«Ich habe in der Liga noch nie einen homosexuellen Spieler gesehen. Und bisher hat sich auch noch keiner bei mir geoutet. Aber es gibt bestimmt welche, auch wenn ich es mir nicht vorstellen kann. Wenn sich einer outen will, soll er das ruhig tun. Das ist doch jedem selbst überlassen. (Rudi Assauer)»
«Ich würde keinem Profi raten, sich zu outen. Der soziale Druck wäre nicht auszuhalten. In einem heterosexuellen Mannschaftsgefüge ist man direkt der Außenseiter, wird angreifbar für Mitspieler, Gegenspieler und Medien." (Corny Littmann, Präsident des FC St. Pauli.)»
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Die Fußball-Weltmeisterschaft beginnt in wenigen Wochen. Die medialen Fragen lauten: Kann Ballack seiner "Führungsrolle" gerecht werden? Spielt Mehmet Scholl oder nicht? etuxx lässt Ulf Heidel einen anderen Blick auf das deutsche Gefüge des Spiels um den Ball werfen. Auch die kommende WM, wird wohl bestätigen, dass Fußball, Männlichkeit, und Heterosexualität eine Einheit bilden.
"Ich habe in der Liga noch nie einen homosexuellen Spieler gesehen. Und bisher hat sich auch noch keiner bei mir geoutet. Aber es gibt bestimmt welche, auch wenn ich es mir nicht vorstellen kann. Wenn sich einer outen will, soll er das ruhig tun. Das ist doch jedem selbst überlassen." (Rudi Assauer, Manager von Schalke 04, zit. nach Bödeker 2004)
"Ich würde keinem Profi raten, sich zu outen. Der soziale Druck wäre nicht auszuhalten. In einem heterosexuellen Mannschaftsgefüge ist man direkt der Außenseiter, wird angreifbar für Mitspieler, Gegenspieler und Medien." (Corny Littmann, Präsident des FC St. Pauli, zit. nach ebd.)
Beinahe sieht es aus wie verkehrte Welt: Während Rudi Assauer Fußballprofis dazu auffordert, durch ein Coming-out seinen persönlichen Vorstellungshorizont zu erweitern, warnt der schwulenbewegte Theatermann Corny Littmann vor einem solch beherzten Schritt durch einen der hoffnungsvollen Jungspunde. Allerdings liegt der unbeholfenen Toleranz- des Schalke-Managers wohl eher Indifferenz zugrunde und der Präsident des FC St. Pauli weiß ganz einfach, wovon er redet. Denn dass das Coming-out eines im Licht der Öffentlichkeit stehenden Fußballers schlicht "ihm selbst überlassen sei", kann ernsthaft nur behaupten, wer meint, im Fußball herrschten dieselben Regeln wie in anderen Bereichen der Gesellschaft. Wäre dies jedoch der Fall, so darf geschlossen werden, dann gäbe es sie schon - offen schwule Fußballprofis.
Nichtsdestotrotz geistert das Phantom des schwulen Ballkünstlers von Zeit zu Zeit in den Randbereichen der fußballinteressierten Öffentlichkeit umher, SportjournalistInnen und -wissenschaftlerInnen suchen nach Erklärungen, warum es bisher praktisch nicht aufgetaucht ist, und die an verschiedenen Orten gegründeten schwulen oder schwul-lesbischen Fanklubs signalisieren für den Fall seines Erscheinens Solidarität. Aber auch die Hoffnungsfrohen unter ihnen geben Littmann darin Recht, dass ein Coming-out im männlichen Profifußball alles andere als ein Spaziergang werden würde.
Fußball gilt nach wie vor als ausgesprochen homophob. Jede Reportage, jeder Kommentar, jedes Interview zum Thema liefert hierfür illustratives Beweismaterial von den Schlachtgesängen der Fans über Verlautbarungen bzw. Schweigen der Verbände bis zu den Äußerungen tumber Sportler. Der ruppige Männersport Fußball - so heißt es oft zur Erklärung - sei auf Härte geeicht. Wessen Image hier Schwächen aufweist, zieht schnell den Spott nicht nur gegnerischer Fans auf sich. Und "Schwuchtel" ist auf deutschen Fußballplätzen der Titel für defizitäre Männlichkeit schlechthin . Aber selbst wenn diese elementare Form von Schwulenfeindlichkeit im Fußball weit verbreitet sein mag, erklärt sie allein nicht den nachhaltigen "Erfolg", dass die Bundesliga noch keinen schwulen Profi gesehen hat.
Viel versprechender scheint der Hinweis auf die männerbündischen Strukturen im Fußball, die wiederum von der Mannschaft über die Fankultur bis hin zu den Verbänden reichen . Männerbund meint dabei mehr als nur den Ausschluss von Frauen, der vielmehr die Grundlage dafür bildet, im relativ abgeschotteten Inneren des Bundes neben dem spielerischen Können auch die Gemeinschaftlichkeit einzuüben. In der 'Sozialisationsagentur' Männerbund sollen die einzelnen als aufeinander abgestimmte Teile eines Gesamtkörpers funktionieren - nicht der ausgeprägte Individualist, die Mannschaft ist der Star. Affektiven Beziehungen wie Freund- oder Kameradschaften mag auch ein Selbstzweck zugeschrieben werden, unter funktionalen Gesichtspunkten dienen sie dem Zusammenhalt, der für den Erfolg unerlässlich scheint. Dem Männerbund-Gedanken widerspricht auch die wohl vornehmlich in Deutschland lange gültige Wertschätzung für Führungsspieler in keiner Weise, denn deren Qualitäten werden ja gerade darin gesehen, aus den elf Freunden eine Einheit zu machen, und nicht darin, sich selbst - auf oder auch neben dem Platz - ins Rampenlicht zu spielen.
Zentrales Merkmal des Männerbundes ist aber die rigide Desexuierung, d. h. die Dethematisierung von sexuellem Begehren und sexueller Identität. Ähnlich wie die Armee vereinnahmt auch der Fußball die einzelnen über eine Zurichtung der Körper, die über das Training hinaus eine weit reichende Kontrolle von Lebensbereichen beansprucht, die gemeinhin als privat erachtet werden, wie etwa Ernährung und Gesundheit. Sexualität hingegen wird möglichst vollständig aus den Gefilden des Männerbundes entsorgt, was ja - insofern Heterosexualität bei einem Fußballer als selbstverständlich unterstellt wird - mit dem Ausschluss von Frauen ohnehin erledigt scheint. Dringt Sexualität dann doch einmal in diese symbolische Ordnung ein, so geht es dabei wie in der leidigen Sex-vor-dem-Spiel-Diskussion vornehmlich um die physische und psychische Funktionstüchtigkeit der Spieler, während der Körper der so genannten Spielerfrauen entweder zum zulässigen "Fitnessgerät" degradiert oder zur "Bedrohung der mühsam erlangten Perfektion von Körper oder Konzentration" stilisiert wird (). Auch im Falle seiner temporären Duldung untersteht der Sex also dem übergeordneten Interesse des Männerbundes, der Entscheidung von Trainern und Medizinern.
Aber die Desexuierung erschöpft sich eben nicht im Fernhalten von Frauen, sie beruht auch auf der Regulierung dessen, was zwischen den Spielern als statthaft und dem Mannschaftsgefüge zuträglich gilt und was nicht. So erscheint es zunächst paradox, dass gerade der Fußballplatz Männern ein Repertoire körperlich intimer Gesten erlaubt, die an anderen Orten als liebevoll, erotisch oder sexuell erlebt würden. Eben darin besteht jedoch der 'Trick' des Männerbundes, im geeigneten Moment Praktiken körperlicher Nähe nicht nur zu erlauben, sondern zur Intensivierung des Zusammenhalts zu befördern. Dass das Tätscheln und Wuscheln, Umarmen und Bespringen, Herzen und Küssen von Spielern wie ZuschauerInnen als nicht sexuell wahrgenommen wird, ist dabei ein Effekt kultureller Gewöhnung, wie die Skepsis veranschaulicht, die den im nördlicheren Europa erst nach dem Zweiten Weltkrieg aufgekommenen Ausdrücken gemeinsamen Jubelns entgegengebracht wurden Noch 1981 befürchtete die FIFA offensichtlich eine Art Schwulisierung, als sie das Küssen als "unmännlich, übertrieben gefühlsbetont und deshalb unangebracht" brandmarkte. Aber selbst wenn Küsse zumindest hierzulande eher die Ausnahme bleiben, gehört eng umschlungenes Jubeln nun schon lange zur Fußballnormalität. Und insofern solche offen zur Schau gestellten Emotionen im Fernsehen genauso zu einer erfolgreichen Torszene gehören wie deren Vorbereitung, dürfte die Medienwirksamkeit des großen Knuddelns auch die Funktionäre überzeugt haben.
So unsichtbar sie auch zumeist ist, die Desexuierung ist ein zentrales Moment im Funktionsgefüge des Männerbundes, und die Jungs können sich eben gerade so lange 'unschuldig' zusammen über den Rasen wälzen, solange der 'Heterosexualitätsverdacht' unangefochten bleibt. All dies würde ein schwuler Spieler infrage stellen, denn unvermeidlich wäre mit ihm der Verdacht im Spiel, dass nicht Freude, sondern Begehren ihn den körperlichen Kontakt suchen lässt. Gerade dass der Männerbund weitestgehend von jeglicher Sexualität gesäubert ist, lässt schon den Gedanken an einen schwulen Spieler zur verräterischen Angstfantasie werden, wie sie einst Schalke-Keeper Frank Rost entfuhr. Gefragt, ob es denn in der Liga schwule Kicker gäbe, verneinte er und fügte unnötigerweise hinzu: "außerdem dusche ich immer mit dem Arsch zur Wand".
Anmerkungen:
1: vgl. Dembowski, Gerd: Von Schwabenschwuchteln und nackten Schalkern. Schwulenfeindlichkeit im Fußballmilieu. In: Ders.; Jürgen Scheidle (Hg.): Tatort Stadion. Rassismus, Antisemitismus und Sexismus im Fußball. Köln 2002, 140-146.; Lück, Oliver; Schäfer, Rainer: Warten auf das Coming-out. Homosexualität im Fußball. In: RUND 1/2004, 51-56.
2: Vgl. Brändle, Fabian; Koller, Christian: Goal! Kultur- und Sozialgeschichte des modernen Fußballs. Zürich 2002.: 209-217
3: Ich verwende den Männerbundbegriff für eine mehr oder weniger institutionalisierte Form männlich-homosozialer Vergemeinschaftung, die der Absicherung patriarchaler Dominanz dient. Die Verwerfung von Homosexualität markiert Eve Kosofsky Sedgwick (1985) zufolge eine willkürliche Grenze im homosozialen Gefüge mann-männlicher Beziehungen, so dass Homophobie und Homosozialität eng miteinander verknüpft sind - die fundamentale Solidarität zwischen Männern also von der "Angst vor Homosexualität" heimgesucht wird. Insofern weibliche Vergemeinschaftungen in patriarchalen Gesellschaften, wie etwa in Frauenfußballteams, gerade eine Selbstermächtigung gegen den männerbündischen Ausschluss darstellten, lassen sich daher aus Aussagen über den Männerbund keine einfachen Rückschlüsse auf das Verhältnis von Sexualität und Geschlecht in analog strukturieren Frauengruppen ziehen.; Sedgwick, Eve Kosofsky: Between Men. English Literature and Male Homosocial Desire, New York: Columbia University Press 1985.
4: Der Verhaltensforscher Desmond Morris (Morris 1981: 130f.) spricht vom "Freundschaftsfaktor": "Spieler geben den Ball häufiger an Mannschaftskameraden weiter, mit denen sie eng befreundet sind, als an solche, denen sie schwache oder negative Empfindungen entgegenbringen." Nach ungarischen Forschungen sei ein Team in dem Maße erfolgreicher, wie die Spieler in Freundschaftsbeziehungen eingebunden sind; Morris, Desmond: Das Spiel. Faszination und Ritual des Fußballs. München/Zürich 1981.
5: Selmer, Nicole: Watching the Boys Play. Frauen als Fußballfans. Kassel 2004: 120
6: Wie Brändle/Koller schreiben, herrscht oftmals wie beim Militär die Auffassung vor, "die Anwesenheit von Frauen sei der Kampfkraft abträglich";Brändle, Fabian; Koller, Christian: Goal! Kultur- und Sozialgeschichte des modernen Fußballs. Zürich 2002.: 210f
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