Where do you go, queer porno?
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ein Gespräch zwischen Tobi, alias Annette aus B. und Onan Onair
Die Location war spannend, für einen Pornodreh bestens geeignet. Eine verlassene Fabrik, ein Bauwagen, in dem zwei Löwen hausten (ein durchgeknallter Zirkustyp hatte sie dort artungerecht gehalten), weit und breit Wiesen und Felder. Es war August, die Sonne stand hoch, ideale Betriebstemperaturen für Sexspiele im Freien. (Beware of lions). So machte sich also auch Annette aus B. auf, Queer-Porno-Darstellerin aus Leidenschaft und Überzeugung. Im Gepäck: viel Fetisch-Fummel, Lack und Lederröcke, -Tops, Halsbänder, Bondage-Accesoires und natürlich drei Vibratoren unterschiedlicher Gestalt und Größe. Für abweichende Details: Federboas und luftige Sommerkleider. Nicht zu vergessen die Körperfarbe. Auch für das grelle Licht am Set. Schwarze High Heels und ... Standard.
Doch es sollte alles ganz anders kommen. Tagelange Dispute über das Drehbuch. Am Ende ein Zerwürfnis. Der queere Porno sollte eine Vergewaltigungsszene enthalten. Annette B. reiste erzürnt ab.
Tobi: Quatsch keine Operetten. Ich bin nicht erzürnt abgereist. Wir haben uns freundschaftlich getrennt. Und ich habe auch keine Probleme damit, wenn Du meinen Namen nennst. Für die anderen Namen sollten wir aus Fairness Synonyme finden.
Onair: Ok. Du bist also nach Zürich gefahren, um dort zusammen mit Leuten einen queeren Porno zu drehen. Nach einer Woche heftigster Diskussion über das Drehbuch, in dem Vergewaltigungsfantasien umgesetzt werden sollten, hast du das Set verlassen. War es Protest?
Tobi: Wir hatten mit dem Dreh noch nicht begonnen. - Ich möchte erstmal was zu den Hintergründen erzählen: Im vergangenen Sommer habe ich mit sieben Leuten aus England und Deutschland schon einmal ein Porno-Filmprojekt realisiert, das viel Spaß gemacht hat. Es hieß "Decide Now - Gender Trouble Is A Fulltime Job"; ein Film über queere erotische Fantasien, in dem wir nicht nur DarstellerInnen waren, sondern auch gemeinsam das Drehbuch geschrieben und die Regie geführt haben.
Mit diesen super Erfahrungen bin ich nach Zürich gefahren, wo in einem Queer-Squat das Folge-Projekt realisiert werden sollte.
Onair: War das die gleiche Gruppe wie beim ersten Dreh?
Tobi: Wir waren diesmal zu sechst und noch internationaler. Die Leute kamen aus der Schweiz, aus Frankreich, England, den USA und Deutschland. Der Queer-Squat war ein wunderschönes zweistöckiges altes Bauernhaus am Rande von Zürich.
Onair: Mit der stillgelegten Fabrik im Hintergrund, wo der Dreh stattfinden sollte.
Tobi: Wir wollten auch Szenen auf einer Autobahnbrücke und in dem Swimming Pool drehen, der zu einer anderen besetzten Villa gehört, einem ehemaligen Puff mit Blick auf Zürich. Das Wasser im Pool war auf Badewannentemperatur gehalten (lacht).
Onair: Ideale Bedingungen für heiße Szenen - und dann?
Tobi: Wir wollten in der ersten Woche über das Drehbuch reden und in der zweiten Woche drehen. Diesmal kamen die Ideen maßgeblich von Drag und Gerry. Sie wollten Ideen umsetzen, die sie in Berlin noch nicht verwirklichen konnten.
Onair: Wir haben die Namen hier geändert.
Tobi: Ja, aber um zu verstehen, worum es hier geht, muß ich schon ein paar Infos geben: Drag ist lesbisch und versteht sich als transgender. Sie lebt privat und auf der Bühne als dragking. Gerry ist ein Typ, der schwul lebt, sich aber als queer sieht. Das ist schwer und eigentlich blöd, die Leute so zu beschreiben; aber irgendwie schon wichtig für die Szene, die gedreht werden sollte...
Onair: ... und wegen der du aus dem Projekt ausgestiegen bist. Worum sollte es in der Szene gehen?
Tobi: Es gab eine umstrittene Schlüsselszene, über die wir uns nicht einigen konnten. In dieser Szene sollte eine Vergewaltigung realistisch dargestellt werden: Gerry sollte einen Schwulen spielen, der von drei DragKings überfallen und vergewaltigt wird. Die Idee kam ursprünglich von ihm; Drag war begeistert davon und hat sie mit ihm weiterentwickelt.
Onair: Der das Opfer darstellen sollte, hatte die Idee dazu?
Tobi: Ja, Gerry sagte, er wolle damit seine eigenen Mißbrauchserfahrungen versuchen, ein Stück zu therapieren. Alle hatten sich darauf geeinigt, dass sie die Szene sofort abbrechen, wenn er signalisiert, dass es ihm zu viel wird.
Onair: Dir war schon die Idee zu viel.
Tobi: Als sie ihre Ideen äußerten wurden bei mir ziemlich schnell Widerstände deutlich. Ich mußte an schmerzhafte Erfahrungen denken, die ich manchmal beim Analverkehr gemacht habe. Damit möchte ich nicht sagen, daß ich schon mal vergewaltigt worden bin. Aber die Ideen, die die beiden umsetzen wollten, erinnerten mich an diese schmerzhaften Erfahrungen. Ich hatte sofort das Gefühl, dass ich nicht mehr hinter dem Projekt stehen kann und den Film auf gar keinen Fall meinen Freunden zeigen kann. Ich fürchtete auch, dass es mit einer Freundin, die selbst mit Mißbrauchserfahrungen leben muß, zum Bruch kommt.
Onair: Haben die das nicht begriffen?
Tobi: Aufgrund meiner Bedenken haben wir lange Diskussionen gehabt, die immer nerviger wurden. Wir haben uns gefragt, wie der Rahmen aussehen könnte, in dem diese Vergewaltigung als sexuelle Fantasie inszeniert werden könnte, aber keine Lösung gefunden. Sie wollten die Szene unbedingt möglichst realitätsnah drehen. Und je länger wir darüber sprachen, desto weniger konnte ich mir noch vorstellen, diese Szene zu drehen. Dass ich dabei nicht mitmache, war eh klar.
Onair: Wie haben denn die beiden deine Bedenken aufgenommen?
Tobi: Drag wollte eigentlich keine Kompromisse. Sie wollte auf jeden Fall mit dem Ziel drehen, in der queeren Szene zu provozieren und Tabus zu brechen. Gerry war von Anfang an unsicher, ob er die Szene drehen kann oder ob das nicht zuviel für ihn wird, emotional. Er war eher kompromißbereit.
Onair: Bist Du auf Drag sauer?
Tobi: Ich fand schon scheiße, dass sie im Vorfeld nicht gesagt hat, welche Ideen sie realisieren will. In Hamburg stand noch die Idee von Body-Deformation; das heißt einen Film zu drehen, in dem die Schönheits-Ideale aufgeweicht werden. Wenn ich von Anfang an gewußt hätte, dass es um Vergewaltigungs- und Mißbrauch-Fantasien geht, wäre ich garnicht erst nach Zürich gefahren.
Onair: Der Dreh ist jetzt geplatzt?
Tobi: Prinzipiell nicht. Zu den Dreharbeiten kam es nicht, weil Drag krank wurde. Aber in London soll demnächst ein neuer Queer-Squat aufmachen, wo die Dreharbeiten mit diesen Ideen stattfinden sollen.
Onair: Du hast den Dreh aber nicht aus Protest verlassen, sagtest du.
Tobi: Ich mag Drag und Gerry. Wir haben darüber geredet und konnten uns nicht einigen. Für mich ist aber ein Bruch entstanden. Ich mache sicherlich kein weiteres Filmprojekt mit den Leuten.
Onair: Wie sind die Leute mit deiner Abreise umgegangen?
Tobi: Sie haben es bedauert ...
Onair: ... aber haben dich ziehen lassen.
Tobi: Es war klar, dass wir uns nicht einigen konnten. Nach sechs Tagen mit nervigen Diskussionen war klar, dass wir uns nicht mehr einigen konnten.
Onair: Du stehst nicht auf sexuelle Fantasien im SM-Bereich?
Tobi: Doch. Es sollte ja ein queerer SM-Porno werden. Ich hatte Ideen dazu. Aber das war einfach zu heftig.
Onair: Wo sind bei dir die Grenzen?
Tobi: Es ist ein Unterschied zwischen realistischen Szenen und Szenen, in denen sexuelle Gewaltfantasien als Spiel dargestellt werden. Bei SM-Pratiken gibt es Regeln. Wo es um Mißbrauch geht, ist das anders. Mißbrauch ist gesellschaftlich anders besetzt. Ähnlich ist das mit Nazi-Symbolen, die auch gesellschaftlich anders besetzt sind. Damit würde ich auch keine Porno-Szenen drehen.
Onair: Gerry wollte sich mit dieser Szene therapieren, Drag ein Tabu brechen...
Tobi: Leute mit Mißbrauchs-Erfahrungen müssen nicht noch mit solchen Szenen konfrontiert werden. Deshalb auch finde ich grundsätzlich das Vorhaben, damit Tabus zu brechen, fragwürdig. Das Tabu wird nicht dadurch gebrochen, indem mensch ständig damit provoziert, sondern indem Leute, die mißbraucht wurden, ein Klima vorfinden, in dem sie über ihren Mißbrauch reden können. Dadurch wird das Tabu auf Dauer vielleicht gebrochen.
Onair: Hast Du das Gefühl gehabt, dass du mit deinen Argumenten und Gefühlen nicht erstgenommen wurdest?
Tobi: Nein. Es gab halt unterschiedliche Bedürfnisse. Für beide war es wichtig, diese Szene zu drehen.
Onair: Klingt etwas harmoniesüchtig...
Tobi: Ich bin vielleicht zurückhaltender und vorsichtig. Aber ich möchte mit ihnen noch weiter befreundet sein. Und vor allem den Konflikte nicht auf einer Webseite austragen.
Onair: Wie wäre es denn, wenn Drag hier antwortet?
Tobi: Fände ich sehr gut. Sie bewertet das ganze sicher anders.
Onair: Ich werde Sie informieren. Danke Dir, Tobi für das Gespräch.
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