Haare am Po Po
von Djane Teutonia

















Das wunderbare H.A.A.P.Y-Buch

von Thomas Seidl, Eva Dranaz, Christopher Wurmdobler, Jochen Fill

herausgegeben von Andrea Kohl

224 Seiten, unzählbare Abbildungen; ca. 15 €

Czernin Verlag Wien

In Wien ist es noch ein Amusement, auf einen CSD zu gehen - der heisst hier "Regenbogenparade" - ich war dieses Jahr das erste Mal dort, da erst seit kurzem in der Stadt. Dem letzten CSD zuvor stattete ich in Zürich einen Besuch ab, verliess ihn aber fluchtartig, da er adrett, sauber und vom Gleichschritt dominiert war: vom "Network der schwulen Führungskräfte", gefolgt von der Gaysport.ch-Aerobic-Fraktion und obligatorischem Leder; Frauen waren nur in Form marginalisierter Dykes on Bykes zugegen - ein Queer Squat hat es in Zürich ja laut etuxx mal gegeben, ich habe es aber nie gefunden...

In Wien gibt es die Regenbogenparade erst seit ca. 10 Jahren, und sie hat sich in der relativ kurzen Zeit einen schönen Trashfaktor bewahrt oder erst entwickelt - jedenfalls erscheinen dort vom schwul(lesbischen) kommerzialisierten, professionalsierten und lifestylisierten Mainstream kaum Spuren. Stattdessen agitiert u.a. noch immer das Umfeld der Rosalila Villa, ein Anfang der 80er Jahre "legal besetztes" queeres Squat, das weiterhin als eher linkes Projekt innerhalb der en gros unpolitischen Gayscene Wiens agiert. Viel stärker politisiert und aktiv sind in Wien Frauen/Lesben - in ganz Österreich gibt es auch nur eineN offen lesbische AbgeordneteN: Ulrike Lunacek ist aussenpolitische Sprecherin der Grünen Bundespartei.

Dass der kalifornische Gouverneur Arnold Schwarzenegger mit seiner Behauptung bezüglich seiner Vergangenheit in der steirischen Provinz: "damals war Österreich ein sozialistischer Staat" sehr bedingt Recht hat, lässt sich heute in Wien ablesen: Machtfülle der SPÖ in der Stadt seit Dekaden, und der sozialistische Musterbetrieb Magistratsabteilung 48 - Abfallwirtschaft, Strassenreinigung und Fuhrpark - nimmt aktiv an der Regenbogenparade teil: am Schluss des Zuges beseitigen die Beamten singend und regenbogenbeflaggt die Überreste des touristInnen-erquickenden Zuges und verteilen Buttons mit der Aufschrift: "make love, not waste".
Schon quasi tradiert zieht Hermes Phettberg - eine Art ungeliebte schwule maso-melancholische Reinkarnation Helmut Qualtingers, der sich selbst als depressiver Einkommensloser oder Elender zu Wien bezeichnet - seine Runde auf der monarchistischen Wiener Pracht-Ringstrasse im Fiaker und hält sich die NZZ vor das traurige Gesicht.
Aber die dollste Erscheinung war ein Haufen grölender Menschen im Fussballfan-Outfit, sie trugen Schilder mit der Aufschrift "Schwooligans" und dröhnten eine Variante des berüchtigten Stadion-Schlachtrufes "ole,oleole ... . Wolfgang Schüssel
Hemes Phettberg
(wechselnde PolitikerInnen-Namen) ist homosexuell, homosexuell, homosexuell". Das war die H.A.P.P.Y- Bande, ein Party- und Unfug-Kollektiv um Mastermind Herr Tomtschek.

Das H.A.P.P.Y ist eigentlich ein House-Club, der vor ca. 10 Jahren im damals avancierte-jugendkultur-armen Wien - dessen kleine Szene von den "KönigInnen Dogmatismus und Verbissenheit regiert" wurde - von eben Tomtschek aufgebaut wurde und sich in dieser Zeit zum veritablen Queertrash-Kosmos entwickelt hat, an dem 30-40 Leute wechselnd aktiv beteiligt sind.
"H.A.P.P.Y kommt von "Happyning". In der Enstehungsstadt des berühmt-berüchtigten Wiener Aktionismus werden bei dieser Spielart des Happenings die Quellen jedoch statt in postfaschistischer androzentrischer Traumata eher zwischen Barbie-Plüsch und Divine gesucht. Gleichzeitig grenzte sich die Bande somit vom schwulen Mainstream ab: "Während die Szene ernst machte mit Körperkultur und Jugendwahn, regierte Tomtschek sein Reich mit Klobesen und falschen Zähnen."

Angenehm am alle paar Wochen stattfindenden H.A.P.P.Y-Club ist erst mal, dass viel (Tanz)Platz in den Hallen des WUK (Werkstätten- und Kulturhaus) vorhanden ist - für Wiener queere/lesbischschwule Locations eine Rarität; zudem erscheint der Club in dem Sinne queer, dass das Publikum sehr heterogen ist und anscheinend keine Hierarchisierungen und Dominanzen zwischen identitären Gruppen spürbar sind. Dies dürfte die H.A.P.P.Y-Bande wohl durch ihre den Tanz-Club begleitenden Aktionismen bewirken; kennt mensch aus der - wirklich tollen - Berliner Rattenbar doch vergleichsweise identitäts-konservative Show-Einlagen, wie etwa antideutsche Trümmertransen und singende Gefängnis-Glatzen, so finden beim H.A.P.P.Y andere Verschiebungen statt: Das Setting beim letzten H.A.P.P.Y war eine - nona - Disco mit Käfigen für Gogo-DancerInnen; allerdings waren die Käfige Plastikhüllen, die Versuchslabore genannt wurden - in diesen tummelten sich Menschen in Ganzkörper-Versuchsratten-Plüsch-Kostümen und begaben sich in diverse "Versuchsanordnungen" - so nannte zb. eine Ratte mit Busen und Schwanz eine Rattenpuppe mit Riesenschwanz ihr "Eigen" und spielte taktvoll Geschlechtsverkehr - in einem anderen Labor saßen 2 Plüschratten "beiderlei Geschlechts" - dessen Unterscheidung es jedoch augenscheinlich nicht gab - in Barbiekostümen und schlürften artig konversierend Kaffee & Cocktails.
Dieses Treiben mag zwar als Nonsens erscheinen, der aber doch dazu zu dienen scheint, identitäre Konzepte - oder zumindest Stimmungen - an diesem Abend im Club - erst gar nicht aufkommen zu lassen.

Das Buch "Haare Am PoPoYeah!" ist ein Kompendium dieses Kosmos, der weit über die H.A.P.P.Y-Clubbings hinausgeht. So wurden Telenovelas mit Tomtschek alias Talluhlala Hernandez produziert und "Steffi, Wanderjahre einer Tennisprinzessin", das schlechteste Musical der Welt; es finden in Anlehnung an diverse Spaziergänge durch Wien der AktionistInnen (zb. Valie Exports Tapp- und Tast-Kino) ebensolche in genital-überbordenden Klon-Puppen-Plüschkostümen statt, dazu gibt es entsprechende Strickmusterbögen und Anleitungen. Kochrezepte von Tante Birne für gefüllte Gummihandschuhe oder Bratapfel-Bluntze dürfen nicht fehlen. Das Buch selbst entstand eigentlich im Rahmen einer Wohnungsentrümplung, jedoch wanderten die Reliquien statt auf den Müll in das Buch; der Titel des Buches entstand aus der Imagination, im Buchladen "ich hätte gerne Haare am Popo yeah" zu postulieren


Valie Export: Tapp- und Tastkino, 1968


"Die SPÖ ist wie ein Punschkrapferl: aussen rot und innen braun"

heisst es in Wien - das Punschkrapferl ist aussen eigentlich rosa und diesen speziell österreichisch-sozialistischen Charme verbreitet die kultige Konditorei-Kette "Aida", in eine deren Filialen sich das monströses H.A.P.P.Y-Maskottchen "Bunny Harolds" hier zu einem "Kleinen Braunen" niedergelassen hat - Bildunterschrift im Buch: "Eine Torte, kleiner als das eigene Genital, hat noch keinen satt gemacht."

Das Paralleluniversum wird mediatisiert in Printprodukten (H.A.P.P.Y-Gazetti), veröffentlichte bisher drei Filme, veranstaltet Fräulein Stulles Mauerblümchenbälle und produzierte neben der erwähnten Telenovela beim inzwischen dahingegangenen Wiener Kabelsender TIV das H.A.P.P.Y-TV - dessen Aufgabe es laut des Konsumenten Hermes Phettberg war, "das herrschende unerträglich Schlechte schlecht nachzumachen, indem es vorgab, schlechte Persiflagen aus dem Schlechten schlecht zu spielen. Anstatt gut, was ja so mittellos niemand auf der Welt vermag (...) aber trotzdem gab es selbst für die schrecklichen TIV-Montagen durchaus Gründe dranzubleiben. Denn erstens waren die Schlechten schön. Also aus meiner, der schwul-päderastischen Sicht, waren es die hellsten, wie zierlichsten Jüngelchen der Stadt, die der schwule HAPPY-TV-Direktor, der dickliche Tomtschek, auf seinem Kanal zusammentrieb, um es wahrscheinlich ab und zu mit einem von denen, zumindest daheim alleine mit sich, treiben zu können (...) in etwa war HAPPY-TV eine Art katholische Jungscharstunde der Sozialistischen Jugend Wiens".



H.Phettberg: "die Krönung aber war Uwe!"
"Basteln mit Uwe", die weltweit einzige "Men only"- Bastelsendung. Zwei stockschwule Schwuchteln, aufgetakelt als Leder-Sados, in der Szene "zwei Schaffnerinnen" genannt, weil sie so Leder-Sado-Maso-Uniformmützen aufhatten dabei, und unbenütztes Lederzeugs am Leib trugen, bastelten vor laufender Kamera miteinander. Wobei der Uwe den völlig unkundigen Moderator gab. Und den treuherzigsten Blick in die Kamera gab, den je Liebe zu schenken vermochte. Und ich glaube nicht wirklich, dass er sich dabei verstellte. Er liebt. Das ist sein Leben. Und jeder Mensch, der ihm begegnet, ist nachher geliebter als vorher. Der andere aber erklärte ihm das Trottelhafteste so rührig deutlich, voll Engelsgeduld. Und beide wussten, dass sie Stuss taten, aber sie knieten sich wie fünfjährig inbrünstig hinein", so H.Phettberg.
Die Künstlerin ist Peter Handkes Tochter. 1996 sorgte dieser mit der Veröffentlichung seines Reiseberichtes "Eine winterliche Reise zu den Flüssen Donau, Save, Morawa und Drine oder Gerechtigkeit für Serbien", in dem er die Serben als die eigentlichen Opfer des Bürgerkriegs bezeichnet, für einen Skandal.

aus dem HAPPY-DJ-Pinup-Kalender: DJ Amina Handke

neben Happynings wie Dragqueen-Wrestling
1. Wiener Unten-Ohne-Afterwork-Clubbing, Makramee für den Frieden, 1A Arschprojektion, die Wahl zum beliebtesten Gott der Welt, Bibel Bingos, Ingeborg-Bachmann-May-Festival, Deng Tsoi Ping Memorial Minigolf, Asozialenaquarium Bielefeld, Museum of Modern Wurst, Treffen der österr. Gogozüchtervereinigung, Museum der Ersatzflüssigkeiten, Penisneid-Vergnügungspark, Bitchvolleyball, Rosalila Bürgerwehr St.Pölten u.v.a. Daneben finden bei einem HAPPY-Clubabend auch obligatorische Miss-Happy-Wahlen statt; hier ein Ausschnitt aus der tristen Fotoreportage "Ein Tag mit der Miss Happy '95", ca. 5 Jahre "danach&.


Anmerkung: in Anführungszeichen gesetzte Textpassagen sind Zitate aus dem Buch, die Bilder 4-8 auch, die anderen von den Webseiten

Links:
happy (das Buch ist viel schöner als die Webpage):www.wuk.at/happy
rosa antifa wien: http://www.raw.at
Hermes Phettberg: http://www.phettberg.at
Käpt'n Blaubär: Das liest sich ja aufregend, und dabei behauptete doch mal hier auf etuxx ein Rezensent, Wien sei so langweilig wie Stuttgart, wenn ich das richtig erinnere. Was übrigens bedeutet: "Bluntze"? Dieses Wort ist Google gänzlich unbekannt; es wird lediglich auf obenstehenden Artikel verwiesen, und Google fragt: "Meinten Sie "blunt"?".  
prixilla: bluntzen (oberösterreichisch) = blutwurscht  
Käpt'n Blaubär: Gott vergelts, Prixilla. Die k.u.k. Küche hält ja wirklich unübertroffene Köstlichkeiten bereit. Ob in Bratapfel-Bluntze(n) wohl die Bratäpfel das Blut substituieren? Oder mit ihm eine Melange eingehen? Die beste Blutwurst Europas kommt übrigens angeblich aus einer Fleischerei in Berlin-Neukölln, deren Inhaber von französischen Gourmets (!) zum "Ritter des Blutwurstordens" gewählt (geschlagen?) wurde. Bestimmt eine verspätete Rache für 1870/71, 1914/18 resp. 1940/44. Würg.  Auch die Schweiz hat ihren Reiz.
barbara speck: das ist aber eine grossartige rezension dieses grossartigen buches. habe es leider schon, sonst hätte ich es mir glatt gekauft...  
thorstenIn: ich hätte gerne haare am popo!  cocolores
Piefkrapferl: Wenn mir jetzt noch ein Studierter erklären könnte, was "identitär" und was schlecht daran ist, ich wär fast bereit, mir das Buch ins Bett zu legen.  
OA: Du bekommst erst eine Antwort, wenn Du sagst, was Du mit dem Buch im Bett machst.  
Piefkrapferl: Lesen?