Blühender Unfug und Antikommunismus
In Memoriam Susan Sontag

von Michael Hellmann und David Thorstad

susan sontag

Susan Sontag starb am 28.12.2004. Die deutsche Presse war betroffen: Europas beste Anwältin in den USA, unbequeme Mahnerin, mutig, aufrichtig, Moralistin und Ähnliches schrieb man ihr nach. Da sich die Widersprüche zwischen dem deutschen Imperialismus und seinem Hauptrivalen USA verschärfen, wird inneramerikanische Opposition hierzulande immer wieder gerne genommen, wie sich übrigens auch im Falle Michael Moore zeigt. Susan Sontag kann auch anders betrachtet werden: als selbstgerechte, eitle, klarem Denken abgeneigte Parteigängerin des US-Imperialismus.

Zur Illustration mögen folgende Punkte dienen: 1964 schrieb sie in Notes on Camp: „Camp ist eine Frau, die in einem Kleid aus 3 Millionen Federn herumläuft.“ In Wirklichkeit ist Camp wohl eher ein Mann, der solches tut. „Ich nenne mich gerne die weltgrößte Germanistin, die kein Deutsch spricht”, sagte sie im vergangenen Jahr (2003).FAZNET vom 29.12.2004

Weitere Kostproben gefällig? "Die Kamera macht jeden zum Touristen in der Wirklichkeit anderer Leute, und schließlich auch in der eigenen”. „In letzter Instanz dreht sich Pornographie nicht um Sex, sondern um Tod“. „Gesundheit ist eine bequeme Lüge“. Diese von inhaltsleeren und absurden Aphorismen geprägte Denkungsart wandte Sontag auch auf die Politik an. 1982 erklärte sie zu den damaligen Ereignissen in Polen im New Yorker Rathaus: „Kommunismus ist Faschismus mit menschlichem Antlitz“. Diese unglaubliche Beschönigung des Faschismus fand sie sicher witzig und bedeutungsvoll. 1993 reiste sie dann in Jugoslawien herum, und machte dort Propaganda für die Zerstückelung des Landes, was den Kriegsplänen der USA und Deutschlands direkt in die Hände spielte. 2004 unterzeichnete sie eine Petition an die kubanische Regierung, in der die Freilassung von 75 verhafteten Söldlingen der USA gefordert wurde.

Nun ist sie tot. Weiterhin gilt ihr Ausspruch: „...laßt nicht zu, daß wir uns gemeinsam der Dummheit ergeben" (FAZ 15.11.01)

Es folgt ein Text von David Thorstad , der sich auf eine Begebenheit von 1971 bezieht. Damals vertrat Sontag die Position, dass US-AmerikanerInnen die antischwule Politik der kubanischen Regierung nicht kritisieren dürften. Der Schriftsteller David Thorstad war in den 70er Jahren Leiter der New Yorker Gay Activists Alliance, Mitbegründer der Coalition for Lesbian and Gay Rights und der North American ManBoyLoveAssociation (NAMBLA), außerdem Mitautor von: The Early Homosexual Rights Movement (1864–1935). Lauritsen, John und David Thorstad: Die frühe Homosexuellenbewegung 1864-1935.
David Thorstads Darstellung ist zweifach einseitig: sie ist kurz, und sie ist parteiisch.

trenner

Susan Sontag (1933–2004)  [ --> original ]

Seit folgender Begebenheit, die, wenn ich mich recht entsinne, 1971 stattfand und damals auch in der Village Voice (einer New Yorker Wochenzeitung, Übers.) wiedergegeben wurde, konnte ich mich des Eindrucks nicht erwehren, dass Susan Sontags Gehirn aus Rührei bestand, obwohl sie weithin als Intellektuelle gepriesen wurde.

Die Socialist Workers Party (SWP, eine trotzkistische US-Partei, Übers.) hatte auf einer kulturellen Tagung eine im wesentlichen stalinistische und dumme Position beschlossen, derzufolge Homosexualität eine soziales Kranheitsbild sei, veranstaltete dann aber nach der Verhaftung Heberto Padillas (Heberto Padilla: bekannter kubanischer Schriftsteller, 1968 verhaftet, Übers.) eine öffentliche Diskussionsveranstaltung, wo ich als Sprecher auftrat.

Obwohl die SWP damals wie heute eine leidenschaftliche Anhängerin der kubanischen Revolution ist, sah sie die Notwendigkeit, die rückschrittliche Einschätzung der Homosexualität durch das kubanische Regime öffentlich zu kritisieren, die zeigte, dass es wenig bis gar keinen Fortschritt seit den Tagen der UMAPs (UMAPs: bis 1968 bestehende Arbeitslager, wo unter anderem auch Schwule gefangen gehalten wurden. ) in den 60ger Jahren gegeben hatte, wo Gleichgeschlechtliche in Arbeitslager weggesperrt wurden.

Die SWP schloß Homosexuelle bis November 1970 von der Mitgliedschaft aus. Dann wurde diese Politik über Bord geworfen. Ich war Redaktionsmitglied des Militant, der Parteizeitung, und wurde gebeten, die Diskussionsveranstaltung zu leiten und die Kubaner wegen ihrer Verfolgung Padillas und ihren stalinistischen Rückfall in die Verdammung homosexuellen Verhaltens zu kritisieren. Zu dieser Zeit ließ Jean-Paul Sartre eine internationale Petition zirkulieren, in der das kubanische Regime aus ebendiesen Gründen kritisiert wurde. Diese Petition hatte unter den Intellektuellen und in der Linken beträchtliche Unterstützung gefunden.

Der SWP-Saal in Lower Manhattan war überfüllt. Irwin Silber, damals bei der Zeitung Guardian und ein ziemlicher Stalinist/Maoist, hatte eine Schar von ca. 12 Leuten mitgebracht, darunter auch Susan Sontag. Zu Beginn versuchte Silber, mir bei meiner eigenen Veranstaltung das Rederecht zu nehmen, indem er forderte, daß die Besucher über seinen Vorschlag abstimmen sollten, mich vom Podium zu entfernen. Dieser Trick scheiterte, und die Veranstaltung ging weiter mit einem geschichtlichen Überblick über die Linke und Homosexualität und einer scharfen Kritik des kubanischen Regimes wegen seiner Verfolgung und Verteufelung der Homosexualität – und das auf einem Kulturkongreß.

Während der Diskussion vertrat Sontag, dass Amerikaner, die „in der Höhle des Löwen“ lebten, selbst dann kein Recht hätten, Kuba zu kritisieren, wenn sie mit seiner Politik nicht übereinstimmten. So wurde also ein radikaler schwuler Mann, der mit dieser Politik in Konflikt gekommen wäre, hätte er in Kuba gelebt, von einer Schranklesbe gescholten, weil er Kritik äußerte, die in Kuba selbst verboten gewesen wäre. Sontag führte weiter aus, dass sie soeben Sartre angerufen habe, um ihre Unterschrift unter seine Petition zurückzuziehen. Anscheinend hatte Silber ihr ein Licht aufgesteckt, und Sontag war jetzt überzeugt, dass sie als Amerikanerin das kubanische Regime bedingungslos zu unterstützen habe. Sontag fuhr fort: „Wißt Ihr, was er dann tat? Er legte einfach auf!“. Das Publikum brach in Beifallsstürme aus – für Sartre.

Sontags spätere Dienste für den US-Imperialismus (z. B. in Sarajewo, während der Angriffe der Clinton-Regierung gegen Serbien), zeigten wiederum die selbe Art von weicher Birne, auch wenn sie, oberflächlich betrachtet, sich von ihrer vor über 30 Jahren eingenommenen Position unterschieden. Solcherart waren die Grenzen dieser überbewerteten „Intellektuellen“.

(übersetzt von Michael Hellmann)

susan sontag: in america

Halford: Es ist nun auch nicht so, dass sie ausschließlich Mist verzapft hätte. Sollte sich ein Nachruf nicht besser um ein differenzierteres Bild bemühen, anstatt einfach noch einmal kräftig nachzutreten? Ich finde das ein bisschen zu billig.  
Stimmt: Mir kam der Nachruf in der *Jungle World* vor zwei Wochen schon billig vor, aber dieser hier übertrifft es noch. Schade.  
p.s.: Von dem Beitrag hätte ich mir zumindest eine Würdigung von Sontags Auseinandersetzungen damit gewünscht, welche gesellschaftliche Bedeutung Krankheitsmetaphern haben. Vor allem ihr Buch *Aids and Its Metaphors* (1989) ist doch gerade für die Schwulenbewegung sehr relevant. Und als Sontag in den 60ern Jahren ?Notes on Camp? verfasste, bedeutete ?camp? etwas anderes als heute, ihr Aufsatz hat zu dieser Bedeutungsverschiebung beigetragen. Die heftige Kritik an dem aus dem Kontext gelösten Zitat aus ?Notes on Camp? ist zunächst mal nicht sehr überzeugend.  
p.p.s.: meine Anführungsstriche haben sich in Fragezeichen verwandelt.  
michael hellmann: Die beiden Kurzartikel sollen Grundzüge Sontagschen Denkens aufzeigen. Im Gegensatz zur Jungle World bringen sie Originalzitate, und für diese ist sontag selbst verantwortlich. Es geht auch darum, einen Kontrapunkt zur offiziellen deutsch-imperialistischen Stellungnahme zu setzen. Sie war eben keine Antiimperialistin. AIDS als Metapher habe ich nicht gelesen, und darum auch keine Stellung dazu genommen. mh  
Melf Delfs: Diese beiden Artikel zeigen keineswegs "Grundzüge des Sontagschen Denkens", sondern polemisieren in schlechtester denunziatorischer Tradition mithilfe aus dem Zusammenhang gerissener und eher skandalisierter als skandalöser Zitate. Nichts gegen eine kritische Würdigung - aber hier handelt es sich doch wohl eher um ein beleidigtes Nachtreten. In jedem anerkennenden deutschsprachigen Nachruf auf Sontag eine "offizielle deutsch-imperialistische Stellungnahme" zu sehen, ist einigermassen paranoid. Und wer "Krankheit..." resp. "AIDS als Metapher" nicht kennt, sollte über Susan Sontags Denken schweigen.  
michael hellmann: Rechtfertigt das Schreiben eines Buches über AIDS ein generelles Kritikverbot für US-Staatsbürger an der kubanischen Regierung? Oder die Gleichsetzung von Kommunismus und Faschismus? Oder propagandistische Vorarbeit für den NATO-Krieg gegen Jugoslawien? Nachdenklich  
Brenda I: Das sehr viel bekanntere Buch von Susan Sontag heisst "Illness as Metaphor" (1978) und wendet sich ausdrücklich dagegen, Krankheit 'als Ausdruck von' zu sehen. Sontag ging es dabei darum, TB- oder krebskranke Menschen nicht doppelt zu stigmatisieren in dem Sinne, dass sie zunächst durch ihre Erkrankung gezeichnet sind und schliesslich ihnen quasi die Verantwortung dafür gegeben wird ("scarcely a week passes without a new article announcing [...]the scientific link between cancer and painful feelings").  
Brenda II: Da sich Sontag so vehement dagegen wendet, Krankheit als Metapher zu verstehen, hat sie den Teufel getan, ihr 1989 erschienenes Buch "AIDS als Metapher" zu nennen, sondern "AIDS and its Metaphors". Der Unterschied zwischen AIDS einerseits und Krebs, Syphilis und TB andererseits sei nämlich der, das bei AIDS "no one is tempted, not yet at least, to psychologize it".  
Brenda III: statt dessen kritisiert sie die militärische Sprache, in der das Immunsystem beschrieben wird. ("Disease is seen as an invasion of alien organisms, to which the body responds by its own military operations, such as the mobilizing of immunological 'defenses,' and medicine is 'aggressive,' as in the language of most chemotherapy". - HIT HARD AND EARLY, fällt mir dazu ein. Mir ist nicht klar, bei aller defitiven Würdigung Sontags brillianter Analysen in diesen beiden Büchern, wann und wo 'die Schwulenbewegung', wie oben angedeutet, sich diese Analyse zueigen gemacht hätte, geschweige denn, wo gerade in Deutschland sich eine Kritik an den AIDS-Metaphern durchgesetzt hätte.  
Brenda@Michael Hellmann: Was an den Sätzen "Die Kamera macht jeden zum Touristen in der Wirklichkeit anderer Leute, und schließlich auch in der eigenen" bzw. "Gesundheit ist eine bequeme Lüge" so schwachsinnig sein soll, leuchtet mir insbesondere ohne Kenntnis des Zusammenhangs nicht ein. Ebenso finde ich "In letzter Instanz dreht sich Pornographie nicht um Sex, sondern um Tod" durchaus diskussionswürdig. Auch hier würde ich gerne den Zusammenhang wissen. Nichtsdestotrotz finde ich es durchaus wichtig - auch wenn man es als "Nachtreten" auffassen mag - auch den Ikonen der Linken genauer auf die Finger zu schauen.  
Sven: Herr Hellmann Ihr Dinosaurierproblem heißt "deutscher Imperialismus: Dass der Sontags Ableben nun zu dessen Unterfütterung dienen muss, ist weit hergeholt, aber Thorstads Vulgärhetzte gibt eben nicht mehr her, und Sie scheinen drauf abzufahren.  
Sven: Nicht, dass ich die Richtigkeit anzweifle, doch wenn Nachruf, dann bitte nicht so dümmlich einseitig nachtretend.  
Halford: By the way: Ein lesenswerter Nachruf von Peter V. Brinkemper auf Telepolis:  Die politische Rebellion der Erlebnisse
Michael Hellmann: Lieber Sven: Ist der Krieg der NATO gegen Jugoslawien schon 65 Millionen Jahre her? Stehen deutsche Truppen heute aus Spaß, Humanismus und Friedensliebe in anderen Ländern? Thorstads "Vulgärhetze" schildert eine tatsächliche Begebenheit, die Sontags politisches Denken deutlich beleuchtet. Ich bitte darum, die Wahrheit in den Tatsachen zu suchen, und nicht in der sontaglichen Befindlichkeit.  
beate bronski@brenda III: Eine auf den deutschen Sprachraum bezogene Kritik an AIDS Metaphern findest du in dem Buch von Brigitte Weingart: *Ansteckende Wörter. Repräsentationen von AIDS* (suhrkamp 2002). Dieses Buch ist interessant und durchaus von Sontag beeinflusst. "Durchgesetzt" hat sich so eine Kritik wohl nicht, aber das macht sie ja nicht uninteressanter.  
beate bronski II: Und ich kann mich zumindest an eine Homolandwoche erinnern, bei der es eine AG über den Aids Diskurs der 80er Jahre, die verwendeten Metaphern und unseren Umgang damit gab, aber natürlich ist die HLW nicht "die Schwulenbewegung". Aber ich habe oben als "p.s." ja auch auf die Relevanz und nicht auf die Wirkmächtigkeit von Sontags Analyse für die Schwulenbewegung hingewiesen.  
onair: schade, dass nicht deutlich wird, wo nun eigentlich die grenze zwischen der gay liberation front und sontag liegt. verläuft sie mal wieder durch kuba, das für so viele bürgerlich intellektuelle dispute als projektionsfläche herhalten muss? die autoren begnügen sich mit andeutungen und animositäten. nochmals schade. denn "nachgetreten" wird hier nicht. wie auch? susan sontag hatte in der tat hierzulande ikonen-status und wurde besonders in der brd als gegenstimme der us-amerikanischen öffentlichkeit funktionalisiert. insofern ist es erfreulich, einmal eine gegenstimme aus der us-amerikanischen radikalen linken zu hören. und sei es auch nur, um zu hören, dass es sie noch gibt.  
Brenda@Bronski: nur dass mir nicht klar war, dass sich hinter "stimmt" beate verbirgt. danke für den lesehinweis. *** onair kann ich nur zustimmen.  
kein_gott_kein_staat_keine_ikonen: ist ja schön, dass es die amerikanische radikale linke noch gibt. aber wenn sie auf diese weise hallo sagt, braucht sich niemand darüber zu wundern, wenn sie kaum ernst genommen wird. ikonen anzupinkeln ist schon in ordnung - statt wässriger bierpisse wäre aber ein gehaltvoller strahl morgenurin wünschenswert gewesen, soll heissen: eine auseinandersetzung mit sontags gesamtwerk.  
onair@kein_gott...: ich habe von der "us-amerikanischen" radikalen linken gesprochen und nicht von der amerikanischen radikalen linken. die sieht nämlich nochmal ganz anders aus. abermals zeigt sich schon im sprachgebrauch das mangelnde problembewußtsein für das, was zurecht als us-imperialismus bezeichnet wird. amerika ist mehr als die usa - gott sei dank. - eine auseinandersetzung mit dem gesamtwerk? hier? aha.  
Erst bei diesem Satz lernte ich S.Sontag: kennen: "Und wenn man das Wort 'feige' in den Mund nimmt, dann sollte es besser auf jene angewandt werden, die Vergeltungsschläge aus dem Himmel ausführen, und nicht auf jene, die bereit sind, selbst zu sterben, um andere zu töten."