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Liebe Socialist Alternative,
Ich möchte ein paar freundschaftliche Bemerkungen zu Lionel Wrights Artikel (oben bezeichnet, MH) machen: Wrights Aufsatz-eine Zusammenfassung der Schwulenbefreiungsbewegung in den USA, die hauptsächlch aus den Buechern von Martin Duberman und John D'Emilio (1. Martin Duberman, Stonewall (1993) 2. John D'Emiliio, Sexual Politics, Sexual Communities (1983))
stammt, ist im Allgemeinen dort korrekt, wo sie sich auf die geschichtlichen Tatsachen bezieht, und diese zwei Seiten, welche sich auf die Geschichte beziehen, sind viel für einen Aufsatz von zwölf Seiten. Die Tendenz und die Auslassungen aber sorgen für einen bitteren Nachgeschmack. Ich beschränke mich auf einige Punkte:
1. Der Stonewall-Aufruhr passierte in einem Mafialaden für Schwule, Fummeltrinen und Jungstricher. Es mag politisch nicht korrekt sein, diese Details zu einer Zeit ins Gedächtnis zurueckzurufen, wo Schwule fast im vom linksakademischen Milieu aufgezwungenen Begriff queer verschwinden, der mittlerweile so weit gefasst ist, das er fast alle einschließt, auch Hetero-Frauen, wohingegen queer in der Geschichte hauptsächlich dazu benutzt wurde, schwule Männer zu verteufeln, und in geringerem Ausmaß auch Lesben.
2. Wie die meisten Liberalen (und die meisten Gleichgeschlechtlichen im Schlepptau der außer Kontrolle geratenen Identitätspolitik der heutigen kapitalistischen Gesellschaft, wobei Gleichgeschlechtliche sich jetzt einem ungerechten und heteronormdiktatorischen System als Juniorpartner zu integrieren und zu assimilieren suchen, zum Beispiel die "Homoehe", z. B. eine Karriere im imperialistischen Militär, um 3.-Welt-Babys im Irak und anderswo für Wall Street umzubringen, und dafür minimalste demokratische Rechte und ein Nachlassen der antischwulen Gewalt und Diskriminierung gegen Menschen gleichgeschlechtlicher Identität einzutauschen), übernimmt Wright den Standpunkt und die Ausdrucksweise der stets nachwachsenden Verfechter schwuler Identitätspolitik. Zum Beispiel hier: "Menschen mit gleichgeschlechtlichem Begehren hat es in der gesamten Geschichte gegeben. Was sich verändert hat, ist die Art, wie die Gesellschaft diese Leute bewertet hat, und wie die Menschen, die wir heute als lesbisch-schwul-bi-transgender bezeichnen, sich zu verschiedenen Zeiten selbst gesehen haben." Diese Formulierung macht mich schaudern, und zwar aus folgenden Gründen:
Altaktivistinnen Barbara Gittings (links) und ihre Parnerin Kay Tobin bei einer CSD-Pause
(Foto aus dem Film After Stonewall - From The Riots To The Millenium www.afterstonewall.com)
(a) Fast alle Menschen haben irgendwann in ihrem Leben gleichgeschlechtliche (und andersgeschlechtliche) Begierden. In der gesamten Geschichte, und besonders in der judeo-christlichen und unter dem angelsächsischen Recht (Beides für die USA relevant), wurden niemals "Leute mit gleichgeschlechtlichen Neigungen" gemordet, unterdrueckt, verfolgt und ins Gefängnis geworfen, sondern Leute, die sich an gleichgeschlechtliche Handlungen beteiligten. Diese Handlungen waren (und sind) Teil des möglichen Repertoires aller, nicht nur der gleichgeschlechtlich orientierten.
(b) Wer hat entschieden, dass "Die Menschen, die wir (wer ist das?) jetzt als lesbisch-schwul- bi-transgender bezeichnen", mit dieser Bezeichnung versehen werden? Noch vor ein paar Jahren hieß es: schwul-lesbisch-bi-transgender, jetzt steht L an erster Stelle. Warum ? Soll das eine angebliche Superdiskriminierung gegen Lesben bezeichnen? Sind Lesben wichtiger als Schwule? Vielleicht ist das der Grund dafür, dass die Lesben seit den späten 70ger Jahren als Resultat des damaligen großen Geschreis über lesbischen Separatismus jeden Juni die schwule und lesbische Demonstration in New York City anführen. Eric Bentley (ein bekannter schwuler Schriftsteller und Kritiker, Brechtkenner, MH) hat mich einmal gefragt, warum schwule Männer und Lesben nicht abwechselnd an der Spitze marschieren könnten. Ich hatte keine Antwort, weil diese vernünftige Überlegung zu dieser Zeit, wo schwule Männer als Feind galten, als unakzeptabel galt. Der Ausweg aus der "lesbischen Unsichtbarkeit" (das Mantra der separatistischen Lesben, womit sie sich aus dem von ihnen so wahrgenommenen 2.-Klasse-Status in der Schwulen- und Lesbenbewegung der mitsiebziger Jahre herausdrängeln wollten) wäre demokratischer, wenn ein Jahr die Lesben, und das nächste dann die Schwulen die Demo anführten. Die politisch korrekte Durchsetzung des neuesten Alphabetsuppenakronyms war keineswegs das Ergebnis irgendeiner Diskussion oder eines demokratischen Entscheidungsprozesses unter den Gleichgeschlechtlichen. Welche Linken oder bürgerlichen Demokraten haben entschieden, dass das vormalige Akronym (schwul-lesbisch-bi-transgender) passé sei oder vielleicht ein Ausdruck von männlichem Chauvinismus? Das Beste, was man/frau über GLBT/LGBT/BLGT oder irgendeins der anderen doofen, immer länger werdenden Akronyme sagen kann, ist wohl, dass jemand entschieden hat, dass sie mehr einschlössen als schwule und lesbische Befreiung oder lesbische und schwule Befreiung. Das ist zweifelhaft. In der gesamten westlichen Geschichte (und nicht nur in der westlichen!) war Päderastie (Beziehungen zwischen geschlechtsreifen Jungen und Männern, MH) die verbreitetste Form der Homosexualität, doch heutzutage ist es ein Tabu, das , was ohnehin alle wissen, anzuerkennen, und die bürgerlichen schwul/lesbischen Assimilationisten (meist Demokraten oder Republikaner, doch mit aktiver Unterstützung einiger Linker im Schlepptau des Hetentums) fordern sogar den bürgerlichen Staat auf, sexuelle Beziehungen zwischen Jüngeren und Älteren zu kriminalisieren, Beziehungen, die genau so einvernehmlich sind wie ihre eigenen. Was für eine Schande! Die einzigen Gleichgeschlechtlichen, die heute im Gefängnis landen, sind Männer, die Jugendliche lieben, so wie es seit undenklichen Zeiten gewesen ist. Soviel zu Begriffen, welche alle einschließen. Heutzutage haben die Unterdrückten die Kontrolle über die Schwulenbefreiung an Außenstehende verloren, ob nun an Bürgerliche oder an Linke. Wieder die selbe alte Scheiße.
1971, London (Foto aus dem Film After Stonewall - From The Riots To The Millenium www.afterstonewall.com)
3. In der US-lamerikanischen Gesellschaft gab es niemals "Strafen für Homosexualität". Das ist eine schlampige Formulierung. Bestimmte sexuelle Handlungen wurden bestraft, meist solche zwischen zwei Männern (wie z. B. unter den Nazis). Homosexualität als solche war weder in den USA noch in den meisten westlichen Ländern jemals ungesetzlich.
4. Auch die Bolschewiki haben nicht "die Kriminalisierung Schwuler beendet". Die Bolschewiki haben das zaristische Gesetz abgeschafft, welches gleichgeschlechtliche sexuelle Akte zwischen Männern bestrafte. Das steht alles in The Early Homosexual Rights Movement(1864-1935), einem Buch, was ich mit John Lauritsen zusammen geschrieben habe. (Weiteres Material zu diesem Thema siehe auch T-Haus Nr. 1, MH)
5. Wrights Kritik of Harry Hay ist voll daneben und unfair, und eher idealistisch als historisch- materialistisch: "Wäre die Gruppe um Hay aktiv geblieben, hätte sie einen Kristallisationspunkt für militante Lesbisch-Schwul-Bi-TransgenderLeute bilden können. Doch so wurde die Bewegung um 10 Jahre zurückgeworfen und ein Jahrzehnt war verloren." Das ist falsch und krasser Idealismus.
Erstens gab es damals gar keine Lesbisch-Schwul-Bi-TransgenderLeute (meiner Meinung nach gibt es heute auch keine, es ist eine bloße politische Konstruktion, dazu entwickelt, die Kernfragen zu verschleiern. Es wird z. B. die sexuelle Befreiung aller ersetzt durch eine minoritäre, marginalisierte Gruppe, die es so gar nicht gibt, die aber als Gemeinschaft ausgegeben wird, obwohl sie eher wie ein vermarktungsfähiges Sammelsurium wirkt.
Zweitens ist die Annahme vermessen, dass es eine Strömung radikaler "Militanter" außerhalb der winzigen Gruppe um Hay in den fünfziger Jahren gegeben habe, die dann wegen ihres linken Hintergrunds und ihrer linken Perspektive aus der Mattachine Society ausgeschlossen wurde.
Drittens, was verleitet Wright zu der Behauptung, dass die "Bewegung" (die man am Anfang wohl kaum als solche bezeichnen konnte - obwohl es frühere Versuche gegeben hatte, Homosexuelle zu organisieren, sogar in den USA, und von Wright nicht erwähnt, über die man/frau im Buch von Lauritsen und mir und anderswo nachlesen kann) "zurückgeworfen wurde und ein Jahrzehnt verloren war"? Wo war dieses grössere Reservoir von tapferen Aktivisten? Damals verdammten die beiden linken Hauptorganisationen, die Kommunistische Partei und die Socialist Workers Party (eine trotzkistische Partei, MH) Homosexualität auf genauso schlimme Art und Weise wie die herrschende bürgerliche Klasse, und die Socialist Workers Party schloss Gleichgeschlechtliche sogar von der Mitgliedschaft aus, mit genau derselben Begründung "nationaler Sicherheit", die in der McCarthy-Zeit benutzt wurde, um Homosexuelle nicht in Regierungsjobs arbeiten zu lassen. Diese Kritik kommt solchen Menschen wie mir, die Harry Hay zu seinen Freunden zählte, unverschämt und überflüssig vor.
6. Möglicherweise ist Wright nicht verantwortlich für das Foto zweier Frauen, die ein Plakat mit der Aufschrift tragen: "Freiheit zu Heiraten". Die Bildunterschrift lautet: "der Kampf für lesbische und schwule Befreiung geht weiter…". Ich wende mich allerdings gegen die Annahme, dass die Imitation einer der schlechtesten und am wenigsten erfolgreichen Hetero-Institutionen, mit all der darin enthaltenen Konformität und Konventionalität (um nicht die Erhöhung des Paarlebens zum höchsten Idol zu erwähnen, als ob Alleinstehende verkrachte Existenzen seien, und den Griff nach speziellen Vorrechten von Paaren auf Kosten Alleinstehender, egal ob hetero oder homo) irgendetwas mit schwuler Befreiung zu tun habe. So etwas liegt auf der selben Ebene wie eine Karriere beim imperialistischen Militär. Die Diskriminierung gegen Gleichgeschlechtliche mag unfair sein, aber das Gegenmittel hat mehr mit der Aufrechterhaltung der heteronormdiktatorischen Ordnung der Dinge als mit schwuler Befreiung zu tun. Ich finde solche Sachen zum Kotzen.
Wright steht auf der richtigen Seite, aber er hat das Thema nur sehr unvollständig durchdrungen.O je, ich fürchte sogar, dass seine Herangehensweise die degenerierten politisch korrekten Verzerrungen der früheren Schwulen- und Lesbenbewegung in ihrer gegenwärtigen konventionellen und konservativen, um nicht zu sagen reaktionären, Ausrichtung widerspiegelt, welche heutzutage Vorrechte einiger Homosexueller auf Kosten anderer Homosexueller erlangen möchte, und sogar so weit geht, den bürgerlichen Staat anzubetteln, Denkverbrechen (sog. Hassverbrechen) gesondert zu bestrafen. Weder Heirat, militärische Kriegsbegeisterung, Fahnenwedeln, Patriotismus , noch die Stärkung des bürgerlichen Staates durch Gesetze gegen "Hassverbrechen" haben noch irgendetwas mit dem ursprünglichen Impetus für sexuelle Befreiung zu tun, der sich aus Stonewall speiste.
Einer meiner Lieblingsparolen aus den Anfängen der Gay Liberation Front war "Glaubt Ihr, dass Schwule widerlich (revoltierend) sind? Darauf könnt Ihr Euren Arsch verwetten" Die schwul/lesbische Bewegung von heute aber hat mit diesem rebellischen und revolutionären Geist nichts mehr zu tun. In mancher Beziehung sind die Ziele dieser Bewegung heute in dem Sinne widerlich (revoltierend),über den sich die alte Parole einst lustig machte.
Der Eure,
David Thorstad
Früherer Vorstand der Gay Activists Alliance (New York)
Mitbegründer der Coalition for Lesbian and Gay Rights (New York)
Mitbegründer der NAMBLA
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