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Schwule Profiteure
von CK5, aus Tuntentinte Nr. 15

Im Rahmen der Analysen über das neue Gesicht des Kapitalismus taucht ein neues Marktsubjekt auf, das in letzter Instanz als das "alleinstehende, nicht partnerschafts-, ehe- oder familien- ›behinderte‹ Individuum" beschrieben wird, das sich flexibel und konsumorientiert in den neuen Freiheiten dieser neoliberalen Gesellschaft problemlos zurecht findet. Der Homosexuelle verkörpert scheinbar in idealer Weise diese neuen Anforderungen.

Die Veränderung der gesellschaftlichen Organisierung der Sexualität seit der sogenannten sexuellen Revolution oder besser die Modernisierung der Sexualität spielt dabei eine maßgebliche Rolle. Im Zuge dieser Transformationen wird die kleinfamiliale Ordnung brüchig, trennt sich systematisch Sexualität und Fortpflanzung und wird Selbstverwirklichung zur Maßgabe individueller Lebensgestaltung. Modernisierung ist so zentral bestimmt durch Autonomisierung und Rationalisierung.

Für den Homosexuellen heißt das konkret, ist die ›Hürde‹ des Coming-Out einmal überschritten, betritt er den Markt des sexuellen Austausches. Dieser Markt ist durch das Vertragsmodell Orgasmus gegen Orgasmus gekennzeichnet, einer Art sexueller Demokratie, in der egalitäre, tauschwertvermittelte Beziehungen, die nicht durch geschlechtsrollenspezifische Festlegungen und große Anforderungen, gar Beziehungswünsche, ›behindert‹ werden, dominieren.

"Die homosexuelle Partnersuche ist Ausdruck eines Strebens nach Effizienz und Ökonomie, dem es um die Maximierung des ›Ertrages‹ (quantitativ nach der Anzahl der Partner und Orgasmen bemessen) und zugleich um die Minimierung der ›Kosten‹ geht (das heißt des Zeitverlustes und der Gefahr, daß die Annäherungsversuche abgewiesen werden)"[Literatur]. Im Zuge der sexuellen Liberalisierung und der ›Emanzipation‹ der Homosexuellen hat dieser Markt das anrüchige Rotlichtmilieu verlassen und breitet sich aus.

Diese Entwicklung begünstigt die zunehmende Flexibilität der Homosexuellen. Als alleinstehende, nicht-familienbehinderte Männer finden sie in jeder Stadt, in die sie der globalisierte Kapitalismus treibt, problemlos einen Ort, an dem ihre soziale und sexuelle Reproduktion stattfinden kann. Auch die Propagierung der schwulen Ehe wird diese Entwicklung nicht grundlegend verändern.

Um auf diesem Markt des Sexuellen bestehen zu können, bedarf es jedoch weiterer Eigenschaften, die sich hervorragend in die Bedingungen des neoliberalen Kapitalismus einpassen: einen gesunden, attraktiven Körper, die entsprechende Kleidung und einen konsumorientierten Habitus. Auch die latente bis manifeste Homophobie in dieser Gesellschaft kann dem dynamischen, aber versteckten Homosexuellen zum Vorteil gereichen, in dem Maße nämlich, wie er, aus der Angst vor Entdeckung, einen Spürsinn für Töne und Untertöne entwickelt, der ihm ermöglicht, sich flexibel auf veränderte Situationen einzustellen und damit der Konkurrenz immer eine Nase voraus ist. Kurzum, der Homosexuelle scheint der Profiteur der Umgestaltung der westlich-kapitalistischen Gesellschaft zu sein. Nicht zuletzt seine zunehmende Präsenz als Zielgruppe einer an Vermarktungsinteressen orientierten Werbung bestätigt diese These (hier prominent der neue Klassenschlager des Buchhandels "Kauf mich").

Doch greift eine solch zugespitzte Argumentation zu kurz. Die Umverteilung der Reichtümer dieser Gesellschaft ist in vollem Gange und die Ausgrenzung von Menschen, für die im Verwertungsprozeß kein Platz mehr ist, nimmt im Zuge des Abbaus des Sozialstaates immer krassere Dimensionen an. Wenn bisher von dem Homosexuellen die Rede war, war der weiße, aufstrebende Mittelstandshomo gemeint. Dies läßt sich auch kaum vermeiden, ist es doch der Mittelstandshomo, der den politischen und medialen Diskurs beherrscht und der seine Interessen in der politischen Auseinandersetzung durchzusetzen weiß. Einzig der Umstand, daß auch diese Gruppe durch Aids mit Krankheit, Elend und Tod konfrontiert ist, sorgt dafür, daß das Glück im Ghetto des neoliberalen Kapitalismus getrübt ist.

Der schwule Arbeiter oder kleine Angestellte, über den kaum etwas bekannt ist, weil sich kein Journalist oder Sozialwissenschaftler für ihn interessiert, wird vermutlich genauso Opfer eines neoliberalen Marktes sein wie seine heterosexuellen Kollegen. Folgt man den Aussagen der Gewerkschaften, paart sich dieses Elend mit einer nach wie vor manifesten Homophobie innerhalb dieser gesellschaftlichen Gruppen, die gerade in sich verschärfenden gesellschaftlichen Situationen Aufwind erfährt. Ob eine schwule Subkultur dies politisch und sozial auffangen kann, wird sich zeigen.

Für eine linke schwule Politik besteht die Gefahr, in der Kritik an diesen Profiteuren des neoliberalen Kapitalismus und ihrer Gleichsetzung mit den Homosexuellen, sich einem allgemeinen linken Diskurs anzugleichen, für den Fragen von Zwangsheterosexualität mehr oder weniger als irrelevant für die großen politischen Probleme abgetan werden. Die Kritik an den Profiteuren des neoliberalen Kapitalismus sollte sich auf ihren Profit im ökonomischen System konzentrieren und nicht auf ihre sexuelle Präferenz. Schwule Homosexuellenhasser gibt es nicht nur bei den Rechten. Reflexion und Kritik an schwulen Profiteuren hat deshalb ihren Ort primär in lesbischwulen/queeren Diskussionszusammenhängen, in denen es nach wie vor um die Trauer um den Verlust des vermeintlich subversiven Charakters der Homosexualität geht.

Homosexualität als Leitkategorie für eine linke Politik ist und war im Zweifel noch nie tragfähig, Kritik an der Heteronormativität bleibt hingegen bleibt weiterhin eine Dimension eines Denkens, das sich mit dem Bestehenden nicht zufrieden gibt. Eine Kapitalismuskritik alleine bleibt spröde, eine alleinige Fokussierug auf Fragen von "Rasse", Geschlecht oder Sexualität borniert. Queer-Politics heißt, sich der sexuellen Ordnung und ihrer Verbindung mit der neoliberalen Formation der Gesellschaft zu verweigern und diese zu subvertieren.

Literaturhinweis: M. Pollak: Männliche Homosexualität oder das Glück im Ghetto. In: Ariès, Philippe und André Béjin (Hg.): "Die Masken des Begehrens und die Metamorphosen der Sinnlichkeit. Zur Geschichte der Sexualität im Abendland", S.Fischer Verlag, Frankfurt/M., 1984