Buchtip: Reproduktionskonten fälschen!
von Nancy Nüchtern

Boudry, Pauline, Brigitta Kuster und Renate Lorenz (Hg.):

Reproduktionskonten fälschen!

Heterosexualität, Arbeit & Zuhause.

Berlin: b_books 1999 (220 S., paperback, 26 dm)
Cover-Bild: "I COOK FOR SEX"

Meistens kommt in der queer theory die Ökonomie zu kurz: Dass Leute unterschiedlich viel Geld haben, wird zwar wahrgenommen; selten aber wird gefragt, woher das kommt, wie sich Armut oder Reichtum auf Sexualität und Identität auswirken, oder wie das Ökonomische überhaupt mit Geschlecht und Sexualität zusammen hängt. In Reproduktionskonten fälschen! ist das anders - dieses Buch zeigt: es gibt nicht nur eine lange feministische Diskussion über die Ausbeutung von Frauen, sondern auch darüber, welche Rolle Gefühle, Geschlechtsidentität und Sexualität in der Ökonomie (in der Ausbeutung) spielen. Der "queere" Blick hat also eine Geschichte...

Zum Beispiel findet sich eine Szene aus dem Roman "What Diana Did" von Charlotte Perkins Gilman, entstanden um 1910: Diana rechnet ihrem Vater vor, wie viel sie zum Einkommen des Haushaltes beigetragen hat, dessen Vorstand er ist. Damit nimmt sie ihrer in der heterosexuellen Kernfamilie geleisteten Arbeit die Selbstverständlichkeit - damals ein Skandal. In den 1970er Jahren erweiterte die Kampagne Lohn für Hausarbeit (im Buch ebenfalls vertreten) den Fokus um eine postkoloniale und eine sexuelle Dimension: deutlich wurde, dass bis dahin die Kritik an patriarchaler Ausbeutung auf Weiße und auf das Hetero-Beziehungsmodell zentriert war.

Die neueren Texte des Buches stehen in dieser Tradition. Mascha Madörin erläutert, wie viele auf das Zuhause bezogene Arbeiten der wirtschaftswissenschaftliche mainstream ausblendet, weil sie unbezahlt geleistet werden. Als Arbeit fasst sie, was andere Personen gegen Geld erledigen könnten. Allerdings hat dieser Arbeitsbegriff seine Probleme - zwar lässt sich damit das Ausmaß der Unterschlagung ahnen, aber es bleiben Fragen offen: Wie z.B. berechnet sich der Preis von Gesprächen, in denen jemand Probleme loswerden kann? (Nach dem Stundenlohn von Psychotherapeuten oder mit 2,50DM für eine "Bravo" mit Dr.-Sommer-Seite?) Wieviel Sauberkeit braucht eine Wohnung wirklich? Und, wenn Kindererziehung bezahlt wird, dann auch die Fehler, die Eltern (manchmal) machen? ...

Verschiebungen emotionaler Zuhause-Strukturen (Nähe, Anerkennung) hin zum Arbeitsplatz schildert Arlie Russel Hochschild. Zugleich werde das Zuhause immer mehr zur lästigen Arbeit: Auch die Männer von im Beruf erfolgreichen und gut bezahlten Frauen beteiligen sich kaum an der Familienarbeit. Traditionelle patriarchale Strukturen kombiniert mit modernen kapitalistischen Arbeitswelten führen dann zu einer "Taylorisierung" der Familie. Effizienz wird auch zu Hause immer wichtiger (Beispiel: ein Zeitplan lässt genau 45 Minuten "Intensivzeit" für Spielen mit dem Kind). Oft bringt das gerade die Frauen in eine emotionale Zwickmühle.

Doreen Massey untersucht den Zusammenhang zwischen dem Männlichkeitsbild von in der HighTech-Branche tätigen Männern und deren Engagement im Job: Selbstverwirklichung als Mann und soziale Anerkennung (in Form hoher Gehälter) führen dazu, dass sie mehr Zeit im Job und weniger zu Hause verbringen. Dort anfallende Arbeiten erledigen ebenfalls ihre Partnerinnen. Gewinner dieser Konstellation sind die Unternehmen, für die Arbeitskräfte schuften, die sich immer länger und intensiver verausgaben.

Sexualität bezieht explizit Linda McDowell in ihre Analyse ein: Sie untersucht die Inszenierung von (heterosexueller) Körperlichkeit in Geschäftsbanken - die Frauen dezent geschminkt und freundlich, die Männer immer im Schlips und durchsetzungsfähig. Das sind keine Klischees aus der Werbung...

Es lohnt, die Einleitung des Buches am Ende noch einmal zu lesen. Zum einen zeigt sich spätestens jetzt, wie sinnvoll die von den Herausgeberinnen gewählte Anordnung ist: Mit ihren Begriffen "Subjektivität", "sexuelle Arbeit" und "sexuelle Arbeitsteilung" öffnet sich ein Feld, in dem die kapitalistische Ökonomie analysiert und zum Interventionsziel sexueller Politiken werden kann. Ein Feld, das bereits eine lange Geschichte hat, deren Linien das Buch sichtbar macht.

Zum anderen kann nun eine spannende Auseinandersetzung mit den Hrsg. beginnen, in deren Ökonomie-Verständnis einige marxistische Elemente fehlen. Ihnen ist z.B. die Bezahlung einer Leistung allein Ausdruck der Nachfrage nach ihr: "wertvoll ist […] das, was andere weniger gut können, das also 'knapp' ist"(16). Eine klassisch liberale Formulierung, die ihre Vorzüge hat: Weil die Institution Heterosexualität die Arbeitswelt strukturiert, kann z.B. eine leitende Bankangestellte in einer Männerrunde daraus Vorteil ziehen, dass sie die einzige Frau ist.(27) An anderen Problemen aber scheitert die Analyse: Die Dienstleisterin sei "Arbeitskraft und Ware" zugleich, ihr "Gefühls/Wissens-Produkt" werde "gegen Lohn verkauft" und besitze "Tauschwertcharakter". Hier fehlt, dass Subjektivität als eine Eigenschaft der Ware Arbeitskraft an der Erzeugung von Mehrwert beteiligt ist. (Dieser Begriff taucht im ganzen Text nicht auf.)

Nun ließe sich fragen, ob die Ausbeutung eine neue Qualität erreicht habe, weil sie jetzt nicht nur Muskelkraft, sondern die gesamte Persönlichkeit erfasst? Doch auch der klassische Bandarbeiter wurde ja als ganze Person ausgebeutet. Nur war seine Subjektivität anders strukturiert als die der heutigen Dienstleistungselite. Bringen also neue Formen von Ausbeutung die zu ihnen passenden Subjektformen gleich mit hervor? Indem z.B. Kinder in taylorisierten Familien aufwachsen? - Hier liegt ein großes Erkenntnisfeld und für solche Diskussion liefert das Buch wichtige Ausgangspunkte.

Im Anschluss lassen sich weitere Fragen stellen: Gibt es Sexualitäten, die im heutigen Metropolen-Kapitalismus besser verwertbar sind als andere? Wenn ja, was folgt daraus? Schwule gelten in der Mehrzahl als unabhängig, nicht ortsgebunden, zeitlich flexibel usw. - sind sie also die Lieblings-Identitätsgruppe des Neoliberalismus? Und warum sollte das bei Lesben anders sein? In der Zukunft könnten auch Ökonomien von sexuellen Subkulturen untersucht werden: Wie hängen hier Begehren und (teurer) Konsum zusammen? Was kauft jemand in seiner/ihrer kommerzialisierten Subkultur? Nur einen Drink? Oder auch ein Zuhause-Gefühl? Warum muss ein Barmann in einer schwulen Kneipe z.B. immer schwul sein und am besten auch gut aussehen? Und der Verkäufer im schwulen Reisebüro ebenfalls? - Fragen über Fragen...

Erschienen ist das Buch bei b_books, einem Label/Laden in Berlin, wo montags fast immer interessante Veranstaltungen zu Politik und/oder Kunstsachen stattfinden. Und noch ein Tipp: Die Herausgeberinnen veranstalten in unregelmäßigen Abständen den clip-club mit interessanten Filmen und leckerem Esssen - zuletzt (mit Blöcken u.a. über 10 Jahre deutsche Einheit und über Transidentitäten) am 28. und 29. Oktober. Informationen über weitere Veranstaltungen gibt es u.a. bei b_books.

Zum Weiterlesen: Eine veränderte Version der Einleitung findet sich in der Frankfurter StudentInnen-Zeitschrift Diskus.