Baella: Wer kennt sie inzwischen nicht, die Irmgard Knef! Zwillingsschwester der großen Hilde. Schwesterseelenallein nunmehr, doch längst nicht mehr verkannt, verleugnet, vergessen. Doch was ihr Publikum nicht weiß: Irmgard Knef ist eine durch und durch multiidentische Persönlichkeit. Und was noch interessanter ist: ihre Multiidentität ist tatsächlich trinitarisch.

Dieses schon lange ahnend hatte ich mich mit meiner alten Freundin Irm zu einem Kulturhaus-Gespräch erster Güte verabredet. Ich wußte, dass das Thema besonders sensibel zu handhaben ist, denn Irmgards Biografie, ihre Persönlichkeit ist ihr Kapital ("Wenn Sie wissen, was ich meine").

Theologisch vorgebildet wußte ich ausserdem, dass Trinitäten eigentlich nicht (be-) greifbar sind. Dass sie sich nicht einmal hinreichend beschreiben lassen, am allerwenigsten auf dem Weg der Analyse. Dieser Natur verpflichtet (man spricht auch von trinitarischer Intimität) habe ich deshalb den zweiten Teil unseres Gesprächs, in dem sich das Trintarische am deutlichsten entfaltet, hörbar gemacht. Das ist neu, hier im Kulturhaus. Doch Metaphysisches lässt sich, wenn überhaupt, nur über das Gehör erschliessen. So dient die Niederschrift des zweiten Teils eigentlich nur der Dokumentation.

Doch lesen (und hören) Sie jetzt selbst, ungeglättet und nahezu ungekürzt, den


Versuch über
Ulrich, Irmgard und die Knef


Erster Teil: Der psychologische Aspekt



Baella: Irmgard meine Liebe, ich grüße dich!

Irmgard Hallo, meine liebe Baella.

Baella: Was lese ich da in der Rheinischen Post! Du warst lange Zeit zwangsverhuscht ...

Irmgard (lacht)

Baella:... und durch den Tod deiner Schwester - Gott hab sie selig - wunderbar befreit worden. Das Blatt bezeichnet dich in diesem Sinne sogar als eine - ich zitiere: "Überlebende". Teilst du dieses Bild eigentlich?

Irmgard: Na ja, das Zwangsverhuschte, wenn ich also an meine Anfänge denke, du weißt ja, ich habe wirklich ganz klein angefangen, nachts um drei, im Keller, nich? In Kreuzberg...(lacht)

Baella: (lacht): Das waren noch Zeiten.

Irmgard (lacht): Ja das waren noch Zeiten. ... und Hinterhöfen und und und. Ich sang wenns schon keiner mehr hören wollte, musste mich konfrontieren mit militanten Lesben, die aufschrien...

Baella: ...du hast auch immer so viel geredet,...

Irmgard: ...keiner wollte mehr zuhören, alle war'n se besoffen und wollten nur noch`n bisschen Musik haben, nich? Es war natürlich, in dieser Zeit war ich zwangsverhuscht, das kann man schon sagen, nich? Und in der Zeit, als Hildegard noch lebte, da ging es mir darum, mein Leben konkret dem ihren gegenüber zu stellen und auch mal zu sagen, schau mal, so kann das auch gehen, so kann die andere Seite der Medaille aussehen. Das Interessante war, dass wir uns immer wieder trafen, in unseren Niederlagen, in unseren Pleiten, in unseren Pannen. Aber auch wiedertrafen in unserer Lust am Leben, am nicht aufgeben, am weiter machen, am neu bestimmen, am neu definieren. Nachdem Hildegard ja nun nicht unerwartet - das kann man ja nun wohl nicht sagen, aber - nachdem Hildegard von uns gegangen ist, war für mich eine völlig andere Situation gegeben, nich? Ihr Leben war beendet, und der Kontrapunkt, dem ich ihrer Lebensmelodie gegeben habe durch meine öffentlichen Auftritte, wurde nun zur eigenständigen Melodie.

Baella: Ja. Das hast du sehr schön ausgedrückt. Auf die eigene Melodie möchte ich später noch einmal zu sprechen kommen. Lass uns noch etwas in der Vergangenheit schwelgen. Du sagtest ja schon, in kleinen Clubs, kleinen Kaschemmen bist du aufgetreten, da habe ich dich ja auch damals kennen gelernt, im Tuntenhaus, in der Kastanienallee, es waren wunderbare Zeiten...

Irmgard: Ja...

Baella: Heute feierst du standing ovations in der Bar jeder Vernunft, und die großen Bühne der Cabaret-Szene hast du erobert. Das ist ja ein sehr weiter Weg gewesen. Ist da eigentlich was auf der Strecke geblieben, von Café Anal bis Bar jeder Vernunft? Sag es direkt!



Irmgard: Auf der Strecke geblieben sind leider sehr, sehr viele Menschen, die ich nicht mehr sehe, die ich selten sehe, zu selten sehe, weil die Zeit nicht mehr da ist. Mein Leben hat sich komplett geändert und was als Freizeitbeschäftigung angefangen hat, als nächtliche Freizeitbeschäftigung neben diversen anderen Freizeitbeschäftigungen, nich? Habe ich natürlich mein Leben komplett ändern müssen und dem Showbuiz untergeordnet. Ich finde das zum Teil sehr, sehr schade.

Baella: Ich möchte die Frage noch etwas provokanter stellen. Du hast jetzt den persönlichen Aspekt herausgestellt. Mir geht es auch um den politischen. Du singst da ein wunderbares Lied von der letzten Totzkistin, einer gescheiterten linken Existenz, die an der Kasse von ALDI zusammenbricht, und die Revolution bricht mit ihr auch zusammen. Gibt es da Berührungspunkte?

Irmgard: Ich habe mich nie verbogen. Das will heißen, dass ich nach wie vor die Inhalte meiner Texte so gestalte, dass ich dazu stehen kann. Ich habe lediglich das Milieu gewechselt bzw. vielleicht auch, um es böse zu formulieren, ich bin raus aus dem Ghetto gegangen und habe mir neue Opfer gesucht, nich? Also neue Leute. Wissen sie, weißt du - wir kennen uns nun ja schon so lange nich, ich bin immer wieder beim siezen, es ist - ...

Baella: ... das macht gar nichts...

Irmgard: ... es ist auch mein Alter...

Baella: ... es ist auch die Interviewsituation, ich meine, mir geht es auch immer wieder so, wenn ich ein rotes Licht sehe und ein Mikrofon, werde ich auch schnell sehr förmlich.

Irmgard: (lacht): Danke, also meine liebe Baella, Bella, es ist folgendermaßen: ich denke, dass ich in meiner message, oder wenn man überhaupt davon sprechen kann, in dem also, was ich zu sagen habe...

Baella: ...darauf wollte ich zu sprechen kommen...

Irmgard: ...da ist gar nichts aber auch rein gar nichts auf der Strecke geblieben. Was auf der Strecke geblieben ist, ist - wie soll ich sagen? - vielleicht ein Hauch von Unbeschwertheit, ein Hauch von Amateurhaftigkeit. Und ich denke jeden Abend, wenn ich auf der Bühne stehe, an meine Wurzeln und woher ich komme. Und nach wie vor ist das ja auch mein Thema. Deswegen habe ich auch das Lied der Trotzkistin geschrieben. Und du kannst mir glauben, es ist eine andere, es hat eine ganz andere Bedeutsamkeit, eine ganz andere Relevanz, wenn ich das vor einem zahlungskräftigen Publikum singe als natürlich jetzt beispielsweise nachts um drei in einer Kreuzberger schwul-lesbisch-autonomen Bar. Authentisch ist es in beiden Fällen, nur - wie soll ich sagen? - die Annahme ist eine generell andere.



Baella: Stehst du da unter einer höheren Spannung eventuell, oder? Das ist ja ein interessanter Aspekt!

Irmgard: Die Spannung. Natürlich bin ich - wie soll ich sagen? - oft ein Paradiesvogel in dieser völlig anderen Szene. Also da fällt man nicht per se auf fruchtbaren Boden, nicht? Wenn man jetzt mal umkippt. Es ist also schon so, dass man sehr ackern muss, um verstanden zu werden. Und das ist ja genau der Punkt. Also raus aus dem Ghetto, raus aus dem eigenen Milieu, aus dem eigenen Saft und sich woanders zu verbreiten. Das ist was wahnsinnig Schweres, und das ist auch ein Kampf jeden Abend, nich? Ich kann dir sagen, ich blicke manchmal in dermaßen verständnislose Gesichter, da ist nichts von "we`re family" oder so was, nich? Und wenn die Leute dann trotzdem verstehen, was ich zu sagen habe, beispielsweise mit der Trotzkistin, oder mich auch darauf ansprechen, dann freut mich das sehr, dass es auch außerhalb dieses Uterus - was für mich das Café Anal durchaus war - außerhalb dieses Uterus durchaus passieren kann.

Baella: Wenn ich mir diese Entwicklung anschaue von dem ersten Programm zum zweiten, das finde ich sehr spannend. Ich habe da wirklich auch den Eindruck, dass du immer mehr - um es mit Sigmund Freud zu sagen - zu dir selbst kommst. Ich weiß gar nicht, ob er es selbst so gesagt hat, aber man spricht ja so in der Psychotherapie.

Irmgard: Ich bewege mich weg von irgendwelchen Idolen, von irgendwelchen Helden, von irgendwelchen Vorbildern und Vergleichsfunktionen. Es ist, Bella, um es ganz konkret zu sagen, wirklich das Ankommen bei mir selbst, bei meinem, in meinem Leben.

Baella: Um es ganz unverblümt und frei heraus zu sagen. Dein Leben, liebe Irm, besteht dennoch zu einem großen Teil aus deiner starken Schwester.

Irmgard: Ja.

Baella: Auch wenn ihr zuletzt viele Jahre getrennt gelebt habt, die Zeit hat nichts daran ändern können, dass du deiner Hilde doch sehr ähnlich geblieben bist. Nun gibt es da aber noch eine dritte Person, einen jungen Mann. Also ich meine jetzt keine weitere Person, sondern einen Teil deiner Identität, über den es bisher nur Andeutungen gibt.

Irmgard: Ja.

Baella:: Auf deiner Web-Seite beispielsweise gibt es ein Kinderfoto von dir. Das ist wirklich süß und faszinierend zugleich. Die kleine Irm könnte auch ein Junge sein.



Irmgard: Na ja das ist eine Frage der Betrachtung.

Baella:Trotzdem spielt dieser Junge, auch das wird besonders auf Deiner Web-Seite deutlich, offensichtlich eine größere Rolle in deinem Leben, als das bisher bekannt ist. Er hat sogar einen Vor- und eine Nachnamen. Das ist ungewöhnlich. Ulrich Michael Heissig heißt er.

Irmgard: Ach ja, der Ulrich, ja, ja.

Baella: Dennoch erzählst du davon auf der Bühne gar nichts, obwohl du dich dort ja selbst immer wieder zum Thema machst. Ist Hilde noch so gegenwärtig, dass Ulrich ganz hinten runter fällt, oder wie hängt das jetzt miteinander zusammen?

Irmgard: Also wenn ich auf der Bühne bin und meine Lieder singe und meine Geschichten erzähle, dann ist es doch in erster Linie Irmgard, die da erzählt und singt, das Leben betrachtet, wie es ihr widerfahren ist, natürlich aber auch im indirekten Vergleich zu Hildegard, nich? Das war ja sozusagen mein Eintritt ins showbuizz, dass ich mich also verglichen habe mit Hildegard. Aber auch dieser Ulrich, dieser Mensch, der hat natürlich das ganze auch forciert. Er hat mich sozusagen mit entdeckt, nich? Oder mir Mut gemacht, das zu tun, nich? In meinem Alter ist das nicht selbstverständlich, nich?

Baella:Könnte man sogar sagen, dass dich dieser Ulrich regiert? Ich meine in deinem täglichen Leben?

Irmgard: Das tut er nicht so doll, aber es ist natürlich schon so, dass ich von ihm erfahre, wann ich auftrete, wo ich auftrete, ich kann mir das ja nicht mehr merken, nich? Ich stell mich halt auf die Bühne und singe, ob das nun in `nem Schuppen ist, oder in einem Keller nachts oder in einem Zelt oder Theater, und wann und wo und wie das ist, das macht alles er, da kümmer ich mich überhaupt gar nicht drum; es gibt ja auch immer wahnsinnig viele Manager in jedem Bereich, bei mir war es nun dieser jüngere Herr.

Baella: Aber Irm! Bei diesem jungen Mann. Ich meine, da handelt es sich doch nicht um eine andere Person. Er ist doch Teil deiner Persönlichkeit. Ist er auf der Bühne eigentlich gegenwärtig? Vielleicht so sehr, dass Du nicht von ihm sprichst, sondern, wie soll ich sagen, dass er dich sprechen lässt?

Irmgard: Er ist sehr ehrgeizig, nich, er ist wahnsinnig ehrgeizig und er will das Beste aus mir herausholen. Wenn ich dann mal versage, das lässt er eigentlich nicht gelten, nich? Also, er ist so der Dompteur, der die Peitsche knallen lässt und sagt bloß, du kannst das besser und heute war das ja nich so doll, nich?

Baella: Irmgard, Ullrich und Hildegard. Also Irm, wie passt das jetzt zusammen?

Irmgard: Ich muß vielleicht den guten alten Sigmund Freund zitieren, nich? Das ES, dieses Triebhafte ist natürlich dieser jüngere Herr, ICH bin die Irmgard und das ÜBER ICH wär also die Hildegard. Wenn man mal dieses Modell nehmen würde, dann ist das ÜBER ICH also die Hildegard.

Baella: Das ist ja interessant.

Irmgard: Das ist schon klar.

Baella: Ist Ihnen das auch klar, liebe Kulturhaus-BesucherInnen? Dann danke ich Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. Ich empfehle Ihnen wirklich, einen Abend mit Irmgard Knef zu verbringen. Sie tritt nicht nur in Berlin auf. Sie kommt fast überall hin, also sicher auch mal ganz in Ihre Nähe. Wenn Sie Irmgard dann auf der Bühne erleben, können Sie jetzt im Stillen auch immer ein bisschen über ES schmunzeln. Wie würde Irmgard sagen? "Danke, meine Lieben, haben Sie vielen Dank".


Wenn Ihnen das nocht nicht reichen sollte, folgen Sie mir nach nebenan. Kommen Sie uns und ihr näher! Irmgard und ich, wir werden Ihnen dort zu Gehör kommen.


      


Lore Lolobrigida: meine liebe bella, kindchen! das ist ein kleines meisterwerk, was dir da gelungen ist. ganz alte schule! wo bekomme ich eine integral-version des songs von der kreuzberger trotzkisitin, etwa auf der irm-cd?  
Baella@Lore: danke, meine liebe lore, ich danke dir. die trotzkistin findest du auf irms neuer cd "schwesterseelenallein". sie hat auch eine hübsch gewebte  seite