Der Fussball und das Leben
Warum Bayer Leverkusen trotz verlorener Meisterschaft eine Systemalternative darstellt


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Die spielerisch beste Mannschaft der Fussball-Bundesliga hat erneut knapp und unter ähnlich dramatischen Umständen wie vor zwei Jahren (damals noch trainiert von meinem Namensvetter Christoph-"gib'-mal-noch-'ne-Line"-Daum) die Meisterschaft verpasst. Kein Ozean ist gross genug, meine Tränen ... äh ... zu verdünnen, kein Canyon tief genug, sie aufzunehmen.

Aber Fussball ist eben ungerecht - wie das Leben. Meister wurde Borussia Dortmund, und damit die Konsensmannschaft der Neuen Mitte schlechthin. Ihr Motto: nirgendwo anecken und sich hintenrum an die Spitze schleichen. Dass Bayern München letztendlich nur den dritten Platz im Endklassement errungen hat, ist dann auch nur ein schaler Trost.

Immerhin ist Bayern eine Mannschaft mit einem - wenngleich schlechten - Charakter. Diese Münchner stehen dazu, Hass auf sich zu ziehen; das motiviert sie sogar. Bayer Leverkusen dagegen ist eine Mannschaft für Leute, die mit traditionellem Vereins- und sonstigem Chauvinismus nichts anfangen können; eine Mannschaft für alle, die einfach guten und schönen Fussball lieben.

Bayern München ist destruktiv: immer die besten Spieler der Konkurrenz aufkaufen, sie moralisch zu Arschlöchern machen, zeigen, wie effektiv hässlicher Fussball bzw. wie hässlich effektiver Fussball sein kann. Bayer Leverkusen dagegen ist konstruktiv: Talente entdecken, sie aufbauen und zu grossen Fussballern machen, zeigen, wie schön (wenn auch leider oft vergeblich) offensiver Fussball ist.

Das sind die Antipoden der deutschen Ballschieberei: Bayern München ist für Leute mit schlechtem Charakter, Bayer Leverkusen ist für Leute mit gutem Charakter - und Borussia Dortmund für Leute ... ohne Charakter! Der Erfolg Dortmunds ist der Erfolg der Neuen Sozialdemokratie: eigentlich Schwein sein - aber so tun, als wärst du es nicht (sondern als wärst du noch ein Arbeiterverein, haha).

Der Herr Emerson aus Brasilien (als er noch bei Leverkusen spielte, war er einer der besten Bundesliga-Profis, die es je gab) vertrat, nachdem er sich von einem reicheren Verein einkaufen liess, nach dem erwähnten Scheitern im Jahr 2000 die Meinung, Leverkusen würde nie (nie, nie!) einen Titel gewinnen.

Möglicherweise behält er recht. Na und? Dafür ist auch noch nie aus einem Spieler, der Leverkusen verliess, um (noch) mehr Kohle abzugreifen, irgendetwas geworden. Der Herr Emerson ist inzwischen Sportinvalide, und das Schicksal von Michael Ballack, der zu den Bayern wechseln wird, steht in den Sternen.

Lange habe auch ich die Meinung vertreten, Fan von Bayer Leverkusen zu sein, sei eigentlich unmöglich, weil dieser Verein so vollkommen traditionslos ist und emotional nicht besetzbar. Mit dem letzten Spieltag der Bundesliga in der Saison 2001/2002 habe ich nun meine Meinung geändert: Blosse Opposition gegen Bayern und Dortmund, gegen Edmund Stoiber und Gerhard Schröder, genügt nicht (mehr).

Sondern die Alternative muss benannt und unterstützt werden. Darum: Lieber schön und erfolglos (leben und spielen) als hässlich und erfolgreich! Gegen die Neue (alte) Rechte und die Neue Sozialdemokratie! Für einen dritten Weg! Für ... Bayer Leverkusen!

Sascha Berlinskij

Nachwuchs


Kondolenzliste: Dieser Text hat mir die Augen geöffnet. Ich trauere mit! Mein Yogalehrer hat mir ausserdem noch erklärt, dass "Borussia" von "Prussia", also "Preussen" kommt ...  
Sascha Toppmöller: Sowas kommt von sowas. Da hat Dein Yogalehrer ganz recht. Leider hat er, soweit ich weiss, seine persönliche Konsequenz daraus noch nicht gezogen...  
Alan Ball: Eine schöne Artikel.Ich bin Britte.20 Jahre in Deutschland und 20 Jahre Bayer-Fan,und es tut gut ein sowas überlegtes tu lesen über mein Verein,insbesonderers nach dem Klatch gegen Schalke(Wenn so ein Klatch,denn lieber gegen ein Verein den ich zuneige)Leider,je länger der Erfolg ausbleibt desto schwieriger wird es werden ein Titel zu holen.Ohne zu viel zeit hier zu verzwenden über die die dreckige Machenschaften der Bayern oder der Misgunst und Spott den F.C.und BVB fans,es hat mein angekratzte Seele Gut getan.Excuse my Grammatik,and goodnight.  
bodo: dreimal vize (?!). meister der herzen. verein der ersten produzenten von heroin. das leben ist so ungerecht. lang leben die donald ducks und homers. das leben gehört den loosern. wenigstens spielt der vfl bochum für nen jahr in der ersten. das ist doch auch was.  
info link: Über Hooligans und Muskeljuden oder im Turnhemd unterm Davidstern: Über eine Münchner Tagung zum Thema Juden und Sport …  ein Artikel aus der SZ.
Ach. ach ... (ach)...: Nun also auch die letzte und größte Chance futsch. Toppmöller raucht wie ein Schlot in alle Weltkameras... kann man nachfühlen... Wird Leverkusen jetzt synonym für verlieren?  
ach ach ja ja: leverkusen that´s everloosen  
oder: ever loosing is leverkusing  
Sascha Calmund: @ Bodo: viermal Vize, Schatzi! Rainer Calmund hat entschieden, alle Vizetitel in den Briefkopf mit aufzunehmen. Wenn das so weitergeht, wird auf diese Weise immerhin der Briefkopf von Bayer bald länger sein als der der Bayern. - Wem Du Bochums Aufstieg zu verdanken hast, weisst Du ja... Wir gehen also demnächst mal zu einem Heimspiel von Union, wie versprochen!  
Sascha Nowotny: @ ach, ach (Du brauchst Dich nicht zu verstecken!): Dass Kette zu Rauchen nichts nützt, wussten wir schon vorher. Im Grunde hat Leverkusen, das beim CL-Finale insgesamt gleichwertig war, doch nur einen Fehler gemacht: Eben jenen Rainer Calmund nicht in´s Tor zu stellen! Der hätte nämlich Rauls 1:0-Kullerbällchen gehalten! - Das Verlieren ist SEHR relativ. Ändere doch mal DEINE Sichtweise! Die zweitbeste Mannschaft Europas zu sein, ist - rational betrachtet - alles andere als eine Schmach. Leider bzw. glücklicherweise ist Fussball so irrational...  
Bodo: Die Verdammten dieser Erde erheben sich. Der Kampf der Kolonisierten gegen die Kolonisatoren wird im Herzen der Bestie geführt: auf der WM. "Die negro-afrikanische Kultur verdichtet sich um den Kampf der Völker und nicht um Gesänge, Gedichte oder um Folklore", "Es gibt keine Schicksalsgemeinschaft der senegalesischen und guineischen Nationalkulturen, aber eine Schicksalgemeinschaft der guineischen und senegalesischen Nationen, die von demselben französischen Kolonialismus beherrscht wurden" (Fanon); bo