Homophobie rechtfertigt nicht Rassismus!

Anlässlich des Erscheinens des vom LSVD herausgegebenen und beim Querverlag erschienenen Buches "Muslime unter dem Regenbogen" erklärte GLADT [Gays & Lesbians aus der Türkei Berlin-Brandenburg e.V., Bülowstraße 106, 10783 Berlin, info@gladt.de] folgendes:

Immer wieder hat der Lesben- und Schwulenverband im letzten Jahr Presseerklärungen veröffentlicht, die sich den Themen Homosexualität/Homosexuelle, Migration/Migranten, Homophobie und Integration widmeten.

Immer wieder hat unser Verein dabei den direkten oder wenig versteckten Unterton kritisiert, der unterstellte, der "Islam"/"die Moslems"/"Migranten" etc. seien aufgrund ihrer zugeschriebenen Zurückgebliebenheit homophober als Mehrheitsdeutsche. Die Themen Homophobie bzw. Gewalt wurden dabei statt als soziale immer wieder als ethnische bzw. auf die vermeintliche Religionszugehörigkeit zurückzuführende Phänomene analysiert und benannt.

In kolonialistischer Manier wurden dabei nicht nur "die Migranten" (damit sind in LSVD-Terminologie nur diejenigen aus mehrheitlich muslimischen Ländern gemeint) als homogener, monolithischer Block gesehen, sondern auch ein "Wir" konstruiert, das aus weißen, aufgeklärten, nicht-homophoben, nicht-sexistischen, urbanen etc. Deutschen bestand. Damit wurden nicht nur die Unterschiede zwischen Migrantinnen und Migranten aus verschiedenen Kulturen verwischt, sondern auch eine gefährliche Wir-Gemeinschaft herbei homogenisiert, die es homophoben Deutschen gestattete, "welche von uns" zu sein.

"Integration" wurde in diesem Zusammenhang zum Allheilmittel, das doch nur zum propagandistischen Schlagwort gereicht. Nie wollte der LSVD wissen, ob "Homophobie" (auch) ein mehrheitsdeutsches Phänomen ist. Aber als Kriterium für eine gelungene oder misslungene "Integration" sollte sie quasi jedes Mal herhalten.

In diesem Geist ist das Buch "Muslime unter dem Regenbogen" konzipiert und verfasst worden, in diesem Zusammenhang stehen alle Debatten, die der LSVD über "Islam und Homosexualität" zu führen wünscht.

Wir, türkische Lesben, kurdische Schwule, persische Transsexuelle und arabische Bisexuelle wenden uns gegen eine Debatte unter solchen Prämissen. Wir wären froh, sagen zu können: "In unseren Communities gibt es keine Homophobie", aber natürlich gibt es sie. Wir dürften die letzten sein, die dies abstreiten. Allerdings sehen wir auch sehr genau, wie wenig die differenzierte Struktur der migrantischen Communities bei den schwulen Männern im LSVD wahrgenommen wird, die diese Debatte uns und der Öffentlichkeit in dieser Form aufzwingen wollen.

Wir arbeiten seit über einem Jahr mit Migrantinnen- und Migrantenorganisationen sehr fruchtbar zusammen und haben bisher kein einziges Mal das Gefühl rabiater Zurückweisung erfahren. Vielmehr haben wir große Unterstützung und Zuspruch bekommen. Der Berliner Landesbeirat für Migrations- und Integrationsfragen wurde - auf Anregung der migrantischen Mitglieder - um ein Mitglied erweitert, das die Interessen der homo-, bi- und transsexuellen Migrantinnen und Migranten vertritt. Im bundesweit ersten Dachverband migrantischer Selbstorganisationen sitzt ein offen schwules Vorstandsmitglied, das alle Mitgliedsorganisationen vertritt.

Die Lebenswelten von Migrantinnen und Migranten in Deutschland lassen sich so wenig auf "den Islam" reduzieren wie auf andere Religionen!
>>> Debatten, die auf der unterstellten Rückständigkeit einer Bevölkerungsgruppe aufbauen, dienen nicht der "Integration", sondern der Segregation und verdienen es, aufs Schärfste verurteilt zu werden!

>>> Statt leerer Schlagwörter ("Integration"), die niemand mit Inhalt füllen kann, sollte der LSVD sich darum kümmern, wie er Emanzipation und Partizipation von Teilen der Bevölkerung vorantreibt, die diskriminiert werden, wenn er seine selbst gesetzte Aufgabe ernst nimmt!

>>> Homophobie ist ein Geflecht aus vielen Phänomenen, die sich nicht ethnisieren lassen - es sei denn, man verfolgt andere Zwecke mit der Debatte.

>>> So lange keine fundierten Kenntnisse vorliegen über Homophobie im Allgemeinen, sollte der LSVD sich hüten, aufgrund von Vorurteilen Unterstellungen zu verbreiten, die wiederum an die Vorurteilsstrukturen bei Mehrheitsdeutschen appellieren!



Wir wünschen uns, als gleichberechtigte Bürgerinnen und Bürger dieses Landes, dass wir sowohl in unserer sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität als auch mit allen Facetten unserer Herkunft akzeptiert werden. Mit seinen Kampagnen, die gerade uns Mehrfachzugehörige verletzen, weil sie versuchen, unsere sexuelle oder Geschlechtsidentität von unserer ethnischen Identität zu trennen, kann der LSVD nicht unsere Interessen vertreten. Der LSVD behauptet, eine "Bürgerrechtsorganisation" zu sein. Unsere Rechte vertritt er nicht!
lore logorrhöe: schönes statement! mich würde interessieren, was gladt an dem buch inhaltlich kritisiert.  
Claus-Willem Klinker: Was fuer ein Unsinn, ausgerechnet dem Schwulenverband SVD Rassismus vorzuwerfen!  
Bärbel Bollwahn: Clausi, hast Du den Textz nicht verstanden? Oder hast Du Gegenargumente?  
Petra Petrarca: Um Gegenargumente zu bringen, müßte man erstmal die Argumente kennen. Mehr als daß der LSVD rassistisch ist, weil er die Homophobie unter Migranten überhaupt thematisiert, steht in dem Text ja wohl nicht drin. Falls ich was überlesen haben sollte, korrigiere man mich getrost.  
Bärbel Bollwahn: Der LSVD thematisiert nicht Homophobie unter Migranten, sondern konstruiert ein Muslim/Islam = systemimmanent homophober als alles andere (sagen wir mal, homophober als eine doitsch-katholische Melange). Gladt bestreitet in keiner Weise Homophobie in den eigenen türteistämmigen Reihen, sondern verbittet sich die dummen Gleichsetzungen. Ich möchte auch nicht mit dumpfdeutschen oder erzkatholischen Statements in Verbindung gebracht werden und verstehe die Argumente von Gladt sehr gut.  
Sascha B.: Ja. Aber warum imaginiert der LSVD denn, dass der Islam homophober sei als beispielsweise der Katholizismus? Die Erleichterung einiger Leute darüber, "Fremde" (und nicht Deutsche) für homophobe Übergriffe verantwortlich machen zu können, ist doch unverkennbar. Das hat mit der (berechtigten) Kritik reaktionärer religiöser Ideologeme kaum etwas, umso mehr aber mit Xenophobie zu tun.  
sablotron: mich würden aber auch konkrete aussagen oder formulierungen des lsvd interessieren, denn in dieser debatte ist es ein leichtes dem anderen rassismus vorzuwerfen. merkwürdig finde ich auch die betriebene selbstethnisierung der autoren dieses textes, der einen guten einblick in das selbstverständnis und identitätssüchte ermöglicht.  
Lore Logorrhöe: den autoren selbstethnisierung vorzuwerfen finde ich zynisch. wenn opfer von diskriminierung darauf antworten, indem sie ein identitätsverständnis entwickeln, ist das ihr gutes recht.  
Johannes: den Katholizismus herbeizuziehen ist wohl etwas daneben. Die christliche Gemeinschaft in Deutschland ist in viel stärkerem Maße a-religiös als es die islamische Gemeinde ist. Katholischen Fundamentalismus in Deutschland zu konstruieren finde ich ziemlich albern. Konkret fühlen sich die meisten Schwulen (in Berlin) doch wohl eher von türkisch-arabischen Jugendlichen (oder auch von deutschen Jungnazis) provoziert und angegriffen und nicht von katholischen Fundis.  
Robert M.: "Fundamentalische" Werteordnungen, egal von welcher Religion oder Kultur in die Welt posaunt und von wem nachgebetet, sind der Saatboden für die homophoben Gefühle der "türkisch-arabischen Jugendlichen", den "deutschen Jungnazis" oder den "russischen Kraftmeiern". Der Kirch- oder Moscheegang oder das Gebet sind nicht zwingend notwendig dafür. Die Vereinfachung und Überspitzung, dass der Islam, Muslime oder "der Araber" homphob sei, ist so billig pauschaldumm wie "Deutsche sind alles Nazis".  
Halford: Religiöse "fundamentalistische Werteordnungen" spielen sicher bei vielen Erscheinungsformen von Homophobie eine Rolle. Aber bei konkreter homophober Gewalt auf der Straße durch Jugendliche sind deren Vorstellungen von Männlichkeit sicher von größerer Bedeutung. Und den Hintergrund dieser Vorstellungen würde ich demzufolge im Bereich der Jugendkulturen suchen, in dem sich viel Homophobes, aber wenig Religiöses finden lässt. "Homophobie ist ein Geflecht aus vielen Phänomenen, die sich nicht ethnisieren lassen", wie GLADT richtig anmerkt.  
Antos: Randbemerkung @ Lore: Dieses so neutral daherkommende "Identitätsverständnis" ist keineswegs immer ok, schon gar nicht, wenn es sich mit dem Bewußtsein paart, Opfer zu sein. Wie mir meine persische, kurz nach der Revolution aus dem Iran geflohene Gewährsfrau mit ironischem Unterton berichtet, gibt es in der islamischen Welt vor allem ein großes Glaubensangebot:  
Antos: Nämlich dies: will man echter Muslim sein, hat man sich selbst als Opfer des jüdisch-amerikanisch-teuflischen Westens zu sehen. Dieser teuflische Gegner ist ein Sodom der Sünden und des Konsumismus, das mittels Alkoholismus, Drogenkonsum, Gewalt, Prostitution, Geschlechtskrankheiten und - kleiner Schwenk zum Thema - Homosexualität zur Schwäche, zum Abweichen vom rechten Weg und damit zur Zerstörung des Islam verführt. Die einen sagen dazu "Identitätsverständnis" - andere nennen es eine delirante Verschwörungstheorie. - And now: weiter mit Homophobie.  
al: Ich persönlich habe viel mehr Angst vor katholischen Fundis und Nazis als vor "türkisch-arabischen jugendlichen".Vielleicht kenne ich einfach zu viele, denen mein schwulsein scheißegal ist, während ich Katholiken traf die von widernatürlich sprechen, oder behaupteten "Gott wird auch dir eine Frau senden". Keine Ahnung, wann die mal merken, dass Gott, falls es ihn geben sollte, längst wüsste, dass ich keine Frau will. Nebenbei sei bemerkt, dass man sich bewusst gegen Fundamental-Katholizismus und Nationalsozialismus entscheiden kann. Das man scheinbar türkisch-arabischer Abstammung ist, kann man nicht ändern.