"Braune Volksfront" nimmt
Kurs auf den Reichstag

Faschisten setzen auf Bündelung der Kräfte und wollen 2006 "siegen"


von Jörg Fischer

Die Nerven lagen blank, an jenem Abend im September, als es um die Fragen ging, ob erstmals seit 1949 die konservative Hegemonie der CDU/CSU in der Bundespolitik zumindest aufgebrochen werden kann und ob es, trotz Massenwiderstandes auf der Strasse, der neonazistischen NPD gelingen könnte, in Fraktionsstärke in den Bundestag einzuziehen. Das war 1969. Zuvor war die NPD in sieben der damals zehn westdeutschen Landesparlamente eingezogen und die große Koalition aus CDU/CSU und SPD hatte mit Notstandsgesetzen angesichts des Entstehens der APO ("Außerparlamentarische Opposition"), Studierendenproteste und linker Bewegungen angefangen, für den "Notfall" vorzusorgen. Der Ausgang der Bundestagswahl 1969 ist bekannt: Nach 20 Jahren CDU-Herrschaft gewann die sozialliberale Koalition die Wahl, und die NPD scheiterte mit 4,3 Prozent relativ knapp an der 5-Prozent-Hürde. Begleitet war der Aufstieg der NPD in den Jahren 1966 bis 1969 von der ersten großen Wirtschaftskrise der BRD. Dieser schlaglichtartige Rückblick auf die Ereignisse vor 35 Jahren lohnt sich.

Nach Jahren des Niedergangs, der Zersplitterung und der staatlichen Verharmlosung schickt sich die NPD zum zweiten Mal an, Kurs auf den in den Reichstag nach Berlin übersiedelten Bundestag zu nehmen. Spätestens nach den September-Wahlen diesen Jahres muss es selbst dem letzten Ignoranten klar geworden sein, wovor Antifaschisten immer wieder gewarnt haben: Der Schoß ist nicht nur noch fruchtbar, er gebärt auch fleißig. Mit 4 Prozent im Saarland und 9,2 Prozent im Sachsen meldete sich die NPD auch auf der parlamentarischen Bühne zurück, die DVU schaffte den Wiedereinzug in Brandenburg und bei den Kommunalwahlen in Nordrhein-Westfalen gelang rechtsextremen Listen der Einzug in zahlreiche Kommunalparlamente. Am spektakulärsten war hier der Erfolg von "Pro Köln", die auf Anhieb in Fraktionsstärke in den Rat der Domstadt einzog.

Insbesondere seitdem die NPD in Sachsen erstmals seit 1968 wieder in ein Landesparlament einzog und fast mit der SPD gleichauf lag, verstärkt sich eine bedrohliche Entwicklung, die sich bis dato erst zögerlich abzeichnete. Neben offen nazistischen, militanten "Kameradschaften" treten auch braune Biedermänner aus den Reihen der erfolgloseren "Republikaner" und der "Schillpartei" in die NPD ein - darunter nicht wenige hochrangige Funktionäre dieser sich eher "bürgerlich" gebenden Rechtsparteien. Gleichzeitig funktioniert die Absprache mit der "Deutschen Volksunion" (DVU) des millionenschweren "Nationalzeitungs"-Verlegers Gerhard Michael Frey. Der alternde DVU-Vorsitzende scheint den Führungsanspruch der NPD zu akzeptieren. Zu den Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein 2005 und zur Bundestagswahl 2006 wird die NPD antreten, mit Unterstützung der DVU. Sieht man sich die NPD-KandidatInnenlisten zu den Landtagswahlen im nächsten Jahr an, so bekommt man einen Vorgeschmack auf das, was da 2006 antreten wird: Neben altgedienten Kadern der NPD kandidieren führende Vertreter der "Freien Kameradschaften", DVU-Vertreter und Mitglieder, bzw. ehemalige Mitglieder von "Republikanern" und "Schillpartei" für die älteste neonazistische Partei der BRD.

Besonders seit dem gescheiterten Verbotsverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht fühlt sich die NPD quasi "unverbietbar" und strotzt vor neuem Selbstbewusstsein. Dabei darf nicht vergessen werden, dass das Verbotsverfahren dank der mutmaßlich bewussten Sabotage durch den sogenannten "Verfassungsschutz" eingestellt werden musste, und nicht etwa, weil es sich bei der NPD nicht um eine neonazistische, in der Tradition der NSDAP stehende Partei handeln würde. Die Umstände, die zur Einstellung des Verbotsverfahrens führten, zeigten, wie sehr die neonazistische Szene seit Jahren von "Inoffiziellen Mitarbeitern" des "Verfassungsschutzes" durchsetzt, zum Teil organisiert und geführt sowie mit hohen finanziellen Mitteln regelrecht alimentiert wurde und wird.

Betrachtet man sich die äußeren Umstände, die Ende der 20er/Anfang der 30er Jahre zum Aufstieg der NSDAP und in den 60er Jahren zum Aufstieg der NPD führten, so sind zahlreiche Parallelen zu den heutigen Umständen, in denen die NPD wieder im Erstarken begriffen ist, sichtbar. Gerade in Krisenzeiten werden die braunen Kettenhunde an der langen Leine gelassen um ihre Funktion zu erfüllen: als Rammbock gegen soziale Proteste und als Spalter der sich zu wehren beginnenden Menschen zu fungieren. Aber doch gibt es heute gerade im Vergleich zu den 60er Jahren gravierende Unterschiede, die den Aufstieg der NPD begünstigen. Zum einen ist es ihr in den vergangenen Jahren gelungen, einen lange Zeit unterschätzten Einfluss auf die Jugendkultur zu erringen, der in manchen Regionen dominierend geworden ist. Zum anderen profitiert die neonazistische Szene nicht nur von einem nach wie vor vorhandenen rassistischen Grundkonsens und antisemitischen Vorurteilen in der Gesellschaft, sondern auch von einer immer deutlicheren Rechtsentwicklung derselben.

Gerade der NPD ist es, wie ein Politologe feststellte, gelungen, "im Wurzelgrund der Gesellschaft Fuß zu fassen". Sieht man sich die Entwicklungen in den Hochburgen der NPD in West und Ost an, so erkennt man schnell, dass das Gerede von der "reinen Protestwahl" und die Hoffnung auf das "schnelle Verschwinden der NPD nach einer Legislaturperiode" bestenfalls ein Pfeifen im Walde ist oder ein bewußter Vertuschungsversuch, um die Entwicklung klein zu reden. Der NPD ist es vor allem mit ihren strategischen Konzepten ("National-befreite Zonen", "Drei-Säulen-Konzept: Kampf um die Straße, Kampf um die Köpfe, Kampf um die Parlamente") gelungen, ihr bislang brachliegendes Potential stetig steigend auszuschöpfen; zur Mobilisierung tragen Kampagnen wie die Diskussion um die sogenannte "Leitkultur", rassistische Kampagnen gegen muslimisch gläubige Menschen und ähnliches bei. Filme wie "Der Untergang", der "neue Patriotismus", Standortnationalismus, der Verkauf von Computerspielen wie "Blitzkrieg" mit Wehrmachtssoldaten auf dem Cover in Kaufhäusern oder die antisemitischen Kampagnen eines Möllemann sind da "nur" die begleitenden Anzeichen, einer tiefgehenden gesellschaftlichen Veränderung zum Negativen.

Was tun? Was tun!

Die Frage ist, wie man der wachsenden Gefahr von Rechts begegnet. Müßig ist es, über Verbotsforderungen zu diskutieren. Dieser Staat hat oft genug unter Beweis gestellt, auf wessen Seite er im Zweifelsfall steht und das er real kaum ein Interesse hat, seine braunen Kettenhunde zu verbieten. Bestenfalls ist er aus opportunistischen Gründen der Imagewerbung für den Wirtschaftsstandort Deutschland bereit, sie vorübergehend an die kurze Leine zu nehmen - nicht ohne sie bei aus seiner Sicht gegebener Notwendigkeit wieder an die längere Leine zu lassen. Nicht eine Gesellschaftsordnung, deren Existenz auf den Prinzipien der Ungleichbehandlung, der Ausgrenzung und der profitorientierten Verwertungslogik basiert, ist befähigt Neofaschisten und ihre Hintermänner wirkungsvoll zu bekämpfen und zurückzudrängen. Diese Aufgabe haben die Menschen selber. Gerade die Organisationen der ArbeiterInnen, die Gewerkschaften, müssen von unten wieder zu kämpferischen Organisationen gegen Rechtsentwicklung und Neofaschismus werden. Gefordert sind aber auch andere fortschrittliche Organisationen der Selbstorganisieren, gefordert ist die Verbindung des Kampfes gegen Rechts mit den sozialen Kämpfen der lohnabhängig Beschäftigten, der Erwerbslosen, der Jugend. Beim Kampf gegen Rechts - der auch ein Kampf gegen die gesellschaftlichen Ursachen und ökonomischen Rahmenbedingungen, die das Entstehen von Faschismus verursachen und befördern, sein muss - sind auch und gerade die sozialen Bewegungen, globalisierungskritische Kräfte, queere Emanzipationsgruppen und viele andere gefordert. Der Kampf gegen Rechts ist keine alleinige Angelegenheit der klassischen Antifa - die reine Reduzierung des antifaschistischen Kampfes auf einen Kampf nur gegen Nazis greift zu kurz und ist zum Scheitern verurteilt. Hier liegen die Herausforderungen, aber auch die Chancen einer fortschrittlichen, emanzipatorischen Bewegung.

Halford: "Verbindung des Kampfes gegen Rechts mit den sozialen Kämpfen der lohnabhängig Beschäftigten, der Erwerbslosen, der Jugend ... die Reduzierung des antifaschistischen Kampfes auf einen Kampf nur gegen Nazis greift zu kurz und ist zum Scheitern verurteilt" - das ließt sich wie aus den 1920er Jahren. Bei allem Respekt: Diese Antwort auf den Neofaschismus finde ich unterkomplex, weil sie kulturelle und identitäre Elemente des Neofaschismus verkennt und ihnen deshalb nicht entgegentreten kann. Klassenkampf gegen Nazis ist eben kein progressiver Antifaschismus, sondern er ist das Mittel, mit dem schon viele antifaschistische Bewegungen gescheitert sind.  
onair: Im Gegensatz zur Analyse muten die Empfehlungen und Strategievorschläge des Autors ziemlich banal und naiv an. Anstatt seinen Blick über die Nationalitätsgrenzen hinaus zu weiten und so etwas wie eine globale Strategie anzudenken, bleibt er selbst im ideologischen Sumpf stecken. Er bedient sich alter Denkmuster und stützt sich leider - aber folgerichtig - wieder auf die Kräfte, die schon in den 20ern nicht nur kläglich versagt haben, sondern ein Teil des Problems waren: die "ArbeiterInnen" und "die Gewerkschaften". Das zumindest sollten wir doch aus Geschichte gelernt haben: so funktioniert's nicht!  
Franz B: Also nun mal Butter bei die Fische: Der Faschismus ist aus der bürgerlichen Gesellschaft hervorgegangen. Die Bourgoisie und das Kleinbürgertum waren die tragenden Säulen damit der Gefreite zu Krieg, Vernichtung und einem neuen Kapitalzyklus übergehen konnte. Jörgs Vorschläge mögen unterkomplex sein, aber der beste Schutz vor dem Faschismus ist nun einmal die Assoziation der Freien und Gleichen.  
Donna: Der beste Schutz vor dem Faschismus ist - siehe 67-69 - ein Aufschwung progressiver radikaler Kraefte, die die Strukturen der Nazis konkret, und mit "unterkomplexen Methoden" bekaempfen, gleichzeitig aber auch eine weit ueber antifaschistischen Aktivismus hinausgehende Anziehungskraft und eine komplexe Gesellschaftsanalyse entwickeln.  
minimalkonsens: der beste schutz vor dem faschismus ist seine (nahezu) vollstaendige gesellschaftliche aechtung. wie waers denn mal mit einer selbstverpflichtung dazu aller lobbyistinnen und verbaende? das scheint mir erfolgversprechender als eine "assoziation der freien und gleichen", womit schon herr baboeuf scheiterte. ich fuerchte, die herrschenden muessen einbezogen werden.  
Caroline Krause: Eine Lieblingsfalle mittelmäßiger Autoren -- die Metapher eines Kollegen nehmen und noch eine Runde weiterschrauben: "Der Schoß ist nicht nur noch fruchtbar, er gebärt auch fleißig." War das bei Brecht nur misogyn, kommt jetzt noch schlechter Stil dazu.  
LJJ: Das nennt man destruktive Detailkritik, Caroline, ein Statement wie Deines. Wenn einem zum Inhalt nichts einfällt, geilt man sich an einer misslungen Metapher auf. DAS ist schlechter Stil!  
Geraldo: Ein Schoß der fruchtbar ist, muß noch nicht zwangsläufig auch gebären. Von daher halte ich die Metapher bzw. deren Fortsetzung nicht für mißlungen.  
Luhmantos: Vielleichthast Du Recht, LJJ, und die Kritik reibt sich "auch und gerade" (aus Fischers Pathos-Hausschatz) supigemein destruktiv an der misogynen Metapher, weil ihr zum restlichen Text wirklich nichts einfällt. Kein Wunder, der strotzt ja auch nur so vor faulen Verallgemeinerungen, die "unterkomplex" zu nennen noch die höflichste Variante ist. Immerhin [Pathosmaschinchen an]: "Hier liegen die Herausforderungen, aber auch die Chancen" konstruktiver Kritiker. PS: Welches Politologengewächs prozediert eigentlich das Gewäsch vom "Wurzelgrund unserer Gesellschaft"?  
Jörg Fischer: @ minimalkonsens: Dieser "Grundkonsens" mit jedem ist nur möglich, wenn eine Reduzierung auf die offenkundigen "Stiefel"-Nazis stattfindet und Faschismus aus dem gesellschaftlichen Kontext reißt. Macht man das nicht und bewertet ihn in seinem Kontext und von seinem Klassencharakter her, dann kommt man m.E. zum Schluß, das Antifaschismus als Teil des Klassenkampfes zu sehen ist. Daran äöndert auch nichts, daß das Problem natürlich an Kompelxität zunimmt. Man kann sich über die Verwendung des Begriffes "Klassenkampf" erregen und ihn "Pathosbegriff" nennen. Man kann ja eigentlich alles als irgendwas bezeichnen - das ist nicht schwer. Nur die Begründung wäre schon auch interessant.  
antos: @ Jörg Fischer: Die Frage war übrigens keine rhetorische: wer ist dieser Wurzelgrund-Politologe, den du oben zitierst?  
Lore @ Jörg: ach jörg, ich glaube, dass man mit den ineinssetzung von antifaschismus und klassenkampf nicht weiterkommte und außerdem die wirklichkeit antifaschistischer kämpfe verkennt. ich finds ja gut und richtig, klasse mit in die analyse miteinzubeziehen, aber nicht so, dass das simple marxistische weltbild von vor dem aufkommen des faschismus wieder stimmt.  
Jörg Fischer: @antos: Sorry, hier die Antwort: Politologe Everhard Holtmann im »Neuen Deutschland« vom 12. Juli 2004