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dieTobi und das queerEruption
Baella: Multiidentität ist auf eine ganz bestimmte Weise queer. Das eigentlich queere Moment liegt, theologisch gesprochen, in dem Unfassbaren, das in das Fassbare hineinreicht. So kann es nicht ausbleiben, dass hier, im Rahmen von Multiidentität, auch über queer gesprochen werden muß. Auch um den Preis der Fassungslosigkeit.
Denn mit queer ist das ja nicht einfach. Nach all dem was mit queer geschehen ist. Was alles ist queer, und gerade deswegen auch nicht? Auf seinem Höhepunkt vor noch nicht allzu langer Zeit, als queer in aller Munde war und queer seine endgültige Verwirklichung erfahren sollte, ja ausgerechnet da war queer bankrott. Versenkt in der knallharten Realität der Economy. Eine ganze Gruppe hatte in queer investiert. Queer ist jetzt pleite. Jetzt erst Recht.
Wer es immer noch nicht lassen kann, von queer zu reden, lief schon davor Gefahr, belächelt zu werden. Wenn er nicht Spezialist ist. Die Spezialisten füllten Bücher und wussten deshalb ja schon längst, dass queer ganz anders ist als es gemeinhin verstanden wird. So hätte es jetzt wieder etwas ruhiger um queer werden können.
Zuletzt aber gab es den Ausbruch. Die wahrhaft queere Eruption. Nicht mitten in Berlin, sondern ganz weit im Süden, draußen auf dem Land. Der Umstand, dass das Beben nicht die Stadt erschütterte, ist wohl Berliner Bürokratie zu danken. Die wollte den Ort für queer nicht hergeben und gab sich auf Anfragen bedeckt. Berlin ist zwar groß und viel Großes steht hier leer, aber für queer?
Gerüchte kursierten. Der Ausbruch würde nicht stattfinden. Die Organisation sei für das queere viel zu queer. Ein Flugblatt, mit der Absicht einzuladen, schreckte zuletzt ab. Benimm-Regeln seien darauf. Wie sich der Gast bei queers verhalten soll.
Verantwortlich für das Ganze ist dieTobi. Mitverantwortlich. Bist du am Ende selbst queer?
dieTobi: Ich habe Probleme mit der Begrifflichkeit.
Baella: Du also auch!
dieTobi: Da gab es doch diese kommerzielle Zeitung. Wenn queer ein Label für schwul-lesbisch ist, dann bin ich nicht queer. Wenn es Grenzen aufzeigen soll und Identitäten in Frage stellt, Menschen irritiert und verunsichert, dann ja. Queer steht für Unstimmigkeiten zwischen biologischem und gesellschaftlich wahrgenommene Geschlecht.
Baella: Queer steht also nur auf dem Papier.
dieTobi: In Wirklichkeit ist es ein Sammelbecken für Transsexuelle, Transgender, Crossdresser, Undefinierte, Asexuelle. Alle, die sich nicht unter dem Label "lesbisch-schwul" zusammenfassen lassen.
Baella: Und wie erlebst Du Dich persönlich?
dieTobi: Eigenständig.
Baella: In Beruf und Privatem? Das ist beneidenswert. Du arbeitest als Krankengymnast in einer Praxis. Da geht's sicher sehr gesittet und sauber zu. Privat schweißt du Rostskulpturen und trittst in Erotik-Performances auf. Du läufst auch so im Fummel rum. Oder besser gesagt in ziemlich grellen Klamotten. Strahlend gelbe Hose, Plüschfelljacke, leuchtend orange Pulswärmer, lackschwarze Hackenstiefel. Grell grün geschminkte Augenbrauen. In Kombination mit deiner leuchtend orangenen Latzhose könntest du jeden BSR-Mann (Berliner Stadtreinigung) erblassen lassen; nicht nur aus Neid... Wie erlebst Du deinen Grenzgang zwischen Beruf und Privat?
dieTobi: Spannend. Durch meine Tätigkeit in der Praxis bekomme ich ganz andere Eindrücke. Einblicke in eine bürgerliche Lebenswelt, die ich sonst nicht mitbekomme.
Baella: Na dann ist ja alles gut.
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Seien Sie herzlich willkommen im virtuellen Kulturhaus Ernst Meibeck. Unsere aktuelle Ausstellungsreihe läuft seit Herbst 2002. Hier erhalten Sie tiefe Einblicke in das Multiidentische. Das Gegensätzliche leben und damit in Bewegung bleiben, ist doch schön, oder?
Diese Ausstellung ist eine Hommage an das Schizophrene. Sie ist Herculine Le Barbin gewidmet, einem französischen Hermaphroditen, die im 19. Jhdt lebte und unter dem Normierungszwang zugrunde ging. Sie können das nachlesen bei: Michel Foucault. Über Hermaphroditismus in der Edition Suhrkamp.
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dieTobi: (lacht) Na ja. Viele Sachen kann ich da nicht sagen. So wie ich mich normal fühle, kann ich mich da nicht bewegen. Ich könnte da nicht arbeiten, wenn ich mich so geben würde, wie ich bin. Gerade bürgerliche Patienten kämen damit nicht mit klar. Es ist wie eine Performance, das Arbeiten. Ich stelle mich den Patienten als Mann eindeutig vor, sehe aber innerlich einen Widerspruch.
Baella: Ist das nicht anstrengend?
dieTobi: Sehr anstrengend. Arbeitszeit und Berusfzeit gehen auch total auseinander. Zu Parties kann ich z.B. nur gehen, wenn ich am nächsten Tag nicht arbeiten muß.
Baella: Ist das nicht so, als hättest du dein coming out noch nicht gehabt?
dieTobi: Da gibt es schon einen Unterschied. Meine Kollegen wissen das ja und unterstützen das auch. Es macht aber den Patienten gegenüber wenig Sinn. Da ist nicht die Zeit für Erklärungen. Und je nach Patientyp ist das auch sehr schwierig. Manche haben ja schon mit meinen langen Haaren Schwierigkeiten. Die fragen schon mal, ob sie nicht von anderen Kollegen behandelt werden können. Vielleicht haben sie auch Probleme mit meiner weiblichen Art. Gerade bei dieser körperlichen Arbeit ist das manchmal sehr schwer, eine Vertrauensebene herzustellen.
Baella: Ich muß das noch mal klar sagen. Nicht dein Fummel ist Teil deiner Performance, sondern die weiße Kleidung des Krankengymnasten...
dieTobi: Ich trage da keine weiße Kleidung. Meistens trage ich neutrale T-Shirts, bedruckt. Und eine Trainingshose.
Baella: Du nimmst dir dein Make up weg...
dieTobi: dann mache ich mir die Fingernägel sauber, binde die Haare zusammen. Und bin Krankengymnast.
Baella: Und am Ende dieser Performance?
dieTobi: Nach dem Arbeiten habe ich ein extremes Bedürfnis, Make up aufzutragen, meistens noch auf der Straße.
Es fehlt mir was, wenn ich mich nicht auffummeln kann, ich fühl mich dann unvollkommen, nackt im negativen Sinn. Es ist mir wichtig, eine Eigenständigkeit zu besitzen. Auch bei Freunden einen eigenen typischen Eindruck zu hinterlassen.
Baella: Und wie reagieren die Leute, wenn du so auf der Straße stehst und dich schminkst?
dieTobi (lacht): Es kommen auch positive Kommentare. Manche sind begeistert von den Augenbrauen. Meine Ärztin z.B. findet das ganz toll. - Aber die negativen Reaktionen überwiegen: "Schwule Sau", "Bist du ne Frau, oder'n Mann?" Bis hin zu Bedrohung, Androhung von Schlägen, angespuckt werden. Meist sind es junge männliche Türken in Kreuzberg, aber auch im Prenzlauer Berg erlebe ich sowas. Mit aggressiven deutschen Horden.
Baella: Was machst du dann?
dieTobi: Ich habe für mich entschieden, in der U-Bahn nur noch in Gruppen zu fahren, nicht mehr allein. Z.B. haben sie mich an der U-Bahn Station Eberswalder Straße, an einem Samstag, als Herta spielte, erst blöd angesprochen, dann geschubst, schließlich versucht zu schlagen. Ich bin ausgestiegen und habe eine andere Bahn genommen. Das steckst du nicht einfach so weg.
Baella: Du hast in diesem Jahr die Queeruption in Berlin vorbereitet. Was ist Queeruption?
dieTobi: Queeruption ist ein internationales Teffen. Es ist 1998 in London entstanden, aus einer eigenständigen Bewegung gegen den kommerziellen CSD. Von da an wurde es immer größer. Die Leute trafen sich dann in New York, San Francisco und London. Dieses Jahr fand die Queeruption zum ersten Mal in einem nicht englischsprachigen Land statt. In Berlin trafen sich bis zu 400 Leute für eine Woche im auf dem Kesselberg. Das ist eine Art Kommune, fünf Kilometer von Erkner entfernt. Die Leute wollen dort ein alternatives Tagungszentrum errichten und haben sich gefreut, dass wir kamen.
Baella: Ihr habt dort ganz homoländisch zusammengelebt?
dieTobi: Es gab jede Mende Workshops, Parties. Wir haben für 400 Leute gekocht, und es gab rund um die Uhr eine Art Rezeption, um mögliche Angriffe abzuwehren. Außerdem hatten wir einen Bus-Shuttle von der S-Bahn zum Kesselberg.
Baella: Was hat dir denn persönlich am besten gefallen?
dieTobi: Der persönliche Austausch, besonders mit Lesben aus Belgrad. Von den Parties hat mir am besten die Sexparty am Freitag im Kesselberg gefallen, und die Party am Samstag in der Köpi mit drei verschiedenen Bands und einer Erotik-SM-Performance auf dem Klavier. Es war eine supernette Stimmung dort, very international (lacht).
Baella: Worin unterschied sich die Sex-Party zu den üblichen Veranstaltungen, wie sie in Kneipen stattfinden. Oder gab es überhaupt wirkliche Unterschiede?
dieTobi: Die Atmosphäre ist da ganz anders. Wir richten uns die Räume selbst ein. Es gab Räume nach Selbstdefinition: mixed sm, chillout, einen Raum, in dem Pornos gedreht wurden, einen Frauen- und einen Männerraum nach Selbstdefintion. Das war alles schon ziemlich abgefahren. Es hatte so etwas Tranceartiges, wenn man viele Leute rumficken sieht und sich im Hintergrund Schreie und Peitschenklänge mit dem Sound der Industrialmusic mischen (lacht). Ich fand auch die Erotik-Massage sehr schön.
Baella: Woher kamen all die Leute?
dieTobi: Das ist das Spannenden an der queeruption. Sie kommen aus allen Teilen der Welt: Serbien, Griechenland, Tschechien, Polen, Spanien, Italien, Frankreich, Niederlande, Dänemark, Belgien, Schweiz.
Baella: My head is swimming
dieTobi: Auch aus Kanada, USA, Großbritannien, Neuseeland, Australien, und Israel waren welche.
Baella: Im Vorfeld gab es ja eine Reihe von Schwierigkeiten bei den Vorbereitungen.
dieTobi: Ja, allerdings. Wir haben schon im Sommer letzten Jahres angefangen, Geld mit Soli-Parties zu bekommen. Wir waren nur wenig Leute. Erst Anfang des Jahres waren wir dann 20 zuletzt etwa 30. Die Suche nach geeigneten Räumen für vier bis fünfhundert Leute hat leider sehr viel Zeit und Energie gekostet. Die hätten wir für anderes gebrauchen können. Diese Raumsuche hat viel blockiert. In London konnte einfach ein Haus besetzt werden. Hier in Berlin geht das ja nicht mehr. Die Behörden haben uns immer wieder vertröstet oder hingehalten. Einmal funktionierte ihr Computersystem nicht, dann wurde eine ehemalige Zigarettenfabrik in Pankow, die wir schon hatten, kurzfristig verkauft. Das Kesselberggelände hatten wir erst mal abgelehnt, weil es zu weit weg war. Wir haben dann wegen der Sicherheit vor Fascho-Angriffen recherchiert.
Durch das Ganze hat die Zusammenstellung der Workshops gelitten und dass wir nicht alle Anfragen, die im Vorfeld kamen, ausreichend bearbeiten konnten.
Baella: Ich habe gehört, es sei zu wenig inhaltlich gelaufen. Zu viel Rumgehänge...
dieTobi: Das ist Quatsch.
Baella: Aber möglicherweise hängt das ja mit der fehlenden Vorbereitungszeit zusammen.
dieTobi: Die queeruption organisiert sich gerade was die Inhalte und Workshops betrifft, selbst. Was du nicht einbringst, findet auch nicht statt. Aber es stimmt schon, dass wir es nicht geschafft haben, für jeden Abend eine Veranstaltung zu machen. So ist das dann meistens in Party gemündet. Und am nächsten Morgen kamen die Leute zu spät oder gar nicht zu den Workshops. Man hätte noch mehr Alternativen zum Party-Konzept schaffen müssen.
Außerdem wurden viele Workshops kuzfristig verlegt oder zu spät angekündigt. - Na ja und die Küche war diesmal auch eher mäßig. In den Kochgruppen waren keine Leute, die Erfahrung damit hatten, für 400 Leute zu kochen.
Baella: Gab es auch Kritik während oder nach der Veranstaltung?
dieTobi: Ich sagte ja schon, zu viel Party, zu wenig Inhalt. Und die Werbung sei schlecht gewesen. Kritik gab es auch bei einer Aktion vor dem Abschiebeknast. Da waren wir nur 50 Leute, viel zu wenig.
Baella: Und du, was hat dir gefehlt?
dieTobi: Viele Punkte blieben ungeklärt und vieles blieb auf der Orga-Ebene. Der persönliche Umgang hat durch den Stress mit der Organisation gefehlt. Eine gewachsene Gruppe wäre schöner gewesen. Viele Leute haben sich durch die Organisierung schlecht oder überfordert gefühlt. Darüber konnte dann nicht ausreichend geredet werden.
Baella: Und inhaltlich?
dieTobi: Von Transgender kam erhebliche Kritik an transphobem subtilem Verhalten. Leider wurde das erst am letzten Tag geäußert. Sie sagten, dass sie immer wieder in eindeutige Identitäten sortiert wurden, obwohl sie es nicht wollten. Dadurch entstand das Gefühl, nicht dazu zu gehören. Kritisiert wurde auch, dass es so was wie einen Markt gab, wo bestimmtes Verhalten oder Auftreten zählt, anderes nicht.
Baella: Au weiah. Das haut ja der queeruption das queer raus ...
dieTobi: ...
Baella: Ist queer eigentlich eine Moral? Ich meine, wie sich die Leute zu verhalten haben... Allüberall Fettnäpfchen. Von denen habe ich auch gehört. Da habe es ein Flugblatt mit Benimm-Regeln gegeben.
dieTobi: Das ist absoluter Quatsch. Es gibt bestimmte Leute, die immer nur lästern, vielleicht gerade weil sie das alles verunsichert. Die Verunsicherung ist ihnen ja nicht vorzuwerfen. Aber sie sind nicht wirklich daran interessiert und reißen trotzdem ihr Maul auf. Das nervt, vor allem weil es Leute sind, die den Anspruch haben, radikal-politisch sein zu wollen.
Baella: Aber nicht jeder mag zum Beispiel eine Woche lang vegan essen, wenn er es sonst auch nicht tut.
dieTobi: Man kann nicht fünf verschiedene Menüs kochen. Also war klar, dass die Küche vegan gestaltet wird, um Leute, die sonst in der Minderheit sind, nicht auch noch hier auszugrenzen. Es gab aber auch vegetarisches Essen. Und es gibt einen durchaus politisch sinnvollen Aspekt, auf tierische Produkte zu verzichten.
Baella: Wie bist du dazu gekommen, die queeruption zu organisieren?
dieTobi: Die Veranstaltung in London war einfach super. Dort hatte ich auch persönliche Kontakte bekommen. Ich fand das dann einen starken Reiz, so etwas auch in Berlin zu machen. Mit dem Ziel, dass etwas Neues entsteht. Eine szene-überschreitende Gruppe. Hier sind die Szenen sehr getrennt. Das wollte ich durchbrechen.
Baella: Und ist es geglückt?
dieTobi: Es gibt jetzt eine neue Gruppe, die weiterhin in der Richtung arbeiten will. Wir machen zum Beispiel auf dem Kreuzberger CSD eine Entspannungszone. Wir wollen langfristig eine queere VoKü einrichten. Ich wünsche und hoffe, dass auf Dauer eine kleine Gruppe weitermacht, die auch zu politischen Themen Aktionen plant und sich positionert.
Baella: Mögen Deine Hoffnungen wahr werden.
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Finanzen:
Die queeruption machte 5.000 Euro Überschuss, die an folgende Projekte verteilt werden konnten:
Planung queeruption Herbst 04 in Sydney (500)
Niederlande Sommer 04 (500)
Kesselberg-Projekt (500)
Qu-Fanzine in Planung (500)
Unterstützung Belgrad und Warschau Queer-Projekte (500)
Aktionen in Berlin (500)
Reserve für Probleme / Unterstützung für Visa / Reisekosten (1.000)
Kosten Visa und Flug der Belgrad-BesucherInnen (800)
Ausstehende Kosten (200)
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Auszüge aus dem Programm:
Vortrag und Film der Black Laundry Gruppe von Israelis vor allem Lesben und Transgender gegen die Besetzung in Palästina
Vortrag und Film über Lesben und Schwule in Simbabwe
Film über den CSD-Versuch in Belgrad mit dem Ziel, eine internationale Queer-Konferenz in Belgrad zu organisieren
Transgender - Wahrnehmung und Erfahrungsaustausch
Kritik an Queeruption
Praktische Workshops: Kreatives Schreiben, Fetisch basteln, Pappmaché, Collagieren, Contactdance (Tanzimprovisation), Safer Sex,
Wichtig war der Dressup-Room mit ganz viel Fummel, männlicher und weiblicher Bekleidung, Schminke.
Außerdem wurde während der Woche ein Film gedreht, der in Sydney geschnitten wird.
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