Caracas Maricas de día

Wenn es Tag wird in Lateinamerika

Lesben, Schwule, Bisexuelle und Transgender,
die LGBT-Szene Lateinamerikas entdeckt den politischen Kampf


Venezuela erwacht



In Lateinamerika leben Schwule, Lesben, Bisexuelle und Transgender nicht nur im Zauber der Nacht. Inzwischen erobern sie für sich auch den Tag. Im Kampf gegen neoliberale Politiken, die Armut und Elend neben einem schamlosen Reichtum hervorgebracht haben. Das jedenfalls konnte Markus Plate beobachten, der das nächtliche Caracas bei Tage ganz anders erlebte. Während der 16. Weltfestspiele der Jugend. Markus berichtete auf etuxx auch schon über AIDS in Kolumbien.



Links zu sein, war in Lateinamerika seit jeher gefährlich. In den rechten Miltärdiktaturen des Kontinents, allesamt mit tatkräftiger Unterstützung der USA an die Macht gelangt, wurden Hundertausende Sozialisten, Kommunisten, Menschenrechtler und Gewerkschafter ermordet, gefoltert, inhaftiert oder verschwanden. Guatemala, El Salvador, Kolumbien, Peru, Brasilien, Argentinien, Uruguay, Paraguay, Chile - bis Ende der Achtziger Jahre war fast jedes Land in den Händen faschistischer Militärs. Schwul zu sein, war in Lateinamerika seit jeher geächtet. Die katholisch, machistisch und patriarchalen Gesellschaften verurteilen vor allem männliche Homosexualität als pervers und Sünde, sehen sie aber wohl in erster Linie als Anschlag auf ihre Hegemonie. Mit dem Schwulsein konnten nur Begüterte kokettieren, vor allem solche mit künstlerisch-intellektuellem Einschlag. Was innerhalb der Linken zu dem bekannten Vorurteil führte, Schwule seien grundsätzlich Konterrevolutionäre.

Schwul und Links ist daher eine Kombination, die bei über 30-jährigen in Lateinamerika Seltenheitswert hat. Wenn man schon kämpfen will, dann vermeidet man einen Zweifrontenkrieg. Die Folge: Offen Linke verbergen ihre Homosexualität, offen Schwule verneinen eine linke Gesinnung. Das ändert sich, im Süden des Kontinents und in Mexiko schneller als in den extrem konservativen Gesellschaften Zentralamerikas und des Andenraumes. Der Kampf gegen AIDS hat Schwule zu Aktivisten werden lassen und in Argentinien haben sich Schwule und Lesben das Recht auf gleichgeschlechtliche Partnerschaften erkämpft. Der klassische Kampf um Bürgerrechte, der Kampf um Anerkennung in einem bürgerlichen Leben eben. Und unter den Jüngeren jedoch gewinnt ein dezidiert antikapitalistischer, antineoliberaler und antihegemonialer Ansatz zunehmend an Bedeutung, der den Schulterschluss mit anderen Bewegungen sucht. Schwule, Lesben und Trangender drängen in linke Zusammenhänge.

16.Weltfestspiele der Jugend


Die 16. Weltfestspiele der Jugend und Studenten in Caracas waren diesbezüglich eine kleine Enttäuschung: Wenn es eine unterrepräsentierte Gruppe gab, dann waren es wir Schwule. Das war zumindest mein Eindruck nach einer intensiven Woche auf diversen Seminaren, in Diskussionsrunden und auf den abendlichen Konzerten. Ziemlich heterosexuelle Veranstaltung. Nicht ganz! Ein mit fast Tausend Delegierten erstaunlich gut besuchtes Seminar setzte sich mit Diskriminierung und Gewalt aufgrund des Geschlechts und der sexuellen Orientierung auseinander. Getreu des Mottos der 16. Weltfestspiele, "Gegen Imperialismus und Krieg", stellten die Redebeiträge die Auswirkungen neoliberaler, imperialistischer Politiken auf das Leben von Lesben, Schwulen und Transgender in den Vordergrund. Dabei konnte das Seminar auf eine entsprechende Veranstaltung aufbauen, die Anfang des Jahres auf dem Weltsozialforum im brasilianischen Porto Alegre stattfand. Die Ergebnisse von Porto Alegre sind in der Broschüre "Jóvenes en Movimiento - Juventud y Diversidad Sexual en el Foro Social Mundial" zusammengefasst.

HipHop auf der Straße von Caracas Schwule, Lesben, offen lebenden Bisexuelle und Transgender haben den Kampf gegen neoliberale Politiken für sich entdeckt, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen. Aber der Neoliberalismus ist kein Feind von Außen. Ist nicht nur kaukasisch, konservativ, rassistisch, männlich und heterosexuell. Er findet seine Anhänger und Nutznießer auch innerhalb marginalisierter und diskriminierter Gruppen: Es sind nicht nur die großen Pharmafirmen, Versicherungsunternehmen oder Automarken, die um ein zahlungskräftiges schwules - und nicht (oder noch nicht?) lesbisches oder transsexuelles - Publikum werben. Gerade innerhalb der schwulen Szenen der Welt wird Geld zunehmend ungeniert zur Schau gestellt und als sexy empfunden. In Deutschland wählt der moderne, kapitalistische schwule deutsche Mann Grün. In Venezuela unterstützt er begeistert und argumentfrei die Opposition. Hüben wie drüben bieten schwule Finanzdienstleister dem potenten Homo die private Altersvorsorge, die private Krankenversicherung, schwulen Rechtsschutz, Anlagemöglichkeiten. Statt also wie in Deutschland gegen den Abbau sozialer Rechte zu kämpfen, machen sich viele (die meisten?) Schwule zu Komplizen des neoliberalen Systems.

Ganz anders die Lesben in Lateinamerika, die mehrheitlich links zu finden sind. Das ist schon der Tatsache geschuldet, dass Frauen in sozialistischen Ländern besser gestellt sind. Das war in Nicaragua in den Achtzigern so und ist es immer noch auf Kuba. Mag es auf Kuba als Erbe von 500 Jahren Machismo immer noch Probleme geben, die Revolution hat den Frauen einiges ermöglicht. Auch dafür wurde Kuba auf den 16. Jugendfestspielen gefeiert.

Ein deutlicher Unterschied innerhalb der LGBT betrifft auch die Generationen. In den Neunziger Jahren war vor allem im Süden Lateinamerikas (Chile, Argentinien, Brasilien, Uruguay) eine Annäherung zwischen der Bewegung und Regierungsinstitutionen festzustellen. Zunächst erforderte der Kampf gegen AIDS eine Zusammenarbeit, danach ging es vor allem um zivile Rechte (Homoehe und Abbau von Diskriminierung im öffentlichen Sektor). Die Institutionalisierung der Bewegung hatte eine weitgehende Kritiklosigkeit gegenüber den neoliberalen Politiken der Regierungen zur Folge. Politische Aktionen der Bewegung beschränkten sich zunehmend auf das, was von Regierungsseite her gestattet war. Gegen Ende der neunziger Jahre wurde dies vor allem von den Jüngeren innerhalb der Bewegung zunehmend kritisiert. Diese Kritik findet seit einigen Jahren ihren Ausdruck auch in Form von Demonstrationen (Contramarcha) GEGEN die jährlich stattfindenen CSD's (Marcha de Orgullo).

Innerhalb der LGBT-Bewegung wird ebenfalls seit dem Ende der Neunziger Jahre die Selbstbezogenheit der Bewegung zunehmend kritisiert. Gerade die Jüngeren kritisieren die Durchsetzung von Partikularinteressen wie Homoehe, Steuer- und Erbschaftsrecht usw. Der Kampf um soziale und politische Rechte, an denen den LGBTs als ArbeiterInnen und StudentInnen ebenfalls gelegen sein müsste, werde dagegen ausgeblendet, heißt es. Ein argentinischer Teilnehmer machte es deutlich: "Wir sehen die absolute Notwendigkeit einer autonomen LGBT-Bewegung mit einem klaren antikaptitalistischen Ansatz! Wir sind überhaupt nicht einverstanden mit diesen ganzen internationalen Netzwerken schwuler und lesbischer NGOs, die sich um sich selbst drehen und die es nur gibt, weil sie von außen, nämlich aus staatlichen Quellen finanziert werden. Wir dagengen fordern den Schulterschluss mit anderen Bewegungen. Denn wir ALLE werden durch dieses kapitalistische und partriarchale System unterdrückt. Auch wir Schwulen und Lesben sind arbeitslos, studieren in zerfallenden Universitäten, leiden als Kranke an einem mieserabelen Gesundheitssystem. Ein würdevolles Leben werden wir uns in einem kapitalistischen System niemals erkämpfen können, denn der Kapitalismus fußt auf der Unterdrückung und Ausbeutung von Menschen - auch von Männern durch Männer, von Frauen durch Frauen. Wie gesagt, unser Ansatz ist radikal."

Marta Maria Dieser neue, radikale Ansatz innerhalb schwuler und lesbischer Gruppen wird von den sozialen Bewegungen durchaus nicht immer freudig begrüßt. Homophobie ist auch hier immer noch stark verbreitet.

Die Reaktionen auf die Mitarbeit offen schwuler oder lesbischer AktivistInnen, vor allem in den Gewerkschaften reichen von Unsicherheit bis zur offenen Ablehnung. Männliche Homosexualität sind für die meisten männlich-heterosexuellen Gewerkschafter immer noch Ausdruck von bürgerlicher Dekadenz, womit Schwule automatisch zu Feinden der linken Bewegung gestempelt werden. Der Machismus innerhalb der lateinamerikanischen Linken sorgt außerdem immer noch dafür, dass Frauen und Lesben einen schweren Stand in der Bewegung haben. Beide Elemente verbinden sich, wenn es um Transsexuelle geht, die folglich auch in linken Zusammenhängen am meisten unter Diskriminierung zu leiden haben.


Während sich ältere Generationen aus der LGBT-Bewegung davon haben abschrecken lassen und sich zunächst um ihre eigenen Belange kümmerten, fordern die jüngeren Generationen zunehmend selbstbewusst ein Mitspracherecht innerhalb der sozialen Bewegung.

Und Widersprüche gibt es auch innerhalb der LGBT-Bewegung. Denn bei den Schwulen klafft zwischen dem Anspruch der Aktivisten, für alle männlichen Homos zu sprechen und der Wirklichkeit ein beträchtlicher Spalt. Da gab es in der Vergangenheit und gibt es bis heute wie in Deutschland Berufsaktivisten und kleine Organisationen, die bei den Politikern gewaltig Wind für eigene Positionen mach(t)en, ohne sich groß zu scheren um die Menschen, die sie zu vertreten vorgeben. Die junge, linke Bewegung in Lateinamerika versucht immerhin, zu überzeugen, sieht sich jedoch einer bewusst und überzeugt kapitalistischen und auch rassistischen Partyszene gegenüber. Schwule aus den Armenvierteln bleiben hingegen weitgehend ungeoutet und unartikuliert, da hier einerseits das katholisch machistische Weltbild noch dominant ist und andererseits die Mittel fehlen, sich "Freiheiten zu kaufen". Transsexuelle und Transgender werden innerhalb der Bewegung noch immer diskriminiert, auch von linken Schwulen, wie oft zu hören war. Immerhin: in einigen Ländern haben sich inzwischen Transen organisiert, die ähnlich den Lesben einen stark politischen Ansatz haben. Spannungen gibt es auch bei der Einbeziehung von Lesben, vor allem wenn es um die Besetzung von Führungspositionen geht - auch das eine Kritik an den Schwulen in der Bewegung, auch an den linken.

In Lateinamerika ist also die Tendenz festzustellen, dass sich gerade die jüngeren Generationen verstärkt dem sozialen und politischen Diskurs öffnen, in Gewerkschaften, Universitäten und Stadtteilorganisationen (organisaciones barriales). Ebenfalls bei den jungen Aktivisten aus der linken Bewegung auf den 16. Weltfestspielen der Jugend und Studenten wurde dies mit großem Interesse aufgenommen. Die linke, soziale, anti-neoliberale Bewegung in Lateinamerika ist also um eine Facette reicher. Und es bleibt zu hoffen, dass es der LGBT-Bewegung gelingt, ihre eigenen Widersprüche zu thematisieren und zu lösen. Auch da sind die Jüngeren weiter, als die Älteren.

Einzug Norkoreas auf den Weltfestspielen


Text und Fotos: Markus Plate

michael hellmann: Danke an Markus für diesen Artikel! Internationale Solidarität bleibt wichtig  
Halford: Ja, vielen Dank, der Artikel ist sehr interessant und lesenswert. Ohne eine Deiner Beobachtungen und Einschätzungen anzweifeln zu wollen, frage ich mich allerdings, ob in der Wahl der Bezugsräume und -gruppen nicht auch ein eurozentrischer Verallgemeinerungsreflex mitschwingt. Von Beobachtungen in einzelnen Städten (und auch nur in Städten) auf ganz Lateinamerika zu schließen oder länderübergreifend Gruppen auszumachen (DIE ältere Generation DER Bewegung Lateinamerikas ...) - derart weit gefasste Kategoriesierungen werden doch meistens nur der "Dritten Welt" zuteil. Ich lasse mich da aber gerne korrigieren; mit der Region habe ich keinerlei Erfahrung.  
Onair: Das mit dem "eurozentrischen Verallgemeinerungsreflex" verstehe ich nicht. Dass Bewegungen des Aufbruchs meist von den größeren Städten ausgehen, ist doch bisher überall so gewesen, nicht nur in Europa. Oder habe ich da was falsch verstanden? Oft kommen die Leute aus kleineren Städten und Provinzen und kehren manchmal dorthin mit neuen Ideen oder neuem Mut zurück, wo sie dann was bewegen können. Wieso sollte das in Lateinamerika anders sein als beispielsweise in Europa oder Nordamerika? Insofern ist es m.E. durchaus realistisch, von einzelnen Städten auf das Land (und ggfls Länder) zu schließen.  
Ticogirl: Meine liebe Freundin. Bitte nimm doch nicht das sowjetische Spektakel der Weltfestspiele als Beispiel einer neuen intelktuellen und progressiven Linke. Die cubanische hoch gefeierte Delegation errinnert mich ja wohl dann doch eher an die gute alte FDJ... Die Leute aus den Barrios haben damit wohl wenig gemein.  

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