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"Ich bin queer""
zur Dialektik eines Satzes
von CK5, aus Tuntentinte Nr. 16 (März 1999)

Das zentrale Problem der meisten Ich-Sätze besteht darin, daß sie keine Handlungen beschreiben, sondern persönliche Seins-Zustände. Dort werden dem Ich dann die "schönsten" Attribute zugeordnet. Doch schon die Logik des Satzes läßt zwei Sichtweisen zu. Der Satz "Ich bin queer" beispielsweise wird im Alltagsverständnis so verstanden, daß einem Ich etwas zugeschrieben wird, aber bei genauerer Betrachtung hat das Ich keine andere Substanz als die des Prädikats "queer" das Subjekt des Satzes verschwindet im Prädikat des Satzes. Ist das grammatische Subjekt im Prädikat verschwunden, taucht es sogleich als Bewußtsein wieder auf und besteht auf der Differenz und ihrer Einheit in einer höheren Ordnung.

Die Verbindung von grammatischem Subjekt und dem Bewußtseinssubjekt ist dann der Versuch, eine allgemeine Struktur in eine subjektive zu überführen. Allein dieser Gleichklang reicht als Begründung theoretisch zwar nicht aus, aber praktisch bildet er die Grundlage der Ich-Rhetorik, die einem allerorten entgegen schlägt. Subjektivität ist ein Kategorienfehler, der viel Lärm produziert, sie ist Überschuß oder Abfallphänomen; aber wer sagt, daß man sich im Dreck nicht wohlfühlen kann. Nun ist die Situation bei dem Satz "ich bin queer" ungleich komplizierter, weil es einem Widerspruch in sich gleichkommt, wenn ein "ich" als "ich" versucht, sich dieses Prädikat zuzulegen, in ihm sich aufzulösen, um dann als bewußtes "Queer-Subjekt" wieder aufzuerstehen.

Dieser Widerspruch gilt selbstverständlich nur vor dem Hintergrund eines politischen Queer-Diskurses, semantisch macht der Satz schon Sinn (er läßt sich beispielweise laut meinem Lexikon mit "ich bin nicht ganz hasenrein" übersetzen). Wenn dieser Satz aber im Umfeld des Queer-Diskurses auftaucht, dann reicht die Dialektik des Satzes nicht aus, um das zu verstehen. Dazu ist es hilfreich diesen Satz zu kontextualisieren, d.h. wann sagt ein Subjekt "ich bin queer" und vor allem: Warum? Kann bei einer politischen Aktion skandiert werden, um der damit verbundenen Ausgrenzung die Spitze abzubrechen, also im Zusammenhang eines politischen Kampfes um die Bedeutung. Er kann aber auch als Selbstbeschreibung dienen und heißt dann soviel wie, ich bin links, antipatriarchal, antirassistisch, antisexistisch usw... .

Die Leidenschaft, "ich" zu sagen, resultiert aus der Angst, im Rauschen des Diskurses unterzugehen. Sie ist der Versuch, Boden unter die Füße zu bekommen, einen Standpunkt zu haben, die Verhältnisse zu ordnen, zu wissen, wo man steht und handlungsfähig zu werden. Mit diesem Satz kann das aussagende Subjekt auch die Definitionsmacht darüber beanspruchen, was im Namen von queer gesagt werden darf, ganz nach dem Motto: Betroffene sprechen die Wahrheit. Im letzteren Gebrauch feiert das Patriarchat als signifikante Struktur Urstände in Form der Bezeichnungsmacht und der Identitätsstiftung. Der alte Ein- und Ausgrenzungsdiskurs erhält ein neues Gesicht, und alle Versuche des Queer-Diskurses, patriarchale Strukturen zu subvertieren, sind verloren.

Daß sich dahinter Antiintellektualismus und der Haß gegen das Abstrakte verbergen, ist naheliegend. Welche Konsequenzen eine solche Position haben kann, darauf haben Horkheimer/Adorno in der "Dialektik der Aufklärung" hingewiesen. Aber wenn es um die Dialektik eines Satzes geht, dann kann an diesem Punkt nicht schon das Ende sein, sondern der Zusammenhang dieser Gebrauchsweisen wäre aufzuzeigen. "Ich bin queer" als politische Kampfformel ist mittlerweile Geschichte, ist Teil einer Re-Formierung der sogenannten sozialen Bewegungen der 80er Jahre zu einer Regenbogenfraktion. Von dort aus nahm der Begriff queer seinen Weg in die Zimmer der Sozialwissenschaftler, die sich um die Diagnose der Gegenwart bemühten und an der Veränderung des status quo arbeiteten. Von dort aus kam er in einen lesbischwul-linken Alltagsdiskurs zurück und wurde als neuer Leitbegriff aufgenommen. Mit ihm sollte ein neuer politischer Zuammenhang hergestellt werden. Jetzt ereilt ihn das Schicksal all der Begriffe linker Politik.

Der Streit entsteht innerhalb linker Theoriebildung und zwischen Theorie und Praxis. Da nützt auch die diskurstheoretische Auflösung dieser Gegensätze und die Versuche, die Form der Problematisierung zu problematieren, nichts. Die Strukturen haben sich mal wieder als resistenter erwiesen als ihre Kritik. Bleibt nur noch die Solidarität mit einem Begriff eim Zeichen seines Falls? Eine solch negative Dialektik krankt selbst bekanntermaßen an einer Immunisierung gegen jede Form der Kritik und beansprucht für sich jenen Ort der Wahrheit, den sie selbst kritisiert. Deshalb gilt es, den Kampf offenzuhalten. "Ich bin queer" ist ein Satz, dessen Geltung im gegenwärtigen Diskurs diskreditiert ist. Ausgesprochen ist er ein Zeichen von Denk- und Politikfaulheit, weil er aus einer Denk- und Handlungskategorie eine Seinsbestimmung macht, die das Subversive für sich als Eigenschaft beansprucht.

Eine solche Gebrauchsweise zeugt von einer Selbstverliebtheit, die auf Dauer einsam macht, weil sie permanent darum bemüht ist, Grenzen um das eigene Ich zu ziehen. Bedauerlich nur, weil dieses Ich letztlich substanzlos ist.