Die glorreichen Jahre Ostberliner Abenteuergastronomie nach 1989




Als die Sondereinsatzkommandos der Westpolizei am 14. November 1990 die Sektvorräte der Forelle Blau in der Mainzerstrasse 5 in Friedrichshain plünderten, konnten sie nicht ahnen, was sie damit auslöschen und gleichzeitig auslösen werden. 6 1/2 Monate vorher, im Anschluß an einem Fummelblock zum Kreuzberger 1.Mai wurde die Mainzerstrasse 4 als erstes von 11 weiteren Häusern besetzt und in Tuntenhaus umbenannt. Im Juni 1990 machte in einem ehemaligen Friseursalon im Nachbarhaus die Forelle Blau aka Nachtbar Walter Seydlmeyer auf. Da die Tuntenhausostler mit dem bayrischen SM-Märtyrer nicht wirklich was anfangen konnten, stand auf dem Leuchtschild zur Straße einfach nur: "Gay Bar - yes, we´re open". An welchen Wochentagen die Forelle Blau tatsächlich dann open war, läßt sich im Nachhinein nicht mehr genau bestimmen. Im kurzem Sommer des libertären Kommunismus wurden die wöchentlichen Öffnungszeiten allerdings regelmäßig, weil freiwillig und diszipliniert, eingehalten.

Eine Entlohnung für die Tresenschichten gab es selbstverständlich nicht. Die Preise für Ostbier und Westsekt konnten aufgrund des monetären Chaos der untergehenden DDR extrem niedrig angesetzt werden. Weil es in der Mainzerstrasse Wichtigeres zu tun gab als Kneipen einzurichten, tendierte die Forelle Blau stylemäßig eher zum O-Bar-Minimalismus als zum manierierten Tuntenplüsch á la Anal. Für Ostschwestern aus der Nachbarschaft war die ranzige Forelle nicht wirklich das, was sie sich unter dem Goldene Westen vorstellten und so fanden sich neben den notorisch-zwangspolitischen Bomberjackenjungs gern der ein oder andere kulturell aufgeschlossene Westberliner in der Forelle ein. Deren Ohren mußten sich dann an eine Mischung aus holländischen Acid-House und sozialistischem Liedgut gewöhnen. Zum 41. Jahrestag der DDR am 7. Oktober führte ein FDJ-Tuntenchor ein Potpourri der schönsten Pionierlieder auf und am 13. November 1990 war bekanntermaßen schon alles wieder vorbei. Die Tuntenhäusler, frisch aus dem Knast entlassen, bekamen Asyl in der Kastanienallee oder gingen in die innere Emigration. Das Angebot des Infocafés Subversiv im besetztem Haus in der Brunnenstrasse, den Montag (!) zum Homoabend auszubauen... .

bisher auf etuxx erschienen:
und schon im September geht es hier hinein ... .

Subversiv
Stjopa: Wie sah es denn in den notorisch zwangspolitischen Köpfen so aus, was waren denn so die ideologischen Strömungen in diesem kurzen Sommer. Ausser Trash & D.I.Y. ist mir da bisher nichts bekannt geworden und auch der Tuntenhausfilm gibt ja mehr Stimmung wieder als konkrete Sachen.  
Mutti: Was ist D.I.Y.? Und außerdem geht es hier tatsächlich um Stimmungen und weniger um Theoretisches. Heute heißt Imperialismus Globalisierung; also die Inhalte haben sich nicht wirklich geänderet; höchstens die Ausdrucksformen.  
Sascha B.: Tja, was ist D.I.Y? (Welcome back home, Mutti, übrigens!). "Depressed Isolated Youth", vielleicht? Auf die Antwort müssen wir wohl noch einige Tage warten...  
Stjopa: Do it yourself! Ich weiss nicht, warum das so wenig bekannt ist. Wie sind die linksautonomen Schwuchteln denn nun politisch sozialisiert worden?  
stjopa: Wenn ich richtig kapiert habe kommt D.I.Y. aus der Anarcho und Punk, HC -Ecke. Aber in diese ganzen subkulturellen Strömungen in denen sich die Heteropolitniks so rumtreiben sind Tunten wohl immer ein wenig Fremdlinge geblieben. Mit D.I.Y. meinte ich übrigens den ausgeprägten Hang zum Bauen/Basteln/Selbermachen, der in squats so beliebt ist.  
Sascha B.: Ist ja schön, Stjopa, dass Du uns so einfühlsam bescheinigst, wir hätten keine Ahnung. Aber Du hättest schon schreiben können, was "D.I.Y." nun genau bedeutet! Wenn Du nicht bald damit `rüberkommst, müssen wir leider vermuten, dass Du es eigentlich selbst nicht weisst... Heteropolitisch sozialisierte linksautonome Schwuchteln: bitte melden!  
Sascha B.: Tja, ich wusste schon: selber nachschauen ist besser. Wie billig, wie niederschmetternd, wie profan: "D.I.Y." heisst schlicht: "Do it yourself!". Und da willst Du uns einen von "linksautonom" erzählen, Stjopa?! "Do it youself!" ist schlicht Obi-Baumarkt-Spiesserideologie! Basta! :-)  
OBI-Biber: also nichts gegen DIY, aber das ist nicht nur Spießerlogik, nein ganz Deutschland ist im Dübelwahn. Auch Mainzers kamen schon in Baumärkte, wenn sie nicht gerade Fascho- oder Pädodiskussionen führten oder die Ostigkeit bewunderten. Ein wenig gefangen zwischen Zusammenbruch des Westkommunismus und der morbiden Charme des grauen Ostberlins. Grenzerfahrungen sammeln war angesagt : Wie sind die jeweils anderen Deutschen im Bett? Gruppenpolitik: Als Homo wurde man noch unhinterfragter als heute politisch akzeptiert. (Vorsicht Opfer!), bevor Heteromann in Männergruppe geht ... lieber den "Quotenhomo" einfach glauben ...  
Zur D.I.Y. Problematik:: Es hat sich weitgehend erledigt, D.I.Y. zum Ansatz täglicher Praxis zu machen. Weder kann man Computer selber bauen, noch ist die ewige Handarbeit wirklich befriedigend.  
Eule: Ja Leonardo da Vinci ist schon nicht mehr unter uns, auch 2001 läßt sich von HosexellInnen feststellen, dass wir arbeitsteilig leben, jute Nacht ...jute Nacht  
Sascha B.: Reden wir jetzt hier über Baumärkte? Na gut: reden wir halt über Baumärkte! Ich gehe gerne in Baumärkte, weil ich gerne schweres Werkzeug in meinen Händen halte (und dabei wehmütig an meine Zeit auf´m Bau zurückdenke). So habe ich auch die Bekanntschaft mehrerer Ladendetektive gemacht, die meinen Fetischismus als Diebstahlsabsicht auslegten. Die besten und geilsten Werkzeuge (dies nur mal als Tip) bekommt man aber von Handwerksbetrieben in Liquidation. p.s.: Wer einen Hilti-Abbruchhammer preiswert besorgen kann, der melde sich bitte!  
heinrich: sascha, hast du denn nicht schon eine hilti?! oder willst du jetzt das erste deutsche hilti-fetisch-museum aufmachen? als kellerbar mit abenteuergastronomischem charakter, versteht sich: jede woche wird publikumswirksam eine wand abgebrochen, mit der hilti der woche, dann wieder aufgebaut, vom kollektiv der woche - zum schluss wird der bauarbeiter der woche gewählt - und vernascht... (o-ha!)  
Sascha B.: Heinrich: endlich mal einer, der mich versteht (obwohl: nach unseren gemeinsamen Jahren hätte mir das klar sein müssen)! Aber: den Hilti-Abbruchhammer hatte ich damals eben nicht gekauft, weil ich (zu recht!) befürchtete, irgendwann "im Tran" damit mal meine Wohnung zerlegen zu wollen... Und noch einmal: Worüber reden wir hier eigentlich?!  
Stjopa: Apropo Tran: Du scheinst ja mächtig drin zu sein Sascha, oder drauf? "Do it yourself" hatte ich Dir doch deutlich als Entkürzung angeboten. Was ich hier immer noch wissen wil, sind die damaligen utopien und Ideologien. Einiges ist hier ja schon zum Besten gegeben worden. Aber der hausbesetzen ist wohl nicht aus Werkzeugfetischismus ostgeiler Tunten hervorgegangen, oder?  
Sascha B.: Stimmt, Stjopa. Das hatte ich schlicht überlesen. War wohl schon etwas übermüdet oder eben: "im Tran"... - Ich denke ja, Hausbesetzen war bei vielen Leuten "bürgerlich" motiviert: Abenteuerlust, "Selbstverwirklichung" - aber eben mit dem Ziel (und der Demonstration) der Überwindung bürgerlicher Lebensformen! Das hat funktioniert, und davon ist auch bei den meisten was "zurückgeblieben".  
Leo: An der heutigen Mainzer Str. 4 steht das Grafitto "Unsere Häuser könnt ihr räumen, unsere Herzen nicht" - Ich habe mich natürlich gefragt, ob es zufällig oder absichtlich gerade am Haus Nr. 4 angebracht ist.  
heinrich: wäre neben dem hausbesetzen mit dem ziel der überwindung bürgerlicher lebensformen nicht auch hausbauen - in den entsprechenden unbürgerlichen formen natürlich, wie immer die aussehen könnten - mit dem ziel der überwindung bürgerlicher lebensformen interessant? oder ist hausbauen mit dem ziel der überwindung bürgerlicher lebensformen zu bürgerlich im vergleich zum besetzen von mit dem ziel der entfaltung bürgerlicher lebensformen gebauten häusern?! ist die fixierung auf die überwindung bürgerlicher lebensformen nicht eventuell etwas zu bürgerlich? nun ja.  
terrortunte: genau. kann man alles in einen topf schmeißen und umrühren. muss man nur dabei vor sich hinplappern, dann glaubt man das auch ganz schnell selber.  
Grafitti: an Leo, kein Zufall!