SM in queeren Räumen
Zu einer Diskussion auf den Queerrr Street Days in Hamburg


von ratz


Als auf einer Soli-Party für die Queer Street Days in der Roten Flora in Hamburg eine schwule SM-Performance aufgeführt werden sollte, gab es ein Problem im Organisationsteam. Einige wollten nicht, dass die Performance auf der Bühne im grossen Raum stattfinden sollte. Sie meinten, dass es Personen im Publikum geben könnte, die mit solchen Bildern von Männlichkeit, Unterwerfung, Aggressivität etc. nicht konfrontiert werden wollten. Es sei zwar klar, dass es sich bei SM um ein für die Beteiligten frei wählbares Spiel handele, aber optisch sei das nicht immer zu erkennen und könne Erinnerungen an Erfahrungen wachrufen, die weder spielerisch noch freiwillig waren. Als ein Ergebnis der Auseinandersetzung musste die Performance schliesslich in die Kellerräume ausweichen, wo es angeblich leichter war, sich der Show zu entziehen. Allerdings platzte der Keller dann vor Schaulustigen aus allen Nähten.

Eine ähnliche Diskussion hatte es bereits zwei Jahre zuvor gegeben, als sich eine vorwiegend heterosexuelle SM-Gruppe am CSD beteiligen wollte und seitens einiger Demo-Teilnehmerinnen der Wunsch laut wurde, doch bitte keine "gedemütigten" Masochistinnen sehen zu wollen. Ein Kerl auf Knien an der Leine war für die Kritikerinnen o. k. Eine Frau in der gleichen Position hätte den Konsens allerdings gesprengt.

Vor diesem Hintergrund gab es auf den Queerrr Street Days ein Gespräch zur Frage, welchen Ort SM in einem queeren politischen Projekt haben kann. Der Eingangsreferent stellte klar, dass für ihn SM zu den sexualpolitischen Kämpfen, denen sich queer verschrieben hat, dazu gehört. SM-erInnen, ob hetero oder nicht, würden ähnlich als Perverse stigmatisiert wie Schwule, Lesben und Transsexuelle. Ausserdem sei SM gerade für Letzere oft ein zentraler Bestandteil des Ausdrucks ihrer Sexualität und Geschlechtsidentität. SM-erInnen waren und sind also schon immer ein Teil von queeren Räumen. Es stellt sich nur die Frage, wie viel sie von ihrem SM dorthin mitnehmen und zeigen können.

Im Verlauf der Diskussion argumentierten einige Beiträge immer wieder mit dem Verweis auf eine möglicherweise anwesende unbekannte Person, die Opfer sexueller Gewalt war und vor zudringlichen Bildern und Handlungen geschützt werden müsse und zu deren Fürsprecher sie sich machten. Gerade Frauen würden sich oft wünschen, vor Sexualisierung geschützt zu werden, weil sie sich dadurch zum wehrlosen Objekt gemacht fühlten.

       
Sexualität ist eine Angelegenheit, in der wir sehr verletzlich und mit sehr vielen guten und schlechten Gefühlen anwesend sind. Ein "offener" Umgang mit Sexualität, gerade einer, der auch die dunklen Seiten an der Sexualität zeigt, kann deshalb schnell eine seelische Sprengkraft entfalten. Viele fanden es deshalb wichtig, dafür Sorge zu tragen, dass die Menschen in queeren Räumen sensibel genug sind, um zu bemerken, ob Ängste und innere Wunden beim Gegenüber berührt werden, und um Hilfe anzubieten.

Wenn man SM stärker in queere Räume integrieren will, wird man um Konflikte nicht umhin kommen. Denn je mehr jemand von sich zeigt, das ihn oder sie verletzlich macht, desto mehr steht auf dem Spiel: einerseits der Wunsch, mit seiner Sexualität angenommen und anerkannt zu werden, andererseits die Angst, andere, die einem aber wichtig sind und die man zur eigenen Community oder sogar zum Freundeskreis zählt, damit vor den Kopf zu stossen oder zu verletzen. Und umgekehrt gibt es die Angst, andere zu vergrätzen, weil man ihrem freien Persönlichkeitsausdruck um des eigenen Selbstschutzes willen Schranken setzt. So ein Kampf um das Verschieben und Verteidigen der eigenen Grenzen ist anstrengend und erfordert Mut und Vertrauen.

Ein Diskutant erzählte zum Beispiel, dass er bei einigen Szenen in der Sex Area auf der Flora Party gerne zugesehen habe. Eine kunstvolle Fesselung fand er sehr sinnlich, wäre aber Schlagen oder Blut dazu gekommen, wäre ihm schnell alles zu viel geworden. Ein anderer wusste zu berichten, dass er mit seinem Freund an der Leine einmal in eine schwule Kneipe kam, wo sich gleich sehr viele auf dreiste Weise in ihr sexuelles Spiel einmischen wollten und er sich überrollt fühlte. Die Bilder, die in den Medien zu SM kursieren, tragen ausserdem nicht gerade dazu bei, die intime Gefühlsqualität dieser Inszenierungen zu zeigen, sondern stellen das Abgebrühte und Technische in den Vordergrund. SM ist aber wie jede sexuelle Ausdrucksform etwas sehr Individuelles. Es gibt zwar Praktiken, die sich routinemässig wiederholen, entscheidend ist aber, wie sie erlebt werden. Und das ist jedes Mal anders.

Gerade in unserer Sexualität erfahren wir die Trennung in einen öffentlichen und einen privaten Bereich sehr stark. Es ist wohl für jeden unterschiedlich, wann für ihn oder sie die Grenze erreicht ist, wo der Eindruck entsteht, entweder etwas verstecken zu müssen, was aber gerne gezeigt werden will, oder etwas besser schützen zu wollen, was die Öffentlichkeit nichts angehen soll. Schwule und Lesben haben damit schmerzvolle Erfahrungen gemacht. Sie haben erfahren, dass diese Grenze für sie woanders gezogen wird als bei Heteros. Heteros können von ihrer Sexualität viel mehr zeigen, ohne anstössig zu wirken. Gerade Schwule erleben die private Seite von Sexualität deshalb oft als aufgezwungen. Lesben geht es da ein wenig anders, weil Öffentlichkeit immer noch männlich geprägt ist und für sie deshalb nicht so wünschenswert ist.

Wenn ein queeres Projekt in der Lage wäre, diese vielfältigen und widersprüchlichen Verwicklungen von Sexualität und Herrschaft anzuerkennen und miteinander in Dialog zu bringen, wäre schon viel gewonnen, um Strategien zu entwickeln, Sexualität als Herrschaft zu bekämpfen. SM stellt sich auf eine bestimmte Art genau diesem Aspekt der Herrschaft in der Sexualität. Das ist nur eine mögliche, sicher nicht die einzige und vor allem nicht die ultimative Form, damit umzugehen. Aber sie liefert wertvolle Erfahrungen, von denen das gesamte queere Projekt lernen kann, so wie SM-erInnen von den Vorbehalten anderer lernen können.

Kolja: "Heteros können von ihrer Sexualität viel mehr zeigen, ohne anstössig zu wirken." und damit sortierst du heterosexuelle SMerInnen aus? oder ist das eine statistische aussage? und wenn ja, wozu ist die gut? erleben sich homosexuelle menschen als gruppe?  
dietelge@gmx.de: das ist ein überwiegend sehr differenzierter und dadurch angenehmer text. die aussage "Es sei zwar klar, dass es sich bei SM um ein für die Beteiligten frei wählbares Spiel handele" möchte ich in zweifel ziehen. sind es nicht oft gerade auch der fetisch, die vorliebe, die prägung, die ihre akteurInnen dominieren, statt von diesen "frei gewählt" und wirklich nur "gespielt" zu werden? gehören nicht gerade die fixierung, die besessenheit, ggf. die einseitigkeit für zumindest einen teil der akteurInnen zum wesen ihrer vorliebe und tragen durch die subjektiv empfundene oder gar objektiv bestehende alternativlosigkeit zur befriedigung, erfüllung, zum lustgewinn essentiell bei?  
dietelge@gmx.de: und wo, bitte, ist "das", sind die queeren projekte, wo das nicht nur offen diskutiert, sondern auch akzeptiert gelebt, gelernt, zum teil selbstbewußter identitätsbildung gemacht werden kann - wenn die gutwillige linksalternativautonome queerszene schon durch die konfrontation mit und gedankliche verarbeitung von schwulem skinsex überfordert erscheint? und bei allem respekt für die sensible behandlung grenzwertiger gefühlskonstellationen: was meint denn "die dunkle seite" an der sexualität? ich wage nicht zu hoffen, hier sei nur "licht aus im schlafzimmer" gemeint...  
dietelge@gmx.de: kann nicht evtl. der lebenslang naive blümchensex ohne je irritierende impulse von außerhalb einer beziehung das dunkle und letztlich extreme sein, dieweil individuell ersehnte und erfüllte verletzungen eines politisch korrekten publikumsgeschmacks im hellen licht der emanzipation von fremdbestimmung, moralischer repression und warenfetischistischer konsumvereinnahmung stehen können? wohlgemerkt: können - oder auch nur könnten, denn hier scheinen mir offene fragen an queerprojekte derzeit noch zielführender zu sein als tradierte oder voreilige antworten derjenigen, die ihre eigenen probleme mit speziellen sexkonstellationen den akteurInnen unterschieben wollen.  
ratz: liebe telge, deine einwände finde ich alle sehr plausibel. dass es mit der "freiheit" so einige probleme gibt, ist klar. ich entscheide mich meistens nicht "frei" für einen fetisch oder eine passion. aber ich kann ein stück weit entscheiden, ob und wie ich dem nachgehen möchte. fantasien von unterwerfung und gewalt haben glaub ich sehr viel mehr leute, als es sm-er gibt.  
ratz: und mit der "dunklen" seite meine ich: die politisch unkorrekten gefühle und bedürfnisse. jemanden zu quälen, zu töten, zu unterwerfen, sich zerstören zu lassen, sich einer macht kritklos auszuliefern - die rohe und schmutzige seite der macht eben. in den normierten formen von sexualität ist das natürlich auch präsent, wie du schreibst, aber anders. und du hast auch recht, dass sm-er die hässliche seite der macht nicht erfunden haben.  
ratz@Kolja: ich habe nicht gesagt, dass alle heteros alles zeigen dürfen und auch nicht, dass alle homos das gleiche verstecken müssen. es macht aber einen unterschied, ob man als mann einen mann oder eine frau in einem öffentlichen park küsst. das ist doch ziemlich banal.  
onair: eine performance ist eine performance und als solche zunächst einmal eine öffentliche veranstaltung, zu deren besuch keine(r)gezwungen wird. das sollte auch für queere räume gelten. insofern ist die entscheidung, sie ins "schmutzige kämmerlein", den keller eben zu verbannen ein angriff auf die (künstlerische) freiheit. andererseits fand sie im rahmen einer party-veranstaltung statt und sollte ja mehr sein als ein go-go-event. also gehört sie da auch nicht hin, weil ich als besucherIn auf etwas gestoßen werde, zu dem ich garnicht gehen wollte. der keller ist in dem fall wohl schon die richtige entscheidung, besser wäre das dach gewesen. aber in hamburg regnet's ja immer.  
paula: das mit dem dach ist eine super idee, ein zweiter ähnlich großer raum wie der partyraum in der flora wäre auch toll gewesen. als beteiligte an der diskussion um die party möchte ich klar stellen, dass es nicht darum ging sm zu "verbannen" und unsichtbar zu machen, sondern die möglichkeit zu geben den ort an dem sm praktiziert wird gezielt aufzusuchen, anstatt weg gehen zu müssen wenn man keinen bock auf zur schau gestellte sexualität hat.  
paula: mir persönlich wäre auch eine lesbenblümchensexperformance auf der hauptbühne nicht recht gewesen, da es mir bei queer auch nicht vordringlich um die darstellung von sexualität geht. es gibt zeiten, da habe ich keine lust, ständig mit sexualtität konfrontiert zu sein, und das als sowohl sexliebende lesbe als auch als langjährige sm-praktizierende. bei der diskussion ging es für mich um die frage wie sich ein raum bei unterschiedlichen bedürfnissen gut teilen lässt.  
paula: zur "verbannung" in den keller möchte ich noch einmal sagen, das auf der hauptbühne das event im keller angekündigt wurde und somit aktiv integrierter bestandteil der gala war. die "verbannung" bestaqnd also nur darin, die aktuelle performance in einem anderen teil des gebäudes abzuhalten. solidarische grüße paula  
paula: und dann war doch noch das problem mit der sprache: ich finde das es schade, das in dem Text von einem "Problem" und von "Vorbehalten" gesprochen wird. Ersters fände ich schöner als "Meinungsverschiedenheit" und zweiteres als andere Sicht zu benennen. Ich fühle mich ungern pathologisiert.  
ratz@Paula: Liebe Paula, wo pathologisiere ich dich denn, wenn ich von einem "Problem" rede? Niemand setzt dich hier unter Rechtfertigungsdruck. Mein Text wollte aber eher anregen, die Auseinandersetzung jenseits von Fraktionsbildungen zu reflektieren. Warum fällt es denn so schwer, sich auf einer Queer!-Party mit Sexualität (du sagst SM oder Blümchen hin oder her) konfrontieren zu lassen? Wo liegt das Verletzende in der öffentlichen Inszenierung von Sex? Übrignes ging es in der berichteten Diskussion nicht nur um öffentlichen Sex, sondern um die Sichtbarkeit von SM-Identität.  
A Hard Day's Night: Für mich ist es eine Frage der Intimsphäre, die hier angesprochen wird, und die möchten sich einige bewahrt wissen. Ich auch. Das Spielen mit Gewalt, Macht und Verletzung braucht einen besonderen Schutz, wie es auch ein Vertrauensverhältnis voraussetzt. Die Grenzüberschreitungen oder auch das Verschieben der Schmerzgrenzen ist für meine Begriffe zwischen dem Publikum und den Akteuren, egal ob auf der Bühne oder bei der Party selber nicht besprochen, nicht ausgelotet. Und auch die Partygäste brauchen diesen Schutz. Ich finde die Bedenken der VeranstalterInnen verständlich.  
A Hard Day's Night für ratz: "die rohe und schmutzige seite der macht eben" schreibst Du. (PS: sehr, sehr schön). Aber weshalb soll sich jede und jeder in einem öffentlichen Raum, wie eine Soliparty nun mal ist, zu dieser Auseinandersetzung mit sich und seinen/ihren Gefühlen gezwungen werden. Die Sexinszenierung ist meist das Produkt einer langjährigen Entwicklung. Weshalb müssen AnfänerInnen damit konfrontiert werden. Stell Dir vor, das ist wie Fisten vor dem ersten Mal Ficken! Darum finde ich die Kellerlösung gut, explizit ausgeschildert und mit Vorwarnung, dann darf’s aber auch heftiger sein. ;-)  
paula@ratz: ich finde das "problem" immer negativ konotiert ist. ich freue mich darüber das wir diskutieren und das es die möglichkeit wie hier in etuxx sachen länger und ööfentlich zu besprechen. und ich denke es gibt unterschiedliche standpunkte, die es verdienen nicht sofort als problem sondern als herausforderung an eine respektvolle gemeinschaft gesehen zu werden  
paula@ratz: zum "rechtfertigungsdruck", den empfinde ich in keinem falle. was ich empfinde ist ein interesse an den fragestellungen die die veranstaltungen auf dem qsd insgesamt aufgeworfen ahben.  
paula@ratz: zu sm identitäten: die sind auch mit visuellen mitteln wie plakaten, kleidung, und audiotools wie ankündigungen und vorträge sichtbar zu machen. dafür alleine braucht es keine performance  
ratz@Paula und alle anderen: Es geht hier ja nicht um die Frage Perfomance - ja oder nein oder wo? "Outfit", "Plakate" und "Vorträge" sind doch genauso Diskussionsstoff. Du klingst so, als gäbe es überhaupt keine Irritation mit SM, solange Performances im Keller stattfinden. Das würde ja glatt dem Wesen von SM widersprechen. SM sucht ja gerade diese Irritationen. Oder ist der Streit z. B. um Stöckelschuhe und Uniformhosen in der Szene schon beigelegt? Hängt an solche "Outfits" nicht ganz viel dran?  
ratz@Paula ganz alleine: Übrigens glaube ich nicht, dass du unter einer seltsamen Krankheit leidest, die sich als "SM-Allergie" beschreiben ließe und deshalb therapiert gehörst. ;-)  
paula@ratz: ja, ratz was soll ich sagen, wenn dabei irritationen auftreten, dann ist das vollkommen in ordnung für mich. und wenn die irritationen zu einem gemeinsamen denkprozess führen würden.... what a wondervoll world. und bei den outfits kann man ja auch herrlich diskutieren über die eigene vergesellschaftung des subs.  
paula@nur für ratz: na, schön zu hören.  
Kolja@ratz: manchmal frage ich mich, in welchen parks diese armen eingeschüchterten leute herumlaufen...  
ratz@Kolja: Könnstest du bitte erklären, was du jetzt gerade genau meinst?  
Kolja@ratz: auf meine frage, ob du es statistisch meinst und wozu das gut wäre, kamst du mit der konkretisierten aussage über die wirkungen gleichgeschlechtlichen küssens in parks. und ich will wissen in welchem park ich sein muss, um dies beschriebene phänomen wirklich mal zu erleben, statt es immer wieder als geschichte zu hören.  
Kolja@ratz: wenn mir jemand eine problemlösungs-theorie präsentiert oder mir seine probleme vorblättert, dann wird ja wohl die frage gestattet sein, ob das problem wirklich und wahrhaftig existiert.  
ratz: Meinst du jetzt, es gebe keine Diskrinierung von Homo- gegenüber Heterosexuellen? Wenn man von Strukturen redet ist jedes konkrete Beispiel unzureichend. Hast du schon mal beobachtet, dass einem Hetero-Paar, das Arm in Arm geht: Scheiß Heteros! hinterhergerufen wurde? Aber eigentlich sollte es hier um SM und Queer gehen.  
paula: das wäre mal eine nette queere aktion heteros "hey biste hetero"-hinterherrufen.  
uwe: das hätte das niveau von comming-out-aktivisten 1980, wer da wieder ansetzen will, bitte, bitte, aber ohne mich.  
Boy: Ich empfinde das Argument, dass mensch sich im Keller den Geschehnissen entziehen könne,wenn mensch wolle, als vorgeschoben. Wer die Räumlichkeiten kennt, weiß, dass es im Keller unmöglich ist, wieder rauszukommen, wenn er erstmal voll ist, während das oben kein Problem wäre. Genau das war dann auch der Fall, dass Menschen, die gerne gegangen wären, das dann nicht mehr konnten.  
slut@a hard day's night u.a.: Ich verstehe nicht, warum SM so eine Sonderstellung einnimmt in den potentiellen Anblicken, vor denen wer geschützt werden muss. Wer schützt mich in queeren Räumen vor dem Anblick ehe-ähnlicher Pärchen? Was solche Beziehungen angeht, bin ich echt traumatisiert. Das nimmt aber niemand ernst, weil es "normal" ist. Wie wäre es mal mit "Pärchen in den Keller"?  
Kolja@ratz: ich meine, dass die welt sich dreht und voraussetzungen sich ändern.  
plug@slut: Ich kenne keine Pärchen, die unbedingt auf die Bühne im großen Saal wollen, und es als Beleidigung empfinden, wenn sie auf die Bühne im Keller müssen. Warum sind Pärchen in Sachen Selbstdarstellung so locker, und queere SMerInnen so verkrampft?  
plug@slut: Zum Beispiel war die erste queere SMperformance im Flora Keller eine einzige SCheisse. Da wurden rebellierende Matrosen von ihren Offizieren gepeitscht, so als politische anspielung auf den matrosenaufstand. dabei hättten in erinnerung an den wahren matrosenaufstand die offiziere von den matrosen gepeitscht gehört! Und das ist nur der anfang.  
plug@slut:: eigentlich gehört der ganze artikel oben ausgepeitscht. freche mucker. ein bißchen mehr respekt und ein bißchen mehr dankbarkeit und ein bißchen mehr Demut dafür, daß ihr auf die kleine Bühne durftet. das nächste mal tretet ihr sonst im klo auf!  
oa: o j a plug, gibs ihnen.  
ratz@slut: Genau! Darauf wollte ich ja u. a. hinaus: was empfinden wir als Sexualisierung und warum? Wo sind für uns die Grenzen zwischen öffentlich Zumutbarem und Anstößigem? Was nehme ich als Äußerung sexueller Identität hin und was nicht? SM ist deshalb unbequem, weil er diese Grenzen verletzt und daran seinen Spaß hat.  
A Hard Day's Night: SM ist deshalb ein Problem, weil er Grenzen verletzt und daran seinen Spaß hat! Ja genau, ratz. Die Freude am Quälen, am Zufügen von Schmerzen, am Angsteinflößen wird ansonsten entweder per Strafgesetzbuch oder gar im politischen Kampf geächtet. Das Machtverhältnis, was bei SM den erotischen Reiz ausmacht, wird bei einem Mann-Frau-Verhältnis als patriarchal geächtet. Das oft zitierte Nicht-Wahrgenommene-Nein wird ebenfalls als Grenzverletzung beschrieben.  
A Hard Day's Night: Das eben dieses bewusste Herbeiführen von Zwangssituationen mit -sagen wir mal- mit politischen Zwangssituationen gleichgesetzt wird, macht es für manche pervers ekelhaft. Desweiteren zitiert SM bewusst oder z.T. auch unbewusst gesellschaftliche Verhältnisse, ist ein echtes Psychospiel mit dem Alltag oder der Geschichte: Sklavenhaltergesellschaft, Vergewaltigung, Machismos, Entführungen, Missbrauch etc. Und ich wiederhole es noch mal, ich prangere das nicht an, sondern fordere, dass solche Extreme nur bis zu einem gewissen Punkt für den öffentlichen Raum als Denkanstoss fungieren können. Zwischen lustvollem Fesseln und lustvollem blutigen Zusammengetreten-Werden liegen Welten!  
ooolf: Da SM sich mit Gewalt beschäftigt, stimme ich A Hard Day's Night zu. Linke Positionen schrecken davor gern zurück. Pazifistische und Esoweltverbesserer setzen sich zu wenig damit auseinander. (Das endet in so tollen Formeln wie Kampf gegen alle Macht- und Herrschaftsverhältnisse, PS: auch fetischisierten SM. Das ist die Angst vor einer Auseinadersetzung mit Macht und Unterschied.)  
ratz@a hard day's night: Warum liegen dazwischen Welten? Hast du denn beides schon versucht? Und warum geißelst du nicht auch, dass die von dir beschreibenen Gewaltverhätnisse woanders genauso präsent sind, ohne durch den Inszenierungcharakter grundsätzlich Problematisiert zu werden? Das schwierige ist doch auszuhalten, dass es eben NICHT patriarchal ist, wenn sich eine Masochistin lustvoll quälen lässt.  
Counterstrike (Computerspiel): Was habe ich gemeinsam mit SM? Gewaltverherrlichend seien wir. Der Kick mit der Gewalt (Krimi, sensationslüsterne Presse, Live-Schaltungen zum Krieg) hat in allen Bereichen Konjunktur, wieso nicht auch beim Sex. Die Befürworter halten auch dort immer das Argument bereit, jeder muss sich sein Bild machen, alles andere mystifiziert und glorifiziert die Dinge. Die Gegner müssen immer irgendwen schützen. (Kinder, patriarchatisierte Frauen). Der queer Raum befindet sich im selben Dilemma.  
dietelge@A Hard Day's Night: problematisch an der grenzverletzung scheint mir, daß es bei sm um mehr als eine geht: nicht nur die von anstand + moral - was ist mit den inneren, eigenen grenzen der lustvoll gequälten? liegt doch der reiz gerade in der -"nur"(?) inszenierten- grenzverletzung - und doch soll alles einvernehmlich sein: in letzter konsequenz ein widerspruch? wieviel lust bleibt für beide seiten im wissen um die begrenztheit per inszenierung? und wie bedrohlich wird die unklarheit über die grenzen von zuschauenden empfunden?  
dietelge@A Hard Day's Night: die gleichsetzung mit politischen zwangssituationen mag pervers ekelhaft wirken, wird aber sm als inszenierung nicht gerecht. so unangenehm die -nicht nur unbewußten- zitate auch erscheinen mögen, sind sie doch nicht die zitierte realität selbst, sondern sie produzieren ihre eigene. ob sie verarbeiten oder schlicht repetieren, ungeheuerliches kompensieren oder selbst ungeheuerlich erscheinen: jedenfalls lohnt die offene konfrontation und befassung mit dieser realität, die über den sex allein weit hinaus weist, und es ist bezeichnend, wie weit der bogen der meisten bürgerinnenrechtsundlinkspolitischen drum herum ausfällt.  
ooolf: Lust am Schmerz, Lust an Macht, Lust am Ekel sind die unbegreiflichen Dinge. Eine Auseinadersetzung damit ist fruchtbar, bleibt aber eine Provokation der Unbeteiligten mit ihren Ängsten, Ekel, Gefühlsgrenzen. Provokationen können hervorragende Ausgangspunkte zum Erreichen neuer Ziele eines Diskurses sein, aber auch hervorragend zum ewigen Streit führen. Muss ich auf einer queeren Party kotbeschmierte Leute sehen und riechen, um mich mit der Bedeutung der Stoffwechselendprodukte und ihrer negativen Interpretation im Laufe der Geschichte auseinandersetzen oder kann ich es einfach ekelerregend finden?  
ratz@ooolf: Die Frage ist doch: wann habe ich ein gesellschaftlich legitimiertes Recht mich zu ekeln und wann nicht? Warum darf ich mich über deine koprophilen Fantasien ekeln oder auch nicht und warum muss ich make-up-beschmierte Tunten, die nach Chanel 5 richen, hinnehmen? Ekel ist eben nichts "Natürliches", das bei allen Leuten gleich auftritt.  
ooolf: Mit der Fragestellung, kannst Du auch fragen, Mensch Kinners, warum habt Ihr Angst vorm Tod? Macht Euch doch mal frei von den gesellschaftlich produzierten Ängsten des Lebensende. Ratz, es gibt - wodurch auch immer hervorgerufene - persönliche, sehr intime Verletzungsgrenzen, -Ängste. Du scheinst mir ein Kandidat zu sein, der ständig diese Grenzen überschreiten möchte, weiter will. Tu das, aber akzeptiere, dass andere Dein Tempo nicht mithalten können oder wollen.  
ooolf: Ich rede nicht von der Domina mit Peitsche und ihren Sklaven, die halbwegs schon in jedes bunte Unterhaltungsprogramm gehören, sondern von SM, vor dem die meisten Angst haben, weil sie ihn nicht nachvollziehen können, ihn nicht verstehen. Es bleibt damit eine Provokation. Wie sehr Du provozieren willst, bleibt Deine Sache, aber rechne damit, dass Du ausgeschlossen werden kannst.  
A Hard Day's Night: Zum Thema: Gleichsetzung mit politischen Zwangssituationen: SM ist nicht nur Handeln. (oder behandelt werden). Der Zuschauer wird in die Voyeursrolle gedrängt. (Sagt bitte nicht, er macht’s freiwillig, ich gehe hier nicht von einer Bühnenperformence aus, sondern von SM-Handlungen im öffentlichen Raum (hier die Party). Wenn ich jetzt mal "Blümchen-SM", der für mich schon etabliert scheint, seitdem Gogos in Käfigen tanzen, weglasse, besteht folgendes Problem: Woran kann der Zuschauende oder der zum Betrachten Gezwungene erkennen, in wie weit das Teil einer Inszenierung oder eine Vergewaltigung oder oder ist?  
A Hard Day's Night: Die SM-er wissen um die Zeichen, auf die sie achten müssen, wissen, in welcher Realität sie sich gerade befinden, meist sind dies fein austarierte Schritte. Wer von den Zuschauenden kann aber Zittern oder Tränen denn einordnen? Die intensive Auseinandersetzung der SM-er mit ihren Gefühlen, Schmerz und Verletzungen wird dem Zuschauer vor den Kopf geknallt, der diese Signale anders interpretiert. Ein fieses (zugegeben: geiles) Spiel mit Gewalt und Macht, aber zu dessen Verständnis mehr als zufälliges Aufeinadertreffen auf einer Party gehört.  
ratz@oollf: du unterscheidest hier zwischen "normalem" sm und uabnormalem sm, zwischen dem es eine "natürliche" grenze gibt. das ist doch völlig abwegig. das was du als "normalen" sm bezeichnest, ist anderen schon viel zu viel. Die Verletzungsgrenzen, von denen du sprichst, können sehr individuell sein. Darum geht ja die ganze Diskussion. Einigen ist ja deine idyllische Domina mit Peitsche schon viel zu viel. Und so etwas muss man ERNST nehmen.  
ooolf: die Diskussion erinnert mich stark an die Skin/Army/Stiefel-Debatten vor ca 10 -15 Jahren. Da wurde genauso davon geredet, kategorisch ausgeschlossen. Den Leuten nachgesagt, sie würde unreflektiert den öffentlichen Raum "rambo-sieren", einen Männlichkeitskult feiern, den eine linke schwule Bewegung Jahre zuvor bekämpft hatte. Da liegt eine ähnliche Nichtunterscheidbarkeit zwischen Fetisch/Mode und Gesellschaftsrealität. ("normale"/"abnormale" Frisuren und Moden). Natürliche Grenzen gibt es nicht, aber verschoben haben sich diese Grenzen ebenfalls. Camouflage-BHs lagen jedenfalls letzten Winter bei H&M.  
ratz@ooolf: und was heißt das jetzt für dich? was bei h&m ist, ist normal und gut? oder dass der alltag militarisiert wird? oder dass sm solange o.k. ist, solange das outfit bei h&m zu kaufen und die praktik bei liebe sünde zu sehen ist???  
ooolf@ratz: Für mich habe ich den Sexrahmen mehr in die Mitte gehängt. Soll heißen, dass ich Leute, die mir mal wichtiger waren, einfach diesbezüglich hinten angestellt habe. (Konkret: Ich könnte mir vorstellen, dass ich in der Hamburger Diskussion sehr schnell gesagt hätte, betet doch euren Katechismus runter. Andererseits bietet der allgemeingesellschaftliche Hang zu Absurditäten und die Sensationslust der Leute auch gerade auf einer Party Möglichkeiten sich zu entfalten und zu verwirren (nicht als Bühnenkunst, ich gestehe: ich hasse "SEX-Kunst" einschließlich tabledance) Den größten Gegnern würde ich nebenbei eine kleine Extraprovokation bieten, damit sie sich aufregen, damit es kracht.  
ooolf@ratz: (Wie du vermuten magst, würde ich dabei zwischen zumutbar und nichtzumutbar unterscheiden). Ein Stückchen Sensibilität, der jeweiligen Situation entsprechend, gehört aber überall dazu. Meinen Eltern oder meinen Freunden möchte ich manche Diskussion nicht bezüglich SM aufdrücken, nur weil ich eine Kette mit meinem Sklaven hinter mir herschleife, an Orten an den sie auf einmal in einen Rechtfertigungsdruck gegenüber Dritten (Verwandten/Arbeitskollegen) geraten. Mir ist ein Ausleben meiner Sexualität wichtig, aber nicht um den Preis, dass ich alle und jeden verstöre. Das Normativ ist verschiebbar, aber das SM-Kreuz will ich nicht in die Gemeinde tragen. Amen  
ratz@ooolf: Die ganze Diskussion wäre ja nicht entstanden, wenn die Ansichten darüber, was zumutbar ist und was nicht, unterschiedlich wäre. Wenn ich in einem öffentlichen Raum bin, wo ich die Anwesenden nicht kenne, muss ich das mit der Zumutbarkeit an allgemeinen Erfahrungswerten orientieren, kann damit aber sehr schief liegen. In der Diskussion war ja immer von "Opfern" die Rede, die eine sehr viel niedrigere Zumutbarkeitsschwelle haben als Otto Normalverbraucher.  
ooolf@ratz: Die Opferkeule - ja das ist wohl ein neues Thema??? (Hallo Redaktion?) Ich jedenfalls muss mich heute hier für 4 Wochen verabschieden, aber ich komme wieder. Lieben Gruss unbekannterweise an Dich Ratz. Noch eine kleine Gefühlsbemerkung: Layout dieser Diskussion und Verlauf der Diskussion waren für mich wie ein Gespräch in einer SM-"Schmuddel"-Ecke einer Sexparty, links und rechts siffte es noch ein wenig, beim Weggehen der Leute slirffffft die Schuhe auf dem glibbrigen Boden - und jetzt stehen nur noch Du und ich hier. Also jetzt geh' ich dann mal, vielleicht triffst Du ja noch eine neue Quasseltante. :-))  
ooolf@ratz: slirfffff slirfffff slirfffff patsch patsch slirfffff ...  
Dresden: Wasser in unserem SM-Club,  helft aufräumen!
ratz@ooolf: einen schönen urlaub! übrigens schrecke ich vor dem begriff "opferkeule" zurück (erinnert mich zu sehr an auschwitz-keule). das thema ist aber nicht neu, sondern im zentrum der diskussion, wie mir scheint.  
ausgezeichnet mit dem: "Sag-Danke-wenn-Du-geschlagen-wirst-Preis" der Redaktion etuxx für sensible Internetkommunikation mit niedrigem Pöbelfaktor.  
ratz: na, da seht ihr, dass sm auch zu was nütze sein kann! ;-)