United Colors Of Verquickung
von Robert M.

die Benetton Werbekampagne "Tabu bedeutet Macht: Wer es bewusst einsetzt oder bricht, hat die Macht in der Hand." (Harriet Webster)

Zum Verständnis: Tabu kommt aus dem Tongaischen (polynesische Sprache in Tonga) und bedeutet so viel wie: genau markieren oder kennzeichnen. Religionsnah bezeichnet es alles Heilige, Geweihte. Des weiteren wird mit dem Wort etwas mystisch Unberührbares, Gefährliches, Unreines oder Peinliches in Verbindung gebracht. Tabus reflektieren die Mentalität und die Werte dieser Gesellschaft. Dieser ungeschriebene Gesetzeskodex erzeugt im Falle seiner Übertretung Scham und Peinlichkeit, Aufsehen, Angst, Entsetzen und Schuldgefühle.

Die Firma Benetton prägte quasi Schockwerbung, was inzwischen ein eigenes Genre ist. Die Plakatmotive haben nichts mit den Produkten zu tun, sondern inszenieren Entsetzen, Unbehagen und die Verletzung von Intimsphären.

Gerade angelaufen ist eine neue Imagekampagne, in der unter anderem zu sehen sind: ein Afghane als ehrenamtlicher Leiter des Flüchtlingslagers in Pakistan, ein Transvestit, der als freiwilliger Streetworker Kondome an Prostituierte verteilt. Eine aus Afghanistan geflüchtete Frau kümmert sich um behinderte Kinder in einem pakistanischen Flüchtlingsdorf. Eine Seniorin aus den USA tritt als ehrenamtliche Stepptänzerin in Altenheimen und Krankenhäusern auf. Eine Schweizerin betreut Straßenkinder in Guatemala.

"Wir machen kein High-Tech-Produkt. Darum ist es wichtig, dass Menschen, die nicht unsere Pullover und Röcke kaufen, über Benetton sprechen." (Benetton)

Unter dem Deckmantel der Moral ("Schaut hin, wir sprechen Missstände der Gesellschaft einmal an!") wird die Sensationslust der Menschen und das Leid Dritter kommerziell ausgenutzt. Werbung wird - wie Kunst - entfremdet und ästhetisiert - und damit das Leid der Opfer (bei Bennetton gab es noch nie Täter).

Tabubrüche generell abzulehnen ist quatsch, jedes Fick-Inn vor dem Dom zu ... bedient sich dieser Grenzüberschreitung. Eigene sexuelle Tabubrüche brachten "freiere" Sexualität, und doch unterscheiden sich Benetton und ein Coming out. Während die Palette der eigenen Coming-Outs (das erste Mal Stiefel lecken, das erste Mal in Klamotten des "anderen" Geschlechts, das erste Mal ... alles Tabubrüche sind, die ich mit mir klar machen muss, drängelt sich Benetton mit Penetranz von außen in mein Hirn. Ohne zu fragen. Von Plakatwänden werde ich permanent geschockt, indem meine "untersten Gefühlsebene" (ich kann das nicht ignorieren) die Türen für die Implementierung des Namens "Benetton" sperrangelweit offen hält.

Und zurück bleibt stets dieses zwiespältige Gefühl, der Bewunderung einerseits und Ablehnung andererseits: Es ist gut, dass im vorweihnachtlichen Warenrausch Probleme dieser Welt zwischen die Dekoration in den Schaufenstern rutschen. Menschen, die sich einer Auseinandersetzung mit Problemen dieser Art verweigern, werden dabei gestört, sich im Kaufrausch mit Waren zu betäuben. Andererseits benutzt Benetton als scheinbarer "Erinnerer an das gute Gewissen" Mitleids-Gefühle, um mehr Pullover zu verkaufen. Einerseits finde ich es gut, dass Missstände nicht nur auf Plakaten in der Kneipe "Zum linken Eck" mahnen, sondern sich auch in den Illustrierten den "Affären der Königshäuser oder Popstars" gegenüberstehen. Andererseits wird mit dieser Kampagne ein weiteres Mal die Wichtigkeit der Freiwilligen in unserer Gesellschaft betont. Freiwillige, die immer mehr die Aufgaben des Sozialstaates übernehmen. Wer knallhart kalkulirt, darf nur wenig MItleid und soziale Verantwortung haben, das dürfen "die Sensiblen" übernehmen. Aber sensibilisiert Benetton mit ihrer Kampagne nicht? Eine ewige Verquickung! diese Benettons!

Während ich mit dem Holzhammer über Werbespychologie philosophier, freut sich Nelson Goméz (22), sonst in Guatemala unter Prostituierten Kondome verteilend, auch bekannt als Melissa Simpson, den Titel des Magazins "Colors" zu schmücken. Dreimal darf geraten werden, wer dieses Magazin herausgibt. Und! Es bewirkt wahrscheinlich mehr als die 100ste Rundmail und das 200ste Flugblatt zur Situation von Transvestiten.


Kolja: der job der pr leute von benetton besteht darin, benetton ein image zu basteln, das viele pullover verkaufen läßt. nicht moral. nur gewinn. aber konsequent.  
Kolja: und ich finde das nicht slimmer als einen staat, der seine soziale verantwortung in die hände von fernsehlotterien legt.  
bambusbär: Es gibt vom ehemaligen Werbe-Chef von Benetton ein ganzes Buch zu dem Thema... Der einzige "moralische" Vorwurf ist, daß diese Werbung mit der wirklichen Welt erst möglich wurde, nachdem die Werbewelt total war. Aber auch Christus kann man vorwerfen, daß seine Nächstenliebe nur vor dem Hintergrund der römischen Gemetzel durchschlagend wirken konnte. "Es bewirkt wahrscheinlich mehr als das 200ste Flugblatt": Freut Euch doch! Ihr müßt ja deshalb nicht gleich einen Benetton-Pullover kaufen. (Die finde ich im Unterschied zur Werbung doof.)  
Sascha B.: Das von Dir erwähnte Buch, Bambusbär, gehört zum Ekelerregendsten, was ich je gelesen habe. Ich denke auch nicht, dass diese Werbekampagnen politisch wirkungsvoll sind, sondern immer nur "Aufreger" für´s bildungsbürgerliche Feuilleton. Und die Pullover sind sowieso scheisse, allein schon von der Qualität her. Mich würde allerdings mal interessieren, ob die Verkaufszahlen von Benetton seit Beginn dieser Provokampagnen wirklich hochgeschnellt sind...  
bambusbär: soeit ich weiß, sind die Verkaufszahlen nicht gestiegen - wohl aber die bekanntheit der firma. und das bildungsbürgertum aufregen, das ist doch nicht nichts. das müßte die linke erst mal wieder hinkriegen. aber ich geb es zu: ich bin professionell befangen.  
Sascha B.: Da hast Du natürlich recht: Das müsste die Linke erst mal wieder hinkriegen, das Bildungsbürgertum aufzuregen. Allerdings handelt das Bildungsbürgertum traditionell alles, was politisch jenseits des konservativen, oder meinetwegen liberal-konservativen Grundtenors liegt, grundsätzlich im Feuilleton ab, zusammen mit Kunst und Genuss. Solche im "harten Geschäft" (Politik und Wirtschaft) irrelevanten Spielwiesen dienen der Befriedigung postpubertärer Sehnsüchte. Bange Frage: Ist Etuxx auch "nur" Feuilleton? Ganz und gar? (Wat für´n Profi biste denn, Bambusbär?)  
spreemann: schlechte qualität? also, ick hatte mal n bennetton-pullover, der hat jahrelang gehalten. das einzig dumme dadran war das firmenlogo. (aber das kann einen spreemann nich erschüttern.)  
Jens: @ Kolja: schnell mit Mausebär zusammentun, einen Link zur Krisis oder Robert Kurz gesetzt und das "warenproduzierende ... + seinen Untergang" proklamiert. Mit einem gesicherten Klassenstandpunkt jede zweiseitige Betrachtung ans Ende kriegen, ans kapitalistische natürlich. Nee ich find den Text gut, wahrscheinlich weils mir ähnlich geht wie dem Autor. Ja und von Kaufen hat ja auch keiner geredet, schön sind die Benetton Pullover nun wirklich nicht, aber das ist auch Geschmackssache; und darum soll's hier nicht gehen.  
bambusbär: @ sascha B.: es geht dem bambusbär etwa so wie seinem französischen kollegen seguela: "erzählen Sie meiner mutter bloß nicht, daß ich in der werbung bin! sie denkt doch, ich bin piano-spieler in einem bordell." und trotzdem bin ich ein fan von robert kurz!!!  
stjopa: trägt eigentlich jemand ausser spreemann noch bennetton? Ich halte die fotographien als portraits für gelungen und finde (leider) keine meiner "untersten Gefühlsebenen" angesprochen. Allerdings habe ich auch keine Ahnung, wie man die Hierarchie von Gefühlsebenen bestimmt.  
Sascha B.: Och, Stjopa: nun sei mal nicht so kokett! Natürlich hast Du eine Ahnung davon, wie man solche "Gefühlsebenen" anspricht! Das mit der "Hierarchie" ist natürlich Quark. Du kannst statt "untere" auch "entlegene" oder "verschüttete" sagen. Benetton spricht bei mir allerdings gar nichts an; die Werbekampagne müsste schon so geschickt gemacht sein, dass sie nicht als solche erkennbar ist. Ich sehe (auch im 21. Jahrhundert noch) Werbung als "äh-bäh" und kann mich noch am ehesten aus satirischem Interesse damit beschäftigen (z.B. Wahlplakate anschauen in bezug auf ihre Verwertbarkeit für einen "Rattenbar"-Abend).  
OA: Ich warte auf den Tag, bis die Bilder des havarierten WTC als Werbematerial verbraten werden. Oder halt: sind sie es nicht längst? Darüber würde ich viel lieber einmal reden. Bilder haben doch immer eine Funktion. Und nur sehr selten stimmen Inhalt und Funktion überein, nicht einmal in der Dokumentarfotografie. In der Funktion eines Werbeträgers halte ich das Bild inzwischen noch für die ehrlichste Form der öffentlichen Präsentation. Deshalb sind die Bilder des havarierten WTC noch als Werbeträger ungeeignet oder muß umgekehrt die Frage gestellt werden, für was sie jetzt schon werben.  
Doro: Es gibt doch keinen von der Funktion unabhängigen Inhalt. Eher gibt es die Funktion von Bildern, Inhalte zu zeigen, die nicht zum gängigen Bildrepertoire gehören. Mit der Möglichkeit mit diesen durch ihre normale Unsichtbarkeit exeptionalisierten Bildern Affekte anzusprechen, die sich auf Konsumgüter umleiten lassen, werden die Darstellungen des Marginalisierten integriert und umgeformt, quasi legitimiert. Trotzdem wird damit auch die Marginalisierung der dargestellten sozialen Realitäten angekratzt.  
Doro: Affekte enzünden sich genau in dem Bereich, in dem Grenzverletzungen drohen. Wird die Grenze dauerhaft verschoben, ist die Wirkung dahin.  
stjopa: Natürlich gibt es eine Hierarchie der Gefühlsebenen. Aber sind uns die untersten Gefühle nicht die Liebsten?, Die Gefühle, die uns daran erinnern, dass unser kleines übersichtliches Schneckenhaus von Dasein ein grosser wilder Dshungel ist (für Romantika Alta).  
Doro: Im Benettonpulli?  
bambusbär: @ sascha b.: aber die oben abgebildeten plakate taugen als satirisches material wohl nicht. weshalb sie sich eben doch von "DER werbung" unterscheiden. und: iss eigentlich untersucht, ob werbefuzzis selber markenprodukte verbrauchen?  
Sascha B.: Q.e.d., Bambusbär! Eine Adidas- oder Nike-Werbekampagne taugt auch nicht als "satirisches Material". Zweifellos aus anderen Gründen. Aber ich will vorsichtig sein: Es gibt natürlich Werbung, die mich auch erstmal "anspricht"... @ Stjopa: Nein, diese Hierarchie gibt es nicht. Bzw.: sie wird mehrmals täglich umgeworfen (mindestens :-)!  
stjopa: sascha: ist es dann die intensität der aufwallungen?  
Sascha B.: Stjopa, es ist einfach problematisch, weil immer moralisierend, eine "Hierarchie der Gefühlsebenen" zu behaupten. "Edle Empfindungen" vs. "niedere Instinkte" - oder so´n Scheiss. Ich nehme meinen Hass und meine Vernichtungsphantasien genauso ernst wie meine romantischen Gefühle. Mal ist mir das eine unangenehm, mal das andere. Wahrscheinlich ist mir tatsächlich vor allem die Intensität unangenehm... :-)  
stjopa: Gefühle werden bewertet, aber nicht via freier Wille. Unter anderem ist es die Werbung neben vilem anderen, die uns erklärt, wie wir in welchen sozialen Zusammenhängen unsere Affekte zu bewerten haben. Deshalb finde ich einige der bennetonbilder durchaus positiv. (es gibt die hierarchie, obwohl es sie eigentlich nicht gibt, aber es kann immerhin nutzen aus ihr gezogen werden)  
Sascha B.: Njet! Gefühle werden bewertet, nachträglich, durchaus "mit dem Kopf" (wenn Du ein vollendeter Romantiker bist, wirst Du natürlich vom "Herzen" sprechen...), und zwar, wie gesagt, moralisierend. Die Werbung erklärt uns nichts! Es gibt nur so Klugscheisser wie Dich und mich und den Benetton-Robert und..., die uns Werbung erklären wollen. Werbung (um mal in ganz zweifelhaftes Vokabular zu verfallen) ist eine Degenerationsstufe von (im besten Falle) Kreativität und Intelligenz im ewigen Spätkap´talismus :-)  
stjopa (klugscheissernd": Die Vorformen der Werbung sind ja wohl in den Altarbildern christlicher Kirchen zu finden. Eine Werbung, die nicht auf einen Vorrat ikonographisch möglicher Verbindungen eingeht, der im gesellschaftlichen Bewusstsein bereits vorhanden ist, funktioniert einfach nicht, wird einfach übersehen. Wenn Du Werbung als Degenerationsprodukt ansiehst, hast Du sie damit privat vielleicht abgewertet, ihre Botschaft bleibt gesellschaftlich dennoch hochwirksam, und die liegt meist jenseits eines primitiven "Kauf mich!".  
INTERNETDEMO: Für mehr Platz im Eingabefeld! Für 270 statt 90 sichtbare Zeichen!!!  
INTERNETDEMO: Für mehr Platz im Eingabefeld! Für 270 statt 90 sichtbare Zeichen!!! Sofort statt vielleicht dann oder irgendwann!!!