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HOMOLAND? Helene antwortet.
Baella: Herzlich willkommen im Kulturhaus. Homoland singen hör ich so gern und lange Einleitungen verderben die Melodie. Ich werde mich also kurz fassen. Als Einstimmung gab es ja schon diesen ersten Brief aus Homoland, den uns die Homoland-Reisende tompurpur zuschickte. An dieser Stelle noch einmal herzlichen Dank!
Herzlichen Dank auch an Helene! Was Homoland betrifft, so stand ihr zeitweilig der Schrecken ins Gesicht geschrieben, wie Sie unschwer auf diesem Bild erkennen können. Und das, obwohl sie diesbezüglich schon einiges gewohnt ist. Nun, wie es dazu kam, erfahren Sie aus dem kleinen Gespräch, daß ich unlängst mit ihr über Homoland führte:
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Baella: Helene D. Lirium, Du hast schon einmal Homoland bereist, genauer gesagt, mehrere Male und das vor fast zehn Jahren. Da haben wir doch etwas Gemeinsames. Auch ich hatte einmal eine Zeit, in der es mich regelmäßig dorthin zog. Der Auftakt zu regelmäßigen Treffen auf dem Lande war ja, so eine Landwochenhistorikerin, im Fühjahr 1992 in Lutter am Barenberge. Wenn ich mich recht entsinne, warst Du aber damals noch nicht dabei, oder?
Helene: Nein, so früh noch nicht. Meine erste Homolandwoche war 1996 in Karze, einem kleinen Örtchen in den Elb-Auen. Homoland hatte da schon einige Male stattgefunden, und ich war unglaublich schüchtern. Ich wohnte zu der Zeit noch im Landeshauptdorf von McPom. Schwule, Tunten und Transen die sich mit Politik beschäftigen, gab es da kaum und Linksradikale schon gar nicht.
Baella: Wie hast Du dieses Treffen erlebt?
Helene: Für mich war Homoland eine Art gelebte Utopie. Das war alles neu und faszinierend. Einige HomoländerInnen wirkten durch die Provinzbrille betrachtet schon etwas verrückt. Das hat sich aber schnell gelegt, ebenso die Faszination. Aber Homoland war für mich ein großer Schritt in Richtung Berlin. Und da wollte ich hin.
Baella: Homoland als Schritt in die Großstadt?! Das ist ja lustig. Die linksradikalen Schwuchteln trafen sich doch gerade auf dem Land, weil sie auf ihren Treffen in den großen Städten wie Berlin und Köln merkten, daß die Szene sie geradezu absaugte. Immer abends, wenn es gemütlich werden sollte, waren plötzlich alle verschwunden. Also zog man aufs Land. Da hatte man rund um die Uhr was voneinander. - Du bist also nach Berlin?
Helene: Ich zog schon ein Jahr später nach Berlin, 1997.
Baella: Was machst Du hier?
Helene: Seit drei Jahren arbeite ich hier in einem Café-Kollekiv, selbstverwaltet und so. Das ist anstrengend, spannend und macht oft Spaß. Aber Lohnarbeit ist und bleibt letzten Endes Scheiße. Darüber hinaus mache ich unter anderem in der Rattenbar mit, die leider wegen Personal- und Motivationsmangel derzeit keine regelmäßigen Veranstaltungen macht. Dafür beteiligt sich ein kleiner Teil der Ratten wieder mehr an Demos und Politaktionen.
Baella: Damit bist Du eine klassische Homoländerin, von denen es, so weit ich weiß auch auf Homoland immer weniger gibt. Früher gab es da fast nur Leute, die in politischen Zusammenhängen aktiv waren, in Antifa-Gruppen, in der Hausbesetzer-Szene, in Kneipenkollektiven oder auf Bauwagenplätzen. Diese Zusammenhänge gibt es heute in dieser Form und Größe ja leider nicht mehr. Folglich kann Homoland auch kein Erfahrungsaustausch mehr über alternative Lebensweisen und Projekte sein. Aber darauf kommen wir noch. Sag doch zunächst einmal, wieviele ihr wart und wie alt?
Helene: Es waren so etwa 15 Menschen die Woche über da. Die jüngste Person war schätzungsweise 19, zur oberen Altersgrenze äußere ich mich lieber nicht, sonst ist nachher wieder eine beleidigt.
Baella: Ich erinnere mich, daß die Schönheit und Attraktivität der Orte, an denen sich Homoland manifestierte, immer wichtiger wurde. In den Niederlanden trafen wir uns in alten verfallenen Villen und Klöstern, in der Schweiz in einem alten Holzhaus mitten in den Bergen. In der Ferne donnerten die Lawinen das Tal hinunter. Wohin gings denn diesmal?
Helene: Wir waren in der letzten Aprilwoche auf der dänischen Insel Falster.
Gewohnt haben wir im Falsterhus, einer ehemalige Dorfschule, die für Klassen- und Gruppenreisen umgestaltet wurde. Das Haus ist sehr hübsch und verwinkelt, aber für viele scheinbar zu weit weg gewesen, denn die TeilnehmerInnenzahl blieb hinter den Erwartungen zurück.
Baella: In Höchstzeiten waren wir in Homoland bis zu 40 Leute. Es gab aber auch damals schon sehr viel kleinere Treffen. Je mehr Leute kamen, desto unübersichtlicher und unverbindlicher wurde es. Insofern wart ihr doch sicher ein nettes Grüppchen, oder?
Helene: Ich empfand es sehr angenehm, weil es möglich war alle zumindest ein bißchen mitzubekommen. Auf den großen Landwochen wurde schnell übersehen, wenn jemand Probleme hatte. Da sind ja auch Leute vorzeitig abgereist. Ein großes Problem bei dieser Landwoche war, daß wir nur ein Croquet-Spiel hatten. Das war für 15 HomoländerInnen eindeutig zu wenig.
Baella: Homoland ist also immer noch ohne das klassische Croquetspiel nicht zu denken. Das ist ja wunderbar! Neben Altbewährtem spielten aber schon damals die Medien auf Homoland eine große Rolle. Ich denke nur an die Foto-Love-Story in Lutter und das Homoland-Diaporama in Karze. Schließlich das Homoland-Radio. Und nicht zu vergessen der Film über Heidi in den homoländischen Bergen. Ich kann mir nicht vorstellen, daß Homoland inzwischen ohne sein Medienspektakel auskommt.
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radi.OA.ton - Sender Freies Homoland: "Das ganze Land im Radio". Mit täglichen Berichten. Dem Stimmungsbarometer. Und den Stimmen aus dem Beichtstuhl.
Helene: Da es HomoländerInnen gibt, die inzwischen groß im Filmgeschäft sind und das Haus sich dazu anbot, musste ein Horrorfilm gedreht werden. "Die untoten Tunten vom Falsterhus". Bis zur nächsten Landwoche, Anfang Oktober, soll der Film fertig geschnitten sein. Es wird auf jeden Fall ein sehr politischer Film. Des weiteren gab es einen Nähworkshop, der vor allem von den jüngeren HomoländerInnen betrieben und genutzt wurde. Ich kann nur sagen, große Blumenmuster, vor allem Rosen, werden bald wieder Mode. Die inhaltlichen Arbeitsgruppen sind inzwischen zu Gesprächskreisen mutiert, waren aber durchaus spannend. Es gab Runden zu Arbeit/Lohnarbeit, Lebens- und Wohnperspektiven und das Leben im Chatroom. Außerdem gab es einen Austausch über eine langfristig angelegte Auseinandersetzung mit Militarismus/Militär und Gesellschaft, die unter dem Titel "Wiederentwaffnung jetzt" laufen soll. Anlass ist das 50jährige Bestehen der Bundeswehr. Ich habe bei der Aufzählung bestimmt was vergessen, weil ich nicht überall dabei war, aber ich brauchte ja auch mal Zeit zum Croquet spielen.
Baella: Klingt spannend wie in alten Tagen. Warum bist du eigentlich damals nicht mehr nach Homoland gereist?
Helene: Meine letzte Landwoche war im Herbst 97; für lange Zeit. Irgendwie hat es zeitlich nicht mehr gepasst. Erst hatte ich einen Job und bekam keinen Urlaub für den Zeitraum, dann habe ich das Abi nachgemacht und konnte nur zu den Schulferienzeiten weg. Das passte auch nie mit der Landwoche. Danach hatte ich schon überlegt, mal wieder zu fahren. Aber Leute, die von Homoland zurückkamen, erzählten, dass es immer langweiliger wird, inhaltlich nichts mehr passiert, die Alten alle wegbleiben, anstrengende Konflikte (nicht) ausgetragen werden, es eher ein Nebeneinander her, als ein Miteinander gibt und daß sie keinen Sinn mehr in der Landwoche sehen. Das hat meine Reiselust dann sehr gebremst. Und da auch ich meine Konflikte in dieser Stadt hege und pflege muss ich eingestehen, daß ich bestimmte Leute auch nicht treffen wollte.
Baella: Umso erstaunlicher, daß Du dann doch den Kick bekamst, wieder einmal dorthin zu fahren. Ich muß gestehen, ich war überrascht, als ich von Deinen Reiseplänen erfuhr. Und dachte ernsthaft darüber nach mitzufahren. Wie kam's zu dem Entschluss?
Helene: Von der vorletzten Landwoche hatte ich einiges Positives gehört und mit einem Freund, der auf fast allen Landwochen war, beschlossen, zur nächsten gemeinsam zu fahren. Maren G., eine Freundin und auch Café-Kollektivistin, hatte sich dann entschieden mitzureisen, so daß ich dachte, wenn es ganz schrecklich wird, sind wir halt genötigt einen schönen Urlaub zu dritt in Dänemark zu verbringen. Eine grauenhafte Vorstellung.
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Homoland in Karze. Die "Alte Schmiede" zwischen den Elbdeichen war mehrmals Schauplatz der Homolandwochen, die nach wie vor zweimal im Jahr stattfinden.
Baella: Ich glaube, ich hätte heute Angst vor nostalgischen Gefühlen und dem unentwegten Vergleich zu damals. Homoland war für mich immer etwas Besonderes. Jedesmal, wenn ich zurückkam, fiel ich in so ein kleines Loch, was aber nicht so schlimm war, weil es ja die Zusammenhänge noch gab und Freunde, die ebenfalls auf Homoland waren. Wir machten dann eben in Hamburg die Schwule Baustelle weiter, trafen uns regelmäßig, organisierten Veranstaltungen. Homoland gehörte da irgendwie immer dazu. Heute wäre das so nicht mehr möglich.
Helene: Homoland selbst hat sich in den Jahren sehr verändert. Das geht auch gar nicht anders, weil es durch die Leute geprägt wird, die hinfahren. Die linksalternative politische Landschaft hat sich ja insgesamt stark gewandelt. Viele Utopien sind einer veränderten Lebensrealität zum Opfer gefallen. Diverse Gruppen und Projekte haben sich aufgelöst. Abschluss, Lohnarbeit oder Hartz IV- Überlebenskampf nimmt im Leben vieler auch ehemaliger HomoländerInnen einen großen Stellenwert ein. Das verändert die Leute und damit Homoland.
Baella: Kannst Du das noch etwas genauer beschreiben? Wie hast Du die Veränderung konkret erlebt?
Helene: Also der zur Schau gestellte Schmuck ist auf jeden Fall dezenter. Und oft fehlt die Leidenschaft. Beispielsweise beim Kochen. Früher gab es unglaubliche Materialschlachten, es wurden raffinierteste Delikatessen gezaubert und mit viel Kreativität dekoriert. In Dänemark waren die Preise hoch und die Homolandeskasse ziemlich klamm. Es gab Zeiten, da wäre die Schlussfolgerung sicher nicht die gewesen, am Essen zu sparen. Auch in politischen Auseinandersetzungen gibt es weniger Leidenschaft. Und das nicht nur weil Leute älter geworden sind.
Baella: Das klingt ja ganz danach, als sei die Luft irgendwie raus. Vielleicht liegt es aber auch an Dir. Du hast Dich ja schließlich auch verändert.
Helene: Klar. Auch meine Perspektive auf Homoland ist eine andere. Ich bin eben nicht mehr das Landei auf dem Weg in die Großstadt. Auffällig war übrigens, daß gepflegtes Tuntentum nur noch wenig zelebriert wird. Soweit ich mich erinnere, ist das früher anders gewesen. Die Landwoche war mal bunter, dekorativer, schriller. Angenehm fand ich, daß das ganze nicht so mit Ansprüchen überfrachtet war. Was kein Plädoyer für Anspruchslosigkeit sein soll. Aber das verhindert, ständig an der Realität zu scheitern, mit der Folge sich irgendwann resigniert zurückzuziehen.
Baella: Homoland scheint mir, nach all dem wie Du es bisher geschildert hast, einerseits realistischer geworden zu sein, andererseits dadurch aber auch alltäglicher. Also doch so etwas wie eine nette Woche auf dem Lande.
Helene: Was erwartest Du? Erholung, nette Tage und Urlaub sind ja nicht zu verachten. Unter Alltag würde ich das aber nicht abbuchen. Ich habe auf jeder meiner Landwochen, übrigens damals wie heute, Leute getroffen, die ich spannend fand, mit ihrer Biographie, mit dem was sie machen, womit sie sich beschäftigen, wie sie drauf sind. Und nach wie vor möchte ich wissen, was in anderen Städten so läuft, welche Strukturen es gibt und nicht mehr gibt, und welche Diskussionen geführt werden bzw. nicht. Außerdem ist es schön, alte und neue Bekannte zu treffen, die nicht aus dem Berliner Sumpf kommen. Da gibt es auch Kontakte und Besuche zwischen den Landwochen.
Baella: Was würdest Du Dir da noch mehr wünschen?
Helene: Mir hat das politische Selbstverständnis als gemeinsame Basis der Landwoche gefehlt. Ich bin mir aber noch nicht ganz klar darüber, ob es mir abhanden gekommen ist, ich es bei anderen nur nicht wahrgenommen habe oder wir für die Homolandwoche so was gar nicht (mehr) haben. Ich wünsche mir, daß auf den Landwochen wieder mehr diskutiert, gestritten und geträumt wird. Dafür muss ich aber auch selber meinen Hintern bewegen und für das nächste mal was vorbereiten.
Baella: Etwas von dem Traum und der Utopie steckt ja auch in dem Namen "Homoland". Kaum einer weiß mehr heute, daß der Begriff das erste Mal in einem Märchen fiel, das ich anstelle eines Protokolls geschrieben hatte. Ich wollte damals nicht nur wiedergeben, was in der AG über alternative Lebensweisen besprochen wurde, sondern wie die Leute in der Gruppe miteinander umgingen, wie sie redeten, und wer was mit wem am Laufen hatte. Ich erinnere mich, daß es damals eine sehr schöne Arbeitsgruppe war. Jeder versuchte auf jeden irgendwie einzugehen, seine Wünsche und Vorstellungen von einem anderen, selbstbestimmten Leben im Kollektiv. Beim Abfassen des Protokolls merkte ich schnell, daß es nicht wiedergeben konnte, was passiert war. Also schrieb ich diese Geschichte auf, von Anton, Berti, Conny, Det, Edi und Fritzchen, den Mainzelmännchen. Und Homoland war geboren. Durch das Radio-Projekt "radi.OA.ton - Sender Freies Homoland" ein oder zwei Landwochen später und durch immer wiederkehrende Rubriken in der Tuntentinte ("Homoland im Spiegel") etablierte sich der Begriff. Jeder konnte ihn für sich mit seinen ganz privaten Fantasien füllen.
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Onan Onair füllt gerade den Begriff "Homoland" mit seinen ganz privaten Fantasien.
Baella: Den Verlust an Utopien, den Du beschrieben hast, nehme auch ich wahr. Mir scheint, daß nicht zuletzt auch deshalb "Homoland" in die Jahre gekommen ist. Wobei man sich schon damals auf Homoland mit Utopien schwer tat. Eine Umfrage, die ich dort machte, zeigte schnell, daß man nicht so gern darüber sprach. Irgendwie waren Utopien, auch als es sie noch gab, ein Tabu. Was ist für Dich denn "Homoland"?
Helene: Namensdiskussionen sind mir nicht so wichtig. Es kommt doch darauf an, was dahinter steckt, welches Konzept es gibt und wie es umgesetzt und inhaltlich gefüllt wird. In der Einladung für Falster war die Landwoche angekündigt als "Treffen linksradikaler Schwuchteln, schwuler Autonomer, autonomer Schwuler, männerliebender Punks, schwanztragender Queers, schwuler Transen, Tunten, homo- und bisexueller Hausbesetzer". Ich denke der Name "Homoland" eignet sich ganz gut um diese Aufzählung zu bündeln. Doch was dort passiert oder nicht, liegt an uns.
Baella: Ein schönes Schlußwort. Eine Frage habe ich aber doch noch. Denn schon damals gab es die Diskussion, Homoland zu öffnen. Für alle Identitäten, Frauen, Lesben, Transgender usw. Inzwischen hat es die Queeruption ja vorgemacht. Sollte sich Homoland öffnen oder in Abgrenzung zur Queeruption so bleiben, wie es ist?
Helene: Das habe ich für mich persönlich noch nicht ganz geklärt.
Diese Frage steht ja seit längerem immer mal wieder im Raum und Ansätze für
eine Öffnung gab es bereits. Im Tuntentinte-Extrakt Nr.2 vom Februar dieses Jahres gab es einen Bericht von einem Transjungen, der auf der letzten Herbst-Landwoche war. Er schreibt, daß allein der Beschluss einer Öffnung für Transleute nicht reicht. Dazu sei das Treffen zu schwul-identitär und seine Identität einfach nicht schwul genug. Aber um das aufzubrechen wäre es vielleicht besser die Homolandwoche aufzulösen und etwas Neues mit Transleuten und Lesben gemeinsam zu organisieren.
Baella: Also doch in Richtung Queeruption?
Helene: Es muss ja nicht zwangsläufig eine Veranstaltung wie die Queeruption daraus
entstehen. Aber wenn es so sein sollte, werde ich wohl nicht teilnehmen. Ich hatte bis jetzt nicht das Bedürfnis danach und auch nicht das Gefühl, dort etwas verpasst zu haben.
Baella: Helene, ich danke Dir für das Gespräch. Nicht auszuschließen, daß wir uns eines Tages doch noch mal auf Homoland begegnen.
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"Wie es weitergeht mit Homoland? Um der Göttin Willen!" Die Tonnen-Weissagerin Veronica Villenbrecher, alias Margot, in dem Diaporama "Homoland 4 Kilometer".
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