HIER GEHT WAS?
HipHop als zweite Neue Deutsche Welle.

Gut zehn Jahre, nachdem HipHop in den USA entstanden war, fingen ein paar Jungs in westdeutschen Fußängerzonen an, sich zu harten Rhythmen aus grossen Radiorecordern abgehackt zu bewegen. Sie trugen Trainingsanzüge und weisse Handschuhe und hatten Wollmützen auf dem Kopf, obwohl es Sommer war. Sie nannten sich Breakdancer. Andere zogen nachts mit Farbsprühdosen umher und malten seltsam arabeske Buchstabenfolgen auf Eisenbahnwaggons und Häuserwände. Das waren die Sprayer.

Eigentlich war es die Zeit der "Neuen deutschen Welle". Man durfte Popmusik machen und musste dafür nicht einmal Englisch können. Helmut Kohl war Bundeskanzler geworden. Über die Breakdancer wurde zwar in der "Bravo" geschrieben, und die Sprayer kamen in den Polizeinachrichten der Tageszeitungen vor - aber sie hatten keine Clubs, in die sie gehen konnten; es gab noch keine HipHop-Musikszene in Deutschland. Die B-Boys blieben unter sich, und die Ghettoblaster verschwanden wieder aus den Fussgängerzonen.

Der erste deutschsprachige Rapper war angeblich Falco, ein NDW-Sänger also. Mit größerer Berechtigung war es Torch aus Heidelberg mit seinen Leuten von Advanced Chemistry. Nach dem Abklingen der Neuen Deutschen Welle (selbst die hiesigen "Schlageraffen" begannen, auf Englisch zu singen) wuchs, tatsächlich aus dem Untergrund, eine neue Musikszene heran, die sich mittlerweile felsenfest etabliert hat.

Dabei stellte sich ein Regionalismus heraus: die "politisch korrekten" Hamburger mit ihren Antifa-Bezügen ("Absolute Beginner" z.B.) standen gegen die Stuttgarter ("Die Fantastischen Vier"), die die Kommerzialisierung des deutschsprachigen HipHop einleiteten. Pioniere (wie Torch), die wussten, was HipHop eigentlich ausmachte, und die einen starken Bezug zur schwarzen Musik hatten, wurden, wie das immer ist, in den Hintergrund gedrängt.

Die musikalische Qualität der deutschen Produktionen, die Skills der deutschen MCs blieben jahrelang ziemlich mies. Die amerikanischen Vorbilder rückten in jeder Hinsicht in weite Ferne. Natürlich haben deutsche Mittelstandskinder andere, geringere Probleme als die Kids in den schwarzen Ghettos der USA. Mit der gleichen Vehemenz gegen angeblich ungerechte Zeugnisnoten anzurappen wie gegen Erfahrung rassistischer Gewalt, Armut, Aussichtslosigkeit, das verbietet sich eigentlich und ist, wenn man es doch tut, ziemlich lächerlich.

Literatur zum Weiterlesen:

  • S. Verlan/H. Loh: 20 Jahre HipHop in Deutschland (2000; Hannibal-Verlag)

 

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