(K)ein erster Mai
am ersten September in Leipzig



von K.


Der 1. September ist das Datum des Überfalls der Deutschen Wehrmacht auf Polen 1939, und wird von den Resten der traditionellen Friedensbewegung in Deutschland für gewöhnlich als "Anti-Kriegs-Tag" begangen. Genau für diesen Tag hatten Neo-Nazis aus dem Spektrum der sogenannten Freien Kameradschaften einen Aufmarsch unter dem die deutsche Kriegschuld leugnenden Motto "Damals wie heute: für Frieden, Freiheit, und Selbstbestimmung" in Leipzig aufgerufen (etuxx berichtete).

Unter dem etwas grossprecherisch daherkommenden Motto "Deutschland den Krieg erklären! Den ersten September zum ersten Mai in Leipzig machen!" rief das Bündniss gegen Rechts (BGR) zur Störung des Nazi-Aufmarsches, zu einer eigenen Demonstration am Abend, und -der wohl umstrittenste Teil - zur Störung des Friedensfestes der Stadt Leipzig bzw. der darin georteten "Zivilgesellschaft" auf.

Nach einigem juristischen Hin und Her, war klar, dass die Nazis auf ihrer kompletten angemeldeten Route marschieren konnten; die BGR-Demo am Abend durfte in der Innenstadt aufgrund der "räumlichen und zeitlichen Nähe" zum Nazi-Aufmarsch nicht stattfinden. Das BgR rief also dazu auf, um fünf vor zwölf auf dem sogenannten Friedensfest der Stadt Leipzig der Zivilgesellschaft einen Besuch abzustatten und anschließend zum Hauptbahnhof an die Nazi-Route zu gehen.

So lauschten denn 15 000 Zivilgesellschaftler mittags ihrem Leipziger OB und einem oppositionserfahrenem Pfarrer namens Führer (der seine Rede mit "Liebe Sachsen, liebe Thüringer, liebe Deutsche..." anfing). In diesen Reden wurde bis zum Erbrechen der Mythos der friedlichen Leipziger Revolution 89 und die gemeinsame Front gegen Gewalt von Rechts- und Linksextremisten heruntergeleiert. Die extremistische demokratische Mitte feierte sich und ihre Anständigkeit selber und wurde Zeuge einer von höchstens 150 Leuten solide vorgetragenen Störung, in deren Verlauf ein Transparent vor die Bühne gehalten und die Lautsprecheranlage vorübergehend schachmatt gesetzt wurde.

Daraufhin gab es einen ruppigen SEK-Einsatz und mindestens zwei Festnahmen unter dem Beifall der Anständigen. Mittlerweile sammelten sich die Nazis am hermetisch abgeriegelten Hauptbahnhof, wo sich alsbald auch etliche Antifas vor dem Polizei-Sperrgürtel einfanden. Während die Nazis ab jetzt mehrere Stunden damit zubrachten, vom Hauptbahnhof aus ca. 400 Meter in ein benachbartes fast unbewohntes Viertel zurückzulegen, verteilten sich die Antifas im gesamten südöstlichen Stadtgebiet, entlang der potenziellen Route der Nazis.

Hier kam es jetzt zu einem mehrstündigen Geplänkel; von der gutplazierten brennenden Barrikade bis zur gewaltfreien Sitzblockade war für jeden Geschmack etwas dabei. Auch wurden etliche Fensterscheiben neugebauter Bürokomplexe und einer Bank einem Bruchtest unterzogen, der zuweilen negativ verlief und wahre Glaskunstwerke schuf. Die relativ planfrei herumkurvende Polizeistreitmacht brach dann den Nazi-Aufmarsch ab. Offiziell, weil die verbotene Parole "Ruhm und Ehre der Waffen-SS" gerufen wurde - ich denke aber, dass die reichlich undurchsichtige und unberechenbare Situation im Südosten der Stadt die Entscheidung auf jeden Fall erheblich beschleunigt hat.

Die Nazis versuchten einen Durchbruch durch die Polizeiketten, der kläglich scheiterte, liefen vereinzelt Antifas in die Hände, und wurden, als sie zum Bahnhof gehen wollten auch nochmal ein wenig gejagt, was wiederum dem teilweise reichlich planlosen Bulleneinsatz geschuldet war. Ausserdem waren sie nach einem Regenguss klitschnass; ihre Sitzblockade und ihr Geheule darüber, wie gemein die Stadt Leipzig und die Demokratie im allgemeinen mit ihnen umgeht, hinterliessen zusätzlich einen jämmerlichen Eindruck.

Am Abend fand dann noch im Szene-Stadteil Connewitz die angekündigte Demo des "Bündnis gegen Rechts" statt, an der sich trotz des anstrengenden Tages ungefähr 900 Leute beteiligten. Im Laufe des Tages kam es, laut Presse, zu 81 Festnahmen, wobei sie von Links- und Rechtsextremisten sprachen. Die Zahl eventueller Verletzter ist mir nicht bekannt. Der Tag war, zumindest an dem Ziel gemessen, die Nazis nicht marschieren zu lassen, ein Erfolg. ABER: die Entscheidung haben letztendlich die Bullen getroffen, und wenn die Entscheidung der Einsatzleitung "Durchprügeln" gelautet hätte, wären die Nazis höchstwahrscheinlich, wenngleich langsam, marschiert.

Auch ist die Zahl von ca. 2000 organisierten Nazis, nur aus dem Kameradschaftsumfeld, immer noch sehr hoch. Ihr diesjähriger Rudolf-Hess-Aufmarsch mit ca. 800 Personen in Wunsiedel war ein schwarzer Tag für die dortige Antifa, die es gerade mal auf vierhundert Leutchen brachte. Die Nazis haben zwar ihren Zenit, was Aufmärsche angeht, in den 90er Jahren überschritten, aber sie werden in vielen Regionen ein bestimmender politischer Faktor - und eine feste Größe für linksradikale Politik - bleiben.

Eine antifaschistische linksradikale Bewegung wird sich deshalb sehr genau überlegen müssen, wieweit sie bei ihren Anti-Nazi-Aktivitäten die Kraftprobe mit dem sogenannten zivilgesellschaftlichen Spektrum treiben kann, oder ob die Kräfte, die der politischen Gleichsetzung Rechts=Links im Sinne der Totalitarismustheorie etwas entgegensetzen, nicht momentan doch viel zu schwach sind. Wie der Weg einer effektiven Bekämpfung der Nazis in diesem Lande und gleichzeitig eine schonungslose Kritik des Zustandes der "Anständigen", die garantiert keinen "Aufstand" machen werden, aussehen kann, das wird sicher keine einfache Diskussion sein.

Für mehr Informationen: www.indymedia.de (immer eine gute Adresse). Dort gibt´s Bilder, weitere Erlebnisberichte, Einschätzungen und Presseerklärungen.

indymedia
Etuxx-LeserInnen-Service (ELS): Kein Rückblick ohne  Bilder
(ELS): Incl. Werbung einer Krankenkasse (wie passend!):  noch mehr Bilder
stjopa: K, hälst Du es für sinnvoll, dass Schwuchteln, Tunten und andere Verquere sich auch an antifaaktivitäten beteiligen? Wenn diese sich aufgrund ihrer etwas andersartigen Sozialisiation und Kleidung nicht an den üblichen Kampfformen beteiligen können, welche Militanz bleibt ihnen dann noch übrig? Provozierende These: Wer nicht jung, hetero und deutsch genug ist, findet sich selten bei Sachen wie den oben beschriebenen ein und wieder.  
stjopa: Übrigens: die Nazis haben ihre Aktion natürlich auch als Erfolg verbucht, und die Bullen sowieso, die haben gleich die Chance genutzt und in Sachsen neben der alten SoKo "Rechts" eine neue SoKo "Links" gegründet. Na wenn das keine neuen Arbeitsplätze schafft und den Aufschwung-Ost fördert. Hat's also auch noch für den "Aufstand der Standort-Ost-Anständigen" was gebracht.  
stjopa: Tschuldigung k, aber dein leicht zynischer Unterton hat mich angesteckt.  
Sascha B.: Wäre es ein Fortschritt, wenn diejenigen Schwulen, die so gerne in Kampfmontur auftreten, endlich auch einmal gegen die Faschos (und nicht nur für ihren Trieb resp. Fetisch) aktiv würden? Problem: Wie könnten die Parteien bei solch einer Auseinandersetzung optisch noch voneinander unterschieden werden?  
Sascha B.: Mal was Ernsthafteres, was mich bedrückt: Ich kann auch nicht mehr mitrennen in das "heisse Herz" einer Demo. Das liegt in meinem Fall weniger an "Schwuchtel"-Sozialisation, sondern schlicht an meinem schlechten gesundheitlichen Zustand. Daraus folgt: ich halte mich zurück mit der Kritik an Militanz (und auch mit Beweihräucherung) - um dem Vorwurf zu entgehen: Ich könne ja gut reden - aber sei eben nicht dabei, wenn´s "heiss" wird. Und leider, Stjopa, habe ich auch kein Konzept, was das "jenseits der üblichen Kampfformen" angeht. Soll ich mich auf die Strasse setzen und mir den Schwerbehindertenausweis vor die Stirn kleben? Bessere Vorschläge erbeten!  
Queer Adventure Tours: Vor 3 Jahren sind wir mit Kind und Kegel losgezogen, auch in Leipzig, Schwerbehinderte inkl.. Aber jemanden wie dem Autor war das vielleicht nicht wichtig. Mit der Unterschlagung der Aktivitäten des Rattenbarausflugs etc. ist das zwar ein schöner Demobericht, aber einen Zusammenhang mit der am Berliner CSD (hier auf diesen Seiten) geäußerten Kritik an der Queer gegen Rechts-Gruppe hat das nichts zu tun. Gegen Nazis sein und "rosa" Schwuchtelkultur ist auf etuxx eben nur manchmal eins, dafür danke liebes etuxx. (Aber manchmal klappt es eben nicht, lieber K.)  
K.: @ queer adventure tours: wie wahr, aber wieso glaubst du, dass mir das nicht wichtig ist?? die anfrage von etuxx war, einen bericht über leipsch zu schreiben, das tat ich mit dem hinweis, dass ich zum rattenbar- ausflug nichts schreiben werde, sondern dass das günstigerweise jemand tun sollte, der dabei war.  
K.: @ stjopa: wo war ich denn zynisch??? die soko links wird von sächsischen cdu-politikern schon seit dem aufstand der anständigen vor einem jahr gefordert, mit dem hinweis, die rot-grüne bundesregierung unterschätze die gefahr durch den linksextremismus. zu der frage mit den aktionsformen hätte ich sehr viel zu sagen, der kommentar lässt mir aber nur 300 zeichen, schaun wa mal  
K.: @ sacha B.: das ist dochmal ein konstruktiver Vorschlag, mit den kampfmonturschwuchtel. Und sie wären in guter gesellschaft: in der pragerstr. begegnete uns ein haufen knackiger oi-skins im antifaschistischen abwehrkampf...miammiam, die skinhead fraktion unter uns wäre begeistert gewesen (nochmal zur erinnerung: zu der gehöre ich nicht(!)  
Marcie: Wie funktioniert er eigentlich, der "Faschismus aus der Mitte der Gesellschaft"? Das Rezept ist weder besonders kompliziert noch besonders neu, wie diese beeindruckende Seite am Beispiel Haider nachweist.  Die Muster der Demagogie
Sascha B.: Liebe Queer Adventure Tours: da muss ich K. auch nochmal verteidigen: ich wollte einen Bericht über den Faschoaufmarsch und die Gegenaktivitäten, der meinen Vorab-Text ersetzen sollte, und finde, dass K. einen prima Bericht geschrieben hat. Ich wollte aber auch einen Text über die Queer-Aktivitäten und hatte deshalb bei den Berliner Leipzig-FahrerInnen herumgefragt. Aber niemand von Euch wollte das machen...  
Jamma C.: "Aber niemand von Euch wollte das machen... "  
emokopp: stjopa: wieso sollen "Schwuchteln, Tunten und andere Verquere" wegen anderer sozialisation nicht militante aktionen durchführen können? versteh ich nicht. und die kleidung können ja auch schwuchteln usw dem anlass entsprechend wählen...  
Sascha B.: Nee, Jamma: Genau andersherum: Mir gegenüber wurde gejammert: Wo denn im Artikel da oben die queere Aktion bliebe, wieder nur so Hetero-Macker-Antifa-Zeug! Und da kann ich eben nur sagen: Schuld selbst!  
Braune Scheisse ohne Ende:: AUS ETUXX/AKTUELL ÜBERNOMMEN: (indymedia/sb) Christian Worch, einschlägiger Obernazi, hat für Samstag, den 3. November, einen weiteren faschistischen Aufmarsch mit 1-2000 Teilnehmern in Leipzig angemeldet. (Langsam wird´s anstrengend; haben die ein Abkommen mit der Bundesbahn und dem Busunternehmerverband, oder wie?).  
Sascha B.: Faschoaufmarsch am 3.10. in Berlin: Die NPD hat für den 3. Oktober eine Demonstration in der westlichen Berliner Innenstadt unter dem Motto "Deutschland ist mehr als die Bundesrepublik" angemeldet; Route: vom S-Bahnhof Halensee zum Bahnhof Zoo. Über 1000 Teilnehmer sind wahrscheinlich; mit einem Verbot wird nicht gerechnet. Die Gruppe "Ratten gegen Rechts" plant Gegenaktivitäten und mobilisiert Lesben, Schwule, Queers und FreundInnen zum 3.10. Nähere Infos bei sb@etuxx.com.