Integration von Arabern und Türken
in Berlin - eine Bilanz
von Ute Evensen


Professorin Barbara John, Ausländerbeauftragte des Senats von Berlin, zog am 18. Dezember 2002 im Zentrum MILES Bilanz über 20 Jahre Integrationsarbeit in Berlin.

In der 20-jährigen Amtszeit von Frau John hat sich gesellschaftlich, aber auch politisch einiges wesentlich verändert. Die politische Grundsatzfrage damals, ausländische Mitbürger in eine kulturell, ethnisch, sprachlich, religiös homogene Gesellschaft (sprich Deutschland) zu integrieren, wurde mit einem Kopfschütteln beantwortet. Die Anwerbung von Gastarbeitern sei ein "temporärer Unfall". Doch heute ist die Diskussion eigentlich geklärt (sollte man annehmen). Die Fakten sprechen für sich: Deutschland ist ein Zuwanderungsland mit insgesamt über 7 Millionen Zuwanderern, in Berlin mit über 500.000.

Die politische Frage heute ist, ob wir wollen, dass Minderheiten hier leben und die Gesellschaft bunter wird. Dies stellt sich aber vor dem Hintergrund, dass neue Zuwanderer zwar aus demographischen Gründen erwünscht sind. So werden aus Nützlichkeitserwägungen letztendlich doch Tatsachen akzeptiert, mit denen sich manch einer doch nicht so einfach abfindet, aber mit Blick auf die wachsenden Arbeitslosenzahlen und die schwindende Wirtschaftskraft das ganze nicht einfach zu betrachten ist. Die Aufgabe der Gesellschaft und der Politik besteht darin, die eigentliche wirtschaftliche, soziale, gesellschaftliche und politische Eingliederung zu bewerkstelligen und die Formen des gleichberechtigten Zusammenlebens von Minder- und Mehrheiten zu gestalten, dazu gehört auch die Partizipation an der Bildung, am Arbeitsmarkt, am Grundgesetz. Dazu sind eigentlich Reformen in der Gesellschaft nötig, die sogar das neue Zuwanderungsgesetz nicht hätte leisten können. Das Zauberwort dabei heißt Veränderung, und meint, dass man versucht die Stärken, die Fähigkeiten der Zuwanderer versucht zu erkennen und zu nutzen.

Doch wie kann das geschehen, wenn doch bereits Kindergärtnerinnen damit überfordert sind, den Kindern von MigrantInnen die Zweitsprache zu vermitteln, geschweige denn die LehrerInnen in den Grundschulen fähig sind, genau die Un- und Fähigkeiten der Schüler zu erkennen und die entsprechenden Defizite zu fördern. Frau John meint dazu, dass es nötig ist, die LehrerInnen professionell auszubilden. Doch die Systeme arbeiten schwerfällig. Es müssen mehr Ganztagsschulen eingerichtet werden, denn durch die Sprachdefizite vieler Kinder (allerdings nicht nur von MigrantInnen, siehe PISA-Studie) lernen diese länger und mehr. Das klappt aber nicht, wenn sie nach wenigen Schulstunden am Vormittag wieder zu Hause bzw. in der Freizeit in ihrer Erstsprache kommunizieren. Zudem ist die Möglichkeit von MigrantInnen-Kindern in der Grundschule von ihren deutschsprachigen Mitschülern die Sprache zu lernen geringer als noch vor 20 Jahren, weil heute in vielen Klassen überwiegend Kinder von MigrantInnen sind. (Als positives Beispiel für eine Ganztagsschule nannte Frau John die Spreewald-Grundschule in Berlin.)

Lag in den 60er Jahren die Zahl der ausländischen ArbeitnehmerInnen noch teilweise höher als die der Deutschen, so sind heute 40% der TürkenInnen im erwerbsfähigen Alter in Berlin arbeitslos. Das ist dreimal so viel, wie die Arbeitslosenquote der deutschen ArbeitnehmerInnen. Bei der arabischen und türkeistämmigen Volksgruppe sieht man den Grund dieser hohen Arbeitslosigkeit in den geringeren beruflichen Qualifikationen. Viele der damaligen Gastarbeiter sind aus "bildungsfernen Schichten" gekommen und betrachteten ihren Aufenthalt in Deutschland als ökonomische Chance. Die Ursache dieser Situation sieht Frau John in der geringen Aussicht für niedrigqualifizierte Einwanderer, über den Arbeitsmarkt integriert zu werden. Besser wäre ein Niedriglohnsektor, in dem der Staat die Nebenkosten übernehmen würde, als dass man die Menschen in die sozialen Hilfesysteme abschiebt, das sei "unsozial". Die hohe Arbeitslosenzahl ist kein Problem der Migration als solche, sondern ein Problem der Schichtzugehörigkeit, "es ist ein soziales Problem, auf das man mit einem offeneren Arbeitsmarkt antworten muss, auch für Niedrigqualifizierte."

Den Deutschen fällt es schwer, kulturelle Differenzen auszuhalten bzw. zu akzeptieren, deswegen gibt es grundsätzlich weniger Toleranz als in anderen europäischen Gemeinschaften, wie z.B. England oder Frankreich. Migranten sollen als solche nicht mehr erkennbar sein. Die Gesellschaft muss also in den kommenden Jahren lernen, dass sie sich im Sinne der Integration auch an die sich verändernden Realitäten anpassen muss, um die kulturellen Verschiedenheiten zu akzeptieren. Als Grundlage dafür muss es gemeinsame Spielregeln - gemeinsame Sprache und Gesetze - geben, die das Ganze zusammenhalten.

In Bezug auf die religiöse Differenz stellt sich die Frage, ob Islam und Demokratie wirklich unvereinbar sind, wenn bestimmte Grundsatzfragen geklärt sind. Frau John erwähnte hierzu Dr. Nadeem Elyas, Vorsitzender des ZMD (Zentralrat der Muslime in Deutschland), der in einer Grundsatzerklärung ("Islamische Charta") zur Beziehung der Muslime zum Staat und zur Gesellschaft meinte, dass "das islamische Recht die Muslime in der Diaspora verpflichtet, sich grundsätzlich an die lokale Rechtsordnung zu halten." Doch ist ein globaler, innermuslimischer Dialog nötig, um anzuerkennen, "dass jeder Mensch Rechte hat vor jeder Religion, vor jeder politischen Ideologie, vor jeder Weltanschauung… Das ist eine unabdingbare Haltung", so Frau John. Die Ansicht vieler (junger) Muslime, der Mensch bekomme seine Menschenwürde durch die Religion und nicht durch die Menschenrechte und hebe ihn dadurch hervor, beinhaltet - fast schon missionarisches - Elitedenken. Daher wünscht sich Frau John neben den evangelischen und katholischen auch islamische Akademien, die mit Hilfe von Nichtmuslimen entstehen sollten, damit in ihnen ein innermuslimischer Dialog stattfinden kann: Was bedeutet es, in einer nichtislamischen Gesellschaft zu leben? Welche Bedeutung haben die Menschenrechte vor der Religion…?

Die Aufgabe demokratischer und in allen Bereichen gemischten Gesellschaften ist es also, ihren Wahrheitsanspruch über die Verschiedenheiten immer wieder neu zu bestimmen. Im Gegenzug müssen Muslime dazu bereit sein, "der Religion nicht einen Anspruch in der Gesellschaft einzuräumen, der sie zu besseren Menschen erklärt." Diese zwei Positionen müssen Ausgangspunkt des gemeinschaftlichen Dialogs sein, um auch Tabuthemen wie Homosexualität aufbrechen zu können. Das Hauptziel ist allerdings die wirkliche Trennung von Staat und Religion.

Generell ist die Grundsatzfrage des Zusammenlebens von Deutschen und Zuwanderern entschieden, schon aus Nützlichkeitserwägungen. Die Zuwanderung von Hochqualifizierten ist wichtig, nötig und erwünscht. Sie wird auch von der Wirtschaft und der Gesellschaft direkt als ein Gewinn empfunden, der keine Steuern kostet. Nach dem neuen Zuwanderungsgesetz könnten ausländische Studenten (allein in Berlin sind es 17.000) nach Abschluss des Studiums bleiben und hier arbeiten, anstatt wie bisher das Land wieder verlassen zu müssen und andere von ihrer Qualifizierung profitieren zu lassen.

Frau John ist im Grundsatz zuversichtlich, dass eine Gesellschaft wie Deutschland diese Herausforderung bestehen kann, aber eigentlich nur, wenn wir der Buntheit einer Gesellschaft eine Basis gemeinsamer Spielregeln gibt, damit die Verschiedenheit den unterschiedlichen Gruppen nicht weh tut. Das Antidiskriminierungsgesetz ist mehr als überfällig: Bis Mitte 2003 muss es in Kraft treten, wenn Deutschland nicht gegen EU-Recht verstoßen soll, doch noch liegt kein Gesetzentwurf der rot-grünen Regierung vor. "Normen prägen und regeln das Miteinander von Menschen, nicht nur im Straßenverkehr, sondern auch im sozialen Umgang miteinander."

Das Zentrum MILES ist von Frau John zur Mitarbeit bei zwei Projekten eingeladen worden. Zum einem KOMPASS, dabei geht es um Diskriminierung im Gesundheitssektor und bei der Polizei, das auch von europäischer Ebene unterstützt wird, zum anderen ein weiteres europäisches Projekt, an dem Spanien, Irland und Deutschland beteiligt sein werden, in dem es auch um Bekämpfung von Diskriminierung von sexuell unterschiedlich Orientierten geht. Finanzierungen sind jetzt schon vorhanden, jedoch konnte Frau John keine konkreten finanziellen Zusagen machen, aber sie wies darauf hin, dass mit der Umsetzung des Antidiskriminierungsgesetzes die Bundes- bzw. Landesregierung ja für Modellprojekte (wie z.B. MILES), die Diskriminierungsvorgänge beobachten, Gelder bereit stellen könnte oder besser müsste. Gays & Lesbians aus der Türkei (GLADT) und MILES werden dazu Vertreter der Regierungsparteien und er EU einladen und erörtern, wie die Politik das Gesetz in die Praxis umsetzen kann.

Die aus dem ideologischen Wahrheitsanspruch und dem religiösen Elitedenken einiger islamisch geprägter Gruppen resultierende Homophobie will GLADT gemeinsam mit dem Zentrum MILES 2003 in einem "closed workshop" mit Vertretern der arabischen und türkischen Migrantenorganisationen unter dem Thema "Nicht-Heterosexuelle MigrantenInnen" thematisieren. Dazu wurde Frau John eingeladen, auch gemeinsam mit dem 25-köpfigen Landesbeirat "Migration & Integration" beratend zum Thema Homosexualität zur Seite zu stehen. Sie nahm gerne an und will es auch im Zusammenhang mit dem EU-finanzierten Aktionsprogramm vorschlagen!

Wir dürfen also gespannt sein…