Crossover-Conference
Von Lore Logorrhoe


Die Veranstaltung platzte aus allen Nähten. Mit so einem überwältigenden Zulauf hatte niemand gerechnet. Weit über 600 Menschen kamen vom 17.-20. Januar nach Bremen zur Crossover-Conference, um "Machtnetze anzugreifen" (so der Untertitel der Veranstaltung), vor allem aber um gemeinsam über aktuelle politische Perspektiven zu diskutieren. Daneben konnte man auch viele Filme sehen und ausgiebig feiern, eine Gelegenheit, die gerade auch von den Tunten genutzt wurde, um sich in voller Schönheit zu präsentieren.

Obwohl das Ganze angesichts der Enge ein eher Schweiss treibendes Unterfangen war, ist die Stimmung allseits sehr optimistisch, wenn nicht gar euphorisch gewesen. Angeboten wurde eine breite Palette an Workshops, in denen AktivistInnen über den aktuellen Stand antirassistischer und kulturlinker Projekte informierten. Darunter waren auch viele mit queer-politischer Ausrichtung, zum Beispiel ein Workshop von Vertretern der Homolandwoche über schwule Identitätspolitik. Ausserdem war ich noch auf einem sehr gut gemachten Workshop über das Verhältnis von angeblicher Normalität und so genannter Behinderung und bei einigen Vorträgen, die sich an Hand unterschiedlicher Beispiele allesamt mit dem vielschichtigen Ineinanderwirken von Kapitalismus, Migration, Geschlecht und Sexualität beschäftigten.



Auslöser für die Orga-Gruppe, die Konferenz ins Leben zu rufen, war zunächst das Unbehagen mit den bisherigen antirassistischen Grenzcamps, die 1999 in Görlitz, 2000 in Forst und 2001 in Frankfurt am Main stattfanden. Zum einen seien dort antisexistische Fragen zu wenig einbezogen worden, zum anderen fand die Gruppe antisexistische Kritik an farbigen Männern ihrerseits wieder rassistisch gefärbt. Da die Beschäftigung mit einem Unterdrückungsmechanismus gerne dazu führt, andere Herrschaftsstrukturen aus dem Blick zu verlieren und womöglich selbst zu reproduzieren, unternahmen die OrganisatorInnen mit der Bremer Konferenz den Versuch, die verschiedenen Herrschaftsweisen zusammenzudenken: also all die grossen in der Linken an jeweils unterschiedlichen Orten kursierenden Begriffe wie: Kapitalismus, Rassismus, Sexismus, Antisemitismus, Homophobie, Zweigeschlechtlichkeit und Behindertenfeindlichkeit.

Dass sich so viele Leute für die theoretische Seite der Politik interessieren, ist zumindest neu, hat aber vielleicht mit der grundsätzlichen Ratlosigkeit in der Linken zu tun. All die dafür verantwortlichen Fragen und Widersprüche konnten natürlich nicht gelöst werden, aber die Einsicht in die Komplexität der Verhältnisse kann manchmal ja auch schon ein Fortschritt sein. Zumindest wenn sie den Anfang darstellt, um über neue und bessere Formen der politischen Organisation und Strategie nachzudenken. Ein Ergebnis war sicherlich die erhöhte Aufmerksamkeit der ganz besonderen Weise gegenüber, mit der wir als Individuen in diese Machtnetze eingebunden sind, mal als Nutzniessende, mal als Benachteiligte.

Die erklärte Absicht des Konferenz-Teams, Fragen von Geschlecht und Sexualität zu berücksichtigen, war wohl Ausschlag gebend dafür, dass unter den TeilnehmerInnen überdurchschnittlich viele Frauen, Lesben und Schwule waren. Die Atmosphäre wurde vielleicht auch deshalb überwiegend als sehr angenehm beschrieben. Für viele war es nach langer Zeit wieder eine Gelegenheit, neue Bündnisse auf ihre Tragfähigkeit und Gemeinsamkeiten auszutesten. Auf dem Abschlussplenum kamen deshalb in einer spontanen Arbeitsgruppe Schwule und Lesben miteinander ins Gespräch und auch ins Lachen.

Leider war das Verhältnis, was Nicht-Weisse und MigrantInnen betraf, nicht annähernd ähnlich ausgewogen oder auf angenehme Weise umgedreht. Vielmehr folgte es eher den in der Linken bei solchen Veranstaltungen üblichen Maßstäben. Trotzdem gab es von MigrantInnen-Seite auch Kritik an einer solch pauschalen Feststellung, denn oft sei die Anwesenheit von MigrantInnen eben einfach nur weniger "auffällig", weil sie nicht über klare, doch fragwürdige Merkmale deutlich zu erkennen seien. Schuld daran ist das Klischeebild vom "Exoten", das viele Weisse im Kopf haben.

Ein Ungleichgewicht in der Zusammenstellung des Publikums vermute ich auch in Bezug auf Angehörige der Mittelschicht gegenüber anderen sozialen Herkünften. Das äusserte sich unter anderem darin, dass Unmut über die akademische Unverständlichkeit vieler Beiträge laut wurde. Die gesellschaftstheoretischen Analysen setzten unausgesprochen oft einen bestimmten Bildungshintergrund voraus, um mitreden zu können. Um schliesslich ebenfalls dem internationalistischen Anspruch gerecht zu werden, fungierten sowohl Englisch als auch Deutsch als Konferenzsprachen. Ausserdem wurden Übersetzungen ins Französische angeboten. Erfreulicherweise kamen infolgedessen Menschen aus verschiedenen Ländern West- und Osteuropas und Afrikas.

Trotzdem sollte man sich fragen, ob gerade die autonome Linke ihre Abneigung gegenüber grösseren Organisationsstrukturen gerade dann aufgeben sollte, wenn es darum geht, Widerstand zu globalisieren. Zum Glück wurden die theoretischen Diskussionen nicht um ihrer selbst willen geführt. Ihre praktische Anwendung auf politische Strategien und Aktionsformen wurde immer mit einbezogen und zum Teil auch ausprobiert. Der Workshop von Pink Silver zu "Radical Cheerleading" setzte die Theorie auf einer Bremer Einkaufsstrasse gleich in die Praxis um und brachte choreografisch formvollendet politische Parolen zu Gehör.

Andere KongressteilnehmerInnen liessen für den Bremer Innensenator frühmorgens ein lautstarkes flüchtlingspolitisches Ständchen erklingen. Ausserdem wurden in abschließenden Workshops weitere Treffen, Diskussionen und Aktionen verabredet. Noch nicht geklärt ist die Frage, ob nun ein eigenes Sommercamp ins Leben gerufen oder lieber auf die verstärkte Teilnahme an den antirassistischen Camps, die diesen Sommer in Thüringen, Strassburg und Ostpolen stattfinden, gesetzt werden soll. Vom 19.-21. April soll es deshalb eine zweite Crossover-Konferenz geben, auf der diese Fragen geklärt werden können. Weitere Infos sowie das Bremer Tagungsprogramm mit dem dazugehörigen lesenswerten Reader können hier abgerufen werden. Ein anderer Konferenzbericht findet sich auf Indymedia.

Ina: "Abneigung gegenüber grösseren Organisationsstrukturen" Größere Organisationsstrukturen brauchen nicht nur mehr Mut, meist auch mehr Geld. Wenn man es nicht hat, müßte man es erwirtschaften, davor schreckt "das sich links schimpfende" gern zurück. Außdem gäbe es im nächsten Moment Machtvorwürfe ... . Daran krankt die Linke gern: Angst vor Größe! PS: GegenBsp: CSD ist groß (aber nicht unbedingt links) und damit leer.  
Fehlerteufel: Der Link zum Reader funktioniert nicht. Deshalb gebe ich den nochmal ein.  versuch's nochmal
Der Säzzer dieser Seite: Hm. Bei mir funktioniert der Link im Text aber... Komisch...  
rotz: Gegenbeispiel des Gegenbeispiels: Genua, Porto Alegre,Volxuniversität... Groß muss nicht immer gleich bedeutend mit schlecht sein.  
Leo: Wieviele Leute wurden erwartet? Gibt es Audiodokus? Wo liegen die Ursachen für die Aufbruchsstimmung, die Deine Schilderung andeutet? -- Mich hat der Bericht veranlaßt, nochmal einen Blick auf die Vorgeschichte zu richten. Für Interessierte hier die Links: Was bis dahin in innerlinken Diskussionen über Geschlechterrollen meistens  das Letzte Wort war
Leo: ...die  Antwort auf das Letzte Wort
Leo: ...dann waren da noch die konkreten Probleme, um die der Grenzcamp-Ansatz den linken Horizont erweitert hat. Z.B. "Während Du beim Militär bist, trifft sie sich mit dem Briefträger" -  die FA Poznan Geschichte
Ina zu rotz: Ich meinte, den Vorwurf/ Verbesserungsvorschlag von Lore "besser organisieren". Das ist mir einfach zu konsumistisch. Doch wenn etwas wie dieses Treffen besser organisiert sein soll, braucht es mehr Geld oder mehr Vorbereiter. Wenn Unterkunft/Dolmetschen/Essen etc. besser sein soll - geht das nur über Geld oder Einsatz. Ich war auch auf der Konferenz, doch kamen viele eben nur zum Hören/Schauen und Austauschen. Ich wil Lore dabei gar nicht kritisieren, sondern möchte die üblichen Probleme, wenn etwas schön werden soll nur mal herausarbeiten.  
Ina II: PS: Danke an die Organisatoren und alle, die spontan mitorganisierten. Aber diese Hilfeleistungen kann man schlecht einfordern - vor allem nicht damit langfristige Strukturen aufbauen.  
Lore: Ich wollte doch nicht die VeranstalterInnen kritisieren nach dem Motto: schlechte Orga! Das Orga-Team hat sich eh schon überarbeitet. Ich weiß aber nicht, ob hier der Konsumismus-Vorwurf irgendwie weiterbringt. Ich allein kann einfach nicht die Verantwortung für alles übernehmen. Arbeitsteilung, Institutionalisierung und Professionalisierung, das sind grundsätzliche Probleme, vor denen sich die Sponti-Linke lange gedrückt hat. Für kleine Strukturen funktioniert das Konzept: "alle machen alles" ja auch.  
Leo: Bei anderen Kongressen funktioniert das, indem sich 3-5% der Teilnehmer als Kongreßengel zur Verfügung stellen, die für das Koordinationsteam disponibel sind. Im Gegenzug für die ehrenamtliche Arbeit gibt's Freieinlaß, Verantwortung, einen extra Chillout-Raum und Applaus auf der Abschlußveranstaltung. Der Engelstatus ist für Leute interessant, die nicht zum ersten Mal dabei sind. Engel sind daran zu erkennen, daß ihr Namensschild eine andere Farbe hat. Auf diese Weise hat z.B. der Chaoskongreß sein Wachstum in den vierstelligen Bereich ohne Kostenexplosion auffangen können.  
Lore: Die Engellösung scheint mir wenig praktikabel. Engel gab es auch in Bremen. Aber Freieinlass genügt eben oft nicht als Entgelt, z. B. wenn man professionelle Übersetzer braucht.Außerdem scheint mir die "Engelrolle" nur eine verbrämte Arschlochkarte zu sein, wahrscheinlich sind es auch meistens Engelinnen.  
ein organisationselement: die orga-gruppe hat im vorfeld immer wieder versucht klarzumachen, dass es auch ohne engelInnen nicht gehen wird, spätestens nachdem deutlich wurde, dass da eher 600 als 300 leute auftauchen werden. dennoch werd ich das gefühl nicht los, dass einer menge leute in diesem teil der szene der blick für unterstützungsbedarf fehlt. andererseits war ich sehr beglückt über die wohlwollende und geduldige atmosphäre, sowohl was das tägliche chaos angeht als auch den umgang mit unterschiedlichkeiten. bleibt aber die frage, wie mensch diese erfahrungen in andere großveranstaltungen hineinträgt, die keinen "antisexistischen konsens" auf ihren fahnen stehen haben.  
ein organisationselement: ... bzw. wo ein großteil der leute, die ein interesse an antisexistischer politik haben, nicht (mehr) hinfahren, weil sie sich in den strukturen per se nicht wohlfühlen (ja, ich rede auch vom grenzcamp). dabei wäre es wichtig, die verknüpfung von antisexismus und antirassismus hat als politische praxis noch nicht wirklich stattgefunden.  
Berlin, 19.-21.4. Crossover Seminar: Von Freitag abend bis Sonntagnachmittag u.a. mit Auswertung der Bremer Konferenz, Arbeitsgruppen zum Thema: Machtnetze verstehen und zukünftigen Projekten und Kampagnen. Programminfos unter: +49.(0)30. 61625909 oder www.summercamp.squat.net (Veranstaltung des Bildungswerk Berlin der Heinrich-Boell-Stiftung)  
antipat sein is nich genug: bedauerlicherweise stolperte ich erst jetzt ueber diesen bericht! erstaunlich ist, das hier -wie auch in bremen- genau nicht ueber sexismus diskutiert wird, geschweigedenn ueber die verknuepfung sexismus-rassismus. spannend waeren auch noch die links zu allen anderen camp2000sexismus streitigkeiten. es beschraenkte sich ja nicht auf die fapoznan...  
der Winker mit dem Zaunpfahl: @a.s.i.n.g.: Eigentlich fand ich es ganz gut, dass etuxx sich erst mal allgemein dazu äußerte. Da ich die immer nach Artikel und Diskussion schreiende Red. kenne, wage ich für sie zu fordern und zu behaupten: Für eine Diskussion bedarf es mehr als der zwei Worte Rassismus und Sexismus. Eine grundlegende Behauptung, eine Arbeitsthese muss her. PS: Habe ich irgendwie auch nicht mehr als "Vorbereitungstexte" gelesen. Früher war ich mal auf einer Homolandwoche, da gab’s danach vieles teilweise aufbereitet als Artikel in der Tuntentinte. Auch, wenn das jetzt schon wieder Orga ist, so eine nachträgliche Reflexion täte der Konferenz gut.  
der Winker mit dem Zaunpfahl: @a.s.i.n.g.: Aber vielleicht mahlen die etuxx-Mühlen ja längst - und uns wird in der nächsten Ausgabe so was präsentiert. Fänd’ ich jedenfalls gut, da ich auch nicht in Bremen war, und da ich nicht auf Indymedia diskutieren möchte, da sind mir immer zu viele bissige Hunde unterwegs – hier tummeln sich die Studenten, wie es immer so schön heißt – und, wenn’s so "intellell" zugegangen sein soll in Bremen, dass mancher gar nicht mitgekommen ist, ist hier ja der richtige Platz.;-)