Es ist die Hölle,
schwul zu sein in Jamaika.
Robert M. frei nach "Jamaican gays flee to save their lives" von Tony Thompson, The Observer vom 20.10.2002

David ist 26. Jede seiner Narben erzählt eine andere grauenhafte Geschichte: eine Narbe am Hals von dem Versuch einer Gang, ihm die Kehle zu zerschneiden, Narben am Arm, der ihm mehrmals gebrochen wurde, Narben am Handgelenk von einem Versuch, ihm die rechte Hand mit einer Machete abzuhacken, Male an seinen Füssen, ein durchlöchertes Trommelfell und unendliche seelische Narben. Und alles, weil er schwul ist.

Für viele jamaikanische Männer ist die Anschuldigung, schwul zu sein, die grösstmögliche Beleidigung. Dementsprechend wurden bei der letzten Wahlkampagne gegen alle politischen Führer entsprechende Vorwürfe von der Gegenseite erhoben.

In Jamaika ist homosexueller Geschlechtsverkehr ein Verbrechen. Analverkehr wird mit bis zu 10 Jahren Gefangenschaft mit harter Arbeit bestraft. Treffen kann das jeden, denn definiert wird das von jedem Polizisten selbst. So mancher landete in der Vergangenheit schon im Gefängnis für Händchenhalten, beschuldigt wegen grob unsittlichen Verhaltens. Wer 'batty boy' oder 'chi chi man' genannt wird, muss mit dem Schlimmsten rechnen.

     
  
Nachdem David einmal in einer Cruisinggegend ein Messer in den Rücken gestochen worden war, weigerte sich die Taxifahrer, "the faggot" ins Krankenhaus zu transportieren.

Eine der einflussreichsten Radiotalkshows des Landes hetzte kürzlich: "Sie möchten unsere Kinder verderben und ihnen erklären, ist sei o.k., unmoralisch und eklig zu leben". Jamaikas Präsident P.J. Patterson setzte letztes Jahr den Ausschluss von Schwulen bei den Pfadfindern durch und erklärte weiterhin, mit seiner Regierung werde es die von "Amnesty International vorangetriebene Legalisierung von Homosexualität" jedenfalls nicht geben. 1997 versuchten Kingstoner Gefängnisbehörden, Kondome an die Insassen zu verteilen. Der Versuch endete in einer Gefängnisrevolte, bei der 16 angebliche Schwule ermordet und 40 weitere ebenfalls angebliche Schwule verletzt wurden.

David berichtete über jamaikanische Gefängnisse: Er wurde "des Analverkehrs verdächtigt". Der Polizist stiess ihn in eine Gemeinschaftszelle mit 15 anderen Gefangenen mit den Worten: "Geh rein ‚batty boy" Innerhalb von Sekunden wurde David bewusstlos geschlagen, verlor für immer sein Gehör auf einem Ohr.

Letzte Woche bekam David in Großbritannien Asyl aufgrund der britischen Einsicht, dass Homophobie in Jamaika eine "Bedrohung" für Leib und Leben darstelle.

Übrigens feiert jamaikanische Musik häufig das Schlagen und die Tötung von Schwulen. Anfang der 90er schaffte Buju Banton es mit 'Boom Bye Bye' ganz nach oben in die Verkaufscharts, unter anderem mit den Zeilen: 'Batty boy get up and run ah gunshot in ah head man'. Im März 2001 war T.O.K. acht Wochen lang die Nummer 1 der World Reggae Charts mit "Chi Chi Man". Die Jamaican Labour Party machte den Reggae-Song mit den brennenden Schwulen im Refrain zur Wahlhymne.

Am Rande: Die einschlägige Musikpresse beschwichtigt kritische Reggae-Hörerinnen gerne damit, die Homophobie in den Reggae-Texten sei doch nicht SO gemeint und im Grunde genommen eigentlich nicht ernster zu nehmen als die Gewalt in einem Bond- oder Van-Damme-Film.

Sascha B.: Die Homophobie in Jamaica ist leider nicht vom Rastafari-Movement zu trennen. Im Gegenteil sogar: Die wesentlichen Musiker der Insel, die uns so einflussreiche Stile beschert haben wie Ska, Reggae, Dub, Dancehall... hatten und haben als bekennendende Rastas einen wesentlchen Anteil am "queer bashing". Minderheiten, die es offenbar nötig haben, Minderheiten zu verfolgen, verhalten sich leider nicht rücksichtsvoller als Mehrheiten, die dies tun. Mutig und klasse ist aber das Engagement des  Jamaica Gleaner
Falls doch mal einer dahin will: (sven)- Die Schweizer Menschenrechtsgruppe ADHOC Group for Human Rights widmet sich der Verbesserung der Menschenrechtslage auf Jamaika und hat auch einen Tourismusführer in Vorbereitung, der klassische Ferienziele nach Kriterien der Menschlichkeit und Toleranz beurteilen wird. ADHOC ist auch bereit, die wenigen Lokale und Hotels anzugeben, wo Schwule und Lesben auf Jamaika willkommen sind, falls verlässliche Angaben vorhanden sind.  www.adhoc-group.org
onair: die rastafari-bewegung hat ihre ursprünge in alttestamentarischen befreiungsvisonen. der exodus der israeliten aus der knechtschaft ägyptens wird nicht nur mit dem auszug der schwarzen aus der knechtschaft der sklaverei verglichen, sondern beides steht für die rastas in einem unmittelbaren heilsgeschichtlichen zusammenhang. von daher ist es nicht verwunderlich, dass die homophophie wie sie gerade in alttestamentarischen gesetzes- und weisheitstexten vorkommt, ein grundsätzliches element ist. die homosexuelle lebensweise ist ein bestandteil der feindlichen kultur, die untergehen wird und die radikal abzulehnen ist. wer auf reggae abfährt, sollte das mal mitbedenken.  
marcie: wer das mitbedenkt, der kriegt auch mit dem christlich erweckten bob dylan probleme, und mit U2 sowiso, und mit sinhead o'conner, die fußfällig beim papst vorsprach .... Also: BEDENKT DAS MIT!  
Sascha B.: Etuxx - jetzt neu zum mitbedenken! Na klasse. Einst ging´s hier mal um Kritik. "Mitbedenken" kommt dagegen etwas pfaffenhaft daher. Nieder mit dem Kulturrelativismus! Amen.  
onair: Denken, zumal Mitbedenken kommt wieder in Mode. Das habt ihr Schnarchnasen wohl verpennt... ;-) Mit Bob Dylan hatte ich allerdings schon Probleme, ohne an sich Naheliegendes zu bedenken. - Dass Kritik und Mitbedenken sich nicht gegenseitig ausschließen, sondern im Gegenteil bedingen, muß ich wohl nicht sagen. Ich habs jetzt aber trotzdem getan. Und nun wieder zurück zum Thema...  
Leo: Alles alttestamentarisch? Das ist etwas oberflächlich gedacht. Das erwähnte Gesetz ("Offences of the Person Act") ist von 1864 und wurde damals 1:1 von der damaligen Kolonialmacht England übernommen. Aber Jamaica hatte noch keinen Oscar Wilde. Ob das bei der Entscheidung über das Asylersuchen eine Rolle gespielt hat? - T.O.K. sind übrigens mal in der Motzstr. aufgetreten: siehe  2002-06-12