Christopher Street Day
CSD - früher, gestern, kreuzberg (1)
Eine kleine Geschichte des Berliner CSD, die den Bogen vom "Stonewall Inn" 1969 bis zur Berliner Oranienstraße 2002 spannen möchte, denn an einem CSD werden wir auch 2002 so wenig vorbeikommen wie in den letzten Jahren. Wieviel politische Tragweite er haben wird, liegt an uns.

von Bodo Niendel

Geschichte
Die neue Schwulenbewegung (und bedingt auch die lesbische), inspiriert durch den Riot vom 27. Juli 1969, ausgelöst durch die Polizeirazzia in der New Yorker Kneipe "Stonewall Inn", unterschied sich grundlegend von ihren liberalen Vorläufern und deren Engagement in der Mainstream-Gesellschaft. Die US-Queer-Theoretikerin Annemarie Jagose schreibt hierzu: "AnhängerInnen der Homo-Befreiungsbewegung dagegen lehnten es ab, sich auf heterosexuelle Ängste einzulassen, und konfrontierten die Gesellschaft mit ihrer Andersartigkeit, anstatt sie mit dem Gleichheitsanspruch zu umwerben."

Die deutsche Schwulenbewegung begann spät, aber dafür um so radikaler, mit ihrem Engagement. Die staatliche Unterdrückungssituation der Schwulen war gravierend. Zwischen den Jahren 1950 und 1965 wurden 45.000 Männer zu Haftstrafen wegen des §175 verurteilt (zum Vergleich: DDR (1957-1968): 2500). Aus dem studentischen Mileu heraus entwickelte sich die am Klassenkampf orientierte Schwulenbewegung. In Berlin ist insbesondere die Homosexuelle Aktion Westberlin (HAW) zu nennen.

Die neue radikale Schwulenbewegung ist untrennbar verbunden mit den Neuen Sozialen Bewegungen. Im Westen Deutschlands entstand sie getragen von einer radikalen Ablehnung des Muffs der Adenauer-Gesellschaft und des neokonservativen "Modell Deutschland" der SPD. Albert Eckert (vor kurzem noch Senatsprecher in Berlin) und Andreas Salmen schrieben in ihrer Diplomarbeit aus dem Jahre 1989, die neue Schwulenbewegung sei "ein mobilisierender kollektiver Akteur im Rahmen der Neuen Sozialen Bewegung, der (...) das Ziel verfolgt, die gesellschaftliche Tabuierung der Homosexualität und die Stigmatisierung und Diskriminierung Schwuler aufzuheben und die Gesellschaft dahin zu verändern, daß tradierte Geschlechterverhältnisse überwunden werden, um schwulen Lebensweisen Entfaltungsraum, Anerkennung und Geltung zu verschaffen."

Homo-Befreiungsbewegung und der CSD in Berlin

Unter dem Motto "Gay Pride", gingen zum zehnjährigen Jubiläum des Aufruhrs im "Stonewall Inn" einige tausend Menschen in der BRD auf die Strasse. Der Begriff CSD hatte sich noch nicht etabliert. In West-Berlin gingen 1979 zu diesem Tag erstmals 400 Homosexuelle auf die Strasse (z.T. aus Angst vermummt). Bis zum Ende der achtziger Jahre werden in Berlin nicht mehr als 4000 Lesben und Schwule demonstrieren.

Die Demonstrationen vollzogen sich in einem ambivalentem Verhältnis zu gesellschaftlicher Integration und sozialistischer Schwulenpolitik. Am 26.6. 1982 beteiligten sich etwa 3000 Lesben und Schwule an der Berliner Demonstration des CSD; zu dieser riefen mittlerweile auch etablierte politische Gruppierungen auf: die Jusos in der SPD, der Arbeitskreis Homosexualität in der FDP und die AL Berlin. Das Schwulenreferat des AStA FU organisierte für den Abend ein Konzert in der FU Mensa. Im darauffolgendem Jahr demonstrierten etwa 2000 Lesben und Schwule für die ersatzlose Streichung des §175.

Zum 15 jährigem Jubiläum des CSD 1984 rückte Aids zunehmend in das Blickfeld der lesbischen und schwulen AktivistInnen. Sie gründeten eine "Lobby-AG beim Treffen der Berliner Schwulengruppen" (TBS), die den § 175 in die öffentliche Diskussion rückte und Politiker zur Teilnahme am CSD motivierte, so nahm auch Walter Momper an der Demonstration teil. Die Themen Aids-Prävention, Wiedergutmachung für homosexuelle NS-Opfer und Streichung des §175 bestimmten die CSD-Demonstrationen. Günther Dworek und Volker Beck nutzten den 20. Jahrestag von "Stonewall" für einen ganzseitigen Kommentar in der "taz", indem sie einer gesamtgesellschaftlich orientierten Schwulenbewegung eine Absage erteilten. Damit meldeten sich die Vertreter einer Bürgerrechtspolitik deutlich zu Wort; insbesondere die "taz" bot ihnen den Rahmen für ihre Positionen.

Eine hohe symbolische Integrationskraft besaß die Tunte. In den Siebzigern galt sie noch als wandelnder Widerspruch zur bürgerlichen Gesellschaft; auf dem CSD stand sie nun für das Coming-out des Schwulen, der seine Homosexualität nicht verstecken wollte. Mit der Verschiebung der identitären Besetzung der Tunte auf dem CSD wurde ein karnevalekes Element aufgenommen, das später zunehmend an Bedeutung gewann; nicht zuletzt aufgrund der den Medien eingeschriebenen inneren Gesetzmäßigkeiten.

Der CSD nach dem Mauerfall

Einen CSD hat es in der DDR nie gegeben, eine Schwulenbewegung nur sehr zaghaft in den letzten Jahren. Nach 1989 wurden die CSD-Demonstrationen zu einem Gesamtberliner Ereignis, obwohl die Demonstrationsroute weiterhin durch Westberlin führte. Die TeilnehmerInnenzahlen stiegen stark an, am 21. 6.1992 demonstrierten etwa 25.000 Lesben, Schwule und Andere über den Kudamm. Die Medien nahmen die CSD-Demonstrationen immer deutlicher in ihrem ausgelassenen Charakter wahr. "Auch wenn 1992 in Berlin das programmatische Anliegen durch die Karnevalsstimmung etwas unterging...."(taz).

Aus der Demonstration wurde nun auch begrifflich eine Parade. Die CSD-Demonstrationen waren ein Fokus der Schwulenbewegung in der BRD. Lesben entwickelten eigene Ausdrucksweisen, die ihre Darstellung erst in den späten achtziger Jahren auf den CSD-Demonstrationen fand. Ein zunehmend kleinerer Teil der AktivistInnen forderte die grundsätzliche Infragestellung der gesellschaftlichen Ordnung. Die politischen Differenzen führten jedoch noch nicht zu einer Spaltung der CSD-Aktivitäten. Interessant ist, dass der Streit zwischen einer Bürgerrechtspolitik und einer Emanzipationspolitik erst seht spät ausbrach.

Im Gegensatz zu anderen sozialen Bewegungen führten diese konträren politischen Positionen erst 1993 zu einem nach Aussen hin sichtbaren Bruch. Dieser Bruch vollzog sich in den USA weit früher. Es fanden zwei CSD-Demonstrationen statt; die eine in der Mitte der Gesellschaft angekommen, die andere sich in der Tradition einer emanzipatorisch/sozialistischen Bewegung sehend. Nach zwei Jahren gab es wieder nur einen CSD, die Linken mußten sich der Dominanz des Mainstreams geschlagen geben, aber sie machten eigenständige Aktionen ("Nassauer-Block") auf dem Groß-Event.

Auf dem CSD 1997 kam es noch einmal zum Eklat. Der "Rattenwagen" (mittlerweile sind die Aktivisten von damals älter geworden und haben aus Nostalgie eine Kneipe danach benannt) einiger linker AktivistInnen mit seinem provokanten Auftreten rief den Zorn der offiziellen CSD-Organisatoren und der Polizei hervor. Das Ergebnis ist bekannt: Auseinandersetzung mit der Polizei und eine Spontan-Demonstration nach Kreuzberg mit einer ausgelassenen Party. So war das damals. Aber dies war nur ein kurzes wenn auch sehr beachtetes Ereignis am Rande.

Der CSD wurde immer größer und steht in Berlin als eines von drei Marketing-Ereignissen neben Love-Parade und Karneval der Kulturen. Die Organisation und die Kooperation mit der Stadt Berlin ist hoch professionell. Das Ergebnis des letzten wahrnehmbaren Disputes auf dem Berliner CSD ist eine Alternativ-Demonstration zeitversetzt in Berlin-Kreuzberg. Alljährlich ziehen dort etwa 2000-3000 Menschen ausgelassen die Oranienstrasse entlang.

Lesen Sie weiter ... Teil 2 (Richtiger und falscher, politischer und kommerzieller CSD? Eine plumpe Abgrenzung reicht nicht aus, andere Referenzpunkte als einen Fingerzeig auf den anderen CSD sind nötig.)

Christopher Street Day

Reaction: Das der CSD inzwischen in der Spaßgesellschaft angekommen ist, dürfte kein Geheimnis sein. Ist auch nur konsequent, den das Recht auf Gleichbehandlung hat nur das eingeholt, was der kapitalistische Markt braucht und die bürgerliche Gesellschaft verspricht. Allerdings sehe ich in dem alternativen CSD nur dann einen Sinn, wenn er eben dieses gesellschaftliche Glücksversprechen nach "Freiheit" und "Gleichheit" in Frage stellt.  
adil asyl: naja, ich weiß nich so recht, was das eine mit dem anderen zu tun hat, das mag in den 60-70-80ern anders gewesen sein, aber heute sich noch durch sexualität (sprich, geh ich mit MANN oder FRAU ins bett) einen klassenkampf zu begründen (in zeiten von wowereit und westerwelle) scheint doch mehr als fragwürdig....  psychoglobal
adil asyl (fortsetz.): natürlich sind so sachen wie freiheit/gleichheit wichtig, aber ich glaube in zeiten der liberalen (wenn auch leider neo~) gesellschaft haben wir das erreicht. der csd ist nur eine party und auch ein "alternativer" csd kann daran nix ändern weil es explezit für schwule/lesben nix mehr zu kämpfen gibt (hey, ihr seid schon in der MITTE der gesellschaft). alles andere (z.B. revolution) können wir auch mit den anifas/autonomen gemeinsam machen (iss eh viel netter als nur unter homos). schöne grüße euer adil  
Leo: Ich bin schon länger dafür, den CSD zu dezentralisieren. Anstatt an einem sowieso jedesmal verregneten Sommertag durchs Brandenburger Tor zu pilgern sollte jeder einen Tag in dem Outfit und mit dem Bewußtsein, das er sonst zum CSD anlegt sich in seinem Alltagsumfeld bewegen.  
Kennen Sie schon den?: Was ist der Unterschied zwischen dem CSD und dem Internet? - Im Internet gibt es auch Angebote ohne Werbebanner.  
Lore: Im homopolitischen Umfeld waren aber von Anfang an auch Spießer beteiligt. Die angebliche "sozialistische" Ausrichtung der Schwulenpolitik war nie unangfochten. Mich würde wirklich interessieren, ob die Masse der Homos damals wirklich so viel radikaler waren.  
Bodo@Lore: ob, die masse der teilnehmer/innen so viel radikaler bzw. sozialistischer waren kann ich dir nicht sagen, dazu bin ich schlicht zu jung. aber ich würde die these aufstellen, dass der inhalt des csd aus der praxis der schwulen und lesbenbewegung kam. Damals bezeichneten sich die aktiven gruppen zumindest überwiegend als sozialistisch orientiert (HAW u.a.).  
Sascha B.: Ich sehe es nicht so, dass sich Lesben und Schwule wirklich etabliert hätten. Das ist doch eine Grossstadt-Ghetto-Illusion! In etlichen "Szenen" (z.B. HipHop ;-) und, räumlich gesehen, schon ein paar Kilometer abseits der Motzstrasse gibt es so gut wie keinen Respekt mehr. Daher auch die panischen Überanpassungsbemühungen der CSD-Mafia und ihrer Gefolgschaft, denen man nur zurufen kann: Es gibt nur einen Weg zur Normalität: Werdet endlich hetero! Das wäre die Konsequenz aus dem, was Ihr dummerweise immer noch für Emanzipation haltet.  
adil: was heißt denn hier normalität und hetero, was heißt hier "in einigen szenen, zb. hiphop", was soll der ganze abgrenzungsscheiß? warum könnt ihr (ich bin auch schwul, aber ich grenz mich jetz mal von den eliteschwuchteln ab) nich einfach eure sexualität als was okayes, normales durchschnittliches sehen? warum müsst ihr darauf pochen, etwas besonderes zu sein?? dieser ganze scheiß, "ich darf nich teil der hiphop-kultur sein" iss doch totaler blödsinn, die frage ist, willst du es??? dann kannst du es auch, weil du frei genug sein solltest!  
adil: schwule sind weder besser noch schlechter, sie sind einfach nur schwul und basta! und sie müssen nich den ganzen tag schlagermucke hörn, oder die 80er scheiße die überall läuft. und hiphop ist geil und das lass ich mir doch nich von irgendwelchen hetero-spießern vermiesen, nur weil die meinen, die musik würde ihnen gehören  
adil: ...und was hat schwulsein mit sozialismus zu tun? ich kann an guido westerwelle und herrn wowereit nun wirklich nicht den ansatz von sozialismus erkennen... so das wars erstmal mit meinem rundumschlag. aber wir lesen uns (das soll keine drohung sein, sondern ein angebot, mal mit einer anderen meinung zu diskutieren; für alle die jetz hier den hetero-störenfried meinen zu sehen, ich bin so schwul wie ihr alle hier,nur nich so arrogant, wie manche)  
Sascha B.: Du trägst Eulen nach Athen, Adil. Hier sind, denke ich, mehrheitlich Leute unterwegs, die sich seit Jahren dagegen wehren, dass Schwulsein ein tragfähiger gemeinsamer Nenner und in irgendeiner Weise "ausreichend" sei. Und die sich zwar in der Tat abgrenzen von einem Mainstream, aber als Linke, nicht als Schwule. Und diese Abgrenzung (obwohl auch nicht immer freiwillig) ist schlicht eine Sache von Herz und Verstand... :-)  
adil: sascha, da kann ich mitgehen, die frage iss nur, wozu dann csd?  
Sascha B.: Tja, das ist eine Frage, die ich auch nicht beantworten kann. Die "linke Berliner CSD-Opposition" hatte sich im letzten Jahr mal überlegt, eine Demo an einem ganz anderen Tag zu machen. Das fand ich einen prima Ansatz. Leider ist nichts daraus geworden...  
4+2 Verhandelte: Mit der Ankunft der s/l Massen in der Normalität, gibt es für die letzten Kampfmaschinen in Sauren-Gurken-Zeiten wie dieser nur die gesellschaftliche Anerkennung so zu nutzen, dass Ausgeschlossenere noch mit ins Boot geholt werden. Ein Wunder waren für mich die Forderungsangleichungen. Die meisten politischen Forderungen bzw. auch der politisch feinfühligere Sprachgebrauch hat sich auch bis zu den Profiorganisatoren rumgesprochen. Das Schlimmste an den linken Spinnern, die nach einem politischen CSD schreien, ist, dass sie ihn sich nicht selber organisieren möchten. Auf der hippen Anarcho- Protestwelle mitschwimmen wollen und im Zeichen des Widerstands Sex haben, so hätte man’s gerne.  
Ein linker Spinner @ "2+4...": Lieber Herr Westerwelle, hip ist im Moment leider kein "Anarcho-Protest", hip ist lediglich der kleinbürgerliche Antisemitismus in Deiner Partei. Und: was schwafelst Du von "Forderungsangleichungen"? Ein paar wenige Restpolitische (v.a. Lesben) haben im letzten Jahr durchgesetzt, dass der Mafia-CSD wenigstens verlautbarungsmässig nicht völlig la-la-la daherkommt. Dass "die Kreuzberger" es nicht schaffen, neue Formen zu entwickeln, ist ja richtig. Aber als rechter Spinner bist Du der Letzte, der von linken Spinnern etwas erwarten dürfte.