verdacht, daß er etwas, das er über uns - Heten wie Homos - weiß, nicht hergibt. Der Hokuspokus, den man um den Sex veranstaltet, soll sein Geheimnis in Wahrheit wandeln. Die zunehmende Diskursivierung zingelt den Sex ein und schließlich soll er ausspucken, was in ihm war. Aber anständig. Dieser Verdacht läßt die Sexualität schließlich zu dem großen Schlüssel der Wahrheit werden, zum Sinn, der sich nicht zeigen will.

Das macht Sex zu unserem schwachen Punkt, zur latenten Krankheit, aus der das Übel kommt, das in der Welt herumgeistert und in jedem Schatten lauert. Denn vielleicht ist sie verschlingend, die Wahrheit, und deshalb darf sie letztlich doch wieder nicht gewußt und genannt werden.

Dieses Geheimnis-Gewese denke man sich mal über eine andere Körperfunktion: beispielsweise Essen. Langsam hätte sich das Essen aus dem Bann der Kirche befreit. Nicht nur Oblaten, die vorher das einzige erlaubte Nahrungsmittel waren, dürfte man nun essen, sondern auch Oblaten mit Marmelade, Nutella und Fleischwurst. Aber nur, wenn man sich vorher vertraglich zugesichert hat, dass der Partner der Einzige ist, mit dem zusammen man essen wird, bis der Tod einen scheidet.

so gehts los Das erste Ma(h)l zusammen zu essen wäre das Langerwartete der höheren Töchter. Alleine zu essen wäre verpönt. In den Internaten werden die Taschen der Schüler gefilzt, ob sich nicht heimlich eine Oblate darin befindet; nachts müssten sie ihre Hände auf die Bettdecke legen, damit sie nicht heimlich unter der Decke essen. In den Klassenzimmern werden Bilder aus Kochbüchern gehandelt wie Pornographie. Aufgeklärte Lehrer sagen, daß alle essen, und das es was ganz normales ist. Sogar alleine essen - alle machen es. Es gibt Talkshows mit Leuten, die dazu stehen, nicht Oblaten, sondern Butterbrot zu essen. Müsli zu essen, wäre bis 1962 verboten gewesen.


ProstÖffentlich Nahrung zu sich zu nehmen, wäre ein Ding der Unmöglichkeit. Dafür gibt es aber Gaststätten, in denen man zusammenkommt, um Sex zu machen und andere, in denen der Schwerpunkt eher auf Streicheln und Anfassen liegt. Es gibt Italiener, Chinesen und Bürgerliche, je nachdem, welche Praktiken man bevorzugt. Aber so genau kommt es nicht drauf an, schließlich kann man am nächsten Tag wieder woanders sexen gehen. In den Großstädten entstehen in den Siebzigern Läden, in denen man in abgedunkelten Räumen zusammen isst, mit Vorbereichen, in denen man, während man Sex macht, schon im Vorfeld - verschämt und vorsichtig - einen Partner zum Essen anvisieren kann...

Der Sodomit der Beichte war ein Gestrauchelter - der Homosexuelle, der im 19. Jahrhundert von der Sexualwissenschaft, einem der sich konstituierenden Diskurse über die Sexualität, erfunden wird, ist eine andere Art Mensch. Eine neue Spezies ist erfunden. Bis in seine Fingerspitzen und darüber hinaus in die gepflegten und spitz gefeilten Fingernägel reicht nun seine Sexualität und sein eigentümliches Sein verbirgt seine Wahrheit, die die Wissenschaft ihm nun wieder entreißen will, nachdem sie sie dort verortet hat. Der Homosexuelle aber hat sich die Nägel schon wieder frisch geschnitten, und so ist die Wahrheit mit den Fingernagelschnipseln auf dem Müll gelandet und bis heute nicht wiedergefunden worden. Daher der Ausspruch: den Fingernagel auf dem Misthaufen suchen. Die Schwule Identität, von der Emanzipationsbewegung beschworen und gefordert - zeigt sich nun als Stigmatisierung und Mittel der Unterwerfung perverser Kranker. - Bloß ohne unsere Identität gäb´s uns nicht, und dann gäb´s uns nicht.

Siggi, der alte Schelm