Ich muß nicht noch ne neue Schublade
erfinden für das, was ich bin.


Baella van Baden-Babelsberg im Gespräch mit Stefanie Gras.


Baella van Baden-Babelsberg: Stefanie Gras steht schon seit vielen Jahren in Berlin auf Bühnen, die immer größer werden. Jetzt hat sie erst neulich auch noch ihre Schauspiel-Ausbildung abgeschlossen. Gesang und Tanz und Spiel. Frau Gras, werden wir Sie künftig auch in Hosenrollen erleben dürfen?

Frau Gras: Ich glaube, das wird eher die Ausnahme bleiben. Ich musste zuletzt immer diese dicken Männer spielen, wie z.B. bei Tschechow oder Ibsen. Die liegen mir nicht. Ich spiele lieber Menschen, die ihre Gefühle zeigen, die auch mal zickig sein können.

Baella van Baden-Babelsberg: Noch haben Sie ja die Freiheit der Wahl. Die klassischen Frauen-Rollen liegen Ihnen also eher.

Frau Gras: Was heißt klassische Frauen-Rollen? Baella, wir müssen uns nichts vormachen, Du kannst mich ruhig duzen. (Baella errötet innerlich)


Solang ich denken kann, bin ich mit diesen Schubladen von Mann und Frau konfrontiert worden. Das ging schon im Kindergarten los. Da gab es Spielzeugschubladen für Mädchen und solche für Jungs. Die Kindergärtnerinnen waren irritiert, dass ich immer vor den falschen stand, um mir Röcke rauszuziehen. Das hört sich heute komisch an, für mich zählt es aber zu den ersten Verletzungen, an die ich mich erinnern kann.

Baella: Seitdem sind Dir Schubladen ein Gräuel.

Steffi: Ich hasse sie geradezu, auch wenn sie ihre Funktion und ihren Sinn haben. Das Gehirn ist ja so aufgebaut, dass es in Schubladen denkt. Das ist ein Mann und das ist eine Frau. Aber die Grenzen zwischen allen Identitäten sind fließend. Aus solchen Schubladen bestehen die Konventionen.

Baella: Die ganze Kommode also, nicht nur die Schubladen auf den erkenntnistheoretischen Müllhaufen.

Steffi: Wenn wir es schaffen würden, die Grenzen auch nur zu lockern, dann kämen wir der Realität schon näher. Was ist denn ein Mann? Es gibt doch nicht den Mann. Es gibt nur eine Ideal-Vorstellung davon. Das menschliche Gehirn funktioniert aber so. Es geht von Idealen aus, ordnet ein und wieder um.

Baella: Du hättest die Mädchenröcke in die Schubladen der Jungen packen sollen.

Steffi: Das klingt sehr spaßig. Meine gesamte Schul- und Kinderzeit war aber eher eine einzige Katastrofe. Da war ich schon ziemlich allein. Ich wollte immer einen Puppenwagen haben mit Puppen und habe damals nicht begriffen, warum ich die nicht bekomme. Ich wollte auch schon immer lange Haare haben. Ich weiß noch, dass ich mir meine Schlafanzughose immer umgekehrt auf den Kopf gesetzt und versucht habe sie zu flechten. Meine Mutter fand das überhaupt nicht toll. Und mit der Nachbarstochter habe ich mich immer gestritten, wer bei diesen typischen Mann und Frau Spielen die Frau sein durfte (lacht). Es durften beide mal.

Baella: Was meinst Du woher das kam? Hattest Du Vorbilder?

Steffi: Woher das kam? Ich weiß nicht woher das kam. Ich hatte auch keine Vorbilder. Ich würde das als Ur-Gedächtnis oder Ur-Instinkt bezeichnen.

Baella: Hattest Du niemanden, mit dem Du Dich verbünden konntest? Wie reagierte Dein älterer Bruder?

Steffi: Mein Bruder? Schwieriges Thema! Der fand das eigentlich nicht toll, aber irgendwie schon. - In der Schule und im Ferienlager war das Feindbild von Anfang an klar. Früher hatte ich große Augen und wurde Glupschi genannt, später als ich so zehn elf war, da war ich der Zwitter oder die Schwuchtel. Da habe ich eher dafür gesorgt, weniger aufzufallen. Ich habe aber zwischendurch immer versucht, mir die Haare länger wachsen zu lassen.

Baella: Das klingt alles ziemlich deprimierend.

Steffi: Es gab auch Lichtblicke, die übrigens bis in die Gegenwart leuchten. Meine Tante hatte mir dann nämlich doch noch einen Puppe und einen Puppenwagen geschenkt. Da hat meine Mutter etwas konsterniert geguckt. Ich bewundere heute noch meine Tante, wie offen sie damit umgeht. Sie war auch über meine ersten Fummel-Fotos begeistert. Wir haben auch Fingernägel-Wettwachsen gemacht. Meine Tante hat mir sehr viel Unterstützung gegeben.

Baella: Und deine Mutter?
       
Herzlich willkommen im virtuellen Kulturhaus "Ernst Meibeck".
In diesen und in den kommenden Monaten werde ich hier Gespräche mit multiidentischen Persönlichkeiten des kulturellen Lebens führen, denen ich auf meinen Fahrten durch den Berliner Untergrund begegnet bin. Zum Auftakt habe ich mich mit Frau Gras getroffen.
                           Gute Fahrt!


Baella van Baden-Babelsberg ist selbst eine durch und durch multi-identische Persön-lichkeit. Als Teil der o- und atonalen Trinität wirkt sie als Hörfunkdirektorin von radi.OA.ton, metaphy-sischer Rundfunken, Berlin. Frau van Baden-Babelsberg ist neue Leiterin des Kulturhau-ses Ernst Meibeck, das seit einigen Monaten geschlossen war und von ihr mit dieser Reihe neu eröffnet wird.


Wer war Ernst Meibeck-Makarowsky? Homo-Aktivist, Schauspieler und Sänger, verstarb 1995 in Hamburg an den Folgen von AIDS. mehr









Übrigens:

Wie aus inoffiziellen Kreisen verlautet, verbindet Baella und Steffi nicht nur eine gemeinsame U-Bahn-Fahrt.
   

Steffi: Ich kann meine Mutter verstehen. Sie hat versucht, ihr Kind so zu erziehen, dass es mit den bestehenden gesellschaftlichen Konventionen zurechtkommt. Nur, die Konventionen sind eben scheiße.

Baella: Die Schubladen. Hast Du Dich selbst aus ihnen befreien können? So auf der Bühne wirkst Du schon so, als würdest Du einem Frauen-Ideal nacheifern. Blond, hübsch, sexy.


Steffi: Das hat sich in den letzten Jahren geändert. Früher hätte ich noch gesagt, wenn ich einen Fummel trage, dann bin ich die typische Frau. Inzwischen vermische ich das bewusst. Früher sollte alles perfekt sein. Alles musste stimmen und sollte nicht übertrieben sein. Heute überzeichne ich gern. Vor Jahren hätte ich nie ein Punker Outfit angezogen. Das wäre ja keine typische Frau.

Baella: Und wie ist Stefanie Gras privat, so auf der Straße? Dann doch mehr der Steffen?

Steffi: Ich laufe nicht mit diesen Vorstellungen von Mann und Frau über die Straße. Überhaupt nicht. Natürlich erlebst Du Dich unterschiedlich, je nach dem wie Du Dich kleidest. Das ist schon manchmal sehr einfach, wie das funktioniert. Wenn ich mir die Fingernägel beispielsweise lackiere oder mir die Frisur zu einer Banane hochstecke, reagieren die Leute anders. Und das hat Auswirkungen darauf, wie ich mich selbst erlebe. Aber ich kann das gerade deswegen auch steuern. Mein Ideal wäre aber, dass ich das anziehen kann, wozu ich Lust habe, ohne dafür gleich die Quittung zu bekommen.

Baella: Und der Preis ist manchmal sicher hoch.

Steffi: Mich machen die Typen manchmal auch an, wenn ich ganz unauffällig in Hosen rumlaufe. Die kommen dann manchmal bis auf einen Meter ran, und wenn sie schon Stielaugen haben, zucken sie total zusammen. Und dann kriegt mans auch noch zu hören. Diese Art von Diskriminierung erlebe ich fast täglich. "Was ist das denn? Ist das ein Mann oder eine Frau? " Ich erlebe das als verbale Gewalt. Die sagen das meist bewusst so laut, dass ich es mitkriege. Ich bin mir sicher, daß die mir damit eins reinwürgen wollen.

Baella: Wie reagierst du?

Steffi: Schwierig... je nach dem wie es mir persönlich damit geht. Ich verarbeite das in Träumen. Ich bin schon erst mal down und geknickt und frag mich, warum? Ich setzt mich für mehr Toleranz ein und arbeite beispielsweise mit Drogen-Abhängigen und versuche gerade dort, dass sie ihren Weg finden und mit der Gesellschaft klarkommen und dann versagt diese Gesellschaft wieder, weil Leute meinen, sie müssten alles, was anders ist als sie, diskriminieren und runtermachen. Verbale Gewalt ist häufig.

Baella: Wie gehst du damit um?

Steffi: Ich kompensiere das auch viel in Gesprächen mit Freunden, indem ich viel darüber rede, wenn ich gerade wieder so eine Situation erlebt habe. Na ja, dann gibt es noch Drogen, die man nehmen könnte...

Baella: Machst du das manchmal?

Steffi: Bewusst mache ich das nicht, aber unbewußt glaub ich schon. Wenn du so ein scheiß Erlebnis hast, steckst du ja gerade im Alltag, musst irgendwas erledigen oder so. Das Problem ist, du hast gerade ein Ziel und wirst dann dadurch total aus der Bahn geworfen. Das trifft mich jedesmal total ins Herz und jedesmal neu. Meistens, wenn ich allein unterwegs bin. Am liebsten würde ich zu den Leuten dann hingehen und ihnen eins total in die Fresse hauen.

Baella: Bist du auf der Bühne da offensiver? Vielleicht weil du da mehr Sicherheit hast in deiner Rolle als Tunte?

Steffi: Nein, das würde ich so nicht sagen. Ich werde auch als Tunte diskriminiert. Die Bühne ist da zwar ein sicherer Raum, aber in erster Linie ist sie für mich da, um Mißstände auf ihr darzubringen, natürlich immer mit einem Quäntchen Ironie.


Baella: Die Tunte ist und bleibt also eine politische Größe in dieser Gesellschaft. Siehst Du Deine Auftritt auf der Bühne auch so? Verfolgst Du da ein Ziel?

Steffi: Ich finde es schwierig zu sagen, was mein Ziel auf der Bühne ist. Ich glaube schon, dass es mir meist um den Spaß geht; dass es einfach toll ist, Publikum zu haben. Aber ich sehe meine Rolle durchaus auch politisch. Ich zeige eine andere Form auf, mit der sich Leute auseinandersetzen müssen. Ich kämpfe für Toleranz, Akzeptanz und für das Recht auf Selbstbestimmung; das klingt zwar schon ziemlich abgedroschen, ist es aber leider noch lange nicht. Das sollte man nicht unterschätzen.

Baella: Frau Gras, ich danke Ihnen.

Baella van Baden-Babelsberg: In der Reihe "Multiidentische Persönlichkeiten" werde ich mich demnächst mit Diane Torr unterhalten. Die New Yorker Künstlerin tritt als DragKing auf und gibt workshops zum Rollentausch. Hierzulande wurde Diane Torr durch den Film Venus Boyz bekannt, in dem sie mitwirkte. Wie sagen wir doch im Radio? "Stay tuned! Bleiben Sie dran!"

Live aus dem Supamolly: Schon Frau Gras in "Kabale und Liebe" gesehen? Wunderbar!  
Stefanie Gras: Vielen Dank!  
Baella: Übrigens schlüpft Frau Gras im kommenden Jahr doch wieder in eine Hosenrolle. Hat sie mir jüngst anvertraut. Genaugenommen zieht sich Steffi Ballettschläppchen an. Ist das die Demontage einer weiteren Schublade?  
Stefanie Gras: In gewisser Weise schon. Als TänzerIn in der "Rocky-Horror-Show" im "Hans-Otto-Theater" in Potsdam schlüpfe ich nicht wirklich in eine "Hosenrolle". Eher in eine "Strapsrolle" um mal eine neue Schublade zu öffnen. Auch wenn jetzt viele sagen werden: "Ach, das gibt es auch". Also bis bald...  
Baella: Werden die Röcke tatsächlich so schaurig sein, dass von einer Rocky-horror-Show die Rede ist? Oder worauf bezieht sich hier der Schrecken. Doch nicht dass Steffi nun tanzen wird, oder?  
Stefanie Gras: Liebste Baella! Wie du vielleicht weißt, umschloß meine Ausbildung neben Gesang und Schauspiel auch Tanz. Da ich auch diese Tätigkeit gerne ausüben möchte, habe ich ein Engagement als Tänzerin angenommen. Und Röcke gibt es da auch genug zu sehen. So weit...  
Baella: ...so gut. Und toi toi toi beim Tanz.