Ficken mit Charlotte von Mahlsdorf oder
Das Loch hinter dem Durst nach Dunkel

Unsere Korrespondentin für Postperverse Peripherien berichtet über eine unheimliche Begegnung der dritten Art in einem Berliner Fick-Club.

aus Berlin Brenda von Strick am Barren

Stellen Sie sich vor, Sie haben wieder einmal eines dieser schwulen Etablissements aufgesucht, von denen Sie nur ungern zugeben, dass Sie sie aufsuchen und für deren Existenz wir von unseren heterosexuellen FreundInnen so oft beneidet und von unseren lesbischen Mitkämpferinnen so oft verachtet werden. Es ist einer jener Unorte, an denen sich - danach gefragt - eigentlich nie jemand jemals aufhält.

Gedämpftes Licht und das übliche House-Gedudel lassen die Konturen der Suchenden verwischen und übertönen die Geräusche der Liebenden. Es ist heiß. Irgendwo klappert immer wieder der Getränkeautomat. Die anderen Tucken machen auf Macker, lehnen lässig an der Wand, sitzen auf vereinzelten Hockern, sie schlendern, kreuzen und queren, werfen verstohlene Blicke oder eine Zigarette, bücken sich zu den Löchern in Schwanzhöhe, um einen gierigen oder gähnenden Blick auf das zu werfen, was in der Kabine nebenan gerade vor sich geht.

Jede versucht auf ihre Weise möglichst cool und desinteressiert und damit attraktiv zu wirken. Nur wenn der Summer geht, synchronisieren sich die Blicke Richtung Eingangstür. Wenige stehen in Zweier- oder Dreiergrüppchen und bringen durch ihr Geschnatter die Tunte in sich ans spärliche Licht - die Tunte, die sie gerade hier eigentlich lieber zu verbergen suchen. Remember: Dicke, Spinner und Tunten zwecklos...

Suddenly enter: Charlotte von Mahlsdorf. Stellen Sie sich das vor! Gerede und Musik verstummen in einer Mischung aus Ehrfurcht und Erschrecken, die demütige Stille wird durchschritten vom schwarzen Gewand der von Mahlsdorf. Nachdem sie in der ersten Kabine verschwunden ist, entstehen rings herum Nester von Getuschel. Nach einer Weile kommt Charlotte wieder heraus, dreht ein oder zwei Runden, um dann abermals hinter einer Kabinentür zu verschwinden. Wartet. Und so fort. Ihnen, liebe Leserin, schießen sofort vor allem zwei Gedanken durch den Kopf. Erstens, was für eine Story das gibt - Sex mit einem Promi! Zweitens, merde, hätte nicht jemand Geileres reinkommen können...

Denn jemand über siebzig scheidet aus für Sex, seien Sie ehrlich! Ihr Beuteraster deckt andere Merkmale. Und daher machen Sie es wie alle anderen auch: Wenn Sie die von Mahlsdorf in der Kabine gegenüber entdeckt haben oder vermuten, huschen Sie schnell weiter. Lieber doch nicht, denken Sie. Aber jedesmal werden Sie ein wenig unruhiger. Denn: Eigentlich hat sie das nicht verdient. Charlotte. Den ganzen Abend allein zu bleiben, allein im Dunkel. Unwillkürlich laufen Szenen aus Harold and Maude vor Ihrem inneren Auge ab. Respekt befällt Sie. Sie rechnen. Wie viele Jahre noch, bis auch ich...
Und ehe Sie sich umsehen, ist es auch schon passiert! Haben Sie es gemerkt? Identifikation! Genau. Auf einmal ist nicht mehr klar, wer da ausharrt jenseits des Loches. Wer da wartet im Dunkel.

Es ist wie in einem Traum. Plötzlich und unerwartet - eine Erscheinung. Vergewissern! Ein Blick durch das Loch. Charlottes schwarzes Kleid verwebt sich mit dem Dunkel. Bin ich es, die da schaut, ist sie es, die da will? Sie sind sich nicht mehr sicher: Ist die von Mahlsdorf wirklich da? Haben Sie sich das nur eingebildet? Eine Halluzination? Jemand anderes könnte bezeugen, aber Sie möchten das mühsam aufgebaute Image nicht durch eine peinliche Frage gefährden. Sie warten. Sie denken nach. Sie fragen sich, ob vielleicht ein anderer diese einmalige Chance zu besser zu nutzen weiß.

Jenseits des Loches lümmelt sich die Lust. Auch die eigene. Bei jedem anderen Gegenüber checken Sie nur ab: Will ich oder will ich nicht? Deckt sich die Fantasie, wegen der Sie hierher gekommen sind mit dem, was sich dort hinter dem Loch verkörpert? Heute ist alles anders. Sie stehen an die Wand gelehnt, die Zigarette brennt herunter, was wollte ich hier eigentlich. Das ist wahrlich befreite Sexualität! Jede hat die Freiheit, etwas zu begehren. Sie möchten gerne wissen, was die von Mahlsdorf begehrt. Ob sie leidet in ihrer Lust, an ihrem Verlangen, an ihrem Durst. Oder ob sie Spaß dabei hat, ein bisschen Jüngere gucken und so. Ob das ein Trick ist. Ob es vielleicht irgendwo eine versteckte Kamera gibt.

Und was war es, das uns trieb, Sie und mich, hierher zu kommen? Von der Charlotte wußten wir nix. War es das Verlangen nach der Erwartung? Nach dem Unbekannten? Nach dem Nichtwissen - wer oder was?

Verwirrt verlassen Sie schweigend das Etablissement. Gehen Sie ruhig! Ich komme gleich nach.