Beim Schreiben des Artikels "Ohne Knüppel gegen Nazis" in der letzten Etuxx-Ausgabe bin ich auf ein Problem gestoßen, für das ich keine Lösung finde - weshalb der Artikel noch immer nicht fertig ist. Mein Problem heißt:

Achtung, Polizei!
AutorIn: Marcie


1. Der Polizist als Popanz

Stell dir vor, an deiner Straßenecke steht eine Gruppe Faschos einfach nur rum. Sie haben Keltenkreuze, Reichsflaggen, Kettenhunde, aber sie tun nichts, was dir einen Grund zum Eingreifen geben würde. Noch nicht. Aber wenn du weg bist, liegt vielleicht plötzlich jemand tot am Boden. Wer könnte die Gefahr bannen?

Nehmen wir mal an, eine Antifa täte das. Das wäre, sagen wir's ruhig unerschrocken, die Stufe der Bürgerwehr. Betroffene trauen nicht länger dem Staat und sorgen selbst für ihre Sicherheit. Diese Antifa müßte sich dann irgendwann legitimieren, müßte sich kontrollieren lassen - spätestens, wenn aus Unachtsamkeit oder Unwissen die ersten Unschuldigen kujoniert werden. Liefe dieser Prozeß lange genug, hätten wir am Ende einfach eine neue Polizei statt der alten. Selbsthilfe löst also, auch als Gedankenspiel, nicht unser Problem.

2. Der Polizist als Bullenschwein

Rufen wir die Polizei. Die Polizei, die mir auf der Anti-Nato-Demo aufs Maul haut, weil ich 20 Zentimeter zu weit auf der Fahrbahn stehe (zugegeben eine Gesetzesübertretung), die aber auf der Fascho-Demo großzügig hinwegsieht über Hitlergrüsse, Hakenkreuze und Horstwessellieder - ebenfalls samt und sonders Gesetzesverstösse.

Nun nimmt jeder für sich das Recht in Anspruch, auf dem Job auch mal mies drauf zu sein, und nicht jeder Anordnung des Chefs im Detail nachzukommen. Stell dir Menschen in miserabel bezahltem Schichtdienst vor, die dabei auch noch gelegentlich unter Lebensgefahr agieren. Kein Wunder, daß einige tun, was du tust - Frust rauslassen. Der Polizist als arme Sau, der den letzten Rest Lebensfreude aus der Erniedrigung von Leuten bezieht, die sich keinen Rechtsanwalt leisten können. Das kann man nicht abstellen. Dafür muß man sie aber zur Rechenschaft ziehen können. Jedoch hat das Schwein-sein in diesen Fällen nichts mit dem Bulle-sein zu tun. Das Bullenschwein ist also ein gescheitertes Genexperiment.

3. Der Polizist als Büttel

Polizisten zählen, überall auf der Welt, nicht zu den Herrschenden. Es gibt eine unendlich lange Liste von Militärs, die Politik betreiben. Juristen in der Politik sind der Standard. Aber mir fällt kein einziger in- oder ausländischer Politiker ein, der aus der Polizei gekommen wäre. Polizisten läßt man nicht hochkommen. Niemand liebt diese Leute, denn jeder kann ihr Opfer werden.

Dafür hat die Polizei als Miliz, als soldatische Unterdrückungsmacht eine lange Geschichte. Weimarer Polizisten funktionieren problemlos im dritten Reich als Säuberungsbatallion, funktionieren dann im kapitalistischen Westen wie im sozialistischen Osten, um schließlich genauso problemlos von dort wieder in den Westen integriert zu werden. Das geht, denn der Polizeistaat wird nicht von Polizisten gemacht. Was immer der jeweils herrschenden Kaste unliebsam ist, wird zuerst sorgsam kriminalisiert. Und dann verrichtet der Polizist seinen Dienst als Büttel. Das erklärt also meine Demo-Erfahrungen.

4. Der Polizist als guter Mensch

Sind Polizisten mit politischem Bewußtsein wünschenswert? Wohl eher nicht. Stell dir vor, auf deinen Anruf hin erschiene an der Ecke ein Polizist der stalinistischen Plattform, der dich wegen abweichlerischer Tendenzen erstmal zur Belehrung mitnimmt, denn seiner Meinung nach muß erst in den eigenen Reihen Ordnung geschaffen werden, bevor man die Faschos angehen kann. Na gut, es muß ja keine Theorie sein. Vielleicht einfach Mitgefühl oder gesunder Menschenverstand. Nun ist gesunder Menschenverstand nur die Kehrseite des gesunden Volksempfindens, und Mitgefühl ist nicht verhandelbar. Nehmen wir als Beispiel einen der zahlreichen guten Polizisten aus Literatur und Film, nehmen wir Kommissar Maigret aus dem Land der groben Flics. Wie ginge Maigret mit unserer Gruppe Faschos um?

Er würde sie beobachten, ihre Lebensumstände analysieren, er würde etwas über ihren Werdegang und die Menschen hinter den Masken in Erfahrung bringen. Am Ende ließe er dich und die Welt mit Mitgefühl für die Faschos zurück. Nein, von guten Menschen als Polizisten träumen wir weiterhin besser in Büchern und Filmen. Mitgefühl kann sich ein echter Polizist auch gar nicht leisten - er ist dann einfach nicht mehr Polizist und ein anderer übernimmt seine Aufgabe. "Die Polizistin" ist ein sehr schöner Film über dieses Problem.

5. Der Polizist als Roboter

Es ist das im Idealfall vollkommen unpersönliche, das Polizisten für die Gesellschaft erträglich macht, und den Dienst für die Polizei. Ein guter Polizist ist dann einer, der durch sein Unmenschlichkeit auffällt. Roboterhafte POMs in gebügelten Uniformen. Harrys, die schon mal das Auto holen. Man hält alles persönliche raus, und verhält sich hyperkorrekt. Das ist der Ausweg vieler Polizisten, und das ist auch nach allgemeinem Bekunden der sicherste Umgangston im Kontakt mit ihnen, (wenn man nicht über anderweitige juristische Machtmittel verfügt). Die entscheidende Instanz ist dann das Gesetz, an das sich alle halten. Diese Einstellung ist geradezu prädestiniert für den Einsatz des Polizisten als Büttel - trotzdem ist sie aus Sicht des Bürgers die bestmögliche Variante.

6. Der Polizist als großer Bruder

In unserer Ausgangssituation wäre das hyperkorrekte Verhalten, umgehend bei der Polizei Anzeige zu erstatten. Anzeigen sind jedem, gleich welchen Alters und welcher Nationalität, jederzeit möglich, und haben für den Anzeigenden keinerlei negativen Folgen. Sie können und sollen auch anonym erfolgen, haben aber sehr viel größeres Gewicht, wenn man sich gleichzeitig als Zeuge zur Verfügung stellt. Erst der sogenannte Strafantrag ist eine konkreter Auftrag an die Polizei, bestimmte Dinge in deinem Auftrag zu verfolgen. Anzeigen liefern korrekte Statistiken, und gerechter weise muß man anmerken, daß empfindliche Verurteilungen von Faschos aufgrund solcher Anzeigen erfolgen.

Nur hat eine Anzeige manchmal auch gar keine Folgen. Es liegt im Ermessen der diensthabenden Polizisten, was sie und wie sie es verfolgen. Tauchte eine Streife auf und würde die Faschos in freundlichem Gespräch ermahnen, doch bitte keinen Unsinn zu machen, um dann wieder zu verschwinden, ich würde mir wahrscheinlich in den Arsch beißen.

7. Der Polizist als geistige Prüfung

Aber mein Problem ist ein anderes: das Propagieren von Anzeigen wäre auch der Beginn des Spitzelstaates der Blockwarte und Gruppenleiter. Ich habe mal als Kind Lino Ventura in einem Gangsterfilm sagen hören "Das größte Schwein im ganzen Land ist und bleibt der Denunziant." Das hat tiefen Eindruck auf mich gemacht. Leute, die Anzeigen bei der Polizei aufgeben, sind für mich grenzenlos uncool. Denn ein bißchen Gesetzesübertretung muß sein, damit wir unseren Nachbarn trauen können.

Deshalb weis ich nicht, was ich tun soll, wenn ich Faschos an der Straßenecke sehe. Was kann ich tun, wenn sie nichts tun? Wenn sie einfach nur provozieren? Wo ist die Grenze, an der ich mich in einen antifaschistischen Roboter verwandle, der eiskalt Hitlergrüsse, Hakenkreuze und Horstwessellieder verfolgt - dabei aber sein Selbstbild opfert? In solchen Momenten imponieren mir dann Lichterketten und Bürgerbewegungen. Diese Leute nehmen es für ihre Überzeugungen in Kauf, grenzenlos uncool zu sein. Woher nehmen die nur die Härte ....

"Es gibt Dinge, die man nie tun würde, hätte man nicht einen Polizeiausweis in der Tasche.
Was übrigens oft eine billige Ausrede darstellt
- für diejenigen, die diesen Ausweis nicht haben, meine ich natürlich." (Xavier Hanotte)


Polizei als Büttel   Polizei als Bullenschwein   Polizei als großer Bruder
g-w-g`: In letzter instanz ist und bleibt der polizist teil des repressiven staatsapparats. er dient der dem schutz und der absicherung des wertgesetz. da können wir noch soviel verständnis für seine individuelle psyche entwickeln.  
Saskia: Da hast Du wohl recht. Nur nimmt er entgegen alter linker Mythen im Staatsapparat keine Schlüsselstellung ein. Sondern eine Büttelstellung (watt'n Wort). Wer sich auf Demos mit Bullen kloppt, handelt durchaus im Sinne des Staatsapparates - denn zum Knüppeln sind Demo-Bullen ja da. Es gibt übrigens ziemliche Unterschiede zwischen z.B. SEK und sagen wir mal Verkehrsstreife.  
Saskia: Gegen den "Bullen im eigenen Kopf" tritt ja Pink Silver an. Hab grade versucht, mir vorszustellen, wie das an der Strassenecke mit den Faschos käme. Aber puuh, ich weis nich, wie das ausgehen würde  Pink Silver Interview
willantwort@g-w-g': Und? Würdest Du Faschos bei beim repressiven Staatsapparat anzeigen?  
g-w-g`@willantwort: dir klassenjustiz bietet möglichkeiten die man nicht unterschätzen sollte. ein rsa mit sich explizit als faschos defienierenden polizisten oder menschen die sich auf dem ambivalenten boden der fdgo ist ein unterschied, den man spürt. ich glaube das können viele menschen die genua waren bestätigen. von daher ein ja. oder war die frage anders gemeint?  
willantwort: Nee, so war sie gemeint. Aber ich bin ja der meinung, daß der unterschied letztendlich unerheblich ist. weil die bullen ihre befehle von oben kriegen.  
rin: Angenommen, Ihr Schlauberger, macht eine Party, auf der bestimmte Leute nicht da sein sollen, z.B. Nazis. Wer macht Euch den Rausschmeißer? Wenn die Exekutive selber "bereitgestellt" wird, gibt es genau so viel Willkür, wie beim Polizeieinsatz. Türsteher oder Kiezmiliz (siehe Angriff auf schwule Glatzen) stehen vor den gleichen individuellen Entscheidungen, deren man sich weiter oben in dieser Diskussion nicht annehmen wollte. Die Gesellschaft, so wie sie ist, braucht "REGULIERER". Gibt es sie nicht, setzen sich die Stärkeren durch.  
rin: Besonders beliebt: "unsere" Räume, ja wer bestimmt da? In unseren Räumen gibt es Pädophilie, Vergewaltiger u.u.. Nein, wir gehen nicht zur Polizei. Das sind die schlimmsten, sie repräsentieren den repressiven Staat. Wir regeln das selber, halten unsere Räume sauber, schmeißen Vergewaltiger einfach raus. (Bzw. wir rufen danach!) By the way: Schengenland schmeißt auch einfach raus, wer sich nicht ... aber das ist ein anderes Thema. Wir bauen uns unsere eigene Polizei, die das entsprechend regelt oder eben auch nicht. Wir haben unsere eigenen Büttel!  
zimt und zunder: Es ist in beiden Fällen die Ohnmacht, die wir spüren, egal ob gegenüber dem eigenwilligen Türsteher (dessen Politik wir auch nicht verstehen) oder den Polizisten. Unsere Gesellschaft (das Zwischenmenschliche daran) ist leider so krank oder wie wir es auch immer bezeichnen wollen, dass wir anders die Konflikte nicht mehr (oder kaum) gelöst kriegen. Und Marci hat sehr recht, wenn er verschiedene Seite der "Bullen" beleuchtet. Nach einem Verkehrsunfall mit einem Mitglied der "Hells Angels" bin ich froh, dass unserer eventuellen Meinungsverschiedenheiten, nicht 1:1 ausgetragen werden, sondern erst mal die Polizei sich der Sache annimmt. Der gleiche Bulle bahnt, mich knüppelnd, der NPD den Weg.  
Klostein: "Mit Polizisten redet man nur wenn man auch wirklich muss." Das haben mir meine Eltern schon als kleines Kind eingebleut, bin bis heute gut damit gefahren.Beim Link gehts um die zürcher Bullen. Diese Seite soll wegen "Darstellung von Gewalt" gesperrt werden (Strafanzeige läuft...)  http://PigBrother.hirnfick.com/
Leo: Ich staune fast, daß sich hier noch keiner als Polizist geoutet hat. Auf indymedia diskutieren Einzelpersonen von der Polizeibasis mit.  So sieht das dann z.B. aus
Aktualisieren: Hier haben sich manche schon lange als Polizisten geoutet. Bei der kleinsten Ordnungswidrigkeit sind die Kommentare in uniformem Denken doch sofort da - wenn nicht direkt die ganze Seite vorläufig erschossen, pardon, geschlossen wird.  
Luise: Die Polizei ist dazu da ohne grosses Nachzudenken das umzusetzen, was die Regierung (in Form von Gesetzen) befiehlt. Insofern ist das wohl ein kleiner Unterschied zwischen Antifas und Polizei, oder??? Polizisten werden dich eben auch zusammenprügeln, wenn sie totalitaristische Gesetze oder rassistische (wie z.B. bei Abschiebungen) umsetzen sollen, also bitte etwas mehr differenzieren bittäää!!!  
Sascha B.: Kleiner Einwand, Luise: den Verlauf einer Demo z.B. bestimmen zum wenigsten die Gesetze, sondern die Vorgaben der Polizeiführung (in Absprache mit deren politischen Vorgesetzten). "Konfrontations-" oder "Deeskalationsstrategie" - das ist keine Frage von Gesetzen. Und noch weniger sind es die "akuten" Entscheidungen der Polizeiführung vor Ort. Die aber bestimmen wirklich darüber, wie z.B. eine Demo verläuft. Der Spielraum von Polizeieinsätzen ist erheblich!  
Marcie: Luise, das ist natürlich ein Unterschied. Mein Gedankenspiel wollte nur sagen: wenn man das Gesetz selbst in die Hand nimmt - wird man eben selbst zur Polizei. Es gibt garkeine Alternative zur Polizei.  
Marcie: Eine zeitlang fand ich es komisch, daß sich selbst zu den Hochzeiten der Theoriebildung niemand in der Linken über Alternativen Gedanken gemacht hat. Bis mir klar wurde, daß sich die ganze Welt seit 100 Jahren Gedanken macht - wenn man die überbordende Krimiliteratur so liest.  
Leo: Wenn ich noch so denken würde wie Du, würde ich mich bei der Polizei bewerben oder noch besser einen Polizisten heiraten. Frag Dich bitte mal, ob Du wirklich zu den Leuten gehörst, für die der einzige Grund, nicht zu morden, zu brandschatzen und zu vergewaltigen der ist, daß es verboten ist und welche Verhältnisse solche Leute produzieren. Eine polizeifreie Gesellschaft muß natürlich in vielerlei Hinsicht anders gestaltet sein. Z.B. sind 75% der Straftaten Eigentumsdelikte und könnten bei sinnvollen Änderung der Eigentumsordnung entfallen.  
Leo: Die heutige Gesellschaft kann ohne Polizei nicht stabil existieren, da hast Du ganz recht. Aber das ist die "Stabilität" eines einsturzbedrohten Hauses, das nur noch durch eiserne Klammern zusammengehalten wird. Die Wahrheit ist, daß die Formierung von Gewaltmonopolen das (Un-)Recht des Stärkeren nicht bändigt, sondern reproduziert. "Es gibt keine Alternative zur Polizei"? Ich kann mir durchaus  was Besseres vorstellen.
Marcie: Ick fühl ma nich widalegt.  
Die dumme Glatze: @ Leo: genau das ding mit dem eigentum hatte schon ulbricht erkannt: "aus unseren betrieben ist noch viel mehr rauszuholen!" und die bewusstseinstragende klasse der werktaetigen arbeiter und bauern hat das auch richtig verstanden...  
Übeltäter: Ich hab gerade Strafe zahlen müssen, weil ich niht angeschnallt war, das ist scheisse ! Vielen Dank an die Polizei, dass sie mich darauf Aufmerksam gemacht hat und mich 30 € zahlen ließ.  
Robert M.: Oh, dieser Foo wurde vergessen zu schliessen, na dann mach' ich's jetzte am 1.6.