Stimmen zum Spiel
KRITIK AN DER DEMONSTRATION GEGEN DEN NAZI-AUFMARSCH IN LEIPZIG (1.Mai 1998)


seinerzeit per Interviews eingefangen für die Tuntentine (Nr. 14) von Jack White

Daniel Düsentrieb
"Ich bin nicht mitgefahren. Ich fand das Vorbereitungstreffen schon völlig stumpf. Den Zusammenhang, den wir da konstruieren, den gibt’s nicht. Ich kenn die Leute nicht, ich krieg nicht mit, wie die Entscheidungen laufen. Ich sitze da drin als Soldat der Antifa. So kam ich mir vor! Vor allem, als dich dieses ganze Zeug mit Sicherungsfahrzeug und Voraustrupp und so gehört habe. Da komm ich nur noch als Material vor. Ich fand die Idee spannend, andere Leute aus der Szene zu mobilisieren, die normalerweise nicht dorthin gehen. Die entscheidenden Fragen hätten vorher in einer überschaubareren Gruppe, unter Leuten, die sich kennen, geklärt werden müssen! Wie wollen wir dort auftreten, was wollen wir dort erreichen. Das war mir alles zu unkonkret, zu undurchdacht! Wir haben ja mal geplant, da so Priscilla-in-der-Wüste mäßig aufzutreten. Eine Distanzierung von der Politszene, wie sie dort normalerweise auftritt, aber eben keine politische, sondern eine formale, eine vom Mackertum, nicht eine von der Militanz. Ich muß mir aber auch selber eingestehen, daß ich mich da mehr hätte in die Vorbereitung integrieren müssen."


Goofy
" Für mich war das ein wunderschöner Tag. Persönlich hab ich mich sicher gefühlt, weil ich die Leute kannte und wußte, mit denen kann ich, und mit denen fühl' ich mich wohl. Auch so kleine Sachen wie das Leipzig-Lied haben zur Stimmung beigetragen. Ich fand‘s schön, das bei uns Kinder mitgehen konnten, auch wenn die mit abgeschleppt wurden. Aber wie die Bullen sind, wissen wir ja alle. Die Steinewerfer waren ein bißchen unreflektiert, aber das ist ja nichts Neues. Denen macht‘s halt Spaß, aber ich seh da keinen Sinn drin. Witzig fand ich, als sie vor ihren eigenen Steinen davonspringen mußten, als die vom Sicherheitsglas abprallten.
Ein bißchen knickrig wurd‘s bei der Entscheidung: "Weiter oder nicht?" Es ist schwierig, wenn man so viele Rücksichten nehmen muß. Ich bin eigentlich auch lieber selbständig unterwegs, aber es war diesmal ein guter Kompromiß. Es war in Leipzig sicherer, mit der großen Gruppe zu gehen, sich im Mittelfeld aufzuhalten. Aber das muß man vorher konkreter planen. Nicht spontan entscheiden, sondern strategisch planen. Wo es sicher ist, hätte man durchaus mehr klären können.
Haarig finde ich, wenn die Demoleitung sagt "Ich fühl' mich überfordert, und ich leg‘ das jetzt nieder", das fördert 'ne gewisse Panik bei Leuten, die 'n bißchen Schiß haben. Persönlich kann ich das verstehen, aber sie hätten's nicht über Mega durchsagen müssen. Ich find’s gut, wenn die Gruppe zusammenbliebe, wenn das so vereinbart ist. Was ich nicht in Ordnung finde, ist, wenn Leute eigentlich lieber Kaffee trinken gehen wollen und die Angst nur vorschieben. Da werde ich grätzig. Ich geh eigentlich auch lieber nach vorn, aber da hätte ich in so einer Situation 'n schlechtes Gewissen. Zu den Verhaftungen auf dem Rückweg hätte es nicht kommen müssen. Wir hätten auch in Potsdam aussteigen sollen. Unser Verhalten bei den Bullen fand ich allerdings gut. Wie wir es geschafft haben, aus dem Bus zu kommen. Sehr schön fand ich auch, daß alle vor dem Knast gewartet haben. Da hatte ich ein Gefühl von Zusammengehörigkeit und Nähe, das mir persönlich sehr geholfen hat."


Schnatterinchen
"Ob ich mich wohl gefühlt hab? Hm. Also teils, teils. Ich hab das ganze als eher anstrengend empfunden, weil's doch ziemlich lange nur Hickhack und hin und her gab, bis irgendwie 'ne Entscheidung gefällt war... was bei der Größe der Gruppe auch nicht verwunderlich ist. Bei der Demo war's mir zu anstrengend, weil's zu lange gedauert hat. Wichtig wäre, wenn Leute da wirklich geschlossen als Block hinfahren, daß die sich dann auch mehr aufeinander beziehen. Das Problem bleibt, daß manche dann trotzdem was anderes machen wollen als der Rest, aber was dann ist, darüber muß man sich vorher Gedanken machen. Dann hätt's auch nicht diese nervtötenden Diskussionen gegeben. Ich finde, das so 'n großer Block von zweihundert Menschen es nicht ersetzen kann, daß Leute sich vorher in 'nem kleineren Kreis darüber klar werden, wie sie sich in welcher Situation verhalten wollen. Wenn's wirklich zu Übergriffen kommt, läßt sich die Geschlossenheit von so 'nem Block sonst nicht mehr aufrecht erhalten, weil dazu sind wir zu viele Menschen, und auch Menschen, die sich nicht kennen, und dann muß der kleinere Zusammenhang dafür sorgen, daß zum Beispiel nicht die totale Panik ausbricht. Als auf dem Rückweg die Busse angehalten wurden und es zur Personalienfeststellung kam, da hab ich mich dann allerdings doch sehr wohl gefühlt. Da war ich sehr froh, mit den Leuten zusammen zu sein. Auf der Polizeiwache war es wirklich gut. Wenn mir das mit anderen Leuten passiert wäre, wäre es entschieden nerviger gewesen. Offen schwul und lesbisch aufzutreten, find ich schön und begrüßenswert; natürlich unter der Prämisse, daß man sich über die Gefahren im klaren ist. Das muß man der Sicherheit unterordnen. Aber von den Menschen, die da ihren Unmut auf die Straße getragen haben, waren es noch nicht so viele von denen, die da sonst nicht hingehen. Das Konzept ist auf einen recht kleinen Kreis beschränkt geblieben. Da bin ich von der etablierten Schwulenszene, auch der "linken" etablierten Schwulenszene, schon enttäuscht. Die sexuelle Orientierung ist mir da eher egal. Ich finde es einfach generell wichtig, daß sich an solchen Sachen ganz, ganz viele Menschen beteiligen. Aber das ist ja vielleicht auch erst ein Anfang gewesen."


Gustav
"Ich fand's gut. Ein Problem ist für mich, daß ich mich von den militanten Auswüchsen distanzieren will, von Kids, die einfach Bock auf Randale haben. Ich will keine Barrikaden anzünden in Vororten, oder Steine auf die Allianz. Das steht nicht zur Debatte, ob die in Ordnung sind oder nicht. Und ganz besonders will ich mich nicht vermummen. Ich find sehr gut, wenn Leute bereit sind, ihr Gesicht hinzuhalten für ihre Überzeugung. Das öffentliche Bild der Antifa finde ich persönlich, politisch, da 'ne Katastrophe. Es ermöglicht den Faschos sich als Ordnungsmacht zu präsentieren. Und wir stehen als der anonyme, randalierende Mob da. Und wenn sie auf diese Weise das Sicherheitsbedürfniss so der bürgerlichen Mittelschicht erwischen, der Leute, die Angst vor der Zukunft haben, die sich als Verlierer sehen, dann ist es aus. Dann wird Faschismus wider ein respektzierlicher politischer Ansatz, und das darf nicht passieren. Bei der Front National ist es schon passiert. Wir müssen zeigen, daß die Gewalt bei den anderen liegt. Das ist ja auch so. Wenn die Kamera nicht zuguckt, schlagen die Faschos die Leute tot! Das darf im öffentlichen Bewußtsein nicht durch Bilder von uns überdeckt werden. Deshalb fand ich den Queerblock klasse und würde mir wünschen, daß er beim nächsten Mal noch größer und noch priscilla-mäßiger wird. Es ist doch so: Wir sind die Guten! Und die Nazis sind der Feind. Nicht die Bullen! Wer das nicht kapiert, der muß mal ins Holocaustmuseum."


Donald
Also, es ging so. Toll fand ich's nicht. Action hatte ich genug, aber die ist mir eigentlich egal. Ich wollte was erreichen. Wenn man so 'n Block macht, dann muß der auch zusammenhalten, sonst kann man's eigentlich auch sein lassen. Ich meine jetzt vor allem die Situation auf dem Rückweg vom Völkerschlachtdenkmal zur Messehalle. Man kann mit der Gruppe, die sich da präsentiert hat, zwar ne Präsenz zeigen und Anders-Sein demonstrieren, aber man ist nicht in der Lage, wirklich einzugreifen ins Geschehen. Unter der Prämisse, daß man auf eine Veranstaltung fährt um einen Naziaufmarsch zu verhindern, da muß es schon anders laufen.. Ich hab diese Frauengruppe gesehen, die wirklich gut zusammengehalten haben, die auch wirklich in nullkommanichts Ketten gebildet haben, das hat bei uns ja nicht funktioniert. Wenn es wirklich darum geht, aktiv einzugreifen, wirklich was zu verhindern, sei es durch Sitzblockaden, sei es durch was anderes, und das ist mit so 'ner Gruppe von 200 Leuten nicht möglich, dann muß man sich halt 'ne andere Form suchen, wie man auftritt. Daß es nicht diesen einen großen Block gibt mit völlig verschiedenen Leuten, sondern kleinere Gruppen, die dann wirklich zusammen halten. Dann sind Absprachen auch einfacher. Und man muß sich auch darüber im klaren sein, daß es da eventuell zu gefährlichen Situationen kommen kann. Da hatte ich mit einigen Sachen enorme Schwierigkeiten. Es waren einig Leute durch ihre Kleidung ja wirklich bewegungsverhindert. Wenn unser Block von Faschos angegriffen worden wäre, so 'ne Situation kann man einfach nicht ausschließen, da hätte es schon zu unschönen Szenen kommen können. Und daß jemand sein Kind mitgebracht hat! Hab ich nicht verstanden, wie man so was machen kann Wir haben ja auch 'ne Zielscheibe dargestellt. Zeit wird verplempert, wenn man durch die Stadt zieht, wo keine Nazis sind, wo keine Öffentlichkeit ist, und keine Medien sind. An der Prager Straße, am Schluß hätten wir uns noch mal formieren müssen und als Block auftreten, mit Transparent. Und einfach das machen, wofür wir gekommen sind. Aber da waren wir ja zu erschöpft von diesem "Todesmarsch". Die Ideologie der Nazis geht auch gegen Lesben und Schwule, und die lesbisch-schwule Szene hat 'ne Verantwortung, sich auch darum zu kümmern. Und sich nicht immer nur irgendwo anzubiedern oder im eigenen Sumpf rumzubraten. Ich hatte Kontakt mit der Leipziger Schwulenszene, und da wurde mir gesagt, daß die überhaupt nichts geplant hätten. Vielleicht als Einzelpersonen, aber nicht als Gruppe. Das war enttäuschend.


Micky
"Ich hab's völlig stimmig gefunden. Sowohl auf der Demo, wie hinterher. Der Queerblock war gut, der auch in Redebeiträgen gesagt hat, wir sind die und die und machen das und das, das gab schon mal 'ne andere Stimmung. Du kanntest die Leute vom Sehen, das hat Sicherheit gegeben. Nach zwei Stunden mit dem Block haben wir uns dann abgesetzt, mit Schwulen-Lesben, und waren rund um die Demo in Kleingruppen unterwegs. Wir haben andauernd immer wieder Einzelautos von Faschos angetroffen und Busse, die rein fahren wollten, die haben wir versucht aufzuhalten. Bei den Bussen hat das nicht geklappt, aber die Autos sind alle umgekehrt, sind geflüchtet, und das war 'ne tolle Erfahrung. Die Angst von den Faschos zu sehen, in den Augen hinter den Scheiben. Ich finde im Block orientiert man sich an den Schwächsten, aber wenn’s Leute gibt, die mehr machen wollen, dann gibt’s auch die Möglichkeit aus'm Block raus zu gehen. Die Demoblocks haben die Bullen gebunden, habe 'ne Stärke manifestiert, und nur deswegen konnten die Kleingruppen außerhalb so agieren. Ich find, das gehört zusammen, ich will nicht eins gegen's andere ausspielen. Die Strukturen vor Ort wären schon noch ausbaubar gewesen. Das man genauer abcheckt, was gibt’s denn für wichtige Straßen, wo die Faschos auf jeden Fall rein und raus müssen. Oder wenn Leute innerhalb dieses von den Bullen abgesperrten Bereiches wohnen, daß die sagen, das und das machen jetzt die Faschos. Ich bin ja auch so 'n Politkopp, aber ich fand, das war wirklich 'ne gute Erfahrung."


Tuntentinte Nr.14