Siegen - eine Kleinstadt stellt sich vor
oder stellen Sie sich vor, Sie wären in Siegen offen schwul und gegen den Krieg in Afghanistan.


von Robert M.

Ein schwuler Lehrer in Siegen, Bernhard Nolz, wurde vorläufig vom Dienst suspendiert, weil er bei einer Trauerfeier für die Opfer des 11.Septembers unter dem Motto: "Gegen Terror, Gewalt und Krieg" Krieg als Antwort auf die Terroranschläge nicht gut fand und die amerikanische Politik kritisierte. Ganz recht, Sie vermuten richtig, dass seine Homosexualität mit seiner pazifistischen Haltung erst mal nichts zu tun hat und eigentlich nicht im gleichen Atemzug erwähnt werden müsste. Dem ist leider nicht so, denn wir haben die CDU und wir haben mit Siegen eine Hunderttausend-Einwohner-Stadt vor uns.

Der Berliner Teppichhändler mit seiner Katja konnte noch vor kurzem im Berliner Wahlkampf nicht gegen den Schwuchtelbürgermeister mit family values ankotzen, aber auf dem Land, dem Sieger Land lässt sich so leider noch ein Blumentopf gewinnen.

Ich als unbedarfte Metropolenschwuchtel mit dem Hang zum Kochtopf und zur Netzlaufmasche, dachte ja bis vor kurzem, Siegen sei d i e intellektuelle Schwuchtelhochburg Südwestfalens. Wohlklingende Namen (für die auf etuxx ständig vermuteten Studenten) wie der einzige deutsche Lehrstuhl für Homosexualität und Literatur befinden sich dort. Und sind die Studenten erst mal dort, müssten sie ja in subkulturellen Cafés und ähnlichem nisten, dachte ich mir. Das Siegener Archiv "Rosa Flieder" für Printprodukte der Subkultur und Community ließe sich mit ein paar mehr Spenden-Euro zum deutschen HOMODOK (Homodokumentations-zentrum in Amsterdam) samt Nachlaßverwalter der niedergegangenen Berliner lesbisch-schwulen Presseschau ausbauen. Aber ich wohne in der Nähe von Friedrichshain, da hat man andere Sorgen und malt sich sein Bild vom schwulen Siegen.

Doch Träumer werden jetzt wachgerüttelt. Ich fasse schnell zusammen: Eingangs erwähnter Nolz, Bernhard soll John Lennon ähnlich sehen, wegen seiner Nickelbrille, so zu mindest Frau Bollwahn de Paez Casanova (was für ein Name, den musste ich jetzt endlich mal zitieren!) in der TAZ. Sie beschreibt den 57-jährigen mit ein bisschen Friedenssymbolik und zitiert das Umfeld "Peacemaker" und "Friedensheini", jetzt sollte man sich ein Bild machen können vom Deutsch- und Geschichtslehrer Nolz. Nebenbei Vorsitzender Initiative Pädagoginnen und Pädagogenfür den Frieden, Berater für Kriegdienstverweigerer und und und.

Die Schüler der Siegener Gesamtschule hatten den Peacenik als Redner für den Trauerakt angeheuert, weil sie selber am 18. September noch keine Meinung hatten, die sie öffentlich machen wollten, aber olle Nolz gebeten, nur zu gedenken - nicht aber auf die Politik einzugehen.

In der Rede konnte und wollte Nolz es nicht lassen, die Kinder verbal davon abzuhalten, Kriegsdienst zu leisten. Später wurde das Wort von den Schülerzeitungen noch einmal verdreht, es hieß dann Aufforderung zur Verweigerung des Wehrdienstes. Dann kam die Presse von Monitor (ZDF) über Taz und FAZ bis hin New York Times. Alle wollten die Exklusiv-Story aus Siegen "Ein Lehrer lehnt sich auf!" Die Schülervertreter erinnert sich diffus an Galileo Galilei – nur interpretierten Sie Brecht falsch. Sie forderten Nolz auf, öffentlich zu widerrufen. Da den Schülerinquisitoren die Machtmittel fehlten, blieb Nolz bei seiner Meinung.

Der Eklat war da, die Schulleitung beurlaubte Nolz. Der Siegener CDU Bundestagsabgeordnete und Major der Reseve Breuer fragt offiziell den NRW-Chef Clement, weshalb jemand wie Nolz als geistiger Umweltverschmutzer wirken dürfte und vom Land Geld bekäme. Das bezog sich auf die von dem CDU-Mann, der im übrigen während des Golfkriegs die amerikanische Flagge in seinem Schrebergärtchen hisste, auf die ausgemachten Nolz’schen Verflechtungen. Denn die "Friedenspädagogen"(Nolz ist da der Vorsitzende) haben ihre Geschäftsstelle auch im Siegener Zentrum für Frieden, welches finanzielle Mittel vom Land NRW erhalte. Von der Internetpräsenz gäbe es Links zu nadir und der Major interpolierte seine Erkenntnisse zu einer "unheimlichen Allianz der Terroristen" und informierte den Staatsschutz.

Und ich muss aufhören, von Siegen als intellektuelle Schwulenhochburg zu träumen. Die Siegener Piefigkeit erreichte ihren aktuelle Höhepunkt in der Stellungnahme eines Elternvertreter, der Nolz erklärte, es sei kein Wunder, dass er in Schwierigkeiten käme, bei seinem Lebenswandel. Der Lebenswandel bezog sich auf seine Homosexualität, wie er gegenüber der Siegessäule bestätigte.

Auszug aus dem Original-Wortlaut der Rede:
"... Es darf kein Klima des Hasses und des Misstrauens entstehen. Ich habe die Siebzigerjahre erlebt. Da waren es die RAF-Terroristen, die mit ihren Gewalttaten die Herrschaftsverhältnisse in Deutschland ändern wollten. Wie heute schlug der Staat damals mit Gesetzesverschärfungen und harten Strafen zurück - und traf auch viele Unschuldige . . . Vielmehr sind Besonnenheit und Mäßigung gefragt, um die Spirale der Gewalt zu stoppen! Wir verweigern uns der Gewalt und dem Krieg! . . . Euch, ihr Schüler, rufe ich auf, wenn ihr wehrpflichtig werdet, den Kriegsdienst zu verweigern. Damit setzt ihr ein Zeichen für den Frieden. Und ihr, Schülerinnen, ihr könnt euern Freunden zum Zivildienst raten, weil sie dort lernen können, wie man helfend und wertschätzend miteinander umgeht.
Seit vielen Jahren beeinträchtigen die USA die Arbeit der Vereinten Nationen. Das reichste Land der Welt kommt seinen finanziellen Verpflichtungen nicht nach. Derselbe Staat stellt jetzt 40 Milliarden bereit, um aufzurüsten . . . Hilfsorganisationen und Friedensdienste sollten in die Krisengebiete geschickt werden. Give peace a chance."


So rauschte der Blätterwald:     Siegener Zeitung 2.10.     Siegener Zeitung 23.10.     TAZ vom 6.10.

Onan's produktiver Vorschlag: Ich schlage einen Verein der Siegerland-Geschädigten vor, nach dem Vorbild des Vereins der BILD-Zeitung-Geschädigten (den gibts wirklich). Ich stamme zwar - der Göttin sei gedankt - nicht aus dem Siegerland, kenne aber einige, die da beherzt mitmachen könnten. Den Vorsitz könnte ja Herr Nolz übernehmen. Erste Aktion wäre die Besetzung des militanten Christensenders ERF (Evangeliumsrundfunk) im nahegelegenen Wetzlar.  
die skepsis selbst: hm, hab den monitor-bericht gesehen, und da war von nolzens homosexualität nur insoweit die rede, als eine idyllische wohnzimmereinstellung mit seinem literaturprofessorgatten popp gezeigt wurde und der als "lebenspartner" benannt wurde. dass sein schwulsein in der kriegsdiskussion ne rolle gespielt hat, haben sie nicht berichtet. und hätte sich monitor das entgehen lassen, wenn da was entscheidendes dran wäre?? muss man denn hier seine skandalöse rolle als pazifist gleich wieder weginterpretieren, weils ja eigentlich doch nur um homophobie geht? wahrscheinlich ist schröder-fischer deshalb für den krieg, ums den alten schwuchteln mal so richtig zu zeigen....  
lesen, nicht nur glotzen: und laut taz-artikel ist der nolz eh nur pazifist geworden, weils ihm (wie wir besser wissen: als schwuler) beim bund nicht gefallen hat. womit sich der kreis dann doch wieder schliesst!  
InfoHasi: Da es sich um die aktuelle Sendung handelt, kann mensch noch bei Monitor (übrigens ARD!) nachgucken. Der Bericht ist im Textformat, als PDF und/oder als Video zu konsumieren unter der Überschrift "Tatort Schule: Berufsverbot für Friedenspädagogen", die  Linkadresse!