Versuch einer Entführung.
Ein Traum. Von Sascha Berlinskij.


Manchmal beginne ich abends ein Buch zu lesen, das ich bis zum nächsten Morgen nicht wieder aus der Hand legen kann. Wenn es dann langsam hell wird, schlafe ich unruhig ein und zerträume das eben Gelesene. In diesem Fall war das, wie sich unschwer erschliesst, eine Geschichte der Roten Armee Fraktion...
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Die etuxx-Redaktion hatte bei ihrem letzten Treffen einstimmig beschlossen, endlich eine politische Tat zu begehen, von der die Welt noch lange sprechen sollte. Wir wollten Geschichte schreiben, unsere eigene. Darum planten wir die Entführung des Regierenden Bürgermeisters von Berlin. Auf der nächsten AIDS-Benefiz-Gala sollte es geschehen. Wir stellten uns das recht einfach vor: es galt nur, Sabine Christiansen abzulenken und Klaus Wowereit auf ein stilles Örtchen zu locken.

Diese Rolle sollte unsere Nachrichtensprecherin übernehmen, die von ihrem mitveranstaltenden Radiosender dann auch wunderbarerweise dazu ausersehen wurde, den Regierenden während der Gala zu betreuen. Unsere Nachrichtensprecherin war sehr eloquent und charmant an diesem Abend im ICC, und es gelang ihr, Klaus Wowereit von seiner Tischdame weg und zu den Toiletten zu lotsen, indem sie immer wieder von der Wichtigkeit des Mediums Radio beim Coming-Out auf Herren-WCs (oder so) schwärmte.
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Hinter einer Klotür versteckt aber wartete unsere Medizinerin mit einer grossen Betäubungsspritze, die sie, wie geplant, dem Regierenden intramuskulär in's seitliche Sitzfleisch verabreichte. Der merkte gar nichts, sondern plauderte angeregt und sekttrinkend solange weiter mit unserer Nachrichtensprecherin, bis er bewusstlos zusammensackte. Gemeinsam mit unserer herbeigeeilten Köchin und Filmlageristin schraubten die Medizinerin und die Nachrichtensprecherin Klaus Wowereit auseinander und verstauten ihn in einem zuvor organisierten Putzwagen der ICC-Reinemacherinnenkolonne.

Und hui ging es auf den Flur hinaus und ab zu den Parkdecks. Zur Tarnung liefen die Vertreterin der Arbeiterklasse vorneweg und ich hinterher und feudelten, was das Zeug hielt. Wir begegneten finster dreinblickenden und abenteuerlich uniformierten Wachleuten. Dann sagte unsere Medizinerin immer: "Ich bin Arzt!" - und wir wurden durchgelassen. Den zerlegten Wowi wuchteten wir auf die Ladefläche eines pinkfarbenen Lieferwagens und brausten unbehelligt davon, in Richtung Hohenschönhausen.

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Dort, im siebten Stock eines Plattenbaus, hatten wir unser Queer-Gefängnis eingerichtet, packten den Regierenden aus, schraubten ihn unter Aufsicht unserer Medizinerin wieder zusammen und setzten ihn vor das etuxx-Banner. Er sah nur ein wenig leidend aus, als er von Scheinwerfern angestrahlt, unsere Forderungen verlas, die wir ihm in die Hand gedrückt hatten: "1. Sofortige Rücknahme aller Hartz-Gesetze! 2. Rücktritt der Regierung Schröder! 3. Umwandlung der BRD in eine Räterepublik!".

Klaus Wowereit stöhnte etwas, und unsere Filmlageristin filmte alles digital. Den Film schickten wir als Mailanhang und mit einem Ultimatum versehen an die Redaktion der B.Z.. Und warteten. Und nichts geschah: Weder im Radio noch in der RBB-Spätabendschau wurde von der Entführung berichtet. Na gut, die B.Z. wollte die Story offenbar exklusiv haben. Aber auch anderntags in den Printmedien: nichts! Wir vermuteten ein Komplott der Springer-Presse, die den Regierenden wohl elegant loswerden wollte.

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Unsere Geisel suchte verzweifelt im Internet. Nichts. Nicht einmal eine Nachricht von Sabine Christiansen in seinem Maileingang. Die Vertreterin der Arbeiterklasse stichelte: "Wowi, Du scheinst ja überhaupt nicht vermisst zu werden...". Der Regierende war fix und fertig; er war jetzt reif: "Gib' uns endlich die private Telefonnummer von Gerd und Doris in Hannover; nur die können Dich noch retten!", verlangte ich. Klaus Wowereit gab auf: "Na gut: 0511. ...". Ich wählte.

Freizeichen. Dann der Anrufbeantworter: "Wuffwuffwuff!" - offenbar das Gekläff von diesem kleinen Köter von Doris, mit dem sie jetzt Reklame macht. Sehr originell. Mit einem sardonischen Gesichtsausdruck legte ich auf. Klaus Wowereit fing an zu weinen. Er weinte herzzerreissend. "Scheisse!", sagte unsere Nachrichtensprecherin. "Ja, Scheisse!", sagten wir alle. Und zogen uns zur Beratung zurück.

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Unsere Köchin und Filmlageristin teilte dem Regierenden das Ergebnis unserer Beratungen mit: "Klaus, wir können das nicht ertragen, wenn Du weinst. Wir lassen Dich unter zwei Bedingungen frei: 1. Du verrätst uns nicht! 2. Du schreibst einen Text für die nächste etuxx-Ausgabe!". Unter Tränen stimmte unsere Geisel den Bedingungen zu: "Ich liebe Euch doch alle!". Das hatten wir irgendwann schon mal gehört. Aber egal.

Und Wowi hielt Wort: Er lieferte seinen Text pünktlich vor dem Redaktionsschluss ab, und wir bauten eine prima Schwerpunktausgabe zum Thema Entführungen. Die Foos "Bill Gates entführen!" und "Volker Beck entführen!" wurden am heissesten diskutiert. Aber würde die etwa jemand vermissen? Nach heftigem Streit waren wir uns mit unseren LeserInnen einig, dass nur eine einzige Entführung politisch erfolgversprechend wäre: Die des Hundes von Doris Schröder-Köpf.

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Halford: Das ist eine schöne Idee. Wann kommt denn nun der Wowi-Text?