Eine kanadische Geschichte
von Margaret Robinson,         (read the english original)
Toronto



Schwule Männer kaufen Gleichheit...

...paranoide Einzelgänger heuern bei der Polizei an...

...elitäre Snobs heiraten...



Teil 1

Als bisexuelle Theologin werde ich oft gefragt, welches meine Haltung zur "Frage der gleichgeschlechtlichen Ehe" ist. Es ist schwer, mit der Antwort zu beginnen, weil diese Auseinandersetzung unvermeidlich persönlich wird. Ich bin mit meinem männlichen Partner seit 1996 gesetzlich verheiratet. Leute aller sexuellen und religiösen Schattierungen interpretieren diese juristische Tatsache wie einen Rohrschach-Test. Normalerweise fällt es mir leichter, Dinge auf einer theoretischen Ebene zu diskutieren, weil die Theologie normalerweise so mit diesem Komplex umgeht. Aber heute werde ich einfach sagen, was ich denke. Ich werde damit anfangen, warum es heute in Kanada die gleichgeschlechtliche Ehe gibt, während es noch vor 3 Jahrzehnten illegal war, schwul zu sein. Ich werde erklären, warum unsere Polizei so homophob ist, und warum wir das tolerieren. Und dann werde ich die Ehe im Allgemeinen kritisch beleuchten.

Kanada ist ein einer eigenartigen Situation. In vielerlei Beziehung werden wir konservativer. Wir geben dem Druck der USA nach in solchen Fragen wie der der Exporte, der Grenzsicherheit und der Drogenpolitik. Wir verlieren Teile unseres umfassenden Gesundheitssystems, und die Konservativen haben sich selbst als bedeutende politische Kraft organisiert. Auf der anderen Seite haben wir eine recht liberale Gesetzgebung, und wir sind eines von wenigen Ländern der Welt, das die gleichgeschlechtliche Ehe zuläßt. Wie kam das, daß die gleichgeschlechtliche Ehe in Kanada möglich wurde? Ich könnte es als Teil der Trudeau-Manie erklären. Es ist genug Zeit vergangen, daß wir unseren hippesten und schwulenfreundlichsten Premierminister idealisieren konnten. Seine Entkriminalisierung der Homosexualität ist eine Teilursache der gleichgeschlechtlichen Ehe. Aber andernorts , wo es auch legal ist, schwul zu sein, gibt es keine gleichgeschlechtliche Ehe. Also warum bei uns? Mir fallen drei Gründe dafür ein:

1. Der Regionalismus hält die Konservativen in Schach
Kanada ist ein Flickenteppich von Regionen. Wir nehmen eine riesige Fläche ein, so daß regelmäßiges Reisen zwischen den Provinzen teuer und undurchführbar ist. Einige unserer Provinzen sprechen französisch, und andere nicht. Zusätzlich haben wir geographische Trennlinien: eine Gebirgskette trennt British Columbia vom Rest Kanadas. Zwei unserer Provinzen sind Inseln, und eine dritte ist fast eine Insel. Einige unserer Provinzen haben arktisches Klima, wohingegen andere so weit südlich liegen, daß dort Pfirsiche angebaut werden.

Kanadische Politik ist so verschiedenartig wie unsere Geographie. Wir haben nationale und regionale Parteien, quer durchs politische Spektrum: liberal in einigen Fragen, konservativ in anderen. Erst vor Kurzem haben es Konservative mit der Reform Party geschafft, einen starken gesamtstaatliche Auftritt hinzubekommen. Aber diese Reform Party kam aus Alberta, einer Provinz, deren auf Öl basierender Reichtum, Viehfarmen und Bibelbegeisterung ihr den Spitznnamen «Nord-Texas» eingetragen haben. Das Image einer Partei reicher weißer Männer aus Alberta hat dieser Gruppe bei ihren Versuchen geschadet, in weiteren Provinzen Unterstützung zu finden. Noch komplizierter wird diese Angelegenheit dadurch, daß Alberta genau zwischen British Columbia (einer saubereren Ausgabe Kaliforniens) und Saskatchewan eingeschlossen ist, jenem Saskatchewan, das uns die meisten unserer sozialistischen Programme gebracht hat. Quebec, eine starke Kraft in der nationalen Politik, ist traditionell in sexuellen Fragen genauso liberal wie Alberta konservativ ist. Die Maritimes (Nova Scotia, New Brunswick, Prince Edward Island, Übers.) sind sexuell konservativ, aber klein genug, um freundlich zu sein, so daß es dort manchmal Unterstützung für Gay Rights gibt, wenn sie in verschwommenen und kuscheligen Bildern wie Ehe und Altersabsicherung präsentiert werden.

Während unsere Geographie günstig für den Regionalismus ist, erschwert sie die Bildung gesamtstaatlicher Bewegungen. Das betrifft sowohl radikale als auch konservative Gruppen.Focus on The Family (eine fundamentalistische Organisation, Übers.) klagt über die Apathie kanadischer Christen. Als queere Aktivistin muß ich sagen, daß "unsere Seite" dieses Problem teilt.

2. KanadierInnen sind total gelassen
Es liegt nicht nur am Dope; wir sind im allgemeinen halt recht gelassen. Ich fühle mich versucht, das auf unsere Einwanderungsgeschichte zurückzuführen. Die meisten KanadierInnen (oder deren Vorfahren) kamen von anderswo. Selbst meine, die als Einheimische gelten, kamen über die asiatische Landbrücke hierher. Ich könnte argumentieren, daß diese Einwanderungshaltung bedeutet, wir hätten aus den Gewalttätigkeiten in unseren Herkunftsländern gelernt und suchten jetzt halt ein friedliches Örtchen zum Leben. Doch auch die USA sind eine Einwanderernation, und bestimmt nicht easy-going. Vielleicht macht uns die Kälte lethargisch. Vielleicht ist es unser fürsorgliches Gesundheitssystem, oder das einschläfernde Monotonie des kanadischen Fernsehens. Es könnte auch sein, daß es an der Geringschätzung des individuellen Wettbewerbs in unserem Erziehungssystem liegt.

Wahrscheinlicher ist ein geschichtlicher Unfall. Im Gegensatz zu den USA hat Kanada keinen Krieg für seine Unabhängigkeit geführt. Unsere Art des sozialen Wandels ist eher langsam, stetig und bürokratisch. Anscheinend glauben wir, daß Geduld und Spucke mehr Veränderung bringen als Revolte. Wir sind seltsam optimistisch. Im Ergebnis ist es schwierig für Liberale und Konservative, die Leute mitzureißen, selbst in einer Frage wie der der gleichgeschlechtlichen Ehe. Beide Seiten scheinen zu glauben, daß am Ende alles gut wird.

Da wir nicht leicht dazu zu bringen sind, eine Sache zu unterstützen, ist es schwierig, Dinge zu verändern. Es ist ein langfristiges Projekt, die kanadische Gesetzgebung zu verändern. Politiker (besonders der schwule Parlamentarier Sven Robinson) haben sich sechszehn lange Jahre für den Einschluß der sexuellen Orientierung in die Menschenrechtcharta eingesetzt, bevor diese Forderung Gesetz wurde. Frühere Versuche scheiterten, weil das Parlament und die kanadische Öffentlichkeit einfach noch nicht so weit waren. Der Forderung ein Antlitz zu geben, war schließlich erfolgreicher als alle früheren Versuche, gleiche Rechte aus prinzipiellen Erwägungen heraus zu fordern. Sven Robinson outete sich öffentlich und wurde weiterhin gewählt.

3. Schwule Männer mit Geld gewinnen Gerichtsverfahren
In Wahrheit haben wir deswegen die gleichgeschlechtliche Ehe, weil eine bestimmte Sorte schwuler Männer genug Zeit und Geld darauf verwandt hat, den Fall vor alle Instanzen unserer langsamen Gerichtsbarkeit zu bringen. Und auf der Grundlage verschiedener anderer Fortschritte, welche zuvor von Aktivisten innerhalb unseres behäbigen Systems erreicht worden waren, entschieden die Richter , die für den Fall Ehe zuständig waren, zugunsten der schwulen Männer.

Zum größten Teil sind diese Aktivisten Liberale und keine Radikalen. Sie tragen Anzüge und haben Verwaltungsjobs. Sie frequentieren schwulenfreundliche Kirchen oder Synagogen und halten kleine Schoßhunde. Die Michaels, welche im Mittelpunkt eines der zentralen Gerichtsverfahren um die gleichgeschlechtliche Ehe in Ontario standen, sind hierfür ein schlagendes Beispiel. Michael Leshner ist Kronanwalt, Michael Stark Projektmanager einer Firma für graphisches Design. Leshner vertritt schon seit Jahren schwule Angelegenheiten vor Gericht, und er stellte sich als Kläger in einem Fall zur Verfügung, der die gleichgeschlechtliche Ehe in Ontario ins Rampenlicht rückte. Starks Beweggründe sind weniger klar, weil Leshner sehr viel redet und die Reporter meist nicht bis zu Stark durchdringen. Ich habe gelesen, daß er ein ruhiger Typ ist, katholisch erzogen wurde und gerne kocht. Doch dies ist die Sorte von Mann mit genügend Ressourcen, Zeit und Wissen darum, wie das System funktioniert, um Veränderungen im System herbeizuführen. Solche Männer unternehmen es, sich durch Riesenhaufen von Papier zu wühlen. Sie kommen erst dann in die Schlagzeilen, wenn sie einen Fall gewinnen.

Wenn wir aber ein solch gelassenes Land sind, warum überfällt die Polizei dann nach wie vor unsere Saunen? Oder, um es besser auszudrücken, warum haben wir eine Polizei, die eine ganz andere Haltung zu Individualrechten hat als die Regierung? Ich glaube, daß das teilweise an der Natur des Jobs liegt, und zum anderen Teil an den Leuten, die sich zu einem solchen Job hingezogen fühlen. Polizeibeamter sein ist nichts für einen normalen Menschen. Es ist stressig. Leute schießen auf einen. Normale Bürger haben Angst, daß sie von Polizisten einer Unzahl kleinster Vergehen beschuldigt werden können, die die meisten von uns Tag für Tag begehen. So lassen sie stets Vorsicht gegenüber Polizisten walten. Sie laden Polizisten nicht zu ihren Partys ein.

Und der Verdacht beruht auf Gegenseitigkeit. Polizisten sehen jeden Bürger als möglichen Kriminellen, so daß sie sich nie sicher fühlen können, außer natürlich mit anderen Polizisten. Dies fördert die Haltung von «wir (die Polizei) gegen die (alle anderen)». Dann bekommen diese arg strapazierten Männer (und um solche handelt es sich ja meist) mit der «wir gegen den Rest der Welt»-Denke und akuter Paranoia Gewehre. Leute, die sich zu einem Job mit hohem Streß, voller Paranoia und der «Wir gegen sie - Denke» hingezogen fühlen, sind solche, welche die Welt sowieso schon auf diese Art und Weise wahrnehmen. Man/frau erinnere sich an Schulhoftyrannen, Autoritätshörige und Waffenfanatiker. Sie fühlen sich isoliert. Sie glauben, daß alle irgendwie gegen sie sind. Sie taugen was als Befehlsempfänger. Und sich einer Gruppenidentität unterzuordnen, gibt ihnen ein Gefühl der Zugehörigkeit, was sie nie zuvor hatten. Auch sind diese Männer ihrer Männlichkeit nicht sicher, und tragen deswegen gerne Gewehre und mögen keine Schwulen. Bei näherem Nachdenken sollte die Frage nicht sein: «Warum haben wir so eine homophobe Polizei», sondern eher:«Können wir kein besseres soziales Ordnungssystem entwickeln, als Leute als Aufpasser und Kanonenfutter einzusetzen, welche die meisten von uns nicht ausstehen können?»

Ich persönlich glaube, daß Queers deswegen mehr Energie in Szenepartys investiert haben als in die Veränderung der Polizei, weil wir eine homophobe Polizei brauchen. Viel von der queeren Kultur, die wir heute haben, ist als Antwort auf die Polizeischikanen gegen schwule Saunen in den späten Siebzigern und frühen Achtzigern entstanden. Einer der Gründe dafür, daß sich offene Unterdrückung zu unseren Gunsten auswirkt, ist der, daß sie zeigt, daß wir wirklich unterdrückt werden. Es ist einfacher, Unterdrückung zu sehen, wenn Du etwas Schlimmes aufzeigen kannst, als wenn es sich um ein Gemisch aus zweideutiger Vernachlässigung, Ungerechtigkeit, Unsichtbarmachung und Zurückweisung handelt. Ein zweiter Grund, warum Polizeischikanen sich zu unseren Gunsten auswirken, ist der, daß sie uns einen, und viele der Brüche in unserer Community überdecken. Während ich Leuten nicht zustimme, die den alten Tagen nachweinen, wo alle vorgaben, «Glad to be Gay< zu sein, muß ich doch zugeben, daß selbst das umfassendste Akronym tatsächliche Widersprüche zwischen all denen verhüllt, welche sich in der queeren Community zu Hause fühlen. Zum Beispiel ärgert es mich ungemein, dass Schwule und Lesben weniger gewillt sind, Biphobie zu bekämpfen als Bisexuelle Homophobie. Die Schwierigkeit, die Torontos Bi-Community hat, eine von der Stadtregierung offiziell ausgerufenen Bi-Tag zu etablieren, ist dafür nur ein Beispiel. Ein dritter Grund dafür, daß Polizeischikanen sich günstig für uns auswirken, besteht darin, daß Liberale im Großen und Ganzen so leicht zufriedenzustellen sind. Ich will damit nicht sagen, daß wir faul seien, aber es ist sehr, sehr schwer, in uns jenen Eifer zu entflammen, der die religiöse Rechte offensichtlich antreibt. Wenn wir schon keine religiöse Inbrunst haben, brauchen wir eine andere Energiequelle. Nach meiner Erfahrung ist so eine richtige berechtigte Entrüstung oder ein Vorfall, der mich wütend macht, genau das Richtige, damit ich mich monatelang mit ermüdendem Papierkram beschäftigen kann. Die homophobe Polizei und die absichtlich ignorante Stadtverwaltung machen mich so sauer, daß meine Produktivität als queere Aktivistin steigt.

weiter zu Teil 2


Kanada steht nach der: Parlamentswahl offenbar vor einem Regierungswechsel. Die Konservative Partei erreicht laut Hochrechnungen des staatlichen Fernsehens die meisten Mandate, verfehlte jedoch die absolute Mehrheit. Nach ersten Auszählungsergebnissen zwei Stunden nach Schließung der Wahllokale liegen die Konservativen mit ihrem Spitzenkandidaten Harper bei 36 Prozent; die bisher regierenden Liberalen von Ministerpräsident Martin kommen auf 33,5 Prozent. Von den bislang vergebenen Mandaten erreichten die Konservative Partei 96, die Liberalen 75. In Kanada wird nach dem Mehrheitswahlrecht gewählt. Aus jedem der 308 Wahlkreise zieht somit der Kandidat mit den meisten Stimmen in das Parlament in Ottawa ein.