Das Blasebalg aus Pasewalk |
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von Horst Wagenfeld
Geneigte Mitmenschen! Die Überschrift wähle ich natürlich, um Ihre geschätzte Aufmerksamkeit zu erheischen. Ich bin sicher, Sie werden lesen oder zuhören, bis Sie wissen, was es mit dem Blasen und dem Balg auf sich hat. Ganz zu schweigen von den Zeitgenossen aus Pasewalk, die sicher kaum fassen können, dass ihre Stadt schon zum zweiten Male in Folge in meiner Kolumne erwähnt wird. Pasewalker lesen weiter. Kölner geraten bald ins Stocken, denn, meine liebe, hochverehrte Republik, die folgende Kolumne wird mit geputzten Zähnen, Kopfschmerzen und mit einem kaminroten Polyesterpullover bekleidet, der knistert, wenn man ihn über den Kopf zieht, in Köln-Porz geschrieben. Ich bitte also um Nachsicht.
Die einheimische Porzer Bevölkerung scheint meine letzte Kolumne nicht gelesen zu haben, denn wenn ich auf den sauberen Bürgersteigen in Richtung Aldi fortschreite und sie beim Rasenmähen in ihren Vorgärten beobachte, werde ich nicht darauf angesprochen, dass ich die Kölner Straßenbahnen für die hässlichsten in Deutschland halte. Vielleicht liegt es daran, dass die Porzer sich nicht für Kölner halten, weil es immerhin ganze vierzig Minuten dauert, bis man vom Porzer Stadtteil mit dem irreführenden Namen Eil mit einem Bus und einer der genannten Straßenbahnen, die wirklich ziemlich hässlich sind, in der Kölner Innenstadt landet, und zwar an einem jener beiden Plätze, die sich in ihrer Schreibweise nur durch einen einzigen Buchstaben unterscheiden und somit wie geschaffen sind zur Irreführung orientierungsloser Berliner, die Köln doch wirklich so gerne näher kennenlernen würden und es doch nicht können, weil es einen Heumarkt und einen Neumarkt gibt. Warum nicht noch einen Neuen Heumarkt, einen Heurigen Neumarkt oder einen Markt für Neues Heu?
Unsereins läuft mit hilfesuchendem Blick durch die Altstadt und landet irgendwie immer am Dom, der steht nämlich unübersehbar im Wege herum. So wie der Fernsehturm in Berlin eben. Der Unterschied ist, dass der Dom angeblich ein wenig älter ist als der Fernsehturm, wenn auch nicht höher. Die Royal Air Force hat das sakrale Machwerk freundlicherweise unbeschädigt gelassen, weil sie Mitleid mit den armen Kölner Menschen hatte und dachte: das kann man doch irgendwie nicht machen, so einen Steinhaufen in Dutt hauen, an dem die Leute 700 Jahre herumgebaut haben, bis sie dann endlich fertig waren mit Steine schleppen.
Da saß dann die Royal Air Force in Whitehall auf einer Bank, schlug die Beine übereinander und zündete eine Pfeife an und sprach zu Bomber Harris: "Wir lassen diese Kirche stehen, damit die Kölner erstens merken, dass wir ihnen und überhaupt dem ganzen deutschen Volke moralisch überlegen sind, weil wir nicht wie die Luftwaffe in Coventry die Kathedrale zerstören und zweitens, damit die armen ahnungslosen Menschen nach dem Krieg wissen, wo sie ihre hässliche Altstadt wieder aufbauen müssen, nämlich rings um den Dom herum." Bomber Harris nickte zustimmend, und das war der Anfang vom Ende des Faschismus. RAF, wir danken dir! Durch deine Besonnenheit hat Deutschland seinen Zuckerhut behalten.
Und irgendwie könnte er ganz schön sein, der Dom, wie er da so steht, so in die Höhe ragt mit seinen zwei ungleich hohen Türmen und wie aus Zartbitterschokolade geschnitzt. Leider ist er meistens verhangen und verkleidet mit Planen und Baugerüsten, die, wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf, ziemlich hässlich sind. Vor dem Portal stehen unzählige Touristen, die auch ziemlich.... nun ja.
Also flieht man ins Innere des Doms. Dort ist es angenehm kühl und man bekommt endlich wieder einmal Gelegenheit, den Nerzmantel zu tragen. Kiebige kleine Nikoläuse in roten Roben und mit Helmut-Kohl-Gedächtnis-Brillen laufen - oder soll ich sagen: huschen umher und verbieten Japanern das Fotografieren während des Gottesdienstes. Ob soviel geballter Abwesenheit von Erotik, also dem erotischen Vakuum sozusagen, flieht man zurück auf die Domplatte. Dort rollen wenigstens ab und an Menschen auf Skateboards vorbei und hinterlassen einen Hauch von sinnlicher Aura. Nun gut.
Nach wenigen Schritten erreichen wir das Römisch-Germanische Museum, das übrigens ziemlich hässlich ist, aber das macht nichts, denn wenn man drin ist und das wunderschöne, vielgestaltige, kleinteilige und atemberaubende Mosaik betrachten kann, das die Römer (das sind die, die vor den Kölnern in Köln waren und keinen Karneval kannten und nach denen dennoch die katholische Kirche benannt ist), ja, das also die Römer freundlicherweise hinterlassen haben, bevor sie beschlossen, ihr Reich müsse nun aber langsam mal untergehen, ja, dann ist das egal, weil man das hässliche Museumsgebäude nicht sehen muss.
Steht man allerdings davor, also auf der bereits erwähnten Domplatte, dann tut's weh. Die Domplatte ist - Sie ahnen es bereits - ganz schön hässlich und lässt unmittelbar einleuchten, weshalb es die deutsche Redewendung "auf Platte sein" gibt und warum die vielgeschmähten Neubauten der DDR "Plattenbauten" heißen, denn sie orientieren sich in ihrer Ästhetik an der Kölner Domplatte.
Ach, wenn das doch Adenauer noch erlebt hätte! Denn er war - Sie ahnen es bereits - Rheinländer und konnte nie verstehen, warum man ihn in Berlin-Pankow nicht mochte. Umso tröstlicher wäre es für ihn gewesen, dass im Osten Deutschlands der Vorplatz des Doms zu Köln als gestalterisches Vorbild galt. Leider hat Honecker das Geheimnis dieser fragwürdigen Verbindung mit ins Grab genommen.
Vielleicht glaubte man im Politbüro, der Vorplatz eines Domes müsse Ähnlichkeit mit dem Vorhof zum sozialistischen Paradies haben, ähnlich wie der Schloßplatz in Berlin, der vor dem Paradies....ääääh..... Palast der Republik. Wer wollte bestreiten, dass es sich dabei um einen der schönsten Plätze der deutschen Hauptstadt handelt.
Hatte ich eigentlich schon erwähnt, dass auch die innerstädtische Bevölkerung Kölns mich nicht auf der Straße zur Rede stellte und fragte, warum ich denn in Gottes und drei Teufels Namen ihre Straßenbahnen für so hässlich hielte? Dabei war ich ohne jeden Zweifel immer und überall als genau jener Schmierfink zu identifizieren, der die Kölner Straßenbahnen als die hässlichsten in ganz Deutschland tituliert hatte.
Mein Gastgeber gibt mir außer dem Gastrecht auch noch zu bedenken, dass die innerstädtische Bevölkerung vermutlich gar nicht weiß, wie ich aussehe und mich deswegen nicht anspricht. Das kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen. Wahrscheinlich haben alle Kölner die letzte Kolumne gelesen und laufen seither mit geballten Fäusten in der Tasche durch ihre Stadt , sitzen mit knirschenden Zähnen auf den hässlichen Plastiksitzen ihrer Straßenbahnen und denken bei sich: sollte mir jemals dieser arrogante Berliner zwischen die Finger geraten, dann werfe ich ihn eigenhändig in den Rhein!
Ich meide also das Rheinufer, was relativ einfach ist, weil die Herrenkneipen allesamt ein Stückchen vom Fluss entfernt sind und stelle trotz der unverhofft frühlingshaften Temperaturen den Kragen hoch. Bloß nicht erkannt werden, bloß nicht, weder auf der Straße noch in einer der Herrenkneipen!
Ach ja, die Herrenkneipen. Die gibt es ja in Köln überall. Sie wissen schon, die mit den hübschen bunten Fähnchen davor, die wie die der italienischen Friedensbewegung aussehen. In eine von diesen Gaststätten schwankte ich mal nach dem CSD 1998 morgens hinein, weil ich auf die erste hässliche Straßenbahn ab Heumarkt warten musste.
Der Name Zille erschien mir sehr einladend, von wegen Miljö und so. Da saß ich dann mit schwerem Kopf an der Bar auf der wiederum schon diverse schwere Köpfe lagen und für Miljö sorgten. FLEISCH! So schoss es mir durch den den Betonkopf, als ich Deutsche Beefsteaks unter einer Glasglocke liegen sah.
"Junger Mann" hauchte ich, "ich möchte eine von diesen Bouletten." Daraufhin landete auch mein Kopf auf der Bar. Ich hörte aber noch, wie der Barmann sagte: "Boulääääääten???? Ham mer nösch!" Ich sah mich genötigt, den Kopf wieder anzuheben. "Und was is' das da?" Ich deutete auf den Fleischhaufen unter der Glaskuppel am Tresen. "Das sinn Frikadällen, min Jong." Die liegenden Köpfe um mich her fingen an, leise zu lachen.
"Na gut, dann eben Frikadellen. Ich möchte eine. Eine von diesen Dingern da!" "Saache mol, wo kommste'n her, wenn des bei dir Bouläääääte heisst..... loss mich mol raten: Pasewalk! Du kommst aus Pasewalk, stimmt's? Wir hatten mal einen Nachbarn, der sproach oooch so wie du, der war aus Paaasewalk." "Ja, ja, ich bin aus Pasewalk" entschlüpfte es mir, denn erst kommt der Bauch, dann die Moral. "Aber bitte gib mir jetzt eine dieser Fleischkugeln."
Einer der Köpfe neben mir wandte mir sein Gesicht zu und grinste, als ich mein Frischfleisch in Empfang nahm. Dann sagte das Gesicht zu mir: "Schöne Lippen hatter ja. Fleischige Lippen (Kicher). Kusslippen. Knutschlippen. Blaslippen." Und ein weiterer Kopf am Ende der Bar wurde angehoben, und es entfleuchten ihm folgende Worte: "Das Blasebalg aus Pasewalk". Ein Prusten und Gackern ohne Beispiel in der Menschheitsgeschichte setzte ein. Das war das letzte, woran ich mich erinnern kann. Soviel zu Frischfleisch in der Kölner Szene.
Bald darauf muss ich mit einer hässlichen Straßenbahn nach Porz gefahren sein.
Köln Porz, jenes Industriegebiet auf der falschen Rheinseite und ohne Herrenkneipen, zeichnet sich dadurch aus, dass es noch langweiliger ist als Mannheim Käfertal. Ich kann das so freimütig sagen, weil mich die einheimische Bevölkerung im Gegensatz zu der im Zentrum Kölns nicht erkennt. Mir rätselhaft, warum das so ist, wo ich doch immer Kolumnen schreibe. Und ich schreibe auch über das, was sie betrifft, nämlich ihre wirklich ausgesprochen hässlichen Straßenbahnen, in denen sie tagtäglich nach Köln City fahren müssen. Und wieder zurück nach Porz City.
Porz City steht in großen Leuchtbuchstaben über dem Eingang der Fußgängerzone von Porz, die übrigens sehr hässlich ist. Das haben Stadtplaner in den siebziger Jahren sich so ausgedacht, damit die in Scharen mit den nicht sehr schön wirkenden Straßenbahnen anreisenden Tagestouristen wissen, wo sie ihr Geld lassen müssen und nicht weiter nach römischen Kastellen suchen. Waschbetonplatten haben ja auch irgendwie etwas von römischen Mosaiken. Wenn man in Porz City die Tageseinkäufe erledigt hat, läuft man schnellen Schrittes über den römischen Waschbeton zur Haltestelle Porz Markt, die, wenn ich das noch eben einschieben darf, mit einiger Sicherheit eine der hässlichsten Straßenbahnhaltestellen unseres Landes ist. Von dort fährt man gerne wieder nach Köln hinein, und das will schon etwas heißen.
Zum Schluss möchte ich noch erwähnen, dass ich zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieser Kolumne nicht in Köln sein werde. Es ist also zwecklos, mir mit geballter Faust an der Haltestelle Porz Markt aufzulauern und eine hässliche Straßenbahn nach der anderen abzuwarten. Ich werde auch nicht in Berlin sein. Und in Pasewalk schon gar nicht.
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