Dogville oder: Markenturnschuhe verbrennen, statt sie zu lecken?
von der böse Mann
etuxx



















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Vielleicht hat angesichts der Tatsache, daß am 10. November Lars von Triers "Manderlay" in unsere Kinos kommt - der zweite Teil einer Trilogie, deren erster Teil "Dogville" ist - jemand Lust, zu Dogville noch einmal zu diskutieren.

Meiner Meinung nach ist die Geschichte der jungen Grace (Nicole Kidman) weniger unter Gender-Gesichtspunkten zu betrachten, also weniger unter dem Blickwinkel "Frauen sind das gütigere Geschlecht, welches gerne dient, und geraten aufgrund dieser Disposition zu einer bestimmten weiblichen Form des Masochismus eher in die Gefahr, ausgenutzt oder gar ausgebeutet zu werden", als unter dem Blickwinkel der (geschlechtsneutralen) feinsinnigen Kapitalismusanalyse. Feinsinnig deswegen, weil hier nicht "böse Kapitalisten" auf der einen Seite "armen ausgebeuteten Arbeitern" auf der anderen platt gegenübergestellt werden, sondern weil zunächst das Entstehen kapitalistischer Rollenaufteilung nachempfunden wird, bis hin zu einer Entwicklung eines Hoch-Kapitalismus und zum Kollaps. Dogville erzählt also - durch die marxistische Brille betrachtet - vor allem die Geschichte des Kapitalismus - stark schematisiert natürlich (ähnlich wie beim Vorbild Brecht) und im Schnelldurchlauf.

Im Prolog und in dem ersten Kapitel sehen wir eine Gesellschaft, die zwar nicht im Reichtum schwelgt, aber auch keinen Mangel leidet - eine "Urgesellschaft" gewissermaßen. Als Grace in dieses soziale System hineinkommt, offenbaren sich die Mitglieder als menschlich und solidarisch - alle stimmen dafür, Grace für zwei Wochen bei sich aufzunehmen, im Prinzip ohne Gegenleistung. Grace ihrerseits erklärt sich bereit, allen Familien hier und da ein wenig zu helfen, ihrerseits ebenfalls, wie ihr Name schon sagt, aus reiner Freundschaft, aus Wohlwollen und Gunst - als Gefälligkeit. Kidman verkörpert hier weniger eine konkrete Frau in einem konkreten historischen Amerika, sondern eher grace (engl.)/gratia (lat.), menschliche Güte allgemein, als Allegorie.

Doch es erweist sich zunächst, daß es eigentlich für sie in dem ausgeglichenen kleinen System nichts zu tun gibt. An dieser Stelle beginnt nun einer der entscheidenden Faktoren zu wirken: die Erweckung neuer Bedürfnisse. Grace zeigt den Bewohnern, um für sie etwas tun zu können, Mängel auf, die tatsächlich nicht bestehen - ihre Arbeit wird ab dem Punkt, an dem sie über den rein emotionalen, zwischenmenschlichen Kontakt hinausgeht, sondern nützlich sein will, gerade eben darin ad absurdum geführt: wenn Grace dem Blinden die Vorhänge öffnet oder den Arzt verarztet, so entsteht dadurch kein Sinn.

Trotz ihrer Überflüssigkeit beginnen sich die Bewohner von Dogville an die Dienste Graces zu gewöhnen: aus dem Überfluß wird Normalität. Eine Veralltäglichung tritt ein - das Verhältnis der Bewohner zu Grace wird rationaler, kälter, materialistischer und - ungleicher. Aus grace, gratia, der bloßen Gefälligkeitswohltat, wird Lohnarbeit, labor (was, wie der Blick in den Stowasser offenbart, richtigerweise auch Beschwerde, Not, Ungemach, Schmerz und Krankheit bedeutet).

Die einzelnen Faktoren, die in diese Abhängigkeit führen, baut von Trier mit Modellen in der Anschaulichkeit und Einfachheit einer Sendung des Schulfernsehens auf und führt uns behutsam vom einen zum anderen:
(1) Aus der Tauschwirtschaft wird eine Geldwirtschaft, Grace erhält bald Dollars für ihre Arbeit.
(2) Bedürfnisse, die bei Grace geweckt werden, drücken sie tiefer in ihre Abhängigkeit - die Arbeiterin wird zur angepaßten Konsumentin - zur Warenfetischistin: ihr Begehren richtet sich auf sieben gleichermaßen unnütze wie häßliche Porzellanfigürchen im Schaufenster (!) von Ma Gingers Laden, die sie von ihrem kargen Lohn nach und nach alle erwerben wird.
(3) Als Machtmittel in der Hand "des Kapitals" kommt der Druck dazu, die Arbeiterin jederzeit an die von ihr als feindlich empfundene Staatsmacht zu überantworten: symbolisiert durch ein niedliches Oldtimer-Polizeiauto.
(4) Eine Verrechtlichung tritt ein, das Denken, man könne auf Zeit und die darin geleistete Arbeit eines anderen einen "Rechtsanspruch" haben, kombiniert mit einer Institutionalisierung - symbolisiert durch den Glockenturm. Dem aufmerksamen Beobachter werden weitere solcher Faktoren aufgefallen sein, doch sei es hier bei diesen Vieren belassen.

Nachdem der Zuschauer den Aufbau des Kapitalismus derart vorgeführt bekommen hat, wird die Radikalisierung in der gleichen klaren Modellhaftigkeit präsentiert:
(1) Die Drohung mit der Staatsmacht verstärkt sich: zu dem niedlichen, greifbaren Polizeiauto kommt - diesmal als rein akustisches Modell - das dumpfe, bedrohliche Hämmern der Dampframmen hinzu, welche im fernen Moor die Pfähle für eine künftige Haftanstalt in den sumpfigen Grund stoßen.
(2) Die Arbeitsdisziplin verschärft sich. Grace wird unter der sich verschärfenden Drohkulisse (s. 1) nahegelegt, doch alle Familien häufiger zu besuchen. Die Glocke läutet jetzt sehr viel häufiger (im Halbstundentakt - die Zeitbudgetierung wird "moderner", alles wird pünktlicher, es folgt eine Sequenz im Zeitraffer: Grace hetzt von Haus zu Haus, die Verhältnisse zu den einzelnen werden immer unpersönlicher).
(3) Die Kapitalisten nehmen den Arbeitern die Früchte ihrer Arbeit weg (die Porzellanfigürchen, die Grace inzwischen erworben hat, werden zerstört),
(5) dieser Vorgang wird religiös (Opium für das Volk) verbrämt: als Symbol für eine solche Religion steht hier der Stoizismus: Grace soll angesichts der Zerstörung der Früchte ihrer Arbeit beweisen, daß sie eine gute Stoikerin ist). Die Betonung der Ungleichheit verstärkt sich, Fremdenfeindlichkeit wird z. B. symbolisiert durch das Verbot für Grace, die Abkürzung zur "Altweiberbank" zu benutzen, die alle Einheimischen benutzen dürfen.
(6) Ein Aussteigen aus der kapitalistischen Tretmühle wird nicht mehr zugelassen: Ben, der sie mit seinem Truck fortbringen sollte, bringt Grace statt dessen nach Dogville zurück.
(7) Der gescheiterte Ausstiegsversuch wird zum Stigma (häufig verstärkt durch die Fremdheit): Grace wird in ein erniedrigendes Kontrollsystem gezwungen (Halseisen mit Glöckchen und Kette) und muß nun noch mehr, noch niedrigere Arbeiten erledigen, quasi ohne Lohn - sie ist fast Sklavin. Übertragen auf unsere gegenwärtige Situation: Aus der Arbeiterin Grace ist die MAElerin Grace, die Ein-Euro-Jobberin Grace geworden.
(8) Auch die Geschlechterverhältnisse werden schließlich dem Diktat der Kommerzialisierung unterworfen, Grace wird in die Prostitution gezwungen.

Als der Kapitalismus so auf seinem Höhepunkt, Grace entsprechend an ihrem Tiefpunkt angelangt sind, bekommt Grace das Mittel zum bewaffneten Widerstand in die Hand und nutzt es. Die "Kapitalisten" Dogvilles werden sämtlich getötet, der Ort niedergebrannt. Einziger Überlebender ist Hund Moses. Im Hintergrund scheint eine rote Sonne, wohl nicht weniger symbolträchtig als der Name einer gewissen beliebten Schankstube in der Berliner Kastanienallee.

Für den perversen Menschen mit subversiven Neigungen (oder umgekehrt) eröffnet dies natürlich die (derzeit innerhalb und außerhalb Berlins nicht selten andiskutierte) Frage nach dem Verhältnis von Perversion und Subversion.

Wie subversiv sind Perversionen, insbesondere der Fetischismus und Sadomasochismus wirklich?

Wäre es nicht (s. Titel) subversiver, jene Treter, die unter dem Zeichen der Siegesgöttin die Welt inzwischen beherrschen, zu verbrennen, als ihnen in unseren Fluren (wie es uns die Werbung auch noch vormacht!) Hausaltäre in Form von Designerregalen zu errichten und vor ihnen niederzuknien, um sie zu lecken?

Wäre es nicht subversiver, die große Zärtlichkeit und das Extremkuscheln ausbrechen zu lassen, statt uns zu fesseln und zu schlagen?

Weitere, darüber etwas hinausgehende Fragen:

Vielleicht eher ein "Nebenkriegsschauplatz": Wie stehen wir, nachdem im Sozialismus Jahrzehntelang die Prostitution als typische Krankheit des Kapitalismus angesehen wurde, als moderne linke Homosexuelle der Prostitution gegenüber?

Nachdem Lars von Triers Ende, auf die Erde übertragen, mehr oder weniger als Lösung die Auslöschung der gesamten Menschheit bedeuten müßte: Wie basteln wir an der Überwindung des Kapitalismus?


Anand X.: Werden beim Sneakersverbrennen nicht aber die Pyromanen "bedient"? 200-Euro-Sneakers zu verbrennen, finde ich eher dekadent als subversiv. - Eine Zärtlichkeitsoffensive allerdings wäre in der Tat subversiv; im Gegensatz zu SM, das in etwa so subversiv ist wie Kids, die mit Kriegsspielzeug spielen.  
Robert M. @ der böse Mann: A) Kuscheln statt SM ist wie Salz statt Zucker oder Sport statt Lesen, nein böser Mann, that's not my point of view. Dit jeht schon beides, eben nacheinander! B) symbolträchtige rote Sonnen: Nicht auf die Bilderflut der leninistisch/stalinistischen Werbung reinfallen! C) Urgesellschafft: C1) Wann hast Du Dein letzten Morgen Hirse bestellt, und C2) wann die letzte Ziege gemolken und C3) Wann den letzten Ziegenkäse verkauft, äh ach ne -Du wollst ja bestimmt tauschen?  
yibah: Du lieber Gott, wo landet den die schwullesbische Diskussion heute - auf dem Stand von vor 69? Oder vor 1914! Ist das irgendwie eine sexualpolitische Regressionserscheinung, die zu politisch perversen Diskussionen um Leidenschaften kreist? Wie stehen wir der Prostitution gegenüber? Wäre es nicht subversiver, die große Zärtlichkeit und das Extremkuscheln ausbrechen zu lassen, statt uns zu fesseln und zu schlagen? Da verläßt einen der letzte Glaube an "moderne, linke Homosexuelle". Und wer Extremkuscheln will, der Fahre nach Köln zur Bärenwoche. Da treffen sich Ende November ca. 5.000 dieser haarigen Monster aus aller Welt und tun eine Woche nix anderes. Wie langweilig!  
Lore und St. Marx: naja, ich finde es schon legitim, uns zu befrage, inwiefern unsere sexualität ein produkt der gesellschaftlichen verhältnisses ist, und die sind nun mal kapitalistische. andererseits ist der kapitalismus ein produktionsverhältnis und wird nur geändert, indem sich die organisation der produktivkräfte verändert. er ist eben nicht das ergebnis der schlechtigkeit der menschen, sondern die profitgier ist das ergebnis internalisierter kapitallogik. ich fürchte, durch das zerstören unserer erektionshilfen werden sich die ausbeutungsverhältnisse noch nicht ändern.  
van baden-babelsberg: oh, herr oder frau yibah, das ist jetzt aber interessant, das mit dem "modernen, linken, homosexuellen". ich meine, Sie setzen diesen ja selbst in anführungszeichen. heißt das, dass es ihn nur als zitat gibt? na, ich hoffe, dass Sie nicht vom glauben abfallen, an Ihren modernen linken homosexuellen. nur was, wenn auch dieser extrem kuschelt, obwohl er kein "haariges monster" ist? "Wie langweilig!"  
Anand X.: Klar geht auch beides (SM und Kuscheln), Robert. Vor allem ist Subversion aber natürlich eine Frage des Ortes (für uns Hobby-Soziologen meinetwegen auch: des Settings). Dennoch fallen mir kaum Orte ein, an denen SM (noch) subversiv sein könnte, jedoch einige (und immer mehr), an denen Kuscheln dies wäre. Angesichts der brachialen Durchkapitalisierung des Alltagslebens und der damit einhergehenden Verrohung plädiere ich z.B. für ein Cuddle-In zwischen Marginalisierten und Marginalisierenden an der Deutschen Börse in Frankfurt.  
HUMANA: ich frage mich, wer um alles in der welt die forderung in die welt gesetzt hat, etwas müsse an und für sich subversiv sein. ein moralischer anspruch, an dem wir in all unserer hinfälligkeit und unvollkommenheit nur scheitern können und der anschließend hämisch bespottet werden kann von welchen, die es sowieso schon immer besser wussten. viel interessanter finde ich, dass durch nichts garantiert ist, dass sm nicht subversiv sein kann.  
Sven: 'subversiv' ist wohl das linke Keuschheitsfeigenblatt für SM. Lust und Begierde ohne Überbau kommt den meisten doch als ein kapitalistischer Fetisch vor. Am aller peinlichsten und lächerlichsten: die schwulen Skins, die sich alberne Aufnäher oder Buttons ans Rever heften, um ihren queeren Fetisch politisch geraderücken möchten oder ihr gewissen beruhigen möchten.  
alberne Fetisch-Glatze: willkommen im club, du peinlicher und lächerlicher. so schlecht lebt sichs so doch gar nicht. ist der ruf erst ruiniert...  
Sven@ aFG: ich habe nichts gegen Glatzen, wohl aber gegen diesen elenden Rechtfertigungsdruck einiger Klemmschwestern ... und das dazugehörige Rechtfertigungsgebaren - einschließlich des Autors.  
der boese Mann: Sven, in deinen Beiträgen geht einiges durcheinander. Zur Verunglimpfung gewisser Buttons: In dem du sie als lächerlich abqualifizierst, unterstellst du wohl sich als Linke gerierenden schwulen Skins in toto, apolitisch zu sein u. die Inhalte ihrer Buttons nicht als politische Menschen zu leben. Soweit das mich treffen soll, nehme ich diesen Vorwurf gelassen, da er ins Leere geht. Ich habe heute über zwei Stunden vor dem (ehem.) Jüdischen Waisenhaus in Pankow gestanden und mit vielen Leuten gegen die in ungeheurer Provokation gerade dort marschierenden Neonazis demonstriert. Das war weder peinlich noch lächerlich, noch wollte ich damit irgendeinen Fetisch politisch geraderücken.  
der boese Mann: Erläre, warum uns Begierde ohne Überbau als kapitalist. Fetisch vorkommen soll. Lust ohne Überbau ist eine schöne, unrealisierbare Idee. Lust ist vom gesell. Unter- u. Überbau geprägt. Daher die Frage: Wie schafft es z. B. ein Schuh, sexuell zu erregen, ein Turnschuh aus Massenproduktion, ein Arbeitsprodukt, in dem nichts übrig ist "als dieselbe gespenstige Gegenständlichkeit, eine bloße Gallerte unterschiedsloser menschl. Arbeit, d. h. der Verausgabung menschl. Arbeitskraft ohne Rücksicht auf die Form dieser Verausgabung" (Marx, Kapital).  
der boese Mann: Angesichts vieler Romeo-Profile mit adidas/Nike im Namen u. Bildern, die an Internetschuhhäuser erinnern, wobei Ejakulat auf dem Schuhwerk zeigt, daß dieses Begierden nicht nur weckte, sondern auch erfüllte, interessiert schon, wie sexuelle Lust erzeugt wird u. wie eng das mit der allgem. Bedürfniserweckung durch z. B. Werbung verbunden ist.  
der boese Mann: Rechtfertigungsgebaren findet sich bei mir nicht. Ich behaupte nicht, daß SM oder Fetischismus subversiv seien, sondern stelle nur die Frage, an jene, die dies behaupten. Ich schließe mit der Frage nach subversivem Potential von SM an das Referat der AG Genderkiller vom 15.08. an. Dort wurde SM + die Frage der Macht in der Sexualität diskutiert, u. a. eben unter der Frage: Und kann man ein subversives Potential ausmachen? Ich hoffe, daß eine/r derjenigen, die diese Frage mit "ja" beantworten, hier seine/ihre Argumente präsentiert. Die Feststellung, daß SM nicht a priori nicht subversiv ist, Humana, läßt mich da so klug als wie zuvor.  
Lüste&Laster: ach, boeser Mann, du, es ist kein Dokument der Kultur, das nicht zugleich eines der Barbarei wäre, wie Walter Benjamin so treffend feststellte. Insofern ist jede absolute Hingabe daran eine Bejahung der dunklen Seiten der Dialektik. Und doch ist Hingabe schön und wichtig, sofern man sie um ihre kritische Bereicherung nicht betrügt. Das gilt sowohl für den Nike-Turnschuh als auch für vermeintlich linke Kulturikonen.  
Onair@L&L: Diese Argumentation folgt ungefähr dem gleichen Muster wie der vieler Klemmschwestern, die tagsüber im Büro sitzen und des Nachts incognito ihren "Lüsten und Lastern" nachgehen. Das trifft ja wohl kaum auf politisch aktive (oder zumindest reflektierte) Menschen zu; dachte ich jedenfalls bisher und hoffe es immer noch. Und dass in diesem Zusammenhang auch noch Walterchen Benjamin herhalten muss, setzt der darin zum Ausdruck kommenden Schizophrenie nur noch eins drauf. Dialektik ist das nicht.  
Onair@L&L Forts.: Kritik muss, wenn sie ernstgemeint sein will, mehr als eine "Bereicherung" sein. Also ich meine, was man sexuell begehrt und - aus welchen Gründen auch immer - eigentlich besser nicht begehren sollte, ist doch einen Gedankenaustausch wert, oder? Mit Deiner Haltung signalisierst Du aber das Gegenteil. Auch würde ich dann doch nochmal deutlich zwischen einem Nike-Turnschuh und einer "vermeintlich linken Kulturikone" (was soll das überhaupt sein?) unterscheiden wollen.  
La Gritte: ich möchte den blick auf zwei, drei aspekte lenken, die mir bisher zu kurz gekommen sind. u.a. die eingangs gemachte äußerung: natürlich macht es keinen sinn, diese turnschuhe erst zu kaufen, um sie anschließend zu verbrennen. da wäre es schon schlauer, dies überteuerte schuhwerk anzuzünden, solange es noch im laden steht, oder womöglich noch ein wenig weiter vorn in der wertschöpfungskette. dann wäre da die äußerung der dame humana. ich stimme ihr zu, denn damit ist garantiert, dass hier nicht die eine diktatur durch die andere erstetzt wird.  
La Gritte 2: denn: subversiv setzt - als begriff, vielleicht auch als praxis - eine bewegung gegen etwas voraus, das als repressiv empfunden wird. auch der bürger fand sich als citoyen mal schick und subversiv, und das mit der diktatur des proletariats hat zwar eine geschmeidige theorie, allein die gesellschaftliche praxis war dann doch, ähm, spröde. aber: ich kann verstehen, wenn der warenfetisch das begehren weckt, denn das soll er ja auch, sonst könnte der kapitalismus nicht existieren.  
La Gritte 3: und wenn das durch den warenerwerb eingeknickte subjekt die schicken neuen puschen dann zum zentrum einer sm-inszenierung macht, dann ist das für mich eher eine symbolische, magische interaktion, die subjektiv so empfundene souveränität wiederherstellen soll. wenn dann noch weitere personen beteiligt sind und es bei deren transaktion um repression und subversion geht, dann ist offensichtlich, dass die gesellschaftlichen produktionsformen sich in den sexuellen verkehrsformen widerspiegeln.  
La Gritte 4: nur: macht uns das schlauer, fühlen wir uns besser, will jemand mehr moral? ist mit dieser diskussion und dem durch sie eingeleiteten erkenntnisgewinn etwas an den ursachen der herrschenden verhältnisse geändert? oder ist das eine diskussion erlesener luxusprobleme, kurz: schlagen wir uns hier mit lilienstengeln? ps: wäre es nicht super, wenn alle hier mehr als 13 zeilen auf einmal posten könnten?  
Anand X.: Natürlich ist dies "eine Diskussion erlesener Luxusprobleme". Es macht einfach mehr Spass, Luxusprobleme zu diskutieren als essentielle. Auch etuxx lebt von diesem Luxus; andernfalls wäre es wahrscheinlich so trist wie die Homepage des Arbeitslosenverbandes. Und dass offenbar viele etuxx-UserInnen Luxusprobleme haben und auch dazu stehen, bewahrt dieses Internetmagazin immerhin weitgehend davor, in eine StellvertreterInnenpolitik zu verfallen, wie sie in vielen linken Gruppen üblich ist.  
La Gritte @ Anand X: zum glück macht es mir bereits genug arbeit, mich selbst zu repräsentieren, ma chère. auch habe ich nichts prinzipielles gegen lilien und deren stengel. allein, mit dem vorschlag des "cuddle-in der marginalisierten" - bewegst du dich damit nicht höchstselbst hart an der abrisskante zur stellvertreterin? und was haben dir denn bloß die "homepages der arbeitslosenverbände" getan, cherie? wobei ich dir natürlich zustimme , was die frei flotierende erotik anbelangt. bisous!  
bedenkenträgerin: den markenturnschuhfetisch haben allerdings zuerst die underdogs aus den us-amerikanischen ghetto etnwickel und kultiviert, vielleicht ja aus einem legitimen bedürfnis nach luxus heraus...  
La Gritte: ein wertvoller hinweis, liebe bedenkenträgerin! aber um zu erfahren, was die puschen für marginalisierte jugendliche auf der ganzen welt bedeuten, müssten wir sie schon fragen, die jugendlichen, alles andere bleibt spekulation. "bedürfnis nach luxus" - kann sein. meine vermutung wäre, dass sie dem - subjektiv vielleicht durchaus "übermächtig" empfundenen - warenfetisch einer bürgerlichen konsumgesellschaft begegnen, indem sie sich selbst in einen (gegen-?)fetisch zu verwandeln versuchen - mehr oder weniger "gekonnt" zwischen spiel und ernst balancierend.  
La Gritte 2: aber aus dem erwerb überteuerter markenartikel wird dadurch noch kein subversiver akt, genausowenig wie aus dem kopieren der herrschenden verhältnisse im s-m, in dem für eine weile die regeln der profanen wirklichkeit, des alltags ausgesetzt werden, um an seine stelle eine andere wirklichkeit treten zu lassen, in der in einem "spiel für erwachsene" das spannungsfeld und die beiden pole repression/dominanz und subversion/unterwerfung erotisiert werden, um die sexualität in dem reservat frei zu lassen, das die gesellschaft dafür vorsieht.  
La Gritte: etwas subversives kann ich in darin nicht erkennen, aber der anspruch, das ficken immer und andauernd der weltverbesserung dienen muss, würde ich so auch nicht unterschreiben. der gegenentwurf hierzu, das cuddle-in der marginalisierten, wo alle mit allen, wann und wo und wie sie wollen, machen, was sie wollen, hingegen scheint mir schon eher der auskugelung der herrschenden verhältnisse zu nützen, ist aber bestimmt auch nicht die richtige tasse tee für alle. ps: ich kann und kann mich nicht kürzer fassen, so sorry.  
bedenkenträgerin: das geht jetzt doch die fantasie durch, liebe La Gritte. das cuddle-in der marginalisierten? mal butter bei die fische: wie sähe das aus? wie wäre das lustvoll und vereltzungs- und angstfrei unter den herrschenden bedingungen zu realisieren?  
Anand X.: Mit einem "Cuddle-In" von Marginalisierten mit Marginalisierenden an der Deutschen Börse in Frankfurt (s.o.) schwebte mir so etwas wie eine Fortsetzung der, wie ich finde gelungenen, Aktion der "Überflüssigen" im Edelrestaurant "Borchardt" in Berlin-Mitte vor. Eine StellvertreterInnenpolitik, ma chère Gritte, wäre das in meinem Fall nicht, da ich mich sozial und politisch zu den Marginalisierten zähle resp. zählen muss. Ich habe nur ein einziges Luxusproblem: warum diskutiere ich das auf etuxx? ;-)  
bedenkenträgerin: was hatte jetzt diese überflüssigen-aktion im borchardt mit sexualität und lustausübung zu tun?  
La Gritte @ bedenkenträgerin: werte bedenkenträgerin, eben das, was du sagst, ist der springende punkt. du nennst es "verletzungs-" und "angstfrei". ich würde sagen: ohne innere und/oder äußere repression, aber es ist der selbe punkt. wenn dir eine freie sexualität allerdings nicht "lustvoll" erscheint (siehe deine worte), dann kann ich das an dieser stelle nur zur kenntnis nehmen. oder habe ich dich falsch verstanden? wie dem auch sei: es gibt ja noch viele andere zusammenhänge, in denen dein subversives potenzial willkommen wäre!  
La Gritte @ Anand X: liebes! ich darf dich an folgendes erinnern: das wort von der stellvertreterInnenpolitik hast du hier als erstes in den mund genommen, als du mich auf die hiesigen spielregeln hingewiesen hast und mir erklärt hast, was etuxx leistet (s.o.). und damit nebenbei selbst ein schönes beispiel für das geliefert, was du nach eigenem bekunden nicht schätzt - stellvertretrInnenpolitik. oder hast du hier eine von diesem forum oder seinen betreibern legitimierte funktion, sprich: dürfte ich bitte mal ihren dienstausweis sehen?  
Anand X.: Bien, la Gritte: ich habe wohl einiges, das hier jetzt gerade diskutiert wird, "zuerst in den Mund genommen". Und in einem ganz anderen Sinn als dem, mit dem ich rechnen musste, hast Du tatsächlich recht: ich bin zur StellvertreterIn geworden resp. habe mich dazu gemacht. Weniger in sozialrevolutionärer Hinsicht als in etuxxischer. Dafür entschuldige ich mich. Alte Reflexe sind oft schwer zu bändigen.  
La Gritte @ Anand X: liebes - wem sagst du das! moralische ansprüche richten sich doch zuerst an die, die sie hervorbringen, insofern kann ich dir nur versichern: ich trage auch mein packerl (für alle, die das noch nicht gemerkt haben *kicher). und à propos de "luxus": wenn der aus finanzmacht resultiert, interessiert er mich sowieso nicht, also her mit den lilienstengeln. und ein nachtrag zur werten bedenkenträgerin: du nennst es "phantasie", ich nenne es "utopie". zur erinnerung: das ist eine wirklichkeit(!) jenseits der regeln der real existierenden. à bientôt  
hundefänger: Regisseur Lars von Trier im Zeit-Interview über Sadomasochismus: "Wenn man aber nun den Romantizismus, der das Wort Freiheit umgibt, wegnimmt, dann geht es darum, die angenehmste und beste Lebensform zu finden. Und wenn man diese Lebensform dann Sklaverei nennt, ist es auch in Ordnung. Vielleicht hat ein Sklave, der einem Mann mit einer Peitsche unterworfen ist, sogar mehr Würde als ein Sklave, der von wirtschaftlichen Zwängen in Schach gehalten wird."  interview
hundefänger: Auf en.wikipedia.org wird Dogville als "anti-christliche Allegorie" bezeichnet, hier grade umgekehrt als puritanischer Aufruf die Fetische dem Fegefeuer zu übergeben. Anything goes ;-) Von Trier selber sagt im Interview, daß es ihm zuallererst darum geht, Kitsch zu produzieren.  dogville interpretations

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