Leipziger Allerlei
WAS MACHT QUEER AM 1.9.2001


von Sascha Berlinskij

Am 1. September, dem Jahrestag des Überfalls der deutschen Wehrmacht auf Polen, wollen Nazikameradschaften durch Leipzig marschieren, vom Hauptbahnhof zum Völkerschlachtdenkmal. Die Stadt Leipzig hat diesen Aufmarsch untersagt, rechnet jedoch selbst mit einer Aufhebung des Verbots durch das Oberverwaltungsgericht Bautzen. Mehrere tausend Polizisten werden die in ebenfalls vierstelliger Zahl erwarteten Neonazis schützen.Damit werden sie, wie der Leiter der Leipziger Ordnungsbehörde erklärte, derart beschäftigt sein, dass am gleichen Tag keine weitere Demonstration in Leipzig genehmigt werden könne.

Unter dem Motto "Deutschland den Krieg erklären - Desaster Area in Leipzig" mobilisiert das "Bündnis gegen Rechts" (BgR) für 18 Uhr, sechs Stunden nach dem Aufmarschbeginn der Nazis, der laut Aufruf "mit allen Mitteln" verhindert werden soll. Weiter heisst es in einer Pressemitteilung des BgR: "Die Demonstration am Abend hat nichts mit dem rechtsextremistischen Aufmarsch zu tun, sondern gilt allein den deutschen Verhältnissen. ... Besonderes Augenmerk liegt auf den Kriegseinsätzen der Neuen Mitte. ... Unser Ziel ist es, den 1.9.2001 zu einem Tag der radikalen Linken zu machen, einem 1. Mai im September!".

Ich weiss wenig von den Fraktionierungen unter den Leipziger radikalen Linken, aber hier scheint mir doch eine antideutsche mit einer antifaschistischen Präferenz zu ringen. Das BgR will "verdeutlichen, dass der zivilgesellschaftliche Antifaschismus ein imperialistisches Projekt ist". Das Aktionsbündnis "Leipzig. Courage zeigen", das eine geplante eigene Anti-Nazi-Demonstration "in vorauseilendem Gehorsam" (BgR) zu einer Kundgebung zurückgestuft hat, wäre also eine Ansammlung von Imperialisten.

Die Diffamierung des "zivilgesellschaftlichen" Antifaschismus halte ich für politisch falsch und zum Teil sogar für menschlich niederträchtig. Dabei habe ich natürlich nicht den lächerlichen und verlogenen "Aufstand der Anständigen" à la Gerhard Schröder und DIHT vor Augen, wohl aber z.B. engagierte GewerkschafterInnen, JüdInnen und ChristInnen...

Also was machen wir, was macht queer am 1.9. in Leipzig? "Queer gegen Rechts" (QgR) veranstaltet am Vortag (31.8.) eine Mahnwache für die homosexuellen Opfer des Faschismus; abends trifft man sich zur Party in der "RosaLinde". Wem das ein bisschen zu sehr "nach LSVD riecht", der kann ja, auch dazu ruft QgR auf, tags darauf an der "Gegendemo" teilnehmen. Aber gibt es denn eine Gegendemo? Wenn man den Aufruf vom BgR (s.o.) ernst nimmt, dann hat die 18-Uhr-Demo ja nichts mit dem Nazi-Aufmarsch zu tun...

Um der Verwirrung nun brüsk ein Ende zu setzen: ETUXX ruft auf zur Fahrt nach Leipzig! Und in der "Rattenbar" gibt´s Tickets für die gemeinsame Bahnfahrt von Berlin aus (am 31.8.). Kommt so zahlreich wie möglich, um den Faschomarsch zu verhindern! Keinen Pfennigabsatz breit den Nazis!

eine kleine Linkliste für Interessenten:
  • INFOS aktuell und ausführlich.
  • VOR 3 JAHREN fuhren schon mal Busse aus Berlin, um "das Völkerschlachtsdenkmal zu schützen"
  • INTERVIEWS zum damaligen QUEER ADVENTURE TOURs Angebot
  • LEIPZIGER ALLERLEI ein Rezept-Link, wirklich

kein Stöckel breit den Nazis
nc: an wen gemahnt die mahnwache von 'queer gegen rechts' eigentlich genau? der berliner csd war ja schwammig genug, und jetzt kommt wohl die nächste "ist doch immer noch besser als"-aktion. sind nicht röhm und einige seiner sa-kumpane zum beispiel homosexuelle opfer des nazismus? und in flagranti ertappte, deshalb ins kz eingelieferte parteileiter oder erschossene ss-männer auch? -- da wird die antwort wohl "ja" lauten müssen. die frage ist nur, ob die mahnwache an derart fiese widersprüche erinnert oder ob sie "die" homosexuellen als opfergruppe konstruiert? (das waren sie nicht, die homosexuellen.)  
Sascha B.: Ich zweifle sowieso daran, dass es politisch sinnvoll ist, einen (schon gar reformistischen!) schwullesbischen Akzent in Leipzig zu setzen. Es sollte darum gehen, die Faschodemo zu verhindern, oder?! Die antideutsche Tendenz der 18-Uhr-Demo (die ich in anderer Hinsicht problematisch finde) wird sich real wohl kaum durchsetzen (es sei denn, ich schätze allein das Zahlenverhältnis von Antideutschen zu Antifas völlig falsch ein...).  
newbie: Ich fand die Ansage zu der Demo in der Rattenbar ziemlich unklar, aber ich habe auch nicht besonders viel Erfahrung. Die Linx haben mir schon weiter geholfen, aber kann ich nicht irgendwo noch mehr darüber erfahren, worauf ich mich da einlasse?  
new c: sascha, bei der queer adventure tour 1998 war es um folgendes gegangen: antifa ist meist mit hetero-macker-männlichkeit besetzt und wer das nicht leiden mag, geht selten zu antifa-aktionen. mit der queer-mobilisierung sollte nicht nur der aufmarsch gestoppt, sondern auch eine möglichkeit gefunden werden, die linke mackermilitanz zu (ver)stören. was du den "schwullesbischen akzent" nennst, das haben die beteiligten damals in der mehrzahl genossen. -- wahrscheinlich lässt sich sowas aber nicht mehr innerhalb einer woche noch halbwegs erfolgreich vorbereiten.  
Sascha B.: Newbie: Die Ansage der Leipziger in der Rattenbar erschien mir genauso unklar wie Dir. Deshalb hatte ich ja auch nachgefragt, weil ich es reichlich problematisch fand und finde, dass eine Gruppe, die sich "Queer gegen Rechts" nennt, zehn Tage vor der Demo noch nicht mal eine ungefähre Einschätzung der Leipziger Antifa-(und antideutschen) Fraktionen abgeben kann. Stattdessen will man offenbar am Abend vorher (auf `ner Party!) bereden, was zu tun ist...  
Sascha B.: New C, Du hast ja recht mit Deiner Einschätzung der Queer-Adventure-Tour 1998. Meine Rede vom "schwullesbischen Akzent" bezog sich aber auf die Bemühungen von QgR im Jahre 2001. Und wenn ich mir anschaue, was am 1.9. in Leipzig passieren soll (vgl. z.B. den BgR-Link), dann sehe ich eben keinen grossen Sinn darin, "in Richtung queer" noch etwas zu versuchen. - Du kannst jetzt ruhig fragen, warum "wir" uns nicht schon viel früher damit befasst haben. Ich habe darauf keine zufriedenstellende Antwort...  
REDgay QgR Leipzig: Korrektur: Die Mahnwache (Freitag 16 Uhr vorm Bahnhof)ist eine für die "Opfer antihomosexueller Gewalt". Der Irrtumlich im obigen Text verwendete, war nur ein Arbeitstitel, der wieder verworfen wurde. Also: Freitag 16 Uhr Bahnhof--Mahnwache Freitag 21 Uhr RosaLinde Brühl 64-66 (Innenstadt) Party mit Trash-Tunten-Show und (das) Flori aus Hámburg. Eintritt frei.  
REDgay QgR Leipzig / sb (etuxx): Zynisches Motto des Fascho-Aufmarsches in Leipzig: "1.September - damals wie heute: Für Frieden, Freiheit und Selbstbestimmung!". Beginn: 12 h. Route: Hauptbahnhof - Prager Straße - Völkerschlachtdenkmal. Dort um 14 h Kundgebung. Nun wisst Ihr, wo Ihr die Faschisten treffen könnt. Also...  Leipzig-linksgestrickt
REDgay QgR Leipzig: Es sind alle Gegendemos verboten. Es gibt aber mehrere Kundgebungsorte nahe der Route. Konkrete Infos gibts erst unmittelbar davor. Deshalb konnten die Leipziger in der Rattenbar auch wenig konkretes sagen. Also kommt zur Party-dort gibts die frischesten Infos, Stadtpläne, Strategiedebatte etc. QgR-fon: 0174 3019315  
new c: redgay, der naziaufmarsch wird dir hier auch geglaubt ohne angabe des genauen mottos. liebe etuxx-redaktion, bitte lösch das. die werbung für das nazi-infotelefon und die -webseite auch. damit muss etuxx nicht geschmückt werden. wer diese art informationen brauchen kann, weiß, wo sie zu finden sind. ansonsten: eine strategiedebatte auf der party am abend vorher kommt tatsächlich zu spät.  
Sascha B.: Liebe NewC, die Art der Aufführungen (Absatz 2 von REDgay QgR Leipzig) gefällt mir auch überhaupt nicht. Das geht einfach ein bisschen zu sehr über Information hinaus in Richtung offizielle Fascho-Verlautbarung. Ich habe das daher ein bisschen gekürzt und umgeschrieben. REDgay QgR Leipzig: wir bitten um Verständnis (oder auch eine Debatte darüber). Dennoch halte ich es für wichtig, dass wir uns auch Faschoseiten mal ansehen. Einen Überblick dazu gibt die HP von  Burkhard Schroeder
Karsten: Hallo Leute, die Polizei rund um Leipzig hat bereits heute damit begonnen, mit dem Auto anreisende Leute die "verdächtig" aussehen zu kontrollieren. In wiefern in Zügen etc. kontrolliert wird wissen wir bis dato noch nicht. Also, wir sehen uns am Freitag.  
REDgay QgR Leipzig: new c.: 1.na ich halte es schon für wichtig zu wissen was die nazis planen. du nicht? dann nicht.deswegen hab ich auch die infonummer gepostet. 2.inhalte scheinen dich nicht so zu interessieren. warum findest du es falsch das motto anzugeben? 3. strategiedebatte: wenn erst 3 Tage vor der Demo klar ist ob und wie die nazis marschieren, und welche gegenaktionen erlaubt/ geplant sind, kannst du nicht 4Wochen vorher eine Strategiedebatte führen, die über das simple "den glatzen auffe Fresse, aber richtig" hinnausgeht.  
Sascha B.: REDgay, man musste aber schon immer damit rechnen, dass die Faschos marschieren dürfen resp. werden. Strategiedebatten macht man nicht an Oberverwaltungsgerichtsentscheidungen fest. Was wir uns (auch in der Rattenbar) gewünscht hätten, wäre ein Überblick über die geplanten Gegenaktivitäten der verschiedenen Leipziger Gruppen gewesen. So eine Einschätzung kann man geben, wenn man vorher auf Koordinierungstreffen etc. gegangen ist. Du kannst jetzt sagen: scheiss arrogante Berliner! Aber so kenne ich das eben von hier...  
igor: klar, weil in berlin aus unserem spektrum in der letzten zeit auch immer so unglaublich viele sich an aktionen der gemischten antifascene beteiligen (oder ist da was an mir vorbeigegangen)...und strategiedebatten führen wir in der rattenbar ja auch pausenlos, eine diskussionsveranstaltung jagt die nächste...also wirklich, kritik ist immer schön, aber ein bisschen halblang machen, ist mitunter ein wenig glaubwürdiger,und ist auch eher schöner für die Diskussionskultur, gelle ??? mal halblang, sascha!  
Sascha B.: Igor, es geht mir nicht um die Rattenbar. Die Rattenbar ist keine Antifa-Gruppe. Man muss nicht heiliger sein als der Papst, um den Papst zu kritisieren. Ich bleibe dabei: wenn ich in Berlin zu einem Ereignis mobilisiere, für das viele andere Gruppen ebenfalls mobilisieren, informiere ich mich über deren Positionen und Vorhaben. Bei der Schwulen Antifa hatten wir sogar mehr Koordinierungstreffen besucht als eigene Aktionen gemacht (was natürlich auch nicht das Non-Plus-Ultra war...).  
Sascha B.: Die aktuellsten Infos zu den Leipziger Ereignissen im Netz soll es geben bei  indymedia
Aktuelle Nachrichten: auf unserer Nachrichtenseite (mit genauer link-Angabe)  
Stjopa: Strategie und Taktik sind bekanntlich verschiedene, sich bedingende Sachen. Eine Strategie sollten wir haben auch bevor wir genau wissen, was die Nazis machen werden. Verschiedene Taktiken können wir aufgrund unserer Erfahrungen vorher durchspielen. Das beides zu ungenügend vor den Leipzigaktivitäten geschehen ist liegt nicht nur an unserer Unfähigkeit und faulheit, sondern auch daran, das wir ein sehr bunter Haufen sind. Ich finde es trotzdem wichtig, dass wir in Leipzig waren und uns nicht nur hier verbal auslassen. "Hoch lebe unsere Stefanie"  
Ronda Rotz: Natürlich hätte einiges noch optimiert werden können, aber ich fand die Aktion am Freitag Nachmittag an einem der meistfrequentiertesten Punkte Leipzigs gut, Transpis und Schilder gelungen. Zusätzlich zu den "Glücks-"Losen wären Flyer mit unserem Anliegen und unseren Positionen nötig gewesen (allerdings wird sowas nur von den wenigsten gelesen). Presse wünschen sich Tunten natürlich auch. Jedenfalls würde ich wieder nach Leipzig fahren.  
Ronda Rotz: Noch ein großes Dankeschön an die Leipziger Organisatoren von "Queer gegen Rechts" für die nette Aufnahme, Bewirtung, ...und tausend andere Dinge.  
Sascha B.: Ein Bericht über die Leipziger Ereignisse folgt in Kürze an dieser Stelle.