Interview
mit einem Skinhead
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D: Du bist Skinhead
S: Ja.
D: Und schwul.
S: Ich bin links und schwul und Skinhead. Eigentlich drei Widersprüche.
Aber ich finde es logisch so.
D: Was heißt für dich links?
S: Nicht irgendeiner Moral anzuhängen. Ich glaube an keine Moral. Politisch
sein heißt, so was wie Gesellschaft im Blick haben, Dinge die nicht von
deinem Willen abhängig sind. Und nicht zu vergessen, dass es beim Handeln
von Menschen um Macht geht, und dass die unterschiedlich verteilt ist.
Links sein heißt, ein Interesse daran haben, das zu ändern, was in der
Gesellschaft als richtig und gut und nicht zu hinterfragen gilt.
D: Okay, wenn du schwul bist, hast du ja ein Interesse an Letzterem,
aber trotzdem sind die meisten Schwulen nicht links.
S: Ja, weil sie vergessen haben, dass ihre Bedürfnisse da rausfallen.
Es wird den Leuten eingeredet, dass sie sich nur an gewisse Regeln halten
sollen und schon sind sie integriert. Dass sie bestimmte Bedürfnisse dabei
aufgeben müssen, vergessen sie. Hauptsache satt. Die Leute lassen sich
betäuben von der Anerkennung, die sie von der Gesellschaft bekommen.
D: Bekommst du die nicht auch.
S: Ja, kriege ich auch, will ich ja auch von bestimmten Leuten. Aber ich
werde nicht satt davon (haha). Ich vergesse nicht, dass ich auch Interessen
habe, die pervers sind, die was auf den Kopf stellen wollen. Ich finde
es schon wichtig zu leben, was zu machen, wofür ich mich hinterher nicht
schämen muss.
D: Und das machst du als Skinhead.
S: Das mache ich als Mensch. Dazu muss ich nicht Skin sein. He, ich teile
die Welt doch nicht nur in Stiefelträger und Nichtstiefelträger ein.
D: Aber du trägst Stiefel.
S: Ich habe nur das eine Paar Schuhe.
D: Ach wie süß. Ich glaube, wir müssen mal mehr zum Thema kommen. Die
hunderttausendste Definition von dem, was links ist, reißt glaube ich
keinen unserer Leser vom Hocker. Warum bist du eigentlich Skinhead.
S: Kein Kommentar.
D: Komm, warum nicht?
S: Weil es immer wie eine Rechtfertigung aussehen würde. Nur soviel, weil
manche immer das Gegenteil behaupten: Ich bin nicht Skin, weil ich Nazis
toll finde oder denen irgendwie ähnlich sein will. Siehst du, schon rechtfertige
ich mich. Hab ich nicht nötig.
D: Aber es gibt sicher welche, die dich für einen Nazi halten.
S: Vielleicht so peacige Spinner, die Stiefel schon für einen Mord halten,
weil sie gelesen haben, dass Mörder immer gefährlich aussehen. Es gibt
ja ein mächtiges Interesse daran, zu zeigen, dass die, die aus der Gesellschaft
der guten Leute raus sollen, auf eine bestimmte Weise aussehen. Das hat
nichts damit zu tun, wie Gewalt in dieser Gesellschaft ausgeübt wird.
Das lenkt aber perfekt von den wirklichen Machtverhältnissen ab und muss
deshalb immer wieder bestätigt werden. Niemand käme auf die Idee Bürohochhäuser
zu brandmarken, weil sie die Gewalt von Bürokratie symbolisieren.
D: Was hältst du von der These, dass hauptsächlich die Faszination
an rechter Gewalt Schwule dazu bringt, sich als Skinheads zu geben. Außerdem
gibt es da ja noch die These von der Identifikation des Opfers mit dem
Täter. Skinheads sind in der Mehrzahl in Deutschland rechts konnotiert.
S: Ich habe keine Ahnung, was die Leute hauptsächlich dazu bringt sich
auf irgendeine Art dem Skinhead-Kult anzunähern. Da gibt’s ja unter Schwulen
die merkwürdigsten Erscheinungen. Zum Beispiel die Fetischisten - die
werden wahrscheinlich nur zu ihren Sex-Sessions Skinklamotten anziehen.
Für die muss Skinsein auch immer was bleiben, was die Grenzen des Normalmenschlichen
überschreitet. Vielleicht sind hier einige auch vom Naziding beeinflußt,
das ist ja der Unmensch schlechthin. Aber ich glaube, wenn so ein Fetisch
dann alltäglich wird, dann funktioniert er nicht mehr. Das heißt, die
werden immer einen Abstand zur realen Skinheadszene halten, weil sonst
ihre Fantasie beschmutzt wird. Und dann gibt es die paar schwulen Skins,
die wirklich an der Skinszene interessiert sind, aber die kapieren meistens,
dass Nazi sein und Skin sein ein Widerspruch ist. Man muss schon ziemlich
dumm sein, um die vielen Widersprüche von Skin, schwul und Nazi in einen
Kopf zu kriegen. Aber ich will es nicht leugnen. Es gibt die schwulen
Nazis, die glauben sie seien Skins. Ich weiß nicht, ob die Skinmusik hören.
Ich vermute mal eher Teutonentechno oder irgendwas in die Metal-Richtung,
wie Nazis eben. Ich kann es immer wieder kaum glauben, was Schwule so
gleichzeitig unter eine Decke bringen können. Das hängt sicher mit der
kollektiven, über Jahrhunderte gemachten Erfahrung von Doppelleben zusammen.
Ich finde das ganze Gerede über Klamotten und was wer beim Ficken gemacht
hat oder anhatte, ziemlich unwichtig. Im Fall der Fälle treffe ich auf
dem S-Bahnsteig zwei Nazis mit ihrer Tussi, die sich über einen kleinen
Punker hermachen, und muss den Mut haben einzugreifen. Ich bin ganz froh,
dass die Identitäten langsam zerbröseln. Und das es keine Schwulenbewegung
mehr gibt, ist eigentlich auch nicht schade. Bei all dem Verwirrspiel
mit dem, was Leute äußerlich hermachen, kommt es doch darauf an, was sie
tatsächlich machen. Ich bin jedenfalls immer mit Bomber und Stiefeln auf
linke Demos gegangen und da auch nie für einen Nazi gehalten worden.
D: Was ist für dich ein Skinhead. Was macht jemanden zum Skin?
S: Was wir als Skinhead wahrnehmen und was das beinhaltet, hängt von
unseren Interessen ab. Mich interessiert nicht die möglichst genaue Definition,
was Skinhead ist, um sich dann die Pappfigur entweder anzuziehen, oder
als Zielscheibe zu nutzen. Wenn du Freunde hast, die Skins sind, und die
betrachten dich als einen der ihren, dann bist du auch Skin. Dann sagst
du auch, die anderen sind keine richtigen. Trotzdem will ich nicht nur
mit Skins zusammensein, die alle den selben Musikgeschmack haben, die
selben Sachen toll finden und voll auf meiner politischen Linie sind.
Und schwul müssen die schon gar nicht alle sein. Worauf ich keinen Bock
habe, muss ich jetzt wohl nicht noch mal betonen. Wie ich Leute einschätze,
hängt nicht davon ab, was für Gedanken ich habe, wenn ich sie nur sehe.
Wichtig ist, was jemand tut oder wie er argumentiert. Das ist auch nicht
abhängig davon, ob einer ein Skin ist oder nicht. Und ich verlange auch
von anderen Leuten, dass sie so auf mich zukommen. Natürlich habe ich
im Kopf, dass Leute denken könnten, dass da ein Rassist vor ihnen steht,
weil sie durch die Medien so gepolt sind. Ich muss gestehen, dass mir
das bei gewissen Leuten sogar egal ist. Bei so Leuten, die sich damit
immer sagen: das sind die Bösen, die unser schönes Deutschland beschmutzen,
und nicht merken, wie rassistisch sie selbst sind. Die Leute, die bisschen
mehr Hirn im Kopf haben und die nicht nur ihre Vorurteile bestätigt haben
wollen, gehen auf einen zu. Wenn die sich unsicher sind, was sie von mir
halten sollen, sprechen sie mit mir.
D: Und wenn sie sich nicht trauen dich zu fragen. Die Frage könnte
ja schon zuviel sein, und ich habe als Nichtdeutscher gleich das Messer
im Bauch.
S: Die Leute, die täglich mit Nazigewalt zu tun haben, die wissen
schon ganz gut abzuschätzen, wem sie wie begegnen. Aber das ist schon
bequem, in den armen Ausländern die hilflosen Opfer zu sehen. Immer wird
Solidarität mit Bevormundung verwechselt. Nazis und Medien wollen natürlich,
dass ein gewisses Bild mit Angst und Schrecken verbunden ist. Die einen,
um ihre Propaganda zu verstärken, die anderen um von anderen Gewaltverhältnissen
abzulenken. Wenn ich dann nicht mehr als Skin rumlaufe, wird die Gefahr
für Migranten in Deutschland doch nicht weniger. Die wird weniger, wenn
wir gegen die Verschleierung der wirklichen Verhältnisse und gegen Rassisten
konkret was machen. Und angechekt werde ich meistens nur von Leuten, wie
unserem deutschen Hauswart hier im Haus, der mit so merkwürdigen Gestalten
mit Glatze oder Streifen auf dem Kopf und Metall im Gesicht nicht klarkommt,
die nie ordentlich abschließen.
D: Wie ist das jetzt mit der Gewalt? Das Skinoutfit ist schon mit physischer
Gewalt assoziiert. Die Glatze ist praktisch, weil dir beim Prügeln keiner
in die Haare greifen kann und Stiefel und enge Jeans machen sich dabei
ja auch nicht schlecht. Aber ihr Schwulen schlagt euch doch eher mit euren
Geliebten oder?
S: Ich habe schon gesagt, dass ich keinen Bock habe, hier meine Gefühle
als Argument einzusetzen. Aber Sex ist für mich ziemlich mit Gewalt verbunden.
Ich glaube auch, wenn direkt körperliche Gewalt oder psychischer Druck
nicht im Bewusstsein mitspielen. Es werden Grenzen verletzt. Das sind
vor allem körperliche Grenzen beim Sex. Wenn ich mich aus Lust prügeln
will, dann auch mit Leuten die so aussehen, als hätten sie Bock drauf
und so, als tragen sie Auseinandersetzungen normalerweise nicht mit Worten
und Ironie und so aus. Die meiste Gewalt, die ich so um mich herum erlebe,
kommt ja nicht körperlich daher. Das sind eher so Zwangsverhältnisse,
die sich durch Arbeit und Konsum durchziehen. Geh nur durch die Straßen
und du wirst ständig beleidigt durch die Scheiße, die dich aus jedem Schaufenster,
aus jedem glücklichen Office-Typen anlacht. Oder wenn dich dein Sklavenhändler
mal wieder gefickt hat. Da möchte man ab und zu schon mal gerne reinschlagen
in so ein Schaufenster oder in eine Arschlochfresse, das halte ich für
legitim.
D: Wie hältst du es mit der Männlichkeit. Wenn du dich auf die Seite
derer stellen willst, die an der Aufhebung der sozial als gut und richtig
geltenden Normen und Werte interessiert sind, wie kannst du dann so ein
traditionelles Männerbild affirmieren. Der starke, potente Mann, der sich
nimmt, was er braucht und es benutzt, und sei es eine Frau. Und wird unter
Skins nicht besonders alles Effiminierte verachtet? Ich habe den Eindruck,
dass unter schwulen Skins die sich ausbreitende Tuntenfeindlichkeit besonders
stark verbreitet ist.
S: Das ist ein kompliziertes Thema. Ich komme jetzt nicht mit dem:
Ich habe nichts gegen Frauen, viele meiner besten Freunde sind Frauen
Ding. Hier sind die meisten Schwulen echt unterbelichtet, ich sage mal
die, die nicht sofort Frauen als natürliche Verbündete im Kampf gegen
das Patriarchat ansehen. Und das werden auf Grund der wachsenden Integration
von Homos immer mehr. Aber was die meisten unter Patriarchatskritik verstehen,
ist so in den Siebzigern hängengeblieben. Wenn nur alle sanft, sensibel
und intelligent sind, dann bricht das Patriarchat zusammen. Falsch gedacht.
Macht kommt eben auf ganz verschiedene Art daher. Männliche Macht kann
auch ganz weicheiermäßig auftreten. Das ist eben die bürgerliche Legende,
dass physische Gewalt das Zeichen der Macht ist. Im Endeffekt setzen sich
die Bildungsbürger mit ihren feinen Manieren durch, weil sie eben mehr
Macht haben, ganz unabhängig von Mackertum. Andererseits glaube ich nicht,
dass die Geschlechterverhältnisse sich so bald gründlich ändern werden.
Das Ding: ich fick dich und habe Macht über dich, wird noch ganz schön
lange so bleiben. Trotzdem glaube ich, dass es da auch andere Formen gibt,
in ganz konkreten Verhältnissen zwischen Menschen. Die Realität von Macht
und Ficken ist ja auch oft genau andersrum, als es zuerst den Anschein
hat. Da erweisen sich die Härtesten als Weicheier und die Sanftesten als
Giftschlangen.
D: Aber bestimmte Werte werden schon dadurch dominant, dass sie sich
mengenmäßig durchsetzen, dass ihre Symbole allgegenwärtig sind, unabhängig
von der Macht oder Dominanz, die einzelne Personen ausüben können. Ist
das nicht auch so in der Schwulenszene, in der sich der männlich aussehende
Skintyp durchsetzt, der nichts Effeminiertes neben sich duldet.
S: Wieso kommt es, dass jetzt alle nur noch von Gayskins reden. Meiner
Meinung nach sind die nur in bestimmten Homokneipen in einem bestimmten
Bereich der Homoszene die Mehrheit. Die Medien, vor allem die Gaypresse
fahren da aber voll drauf ab, weil mit Glatzen immer Auflage zu machen
ist. Die fallen einfach mehr auf, als alle anderen. Die Schlipstypen,
Föhnwellen, Modepüppchen u.s.w. sind einfach nicht auszuschlachten, höchstens
für die Yuppiewerbung. Warum der löwenmähnige Muskelprotz in der Homosexwerbung
vom glatzköpfigen Muskelprotz abgelöst worden ist, hat wirklich mehr mit
Mode zu tun als mit Skinheads. Eine Glatze macht eben noch keinen Skinhead.
D: Geschorenes Haar ist Demütigung, Unterordnung und raubte nicht nur
Samson die (Mannes)kräfte. Es signalisiert, dass Gefangene gebändigt,
dass Mönche in ihrer Männlichkeit beschnitten sind. Die ganze Skinästhetik
scheint mit der Auflösung des individuellen Willens zu spielen.
S: Da komme ich jetzt nicht mehr mit. Natürlich hat die Kleidung
was mit der Zugehörigkeit zu einer Gruppe zu tun und wirkt auf eine bestimmte
Art. Aber ich glaube nicht, dass Skins sich als Opfer darstellen wollen.
Skinheads signalisieren schon, dass sie auch zuschlagen und treten können.
Natürlich ist da auch die Ablehnung des bürgerlichen Individualismus.
Dieses individualistische Selbstverwirklichungsgewäsch dient nur zur Verschleierung
der wirklichen Verhältnisse. Ich finde die antibürgerlichen Sachen am
Skinheadkult schon wichtig. Die Chancen in dieser Gesellschaft sind unterschiedlich
verteilt und das hängt von deiner Herkunft, von deiner Bildung und davon
ab, wieviel ökonomisches Kapital du besitzt. Wenn du stolz bist, nicht
zu den Arschlöchern zu gehören, versteh ich nicht was da falsch dran ist.
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