Tuntenhaus Kastanienallee

Entwicklungen im Schatten des Hauptstadtwahns


Nach der Vertreibung aus der Mainzer Straße bot ein ehemals besetztes Haus in der Reichenberger Straße den Tuntenhäuslern Zuflucht, wo sie auf engem Raum inmitten ihrer geretteten, in Müllsäcken verpackten Habseligkeiten reichlich chaotisch hausten. Die meisten der heimatlosen Tunten und Mackerchen siedelten wenige Wochen später in ein rottes, halb leerstehendes besetztes Haus in der Kastanienallee im Prenzlauer Berg um.

Der Kronleuchterhof in voller PrachtDort war eine Legalisierung der Wohnverhältnisse schon beim Einzug absehbar und geschah auch sehr schnell. Alles fing wieder an mit einer Großküche, nach großer Bewohner-Fluktuation und mehreren Spaltungen gibt es inzwischen im Hinterhaus drei Küchen für 14 Schwule. Allerdings existieren keine Etagen-WGs, sondern Privatgemächer und Küche liegen i.A. nicht auf dem gleichen Stockwerk. Einer der wesentlichen Unterschiede zu den Vorläufern besteht darin, dass Miete gezahlt wird, auch wenn sie mit 250 DM warm sozialverträglich ist. Miete zahlen bedeutet für die allermeisten auch arbeiten gehen. Das ist eine der Ursachen, weshalb die Dynamik des Tuntenhauses in der Mainzer nicht dauerhaft in die Kastanienallee überging.

Nach zehn Jahren ist der Hauscharakter heute sehr verschieden von dem im besetzten Tuntenhaus in der Mainzer. Das Tuntenhaus in der Kastanienallee ist vor allem ein Wohnprojekt und war nie wirklich Politprojekt. Es spielte bei Polit-Aktionen eher eine Rolle als Multiplikator oder als Info-Pool. Politgruppen mit Beteiligung von Hausbewohnern waren die "Schwule Antifa" und die "Querulanten", die beide nicht mehr existieren.

Die Tuntentinte, das Fanzine für die linke Schwuchtel, wurde jahrelang (von Ausgabe 3 bis 18) mit rat- und tatkräftiger Beteiligung einiger Hausinsassen produziert. Der schlimme Punk-Schwuchtel-Tunten-Treff "h-bar" startete als Kneipe der "Schwulen Antifa" und wurde dann bald zu einem großen Teil von Tuntenhaus-Personal betrieben. Aktionen wie der Rattenwagen auf dem CSD 97 nahmen ihren Anfang in diesem Umfeld.

Der Auflösungsprozess der schwulen, linken Szene in Berlin, der sich z.B. darin manifestiert, dass es keine Kneipe mehr für diese Klientel gibt (abgesehen vom monatlichen, schlecht besuchten EX-Sonntag), geht auch nicht spurlos am Wohnprojekt vorüber. Es wurde in letzter Zeit deutlich ruhiger um die "chaotische WG" (Berliner Zeitung). Die Multiplikatorenfunktion ist nicht mehr gefragt oder wurde von uns auch in Einzelfällen enttäuscht.

Das Umfeld und zum Teil auch die Bewohner scheinen sich neu zu orientieren. Sinnkrise der Linken, Techno, Lohnarbeit, Beziehung fordern ihren Tribut. Wie in den Vorgänger-Häusern sind die meisten Bewohnerinnen bildungsprivilegiert. Die jüngsten sind wie in den beiden Vorgängern ca. 20 Jahre alt, die Alterspyramide reicht inzwischen aber bis 41 Jahre. Ein Problem, das in einem anarchischen Sommer noch nicht auftritt, dafür aber um so mehr in einem zehn Jahre laufenden Wohnprojekt diskutiert wird, betrifft den Umgang mit Bewohnern, die sich in ihren Ansprüchen von der Restgruppe entfernen, privatistisch leben oder sogar nur hier wohnen, weil der billige Mietvertrag auf den eigenen Namen hört und andere das Klo putzen. Gleichzeitig ziehen engagierte Leute aus.

An dieser Frage wird deutlich, dass für das Fortbestehen des gefährdeten Projektcharakters Strukturen, in denen verbindliche Entscheidungen getroffen werden, elementar sind. Weshalb wohnen nun heute Schwuchteln im Tuntenhaus? Utopien und Revolution spielen zwar keine Rolle mehr, aber politisch geprägte Vorstellungen wie kollektiv wohnen und selbstbestimmt wohnen werden auch heute von den Bewohnerinnen angeführt. Obwohl selbst die Berliner Morgenpost (erzkonservatives Springer-Blatt) schon ungefragt von "Berlins originellstem Wohnzimmer" schwärmt, sehen einige ihre Wohnsituation als Kontrapunkt zum Schwulen-Mainstream, von dem sie sich distanzieren möchten.

Für die Identifikation mit dem Haus hat meiner Ansicht nach auch das Tunten-Haus-und-Hof-Fest einige Wichtigkeit. Auch die taz schmälert dies nicht mit ihrem gutgemeinten Bericht, dass bei der Party "die bunte Homo-Welt" ins volksfestartige(?), "gemütliche Schunkeln" gerät. Für die Entscheidung im Tuntenhaus zu wohnen werden aber vor allem soziale Argumente angeführt: Freunde wohnen hier, emotionale Geborgenheit in der Gruppe, verbindlicher und kontinuierlicher Sozialkontakt sowie "real-existierende" Solidarität.

von Urania Urinowa